Marktplatzangebote
4 Angebote ab € 1,79 €
  • Broschiertes Buch

2 Kundenbewertungen

Der 25-jährige Simone ist von Geburt an blind. Mit seinen elektronischen Geräten geht er auf die Jagd nach den Tönen und Stimmen der Stadt Bologna. Simone lotet die Stille aus. Jeder Klang hat für ihn eine Farbe: "Ein bildschönes Mädchen hätte blaues Haar". Ein Serienmörder im studentischen Milieu von Bologna wird Leguan genannt, denn er schlüpft in die Haut seiner Opfer. "Der grüne Leguan": Grazia, die junge Fahnderin, macht Jagd auf ihn - mit Hilfe von Simone.

Produktbeschreibung
Der 25-jährige Simone ist von Geburt an blind. Mit seinen elektronischen Geräten geht er auf die Jagd nach den Tönen und Stimmen der Stadt Bologna. Simone lotet die Stille aus. Jeder Klang hat für ihn eine Farbe: "Ein bildschönes Mädchen hätte blaues Haar".
Ein Serienmörder im studentischen Milieu von Bologna wird Leguan genannt, denn er schlüpft in die Haut seiner Opfer. "Der grüne Leguan": Grazia, die junge Fahnderin, macht Jagd auf ihn - mit Hilfe von Simone.
Autorenporträt
Carlo Lucarelli, geboren 1960 in Parma, ist Autor diverser Kriminalromane, Erzählungen und Sachbücher, die sich mit der jüngeren italienischen Kriminalgeschichte befassen. Seine Bücher wurden vielfach ausgezeichnet und werden von Lesern und Presse gefeiert. Außerdem schreibt Lucarelli Drehbücher für Film und Fernsehen und moderiert für den italienischen Fernsehsender RAI.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.05.1999

Der Ruf des grünen Leguan
Phänomenal gestimmt: Carlo Lucarelli lauscht dem Rauschen

"Die Piazza Verdi in Bologna ist ein rechteckiger Platz auf halbem Wege der Via Zamboni, der Universitätsstraße. Folgt man ihr, dann machen die Arkaden einen Bogen, schwenken langsam nach links, und an dieser Stelle öffnet sich der Platz, auf dem fünf Straßen zusammentreffen, so gerade wie die Strahlen einer Kindersonne, gestochen unregelmäßig und ebenfalls von Arkaden gesäumt. Selbst an Aprilnachmittagen bleibt es unter den Arkaden von Bologna kühl, weil die Frühlingssonne nicht bis dorthin dringt, die Arkaden liegen im Schatten und manchmal, wenn die Sonne ganz verschwindet, herrscht Dunkel."

Die Hälfte Bolognas liegt im Verborgenen. Auf der dunklen Seite, die dem Besucher des historischen Zentrums der norditalienischen Metropole mit ihren 200000 Studenten und ihrer unübersichtlichen Szene von Künstlern, Fixern, Spinnern und Unterweltlern gewöhnlich nicht zugänglich ist, entfaltet Lucarelli eine Bühne für moderne Medien, Pop-Musik, Esoterik, Subkultur, archaische Gewaltphantasie und moderne Semiotik. Grazia, der jungen Polizistin, die aus dem Süden, aus Lecce, kommt und gern in der Sonne liegt, ist das Bologneser Milieu fremd, auch die Arkaden mag sie nicht: Jedoch verfügt sie über jenen aufklärerischen Instinkt, der durch Lokalkenntnisse nicht zu ersetzen ist. Der Psychologe und Ethnologe Vittorio, ihr Chef, betrachtet sie daher mit nur geringer Jovialität als ideale Ergänzung zu seiner computergestützten kognitiven Vorgehensweise. Die beiden gehören einer römischen Spezialeinheit zur Ermittlung von Serienmördern an, denn ein solcher, der bald "der grüne Leguan" genannt werden wird, treibt im Studentenmilieu von Bologna sein bestialisches Unwesen.

Der kombinierte Ansatz der Erkenntnisgewinnung, der männlicherseits auf Beobachtung und Logik, weiblicherseits auf Intuition setzt - mit Husserl gesprochen: auf die ermittelbare Verbindung zwischen dem Außen der Anzeige und dem Innen des Ausdrucks - scheint aber im vorliegenden Fall zu versagen, denn der Serienmörder ist auf geheimnisvolle Weise in der Lage, sich der sprachlich fixierbaren Identität des Erscheinenden zu entziehen. Zu Grazias Glück klingt ihre Stimme blau und nach "Summertime", denn das ruft Simone auf den Plan, den Jazzliebhaber, der allabendlich Chet Bakers "Almost blue" hört, weil der dieses Lied mit geschlossenen Augen gesungen haben muß. Simone nimmt Bologna über alle Kanäle moderner Kommunikation nur als Klang, Stimme und Tonfall wahr, denn er ist von Geburt an blind und verläßt seine Dachwohnung nur selten. "Bologna habe ich nie gesehen. Trotzdem kenne ich es gut, obwohl die Stadt, die ich kenne, wahrscheinlich meine ganz eigene ist." Mit seinen Scannern hört er den Sprechverkehr ab und hat sogar ein Verfahren entwickelt, die Bildschirm-Sätze der Chatlines in Stimmen zurückzuverwandeln. Die Phänomenalität des Gegenüber erschließt er sich aus der Stimme und aus dem Geruch. So erfährt Grazia verwundert, daß sie süß nach Schmieröl, Schweiß und Baumwolle riecht, durchscheinende Haut hat und blaues Haar. Mit Simones Hilfe wird in der Folge der Serienmörder ermittelt und erlöst. Ob und wie sich am Ende die Ordnung der Dinge wiederherstellt, wird selbstverständlich nicht verraten, das Geheimnis der Identitätsbildung aber bleibt bestehen, aller psychologisierenden Aufklärung zum Trotz.

In der Verschiebung des Leserinteresses vom vorgestellten Sichtbaren auf das Hörbare, von der bildlich erfahrenen zur gehörten Wirklichkeit, zeigt sich, daß die tiefere Motivation der Protagonisten wie der verschiedenen Erzähler im Akustischen besteht. Deshalb ist es fragwürdig, daß der ursprüngliche Titel des Buches "Almost blue" nicht beibehalten worden ist. Die Literatur führt die Figuren des Spiels, aber hinter ihrer Maske verbirgt sich die Musik. Während Simone eine Stimme liebt, "die leise singt, als käme sie nur mühsam ganz unten aus der Kehle hervor, als wäre dazu so viel Kraft nötig, daß man die Augen schließen muß", hört sein Gegenspieler überlaut per Kopfhörer den Hard und Satanic Rock von Nine Inch Nails und AC/DC, der "Hell's Bells", die Glocken der Hölle ertönen läßt. Ein Schlüssel des Geschehens liegt daher in dem Lied "Reptile" von Nine Inch Nails: "Angels bleed from the tainted touch of my caress I need to contaminate to alleviate this loneliness" (Die Engel bluten bei meiner unreinen Liebkosung. Ich muß mich besudeln, um diese Einsamkeit zu lindern). Und was Grazia an Simone lieben lernen wird, ist, daß er ihr beim Sprechen zuhört: "Er beobachtete nicht, er starrte nicht, er forderte nichts. Er hörte zu und Schluß." So ist es schließlich das sensitive Hören, das wahres Verstehen ermöglicht und die Phänomene aus ihrer Entfremdung befreit. In der Stimme als tönendem Zeichen kommt Idealität zur Erscheinung. Das alles aber erfährt der Leser durch die Schrift, und übrigens sollte er nicht versäumen, den Schutzumschlag des Buches einer beidseitigen genauen Betrachtung zu unterziehen.

Bologna ist seit Umberto Ecos Mittelalterkrimi das Zentrum einer Literatur geworden, in der sich traditionelles und spannendes Erzählen mit der zeitgenössischen semiotischen und erkenntnistheoretischen Reflexion verbindet. In seinem multiperspektivisch darstellenden Roman, der von Peter Klöss in ein kristallines Deutsch übersetzt worden ist, gelingt es Lucarelli auf meisterhafte Weise, die Erzähltradition nach der Art Edgar Allan Poes in die Reflexion der Strukturen modernster medialer Wirklichkeit hineinzubilden. Das ergibt in der Summe mit der schönen Ausstattung des Buches ein wunderbares Vergnügen für Geist, Seele und Sinnlichkeit. FRIEDMAR APEL

Carlo Lucarelli: "Der grüne Leguan". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Peter Klöss, DuMont Buchverlag, Köln 1999. 206 S., geb., 38,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
Ungewöhnliches wie mitreißendes Trio

Ein wahnsinniger Killer, ein Blinder und eine Polizistin mit Menstruationsbeschwerden - um dieses eben so ungewöhnliche, wie mitreißende Trio kreist der Roman des italienischen Erfolgsautors und diesen Figuren sind auch die drei erst parallelen, dann sich überlappenden Handlungsstränge zugeordnet.
Zwei Ich-Erzähler tun ihr Bestes, um den Leser einerseits in ihre ganz spezielle Welt hineinzuziehen und ihn andererseits zu verwirren.
Da ist einmal der "Leguan", eine außerordentlich grausame, aber gleichzeitig auch ungemein tragische Person, die nicht nur permanent gegen die Stimmen und vor allem die Todesglocken in ihrem Kopf ankämpft, sondern auch vom Gedanken besessen ist, ein Tier unter der Haut zu haben und sich deswegen immer wieder (und immer häufiger) häuten zu müssen. Dies bewerkstelligt der Täter dadurch, dass er stets neue Identitäten annimmt - und dabei vor keiner Anstrengung zurückschreckt.

Simone hört alles

Der andere, der den Leser von der ersten Seite an packt mit seinen lebendigen und ganz und gar ungewohnten Schilderungen ist der junge Simone (im Italienischen ein gebräuchlicher Männername), von Geburt an blind, der seine sämtlichen Sinneseindrücke in Farben umwandelt. Den ganzen Tag lang ist er damit beschäftigt, Jazz zu hören oder mit acht Scannern aufzufangen, was an Geräuschen, Stimmen, elektrischen Impulsen durch den Äther fliegt. Egal ob der Austausch von LKW-Fahrern mittels CB-Funk, Nachrichten aus dem Polizeifunk oder Chats mit und ohne Mikrophon - Simone hört alles. Und erkennt inmitten dieser Kakophonie eine unheilschwangere Stimme.
So kommt es, dass er auf Grazia trifft, das dritte Element dieses unglaublich spannenden Romans, die Polizistin aus Lecce, die man nach Bologna geschickt hat, um den Serienmörder zu finden. Sie hat Instinkt und Biss - und den braucht sie auch, in dieser von Männern dominierten Welt, von dummdreisten Kollegen nicht nur belästigt, sondern nachgerade behindert, teils absichtlich, teils aufgrund purer Unfähigkeit.

Shooting-Star der italienischen Krimi-Szene at his best

Und während das Blut in Strömen fließt, die Verwirrung aller handelnden Personen ständig zunimmt und der Leser ob der sich überstürzenden Ereignisse gar nicht mehr zum Atmen kommt, fügt Lucarelli immer wieder völlig unerwartet Absätze reinster Poesie ein.
Mit Assoziationen spielt er, der "Shooting-Star" der italienischen Krimi-Szene, mit Worten, Klängen und Gefühlen. Dort ironisch überhöht, da metaphysisch angereichert und ein Feuerwerk an Emotionen wo man es am wenigstens erwartet. Kein Wunder, dass das Buch mittlerweile verfilmt und als Theaterstück adaptiert wurde, ist es doch gleichermaßen verstörend und von ganz eigener Schönheit.
(Michaela Pelz, www.krimi-forum.de)

…mehr