• Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

Dieser Roman ist obszön - und grandios! Katharina Volckmer ist mit ihrem Debüt zum internationalen Shootingstar einer neuen Literatur geworden. Auf Englisch verfasst, zielt ihr radikaler Roman auf die Deutschen und ihre Scham. In einer Londoner Praxis entblößt sich eine junge Frau aus Deutschland vor ihrem Arzt Dr. Seligman. Obwohl sie nur seinen Hinterkopf sehen kann, vertraut sie ihm ihr Innerstes an: ihre heimliche Lust, ihre Schuldgefühle und ihr Ringen um sich selbst. Obwohl sie sich von ihrer katholischen nachkriegsdeutschen Familie abgewandt hat und seit Jahren in London lebt, verfolgen…mehr

Produktbeschreibung
Dieser Roman ist obszön - und grandios! Katharina Volckmer ist mit ihrem Debüt zum internationalen Shootingstar einer neuen Literatur geworden. Auf Englisch verfasst, zielt ihr radikaler Roman auf die Deutschen und ihre Scham. In einer Londoner Praxis entblößt sich eine junge Frau aus Deutschland vor ihrem Arzt Dr. Seligman. Obwohl sie nur seinen Hinterkopf sehen kann, vertraut sie ihm ihr Innerstes an: ihre heimliche Lust, ihre Schuldgefühle und ihr Ringen um sich selbst. Obwohl sie sich von ihrer katholischen nachkriegsdeutschen Familie abgewandt hat und seit Jahren in London lebt, verfolgen sie die alten Geister. In einem messerscharfen Monolog nabelt sie sich noch einmal von ihrer Vergangenheit,aber auch von ihrer Gegenwart ab. Vom Umkleiden in der Badeanstalt bis zum Toilettenfick in der Bar begleiten wir eine junge Frau, die sich von ihrer Scham, ihrer Kultur und ihrer Geschlechtlichkeit fundamental befreit.
»Katharina Volckmer ist eine Draufgängerin erster Güte. Ihr Roman steckt voller hypnotischem, poetischem Erfindungsreichtum und Witz ... So düster und brillant wie Naked Lunch und dabei hinreißend schön.« Ian McEwan
»Erstaunlich, originell, verstörend und wunderschön. Der Termin ist ein lang überfälliger, radikaler Eingriff.« Chris Kraus, Autorin von "I Love Dick"
»Dieses Buch ist ein Befreiungsschlag, für die Literatur, für das eigene Denken und Fühlen, ja, für das Hoffen.« Frank Witzel
Autorenporträt
Katharina Volckmer wurde 1987 in Deutschland geboren. Sie lebt in London, wo sie für eine Literaturagentur arbeitet. »Der Termin« ist ihr erster Roman.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensentin Nele Pollatschek wünscht dem Buch von Katharina Volckmer einen Haufen Leser. Schon der Anfang des Buches - sitzt eine Deutsche bei einem jüdischen Gynäkologen und will sich einen "jüdischen Schwanz" anoperieren lassen - scheint Pollatschek sensationell, kathartisch, mutig. Dass der Chirurg nur Pappkamerad ist, Adressat für einen Monolog über deutsche Befindlichkeiten, Hitler, Juden, Butt-Plugs und nicht zuletzt über Identitäten und Weiblichkeit, verzeiht die Rezensentin der Autorin gerne. Wie Volckmer es schafft bei aller sprachlicher Deutlichkeit "nichts beim Namen zu nennen", nicht einmal das Geschlecht des Erzählers, findet Pollatschek einfach großartig. Umso enttäuschter ist sie, dass Volckmer am Schluss doch einer "Fetischisierung" von Auschwitz zuneigt und das Leid der KZ-Opfer mit dem "Körper-und-Rollen-Leid" von Transmenschen zu vergleichen scheint.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.08.2021

Romanprovokation
Was Katharina Volckmers "Der Termin" leistet

Aus literatursoziologischer Perspektive mag es interessant sein, dass Katharina Volckmers "Der Termin" das Debüt einer zwar deutschsprachigen, doch auf Englisch schreibenden Autorin ist, welches nach beachtlicher Aufnahme in den britischen Feuilletons qua Übersetzung auf den deutschen Buchmarkt gefunden hat. Größere Bedeutung muss jedoch dem beigemessen werden, was auf dieser Wegstrecke verloren ging: der Untertitel. Dort, wo die britische Fassung das "The Appointment" um den Zusatz "(or, The Story of a Cock)", die amerikanische Fassung gar um "(or, The Story of a Jewish Cock)" erweitert, steht in der deutschen Version: nichts.

Untertitel aber sind Geheimnisverräter, und ihr Verschweigen wird - gerade in diesem Text - sprechend. Zum Vorschein kommt, was den Deutschen (vermeintlich) nicht gesagt werden kann und daher unübersetzbar bleiben muss. Folgt man dem Sermon der Erzählerin, dann betrifft dieses partikular teutonische Verschweigen den "Jewish Cock", den jüdischen Phallus. Begehrt, weil ihm Macht zugeschrieben wird; gefürchtet und dämonisiert, weil er begehrt wird: - dies wäre die Hintergrundgleichung, die Volckmers Text durchzieht. Im deutschen Horizont entziffert sich diese Gleichung als Verbindung von Lust und Genozid sowie die Verdeckung beider im Reden über Schuld - ein Komplex, der durch Stichworte wie "Vergangenheitsbewältigung" oder "breaking the silence", die die britische Rezeption dieses Buchs beherrschten, kaum adäquat gefasst werden kann.

So gestaltet sich das, was mit der ersten Zeile nun hervorbricht, als eine Invektive gegen diese Unterschlagung, als Gegenmonolog. Gesprochen wird er von einer deutschen Frau Anfang dreißig, die nackt in der Londoner Praxis eines jüdischen Arztes liegt - wie sich herausstellt, handelt es sich um einen plastischen Chirurgen mit dem Spezialgebiet Geschlechtsumwandlung. Der "Termin" platziert die Erzählerin auf einer Identitätsschwelle, deren Überqueren an Rechenschaft gebunden ist. Bekannt wird Scham (nicht Schuld), eine Scham, die an Körperlichkeit gebunden war, an körperliche Zurückweisungen und Freisetzungen. Es ist ein Frauenkörper, der schon immer als abstoßend empfunden wurde und dessen Weiblichkeit dementsprechend nun abgestoßen werden muss, auch wenn das bedeutet, sich gegenüber den "Möglichkeiten der Gewalt", die als "ein typisch männliches Spielzeug" verstanden wird, zu öffnen. Ebenso aber ist es ein deutscher Körper, vom Masochismus unerlösbar. Schreitet die Confessio der Patientin (im Wortsinne verstanden) zügig zur Fantasie, "mit Hitlers ureigener Reitgerte ausgepeitscht zu werden", dann erfolgt im nächsten Schritt bereits die Offenlegung der transhistorischen Verflechtung: Die Deutschen, folgt man dieser Logik, brauchen den Faschismus in gleicher Weise wie ihre Erinnerungspolitik, nämlich als Forum masochistischer Komplizenschaft.

In Zeiten eines Geschichtsrevisionismus, der den Deutschen hämisch ihren "Katechismus" vorhält, um sie im internationalen Volkssport der "Israelkritik" zu beflügeln, klingen solche Engführungen nur allzu vertraut. Doch es handelt sich bei Volckmers "Termin" eben nicht um einen Thesenroman, sondern um einen Bewusstseinsstrom, in dem Symptome und Diagnosen miteinander verschmelzen und genau jene Vulgarität erhalten, die ihnen angemessen ist: Denn der Fluchtpunkt dieses Textes ist das körperliche Verlangen, das keine Utopien kennt. Sex, das sind Wunden und Waffen, Unterwerfung und Unterworfensein. Es gibt hier kein Glück, keine "wohlwollenden Triebe", sondern nur gerechtfertigtes Unglück; keine Befreiung von Identitäten, sondern allenfalls Rollentausch, der hier in einer tatsächlich radikalen Formel ersprochen wird: "einer deutschen Frau einen jüdischen Schwanz" geben.

Das ist die schärfste Wendung, die man der strukturellen Verwandtschaft von Patriarchatstheorie und Antisemitismus angedeihen lassen kann. Der Redestrom spült sie kurz an die Oberfläche - um bald schon wieder in die trostlose Dialektik von körperloser Gegenwart und ungerichteter sexueller (bisweilen gar sodomistischer) Fantasie einzutauchen. Dem forcierten pornographischen Duktus und der Hitler-Obsession, der Verachtung gegenüber Eltern, Bekannten und Therapeuten, der tackerbewehrten Aggression gegenüber Bürokollegen korrespondiert auf der anderen Seite die Sprachlosigkeit eines Jungen, der "im Körper eines Mädchens feststeckt". Sprachlos bleibt er gegenüber der Welt; ihre Nachrichten erreichen ihn nicht, weil "mein Körper hier nicht gemeint war, weil es meinen Körper nicht gab".

Körpererfahrung und Kommunikation werden auf diesen 124 Seiten eins: Der Monolog stellt nicht nur die einzig adäquate Erzählform einer solch unadressierbaren Existenz dar. Er ist auch die literarische Anverwandlung der Masturbation, der "einzig wahren Freiheit, die wir haben", die "Der Termin" ein ums andere Mal beschwört. Man weiß und spürt, was man hier liest - und man hält es gerade deswegen aus, weil dieses Buch sonst nichts einfordert, keine Gerechtigkeit, keine Sensibilität, kein Verständnis. Nichts ist weiter weg von diesem Text als die Naivität einer Vorstellung, der zufolge die Sprache das Bewusstsein formt oder formen soll. Dass es Volckmer nebenher gelingt, eine kleine, aber doch sehr plastische Liebesgeschichte zu erzählen, an deren Ende der erste und einzige Geliebte mit dem Gespenst einer Frau zurückbleibt, die sich gerade anschickt, ein Mann zu werden, ist nicht von Übel - gelangt die Erzählung doch gerade über die Schimäre der Zweisamkeit noch in die Untiefen ihrer Figur.

Bisweilen will dieses Debüt etwas zu viel. Stark ist es dort, wo es seine Erzählerin ihre Inferiorität ausspielen lässt; Schwächen zeigt es, wo es wider die eigene Logik Gesellschaftsdiskurse zu bündeln und abzuschildern versucht. Das Ich dieses Textes findet seine Wahrheit in der asozialen Kraft, die aller Literatur innewohnt. Hier formt sie sich zu einer ungeheuren Rohheit, die man schwerlich mit Genuss zu sich nehmen kann, ja: deren Diktion mitunter schwer erträglich ist. Das darf und muss sie aber auch sein, ist es diesem Text doch nicht um Glück zu tun, sondern um ein Überleben. Am Ende steht die Einsicht, dass sich hier gegen alle Wahrscheinlichkeit zwei Zerstörte gefunden haben. Nicht die Lust bindet sie, sondern ihre Heillosigkeit. "Wir sind einander die Sünden", wird die Patientin am Ende ihrem Arzt bekennen.

PHILIPP THEISOHN.

Katharina Volckmer: "Der Termin". Roman.

Aus dem Englischen von Milena Adam. Kanon Verlag, Berlin 2021. 128 S., geb., 20,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.11.2021

Geschichte einer
deutschen Vagina
Katharina Volckmer erzählt in „Der Termin“
von einer Frau, die sich einen
„jüdischen Schwanz“ operieren lassen will.
Wo bleibt der Shitstorm?
VON NELE POLLATSCHEK
Wenn man, wie man das als Feuilletonist so macht, die Erregungskultur kritisch beobachtet und jeden zweiten Tag einen neuen Shitstorm moniert, dann kann man so was schon mal bemerken: Katharina Volckmers Roman „Der Termin“ ist seit drei Monaten auf dem deutschen Buchmarkt erhältlich, und es weht nicht mal die laueste Flatulenz.
Dabei war man sich einig. Deutsche Verlage lehnten das Buch, welches zu diesem Zeitpunkt in Großbritannien bereits reüssierte, reihenweise ab. Als sich mit dem neu gegründeten Kanon-Verlag endlich einer fand, warnte Volckmer selbst unter anderem im englischen Guardian vor einem aufziehenden Sturm. Es folgten eine Veröffentlichung, ein paar gute Rezensionen und keinerlei Kontroverse, was sehr schön ist für den Ruf des Diskurses und vielleicht, ohne der in Oxford promovierten Literaturagentin Volckmer etwas zu unterstellen, auch ein bisschen enttäuschend. So ein Sturm ist miserabel für die Psyche, aber manchmal bläst er auch in die Bestsellerlisten.
Für Beobachter stellt sich jetzt folgende Frage: Wie konnten sich die Diskursmeteorologen so irren? Hat „Der Termin“ am Ende völlig zu Unrecht keinen Shitstorm bekommen? Dass es dazu kommen könnte, vielleicht müsste, erscheint offensichtlich, denn es geht in „Der Termin“ (auf Englisch trägt das Buch den phänomenalen Untertitel „Story of a Jewish Cock“, auf Deutsch hat man sich das dann leider doch nicht getraut) erst mal um Folgendes: Eine deutsche „Frau“ sitzt unten ohne auf einem Londoner Gynäkologenstuhl und hält einen 127 Seiten langen Monolog darüber, warum sie sich einen „jüdischen Schwanz“ operieren lassen will, während ein jüdischer Chirurg zwischen ihren gespreizten Beinen lauscht.
Die deutsche Erzählerin und Dr. Seligmann, der jüdische Chirurg, sind die einzigen beiden Figuren, wobei Seligmann nie zu Wort kommt, sondern lediglich als Publikum und Projektionsfläche dieses manischen Kammerspiels dient, in dessen ersten Seiten die Deutsche von Sex mit Hitler, Butt-Plugs mit menschlichem Echthaarschweif und Lego-Konzentrationslagern inklusive Ofen zum Selberbauen fantasiert.
All das, der Inhalt der ersten zwanzig Seiten, ist provokant und soll provokant sein, ist sogar im Roman schon als Provokation markiert, schließlich berichtet die Erzählerin hier nur, womit sie einen ihr aufgezwungenen Therapeuten zu schocken versuchte, bevor sie sich zwecks Penis-OP zum Chirurgen begab. Gleichzeitig ist das Ganze eine grandiose Karikatur – eine Überzeichnung des deutschen Fetischs für Hitler und Nazis und Schuld und Juden. Auch das lässt Volckmer ihre Erzählerin reflektieren: „Sogar heute, Dr. Seligman, ist ein lebender Jude für einen Deutschen eine aufregende Sache, auf die man uns in der Kindheit nicht vorbereitet hat. Wir kannten nur tote oder elende Juden… Sie ohne den Anflug eines Lächelns, wir auf ewig in ihrer Schuld... Und im Musikunterricht mussten wir ‚Hava Nagila‘ auf Hebräisch singen, Dr. Seligman – dreißig deutsche Kinder, kein Jude weit und breit, und wir sangen auf Hebräisch um sicherzugehen, dass wir nach wie vor vollkommen entnazifiziert und voller Respekt waren. Aber wir trauerten nie. Wenn überhaupt, haben wir eine andere Version von uns selbst auf die Bühne gebracht, auf hysterische Weise nicht-rassistisch.“
All das ist fantastisch, es ist so genau beobachtet, wie es nur jemand schreiben kann, der, wie Volckmer, über die eigene unsäglich bekannte Heimat spricht, und gleichzeitig so lange im Ausland gelebt hat, dass er diese Heimat mit der amüsierten Verwunderung einer Fremden betrachten kann. Nichts daran scheint autobiografisch zu sein, nichts ist Beichte, alles ist faszinierte Beobachtung, die gleichzeitig durch Fernrohr und Mikroskop auf die Deutschen schaut. Und alles daran kann für Menschen, die zur Kategorie „lebender Jude, aufregende Sache“ gehören und damit aus anderen Gründen gleichzeitig Deutsche und Deutschenbeobachter sind, unfassbar erleichternd sein. Es ist also nicht überraschend, dass zu den begeisterten Rezensenten lebende Juden gehören – und dass die dann, Gott sei Dank, leider auch gegen einen Shitstorm immunisieren. Um das ganz deutlich zu sagen: Volckmer legt einen der besten Romananfänge der deutschen Literatur hin.
Aber es ist eben nur ein Anfang – und nein, jetzt kommt keine Rundumkritik, der Rest ist auch gut, sondern bloß eine Feststellung: Es geht in diesem Buch überhaupt nicht um jüdische Schwänze, egal was der englische Untertitel behauptet, und auch nicht um Juden und auch nicht um deutsche Schuld. Ziemlich bald, also kurz nach dem oben Zitierten (Seite 27) ist der jüdische Schwanz eigentlich nur noch ein Schwanz und der Schwanz ist vor allem eines: keine Vagina. Das ist es, was dieses Buch, in dem Schwänze, welcher Konfession auch immer, Desiderat bleiben, im Kern ausmacht: ein Erzähler, der seine Vagina offenlegt, sowohl wortwörtlich, so steht die nackte Vagina stets zwischen dem Erzähler und ihrem einzigen Zuhörer, als auch metaphorisch, als Symbol für „Weiblichkeit“ und alles, was das nun mal bedeutet.
Hier ist der Ton nicht mehr amüsiert-distanziert genaue Beobachtung, angefangen von dem Fakt, dass Volckmer durchgängig von Vagina schreibt, auch wo Vulva treffender wäre, bis zu den endlosen Tiraden auf alles, was es bedeutet, „als Frau erzogen“ zu werden oder „als Frau“ Leben zu müssen. Wenn es um die „Tragödie des weiblichen Körpers“ geht, ist der Ton voll von Ekel, Hass, Wut und Scham. Wenn es um „die Nacktschnecke“ geht und darum, „Schamlippen loszuwerden“, aber auch in der Beschreibung jeder Rundung, alles Weichen, Wabbelnden und der „furchtbar schlaffen Dinger“. Besonders perfide sind Erinnerungen an den Körper der Mutter, dient er doch als Symbol des eigenen Geschlechter-Schicksals: In der Beobachtung des nackten Mutterkörpers begreift die Erzählerin, dass auch sie einmal einen vom Leben deformierten Körper bewohnen wird, inklusive aller an ihn gestellten Rollenerwartungen. Um diese Erwartungen geht es in zermürbendem Detail.
Um die Absurdität des Hochzeitszeremoniells, wo Frauen wie Sahnetörtchen unter Tüllbergen begraben werden, um ein Memento daran zu haben, wie sie „ihre Freiheit eingetauscht haben für diesen einen Tag in ihrem Leben, an dem sie ehrlich glauben können, dass sie das fickbarste Stück im Raum sind und dass es um sie geht und nicht darum, ihren Willen zu brechen.“ Um Schwangerschaft, um das Lächeln, das man nur bekommt, wenn alle sehen „dass man aus gutem Grund Sex hatte und der eigene Körper nicht länger einem selbst gehört“. Vor allem geht es um die Zumutung, eine Identität haben zu müssen, ein Geschlecht, eine Rolle, und manchmal lässt Volckmer durchblitzen, dass es in Wahrheit um jeden Körper, jede Rolle, jede Identität geht, entwirft in den zartesten Momenten eine Utopie, in der es keine Identitäten gibt, in der man es sich zur Aufgabe macht, „nichts beim Namen zu nennen“.
Hierin liegt Volckmers größte Leistung: In einem Buch voller sprachlicher Derbheiten schafft sie es, nichts beim Namen zu nennen. „Der Termin“ ist offensichtlich verwurzelt in Gendertheorie und illustriert, was man im Vokabular dieses Diskurses als „Geschlechterdysphorie“ bezeichnen könnte: Eine geschlechtsübergreifende Identifikation, die verbunden ist mit Angst, Depression, Reizbarkeit und oft dem Wunsch, als ein anderes Geschlecht zu leben als das, das bei Geburt zugewiesen wurde. Aber es benennt diese Theorien nicht, es zeigt, was sie bedeuten, ohne die Terminologie durchzudeklinieren. Ob es sich beim Erzähler um einen Trans-Mann handeln soll, um eine nicht-binäre Person oder um eine Frau, die es hasst, Frau sein zu müssen, steht nicht zur Disposition – der Erzähler selbst nennt sich eine „bellende Katze“, genauer kann man es, darf man es vielleicht nicht sagen. Dies ist keine Identitätenliteratur, sondern ein Buch über einen einzelnen Menschen, gesegnet, wer sich nicht mit ihm identifizieren kann.
So könnte man es stehen lassen, als großen Triumph über die Tragik der Identität, würde Volckmer nicht auf den letzten Seiten den Pathos, den dieses Buch nicht braucht, ausgerechnet vor den Toren von Auschwitz suchen. Am Ende fällt kitschiger Schnee auf jüdische Hände in deutschen Zügen, und die Erzählerin scheint sich ausgerechnet am anfangs sorgfältig dekonstruierten Schuldkult zu bedienen, als könne man Körper-und-Rollen-Leid irgendwie mit dem Leid innerhalb der Tötungsmaschinerie gleichsetzen. Ein wenig kommt dieses Ende einem Verrat gleich, am echten Schmerz der Protagonistin, welcher auch ganz ohne künstlichen Schnee-und-Asche-Pathos stehen kann, aber auch am Schicksal der Ermordeten, die hier eben wieder keine lebenden, sterbenden Menschen sind, sondern doch nur schuldgeschwängerte Kulisse. Was im grandiosen Anfang so sicher gesetzt ist, dass man den Opfern der Shoah gedenken kann, um sie trauern sollte, ohne sie zu fetischisieren, geht hier nahtlos in Fetisch über. Nach einem so genauen, humorvollen, unverkitschten Buch ist das eine große Enttäuschung, die einen Shitstorm wirklich verdient hätte, zumindest ein Stürmchen, zumindest wenn er den Rest dieses Buches in die Bestsellerlisten bläst.
Nichts scheint autobiografisch
zu sein, nichts ist Beichte,
alles ist faszinierte Beobachtung
Der Erzähler nennt sich eine
„bellende Katze“, genauer kann
oder darf man es nicht sagen
Katharina Volckmer ist 1987 in Deutschland geboren und promovierte in Oxford. Anschließend betreute sie in London als Literaturagentin russische Autoren.
2020 erschien ihr Debüt „The Appointment“
zunächst auf Englisch.
Derbheiten, und doch nichts beim Namen nennen: Gebäck in Vagina-Form, Weihnachtsmarkt „Santa Pauli“.
Foto: dpa
Katharina Volckmer:
Der Termin. Roman. Kanon Verlag,
Berlin 2021.
128 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr
»Erstaunlich, originell, verstörend und wunderschön. Der Termin ist ein lang überfälliger, radikaler Eingriff.« Chris Kraus, Autorin von I Love Dick
»Das ist die schärfste Wendung, die man der strukturellen Verwandtschaft von Patriarchatstheorie und Antisemitismus angedeihen lassen kann. [...] Man weiß und spürt, was man hier liest - und man hält es gerade deswegen aus, weil dieses Buch sonst nichts einfordert, keine Sensibilität, kein Verständnis.« Philipp Theisohn, FAZ