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Eine poetische Natur- und Kulturgeschichte über den Rhein und die Seele einer Landschaft.Der Rhein entsprang einst an seiner heutigen Mitte, wo in einem tropischen Meer Seekühe lebten. Er schuf sich sein Bett stromauf und besitzt eine erstaunliche Geologie. Noch heute leben hier die ältesten Lebewesen Europas. Gleichzeitig ist der Rhein durchgehend geprägt durch Eingriffe des Menschen. Kein anderer Fluss versammelt so viele Widersprüche in sich - Grenze, Verkehrsweg, Fluchtroute und Lebensader. Hans Jürgen Balmes nimmt uns mit auf eine Reise entlang des Flusses. Wir begegnen Menschen, di...
Eine poetische Natur- und Kulturgeschichte über den Rhein und die Seele einer Landschaft.
Der Rhein entsprang einst an seiner heutigen Mitte, wo in einem tropischen Meer Seekühe lebten. Er schuf sich sein Bett stromauf und besitzt eine erstaunliche Geologie. Noch heute leben hier die ältesten Lebewesen Europas. Gleichzeitig ist der Rhein durchgehend geprägt durch Eingriffe des Menschen. Kein anderer Fluss versammelt so viele Widersprüche in sich - Grenze, Verkehrsweg, Fluchtroute und Lebensader.
Hans Jürgen Balmes nimmt uns mit auf eine Reise entlang des Flusses. Wir begegnen Menschen, die wie William Turner den Rhein zu ihrer Sehnsucht und Lebensaufgabe machten. Wir sehen Wälder und Tiere, die in traumhaften Naturbetrachtungen und meditativen Bildern gegenwärtig werden. Ein Buch über den Rhein, der uns mit dem unerschöpflichen Fließen seiner Geschichten gefangen nimmt wie mit seiner Stille. Nature Writing at its best!
»Flüsse können mehr erzählen als Berge, Landschaften und Städte. Es braucht nur einen klugen und kundigen Erzähler wie Hans Jürgen Balmes, der die Geschichten des Flusses, das Trippeln der Bachstelzen und das Geklingel der Weiss-Erlen in einem herrlichen Buch festhält.«
Michael Krüger
Mit farbigem Bildteil, Karten und Zeichnungen
Der Rhein entsprang einst an seiner heutigen Mitte, wo in einem tropischen Meer Seekühe lebten. Er schuf sich sein Bett stromauf und besitzt eine erstaunliche Geologie. Noch heute leben hier die ältesten Lebewesen Europas. Gleichzeitig ist der Rhein durchgehend geprägt durch Eingriffe des Menschen. Kein anderer Fluss versammelt so viele Widersprüche in sich - Grenze, Verkehrsweg, Fluchtroute und Lebensader.
Hans Jürgen Balmes nimmt uns mit auf eine Reise entlang des Flusses. Wir begegnen Menschen, die wie William Turner den Rhein zu ihrer Sehnsucht und Lebensaufgabe machten. Wir sehen Wälder und Tiere, die in traumhaften Naturbetrachtungen und meditativen Bildern gegenwärtig werden. Ein Buch über den Rhein, der uns mit dem unerschöpflichen Fließen seiner Geschichten gefangen nimmt wie mit seiner Stille. Nature Writing at its best!
»Flüsse können mehr erzählen als Berge, Landschaften und Städte. Es braucht nur einen klugen und kundigen Erzähler wie Hans Jürgen Balmes, der die Geschichten des Flusses, das Trippeln der Bachstelzen und das Geklingel der Weiss-Erlen in einem herrlichen Buch festhält.«
Michael Krüger
Mit farbigem Bildteil, Karten und Zeichnungen
Hans Jürgen Balmes, 1958 in Koblenz geboren, ist Lektor und Übersetzer. Für 'Mare' schrieb er über die 'Quellen der Meere'. Porträts und Aufsätze schienen u. a. in der 'Neuen Zürcher Zeitung' und der 'Süddeutschen Zeitung'. Aus dem Englischen übersetzte er John Berger, Barry Lopez sowie Gedichte von Robert Hass, W. S. Merwin, Martine Bellen und Warsan Shire.
Produktdetails
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- Artikelnr. des Verlages: 1023589
- 3. Aufl.
- Seitenzahl: 543
- Erscheinungstermin: 28. April 2021
- Deutsch
- Abmessung: 218mm x 152mm x 48mm
- Gewicht: 810g
- ISBN-13: 9783103974300
- ISBN-10: 3103974302
- Artikelnr.: 60426744
Herstellerkennzeichnung
FISCHER, S.
Hedderichstraße 114
60596 Frankfurt
produktsicherheit@fischerverlage.de
Geschichten am Strom
Von den Quellen bis zur Mündung: Zwei Bücher gehen dem Rhein auf den Grund und finden viel mehr als Romantik.
Von Ursula Scheer
Diesen Strom, wer wollte ihn fassen? Von den Alpen bis in die Nordsee zieht er seit Urzeiten in immer neuen Gestalten seine Bahnen und formt die Landschaft wie die Menschen an den Ufern. Naturgewalt und Kulturträger, Lebensader und Grenzfluss, Wasserstraße und romantischer Mythos: Der Rhein lässt sich nicht festlegen, jedes seiner Hochwasser - oder nun häufigeren Niedrigwasser - spottet der Form, die ihm seit der Industrialisierung aufgezwungen wurde. Versteinerte Muscheln auf von ihm geteilten Höhen lassen wissen: Wo Land ist, kann Wasser werden und umgekehrt.
Von den Quellen bis zur Mündung: Zwei Bücher gehen dem Rhein auf den Grund und finden viel mehr als Romantik.
Von Ursula Scheer
Diesen Strom, wer wollte ihn fassen? Von den Alpen bis in die Nordsee zieht er seit Urzeiten in immer neuen Gestalten seine Bahnen und formt die Landschaft wie die Menschen an den Ufern. Naturgewalt und Kulturträger, Lebensader und Grenzfluss, Wasserstraße und romantischer Mythos: Der Rhein lässt sich nicht festlegen, jedes seiner Hochwasser - oder nun häufigeren Niedrigwasser - spottet der Form, die ihm seit der Industrialisierung aufgezwungen wurde. Versteinerte Muscheln auf von ihm geteilten Höhen lassen wissen: Wo Land ist, kann Wasser werden und umgekehrt.
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Alles fließt. Der von Römerstädten und Burgruinen gesäumte Fluss selbst ist die Konstante, immer gleich, immer anders - und hört als Vielbesungener, Oftbeschriebener nicht auf, mitzureißen oder in seinen Bann zu schlagen. Dazu braucht er keine Loreley.
Nicht weit entfernt von der engsten Stelle des schiffbaren Rheins, wo Clemens Brentano und Heinrich Heine auf einem steil zum nassen Gewirbel abfallenden Felsvorsprung die berüchtigte Holde mit dem Kamm im Haar platzierten, ist Hans Jürgen Balmes geboren: in Koblenz, am Zusammenfluss von Rhein und Mosel. So umarmt von Fließgewässern ist er ein echter Anrainer, der sich eine fast megalomanische Aufgabe gestellt hat. "Die Biographie eines Flusses" lautet der Untertitel seines umfangreichen Bandes "Der Rhein". Er ist vieles zugleich - naturkundliche Reportage, historische Erzählung, persönlicher Reisebericht -, im Grunde aber ein langer Liebesbrief des Autors an den Fluss seines Lebens. Angesichts der 1036,20 rheinischen Stromkilometer allein von Konstanz bis Hoek van Holland könnte das kongenial sein. Wo auch haltmachen bei dem gewaltigen Geschiebe, dass dieser Strom mit sich führt?
Balmes, Lektor und Übersetzer, hat den Rheinlauf erwandert, bereist oder im Faltboot befahren. Grundlage seiner Flussbiographie ist kein systematisches Erkunden, sondern ein Erleben, in dem sich Vergangenes und Gegenwärtiges mischen. Aus der Mitte entspringt ein Fluss: Balmes beginnt auf halber Strecke, am "Binger Loch", wo der Oberrhein sich verengt und ins Mittelrheintal presst, hinweg über ein quer liegendes Riff, in das erst vor nicht allzu langer Zeit eine immer größere Lücke gesprengt wurde - mit weitreichenden Folgen. Aus der Naturbetrachtung entfaltet Balmes die Geschichte der Schiffbarmachung und gräbt sogleich den Brunnen der Vergangenheit, bis es nicht mehr tiefer geht: Absinkendes Gelände in dieser Gegend hat vor Jahrmillionen zur Bildung des Ur-Rheins geführt, der durch Rückwärtserosion seinen heutigen Quellen entgegenwuchs. Ein Abstecher zur Grube Messel gerät zur Zeitreise an die Ursprünge. Das anschließende, am alpinen Hinterrhein verortete Kapitel wird zur doppelten Quellensuche: Schalen im Fels offenbaren die räumliche wie zeitliche Selbstverortung der Steinzeitmenschen. Am Rheinfall von Schaffhausen tritt William Turner ins Bild, der die stürzenden Wassermassen Anfang des neunzehnten Jahrhunderts festhielt und auf seinen Rheinreisen die wohl schönsten Aquarellansichten des Mittelrheins schuf. Balmes folgt ihm Hunderte Kilometer stromabwärts und ist nach einem Drittel seines Buches zurück am Ausgangspunkt. Ein erster Kreis geschlossen, gelegt aus einander überlagernden Zeitebenen.
Dieses assoziative Ausgreifen lässt die Vieldimensionalität des Flusses als Natur- und Kulturraum aufscheinen: Balmes führt Eiszeitmenschen und Regenpfeifer zusammen, berichtet von der Sandoz-Katastrophe und den Schicksalen am Ende des Zweiten Weltkriegs, weiß von Vulkanen, Preußen, Römern, Schleppschiffern, Winzern und Dichtern, steigt in Speyers mittelalterliche Mikwe hinab und klettert auf die Düne im Mündungsgebiet mit Blick aufs Meer. Zuweilen verliert der Autor sich in seinen literarisch stilisierten, melancholisch angehauchten Naherfahrungen, von denen aus er weite Erzählbögen spannen will. Er ist nicht Dieter Kühn. Ein mutigeres Lektorat hätte den einen oder anderen Durchstich nach dem Vorbild des Rheinbegradigers Tulla gewagt, um Schleifen abzuschneiden. Die narrative Fließgeschwindigkeit ist die in einer Aue. Für alle, die den Rhein kennen, lässt sich hier beim Eintauchen gleichwohl viel Neues entdecken; für jene, die ihn bereisen wollen, ist die Fülle der Inspirationen enorm.
Gleiches gilt für Karl-Heinz Götterts "Der Rhein. Eine literarische Reise". Göttert, ein weiterer gebürtiger Koblenzer, der als inzwischen emeritierter Germanistik-Professor der Kölner Universität nicht vom Fluss weggekommen ist, hat nur auf den ersten Blick eine topographisch sauber gegliederte Literaturgeschichte verfasst: vom Alpenrhein über den Oberrhein an den Mittelrhein zum Niederrhein ins Delta. Quasi im Vorbeifahren an Städten erzählt der Autor, was sich schriftstellerisch dort zugetragen hat.
Zeit und Raum bei einem so liquiden Gegenstand jedoch sind nicht über eins zu bringen: Martin Walser, Annette von Droste-Hülshoff und Oswald von Wolkenstein sind mit dem Bodensee verbunden, Erasmus von Rotterdam war in Basel und Straßburg, die Rheinromantik blühte, die "Wacht am Rhein" donnerte an vielen Orten. Und dann sind da noch die unvermeidlichen Nibelungen (Speyer, Worms, Königswinter, Xanten) und die Erfolgsstory mit der Loreley. Was Göttert im Vorwort als Schwierigkeit beschreibt, ist ein Glück: Statt akademisch wirkt sein Buch zugänglich, ein Schmöker, den man an beliebiger Stelle aufschlagen kann.
Die Kapitel des Bands tragen Ortsnamen. Nehmen wir statt literarischer Hotspots wie Mainz mit Umland (Gutenberg, Carl Zuckmayer, Anna Seghers) und Köln (Albertus Magnus, Petrarca, Friedrich Schlegel, Heinrich Böll und so fort) eine Stadt wie Moers. Von dort stammte der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch und sagte: "Alles, was ich bin, ist niederrheinisch." Um zu ergänzen: "Niederrhein ist für mich wirklich keine Landschaft, für mich ist das eine verschleppte Erkältung." So etwas darf man nur äußern, wenn man von dort kommt: "Sag ma nix."
An einem Ort wie Winkel im Rheingau ist die Tonlage eine andere: Hier nahm sich Karoline von Günderrode das Leben, was Christa Wolff in "Kein Ort. Nirgends" literarisierte, und schrieb Bettina Brentano, das in Goethe verschossene Kind, an den Dichterfürsten - ein Anlass, das Brentano-Haus in Oestrich-Winkel zu besuchen oder im nahen Eltville dem Schaumwein zuzusprechen, dem Thomas Manns Hochstapler Felix Krull entstiegen ist. Göttert referiert pointiert und zitiert sparsam. Sein Buch führt eher zu anderen Büchern als an den Flusslauf, den er als Durchzugsgebiet der Dichter, Ideen und Ideologien, als Resonanzraum der Sprachen, Dialekte und Schriften umreißt, deutsch und europäisch zugleich. Was angesichts der unermesslichen Fülle des Materials besticht, ist Götterts Mut zur Lücke.
Hans Jürgen Balmes: "Der Rhein". Biographie eines Flusses.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021. 560 S., Abb., geb., 28,- Euro.
Karl-Heinz Göttert: "Der Rhein". Eine literarische Reise.
Reclam Verlag, Ditzingen 2021. 349 S., Abb., geb., 32,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nicht weit entfernt von der engsten Stelle des schiffbaren Rheins, wo Clemens Brentano und Heinrich Heine auf einem steil zum nassen Gewirbel abfallenden Felsvorsprung die berüchtigte Holde mit dem Kamm im Haar platzierten, ist Hans Jürgen Balmes geboren: in Koblenz, am Zusammenfluss von Rhein und Mosel. So umarmt von Fließgewässern ist er ein echter Anrainer, der sich eine fast megalomanische Aufgabe gestellt hat. "Die Biographie eines Flusses" lautet der Untertitel seines umfangreichen Bandes "Der Rhein". Er ist vieles zugleich - naturkundliche Reportage, historische Erzählung, persönlicher Reisebericht -, im Grunde aber ein langer Liebesbrief des Autors an den Fluss seines Lebens. Angesichts der 1036,20 rheinischen Stromkilometer allein von Konstanz bis Hoek van Holland könnte das kongenial sein. Wo auch haltmachen bei dem gewaltigen Geschiebe, dass dieser Strom mit sich führt?
Balmes, Lektor und Übersetzer, hat den Rheinlauf erwandert, bereist oder im Faltboot befahren. Grundlage seiner Flussbiographie ist kein systematisches Erkunden, sondern ein Erleben, in dem sich Vergangenes und Gegenwärtiges mischen. Aus der Mitte entspringt ein Fluss: Balmes beginnt auf halber Strecke, am "Binger Loch", wo der Oberrhein sich verengt und ins Mittelrheintal presst, hinweg über ein quer liegendes Riff, in das erst vor nicht allzu langer Zeit eine immer größere Lücke gesprengt wurde - mit weitreichenden Folgen. Aus der Naturbetrachtung entfaltet Balmes die Geschichte der Schiffbarmachung und gräbt sogleich den Brunnen der Vergangenheit, bis es nicht mehr tiefer geht: Absinkendes Gelände in dieser Gegend hat vor Jahrmillionen zur Bildung des Ur-Rheins geführt, der durch Rückwärtserosion seinen heutigen Quellen entgegenwuchs. Ein Abstecher zur Grube Messel gerät zur Zeitreise an die Ursprünge. Das anschließende, am alpinen Hinterrhein verortete Kapitel wird zur doppelten Quellensuche: Schalen im Fels offenbaren die räumliche wie zeitliche Selbstverortung der Steinzeitmenschen. Am Rheinfall von Schaffhausen tritt William Turner ins Bild, der die stürzenden Wassermassen Anfang des neunzehnten Jahrhunderts festhielt und auf seinen Rheinreisen die wohl schönsten Aquarellansichten des Mittelrheins schuf. Balmes folgt ihm Hunderte Kilometer stromabwärts und ist nach einem Drittel seines Buches zurück am Ausgangspunkt. Ein erster Kreis geschlossen, gelegt aus einander überlagernden Zeitebenen.
Dieses assoziative Ausgreifen lässt die Vieldimensionalität des Flusses als Natur- und Kulturraum aufscheinen: Balmes führt Eiszeitmenschen und Regenpfeifer zusammen, berichtet von der Sandoz-Katastrophe und den Schicksalen am Ende des Zweiten Weltkriegs, weiß von Vulkanen, Preußen, Römern, Schleppschiffern, Winzern und Dichtern, steigt in Speyers mittelalterliche Mikwe hinab und klettert auf die Düne im Mündungsgebiet mit Blick aufs Meer. Zuweilen verliert der Autor sich in seinen literarisch stilisierten, melancholisch angehauchten Naherfahrungen, von denen aus er weite Erzählbögen spannen will. Er ist nicht Dieter Kühn. Ein mutigeres Lektorat hätte den einen oder anderen Durchstich nach dem Vorbild des Rheinbegradigers Tulla gewagt, um Schleifen abzuschneiden. Die narrative Fließgeschwindigkeit ist die in einer Aue. Für alle, die den Rhein kennen, lässt sich hier beim Eintauchen gleichwohl viel Neues entdecken; für jene, die ihn bereisen wollen, ist die Fülle der Inspirationen enorm.
Gleiches gilt für Karl-Heinz Götterts "Der Rhein. Eine literarische Reise". Göttert, ein weiterer gebürtiger Koblenzer, der als inzwischen emeritierter Germanistik-Professor der Kölner Universität nicht vom Fluss weggekommen ist, hat nur auf den ersten Blick eine topographisch sauber gegliederte Literaturgeschichte verfasst: vom Alpenrhein über den Oberrhein an den Mittelrhein zum Niederrhein ins Delta. Quasi im Vorbeifahren an Städten erzählt der Autor, was sich schriftstellerisch dort zugetragen hat.
Zeit und Raum bei einem so liquiden Gegenstand jedoch sind nicht über eins zu bringen: Martin Walser, Annette von Droste-Hülshoff und Oswald von Wolkenstein sind mit dem Bodensee verbunden, Erasmus von Rotterdam war in Basel und Straßburg, die Rheinromantik blühte, die "Wacht am Rhein" donnerte an vielen Orten. Und dann sind da noch die unvermeidlichen Nibelungen (Speyer, Worms, Königswinter, Xanten) und die Erfolgsstory mit der Loreley. Was Göttert im Vorwort als Schwierigkeit beschreibt, ist ein Glück: Statt akademisch wirkt sein Buch zugänglich, ein Schmöker, den man an beliebiger Stelle aufschlagen kann.
Die Kapitel des Bands tragen Ortsnamen. Nehmen wir statt literarischer Hotspots wie Mainz mit Umland (Gutenberg, Carl Zuckmayer, Anna Seghers) und Köln (Albertus Magnus, Petrarca, Friedrich Schlegel, Heinrich Böll und so fort) eine Stadt wie Moers. Von dort stammte der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch und sagte: "Alles, was ich bin, ist niederrheinisch." Um zu ergänzen: "Niederrhein ist für mich wirklich keine Landschaft, für mich ist das eine verschleppte Erkältung." So etwas darf man nur äußern, wenn man von dort kommt: "Sag ma nix."
An einem Ort wie Winkel im Rheingau ist die Tonlage eine andere: Hier nahm sich Karoline von Günderrode das Leben, was Christa Wolff in "Kein Ort. Nirgends" literarisierte, und schrieb Bettina Brentano, das in Goethe verschossene Kind, an den Dichterfürsten - ein Anlass, das Brentano-Haus in Oestrich-Winkel zu besuchen oder im nahen Eltville dem Schaumwein zuzusprechen, dem Thomas Manns Hochstapler Felix Krull entstiegen ist. Göttert referiert pointiert und zitiert sparsam. Sein Buch führt eher zu anderen Büchern als an den Flusslauf, den er als Durchzugsgebiet der Dichter, Ideen und Ideologien, als Resonanzraum der Sprachen, Dialekte und Schriften umreißt, deutsch und europäisch zugleich. Was angesichts der unermesslichen Fülle des Materials besticht, ist Götterts Mut zur Lücke.
Hans Jürgen Balmes: "Der Rhein". Biographie eines Flusses.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021. 560 S., Abb., geb., 28,- Euro.
Karl-Heinz Göttert: "Der Rhein". Eine literarische Reise.
Reclam Verlag, Ditzingen 2021. 349 S., Abb., geb., 32,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Ursula Scheer bereist mit Hans Jürgen Balmes den Rhein. Balmes kennt seine Geburtslandschaft gut, versichert die Rezensentin. Zugleich liegt hier die Ursache für eine leichte Irritation der Rezensentin. So anregend und kenntnisreich der Autor nämlich Assoziationsketten knüpfen kann und vom Regenpfeifer über Vulkane und Römer und die Geschichte der Schiffbarmachung zur Eiszeit findet, so sehr verliert er sich bisweilen im Gestrüpp seiner "melancholisch angehauchten Naherfahrungen", verrät Scheer. Viel Neues und Bedenkenswertes entdeckt sie beim Lesen gleichwohl.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Das ultimative Buch über den Rhein Lotar Schüler 3sat (Kulturzeit) 20220908
Kaum ein Strom wurde in Deutschland so besungen wie der „Vater Rhein“. Der Rhein ist einmalig unter den großen Strömen Europas mit einer einmaligen Geschichte. Der Autor Hans Jürgen Balmes erzählt in seiner umfangreichen „Rhein“-Biografie diese …
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Kaum ein Strom wurde in Deutschland so besungen wie der „Vater Rhein“. Der Rhein ist einmalig unter den großen Strömen Europas mit einer einmaligen Geschichte. Der Autor Hans Jürgen Balmes erzählt in seiner umfangreichen „Rhein“-Biografie diese wechselvolle Geschichte – vom Grabenbruch in der Erdkruste bis zur modernen Wasserstraße im 21. Jahrhundert. Die Entstehung des Rheins ist ein lebendiger, wenn auch manchmal unendlich langsamer Prozess.
Über viele Jahre hinweg wanderte Balmes an den Ufern des Rheines entlang und hatte dabei immer Kopien aus den Skizzenbüchern von William Turner (1775-1851) im Rucksack. Der britische Maler bereiste mehrfach den Rhein und schuf Aquarelle von Landschaften und Städten. Er gilt als Vater der „Rheinromantik“. Balmes durchstreift die Rheinlandschaft von den Quellen in den Alpen bis zur Mündung in die Nordsee, wobei seine Streifzüge in zwölf Kapitel unterteilt sind. So berichtet er vom Magdalenenhochwasser 1342, von der Grand-Tour-Entdeckung des Rheins durch englische Adlige, von Napoleons Besatzungszeit, von der Rheinbegradigung im 19.Jahrhundert, von der Rheinbesetzung 1930 bis zum UNESCO-Welterbe des oberen Mittelrheintals 2002. Natürlich werden auch die Sehenswürdigkeiten, die jährlich Tausende von Touristen anziehen, aufgesucht – vom Rheinfall bei Schaffhausen über die Loreley und die Drosselgasse bis zum Kölner Dom.
Balmes interessiert sich aber nicht nur für die Geschichte des Stromes sondern auch für den großartigen Naturraum. Mit großer Sachkunde beschreibt er die Landschaft, die Flora und Fauna des Rheintales. So beobachtet er bedrohte Vogelarten oder die Rückkehr des Rheinsalms, einer Lachsart. Unterwegs begegnet er immer wieder Menschen, mit denen er ins Gespräch kommt und von denen er neue Geschichten und Informationen erfährt. Aus diesem reichen Material ist ein außergewöhnliches Reisebuch geworden - mit ganz persönlichen Sichtweisen und mit einem wunderbaren Erzählstil. Balmes versteht es, his-torische Zusammenhänge und geografische Gegebenheiten so leicht und interessant aufzubereiten, dass man gar nicht merkt, dass man ein bisschen gescheiter geworden ist.
Fazit: „Der Rhein“ ist eine Biografie der Entdeckung mit historischen, naturwissenschaftlichen und manchmal philosophischen Dimensionen.
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Flussbiografie wird zur Autobiografie
Was muss in eine Flussbiografie? Quelle und Mündung, na klar. Dann die Entstehung, die Flora und Fauna und nicht zuletzt der Einfluss des Menschen.
Dieses Werk beginnt in der Mitte des Rheins, in Bingen. Hier musste der Rhein durchs Binger Loch, vor dem …
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Flussbiografie wird zur Autobiografie
Was muss in eine Flussbiografie? Quelle und Mündung, na klar. Dann die Entstehung, die Flora und Fauna und nicht zuletzt der Einfluss des Menschen.
Dieses Werk beginnt in der Mitte des Rheins, in Bingen. Hier musste der Rhein durchs Binger Loch, vor dem einst der Urrhein über Worms und Alzey floß bevor er die Mittelgebirgsschwelle überwand und später den Inselrhein um Mainz bildete.
Das alles wirkte anfangs interessant. Anfangs war ich auch begeistert, dass Balmes die Quelle nicht am berühmten Tomasee sucht, sondern den weiter und viel schwieriger zu erreichenden Lago di Scuro aufsucht. In mir wuchs wieder einmal die Sehnsucht selbst die Quelle des Flusses aufzusuchen, an dem ich mein Leben verbracht habe, aber das Hochgebirge schreckt dann doch.
Doch im 2. Kapitel treten Probleme auf, die meine Begeisterung schmälerten:
1. Wer dieses Buch trotz meiner Kritik liest, möge bitte zählen wie oft der Autor erwähnt, dass der Alpenrhein über den Bodensee und Hochrhein bis zur alten Quelle bei Freiburg wuchs, genau dann als der Urrhein sich ins Mainzer Becken verlegte. (Ich wette, auf fünf oder sechsmal). Die Vorliebe des Autors für Geologie – weshalb er auch die Grube Messel ins Boot nimmt – und Biologie will ich nicht kritisieren.
2. Das Inhaltsverzeichnis legt eine geografische Gliederung mit kleinen Einschüben zum Maler Turner nahe. Doch außer den gute Kapitel über Quelle und Alpenrhein und Mündung, lässt Balmes ganzes Flussabschnitte aus.
Das Alpenkapitel wirkt so im Nachhinein wie eine Erzählung vom Wanderurlaub, das Hochrheinkapitel wie eine Tour mit einem Faltboot. Der Bodensee fehlt und der ganze Abschnitt zwischen Aaremündung und Worms fehlt auch, außer die Mikwe von Speyer, die es aus unerfindlichen Gründen als nahezu einzige menschliches Bauwerk, das nur am Rhein liegt und nichts mit ihm zu tun hat ins Buch geschafft hat.
Das Loreleykapitel war dem Autor wohl wieder eine Wander- und Kanureise wert. Und weil er in Koblenz aufgewachsen ist, durften Zweite Weltkriegsgeschichte auch nicht fehlen.
Der Niederrhein beginnt erst bei Rees, dafür höre ich aber – obwohl das meine Heimat ist – erstmals von der Kalflack, dem größten linken Nebenfluss nördlich der Erft, der aus mir unbekannten Gründen bei der Liste der Rheinnebenflüssen bei Wikipedia fehlt.
In Rotterdam wird auch das Auswanderungsproblem behandelt, wofür in Bremerhaven ein Museum steht. Im Rheinland wanderten die Pfälzer aus. Dass es einige Pfälzer nur in drei Dörfer am Niederrhein geschafft haben, ist Balmes aber wohl entgangen.
Umweltprobleme wie Fischsterben, Einwanderung invasiver Arten und der Rheinschlamm der an der Mündung als Sondermüll deponiert werden muss, fehlen im Buch nicht, aber Botanik und Geologie bilden den ermüdenden Schwerpunkt.
Einerseits bewundere ich den Autor, der als Lektor die genannten Themen wohl nur als Hobby kennt, anderseits wünschte ich, dass er die geografische Gliederung durch eine thematische ersetzt hätte. Dann gäbe es vermutlich auch weniger Wiederholungsschleifen. So nur 3 Sterne.
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