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Unter den Parasiten hat der Floh eine Sonderstellung: Anders als die Laus, die Wanze, die Zecke und die Stechmücke wird er höchst ambivalent wahrgenommen. Nur dieses Tier hat solche Hasstiraden und solche Liebeserklärungen ausgelöst; kein anderes hat die erotische Fantasie der Männer dermaßen angefacht und aufgewühlt wie der Floh. Keines ist so bewundert, so hingebungsvoll mikroskopiert und dabei so erbarmungslos malträtiert worden. Wegen seiner Winzigkeit ist der Floh für allerhand metaphorische Zwecke in den Dienst genommen worden. Dieses Buch wirft einen genauen Blick auf den Floh und…mehr

Produktbeschreibung
Unter den Parasiten hat der Floh eine Sonderstellung: Anders als die Laus, die Wanze, die Zecke und die Stechmücke wird er höchst ambivalent wahrgenommen. Nur dieses Tier hat solche Hasstiraden und solche Liebeserklärungen ausgelöst; kein anderes hat die erotische Fantasie der Männer dermaßen angefacht und aufgewühlt wie der Floh. Keines ist so bewundert, so hingebungsvoll mikroskopiert und dabei so erbarmungslos malträtiert worden. Wegen seiner Winzigkeit ist der Floh für allerhand metaphorische Zwecke in den Dienst genommen worden. Dieses Buch wirft einen genauen Blick auf den Floh und erkundet die intimen Beziehungen zwischen Menschen und Flöhen. Die untersuchten Texte und Bilder geben überraschende Auskünfte über den Menschen, sein sexuelles Verhalten, sein Verhältnis zur Natur und sein Selbstverständnis als soziales Lebewesen.
Autorenporträt
Ulrich Stadler studierte u.a. in Berlin an der Freien Universität und lehrte in Basel, Genf und Zürich Literaturwissenschaft. Dabei verstand er dieses Fach immer auch als Literatur- und Kulturgeschichte und versuchte, es mit Kunst- und Gesellschaftstheorien in Beziehung zu setzen. Die Themen seiner Bücher und Aufsätze reichen vom 17. bis ins 20. Jahrhundert.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Menschenfloh, auf lateinisch Pulex irritans, ist wohl einer der innigsten Begleiter der Menschen, schließt Rezensent Urs Hafner aus der Lektüre von Ulrich Stadlers Kultur- und Literaturgeschichte dieses Tiers. Dass Flöhe gar nicht immer tabuisiert waren, sondern auch dazu führen konnten, dass Autoren wie Johann Fischart in seinem "Flöh Hatz, Weiber Tratz" (1573) lustvoll schildern, wie eine Frau sich von den Tierchen befreit, lernt Hafner mit Freude. Catherine Des Roches, französische Schriftstellerin, hingegen wehrt sich gegen die fortlaufende Sexualisierung, indem sie sich in ihren Dichtungen in einen Floh verwandelt, erfahren wir, auch E.T.A. Hoffmann hat sich dem Tier gewidmet. Wieso es nun ausgerechnet der Floh ist, der den Literaturwissenschaftler Stadler so reizt, findet der Kritiker zwar nicht abschließend heraus, freut sich aber über die aufschlussreichen Betrachtungen, wie er resümiert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.03.2024

Ein beklagenswertes Opfer der hygienischen Ära
Ulrich Stadler schreibt eine verblüffende Kulturgeschichte des Flohs und betrauert dessen Verschwinden

Nicht mit dem Hund oder der Katze hat der Mensch in seiner Geschichte die innigste Beziehung gepflegt. Ausgerechnet ein Parasit habe in unseren Breitengraden die größte Aufmerksamkeit auf sich gezogen, habe sowohl Liebe als auch Hass geweckt, die künstlerische Schaffenskraft angestachelt und die philosophische Reflexion beflügelt: der Floh.

Das behauptet der Literaturwissenschaftler Ulrich Stadler. Seine verblüffende These führt der Emeritus der Universität Zürich in einem Büchlein aus, das er als eine Art erbaulich-geistreiche Konversation gestaltet hat. In der Ich-Form schreibend, nimmt er den Leser eloquent bei der Hand, um ihm auf einem kulturgeschichtlichen Streifzug seine einschlägigen Entdeckungen zu präsentieren. Dass der Germanist dabei das eine oder andere Mal seinen Gegenstand - den Floh - aus den Augen verliert, weil er die Hermeneutik der von ihm aufgespürten Texte und Bilder auf die Spitze treibt, verzeiht ihm der Leser gerne (oder wie Stadler sagen würde: sei ihm, dem Autor, hiermit verziehen).

Der Autor betreibt nämlich keine Bildungshuberei, auch wenn er sich mit den Schriften von Grimmelshausen, Goethe, Johann Peter Hebel, Kafka und anderen offensichtlich bestens auskennt - die alle allegorisch, metaphorisch oder sonst wie sinnreich über Flöhe geschrieben haben. Stadler geht das Tierchen nahe, am Ende gar betrauert er dessen allmähliches Verschwinden in unserer hygienischen Ära, die das Arten- und Insektensterben vorantreibt.

Mit dem Floh, genauer dem Menschenfloh (Pulex irritans), verschwinden natürlich auch die Vertrautheit mit dem winzigen Lebewesen und der wie auch immer geartete Umgang mit ihm. Die eindrückliche Reihe der Belege, die Stadler für seine These von der Flohnähe des Menschen beibringt, stammt daher mehrheitlich aus der Frühneuzeit. Von der damaligen Alltagspräsenz des Flohs - auch sie hat der Autor im Blick, obschon er nicht sozial-, sondern literaturgeschichtlich vorgeht - zeugen die diversen Flohfallen, derer sich vor allem Frauen bedienten. Begüterte Damen hielten sich ein Schoßhündchen, in dessen warmes Fell die Flöhe sich verkriechen sollten, oder legten sich wenigstens einen fein gearbeiteten, mit Silber und Gold geschmückten Pelz um Hals oder Hüfte; einfache Frauen beschieden sich mit einem Flicken Fell. Geradezu kokett mutet das löchrige, mit Honig gefüllte Elfenbeinröhrchen an, das sich manche Damen zwischen die Brüste hängten.

Die Präsenz der hüpfenden Parasiten war also keineswegs tabuisiert. Wer Flöhe hatte, galt nicht wie heute als schmutzig. Und auch Männer dürften sich ihrer erwehrt haben, nur ist dies kaum überliefert. Meistens nämlich, betont Stadler, waren es Männer, die mit einiger Wollust Frauen schilderten - ob in Texten oder auf Gemälden -, die sich an intimen Stellen "flöhten" und dafür gar männlichen Beistand benötigten. Der Floh wurde von den damaligen Autoren nicht weniger sexualisiert als die von ihm befallene Frau, wobei Letztere auch noch lächerlich gemacht wurde, etwa in der "Flöh Hatz, Weiber Tratz" (1573) des Straßburger Schriftstellers Johann Fischart.

Dieses Schema durchbricht die französische Schriftstellerin und Salonnière Catherine Des Roches, eine Zeitgenossin Fischarts. Mit der Wortverwandtschaft von "puce" (Floh) und "pucelle" (Jungfrau) spielend, stellt sie in einer ihrer Dichtungen klar, dass sie nicht länger das weibliche Objekt männlicher Anbetung sein will. Sie nimmt das Heft in die Hand - indem sie sich in einen Floh verwandelt. Mit einem Sprung in die Literatur rettet sie sich vor den zudringlichen Verehrern.

Seine Aufwertung verdankt der Floh räsonierenden Gelehrten, die Wissenschaft und Theologie zu verbinden suchten. Der "Physikotheologe" Johann Jakob Scheuchzer, Zürcher Arzt und Naturforscher, findet im kleinen Plagegeist die Tugend der Demut. Als Robert Hooke, Erfinder optischer Instrumente und eines der ersten Mitglieder der 1660 gegründeten Royal Society, das Insekt unter dem Mikroskop erblickt und von ihm eine detaillierte großformatige Zeichnung anfertigt, zeigt er auf, dass auch etwas Kleines ganz groß sein kann - Gottes Plan sei Dank. Hooke wird berühmt, und der von den Naturforschern zwecks besserer Erkenntnis noch und noch sezierte Floh wird gepriesen als ein Wunder der Schöpfung. E. T. A. Hoffmann dagegen kritisiert 1822 das Lebensfeindliche der das Organische tötenden Wissenschaften in seinem "Meister Floh". Er darf auf Stadlers Sympathien zählen.

Aber wieso der Floh? Wieso ist der Mensch "froh wie der Floh im Haferstroh", wie eine Redewendung besagt, warum hat er eine innige Beziehung ausgerechnet zu diesem Tier ausgebildet, von dem rund 2400 Arten nachgewiesen sind? Die Antwort bleibt der Autor schuldig. Dass die Menschen "immer schon" die Neigung verspürt hätten, sich in den Floh hineinzufühlen, und sich davon nicht einmal abhalten ließen, als bekannt wurde, dass er die Pest mitausgelöst habe, überzeugt nicht.

Die Laus, ebenfalls ein gefährlicher Parasit, hat die menschliche Imagination nicht weniger stimuliert. Auch sie stößt in Dichtung wie Umgangssprache auf Sympathien, die eigenartig mit ihrer rigorosen Verfolgung kontrastieren. Für sie gilt auch, was Stadler mit einiger Melancholie für den Floh bilanziert: Sie wird im kulturellen Gedächtnis lebendig bleiben, selbst wenn sie ausgerottet worden ist, was aber kaum je gelingen wird. So bleibt also die Erkenntnis: Viel Lust wohnt dem Ekligen inne. URS HAFNER

Ulrich Stadler: "Der ewige Verschwinder". Eine Kulturgeschichte des Flohs.

Schwabe Verlag, Basel/Berlin 2024. 304 S., Abb., geb., 38,- Euro.

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