Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 9,99 €
  • Gebundenes Buch

Das Foto von Günter Zint zeigt den Autor bei einer Auseinandersetzung mit der Polizei nach den großen Anti-Springer-Demonstrationen im April 1968. Karl-Heinz Janszen schrieb zu diesem Bild im Zeitmagazin: "Der Polizeiknüppel machte aus stillen Studenten Revoluzzer."Volker Schröder wurde zwar kein Revoluzzer, aber ein beharrlicher Kämpfer für die Würdigung der Männer und Frauen, die in der Märzrevolution von 1848/49 im Kampf für Freiheit und Demokratie ihr Leben gelassen haben. 1978 gründete er mit Gleichgesinnten unter der Schirmherrschaft der Schriftstellerin Ingeborg Drewitz und des…mehr

Produktbeschreibung
Das Foto von Günter Zint zeigt den Autor bei einer Auseinandersetzung mit der Polizei nach den großen Anti-Springer-Demonstrationen im April 1968. Karl-Heinz Janszen schrieb zu diesem Bild im Zeitmagazin: "Der Polizeiknüppel machte aus stillen Studenten Revoluzzer."Volker Schröder wurde zwar kein Revoluzzer, aber ein beharrlicher Kämpfer für die Würdigung der Männer und Frauen, die in der Märzrevolution von 1848/49 im Kampf für Freiheit und Demokratie ihr Leben gelassen haben. 1978 gründete er mit Gleichgesinnten unter der Schirmherrschaft der Schriftstellerin Ingeborg Drewitz und des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters von Berlin-West Heinrich Albertz die "Aktion 18. März - Nationalfeiertag in beiden Deutschen Staaten".Das alles hat natürlich eine Vorgeschichte. In 34 Kapiteln erzählt der Sohn eines Bürstenmachermeisters und einer "Tochter aus gutem Hause" sein Leben.Volker Schröder wurde 1942 im Hamburg geboren und lebt heute in Berlin. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne und zur Zeit fünf Enkelkinder. Er ist unter den Top-Ten im Marathon Jubilee Club Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.2018

Die Revolution fährt BMW
Linke finden zur Marktwirtschaft

"Meine Damen und Herren, Sie haben sich für das Studium der Volkswirtschaftslehre entschieden. Wissen Sie, welche Verantwortung auf Ihnen ruht? Wenn ein Arzt Fehler macht, dann stirbt ein Mensch, es können auch zwei oder vielleicht sogar zehn sein. Aber wenn die Wirtschaft nicht stimmt, dann verhungern ganze Völker!" Das hörte der Erstsemester Volker Schröder im Sommer 1965 an der Universität Hamburg. Es sollte der Anfang einer lebenslangen Beschäftigung mit ökonomischen Fragen sein - in den unterschiedlichsten beruflichen und politischen Zusammenhängen.

Schröders Buch zeigt exemplarisch, wie Linke nach 1968 den Weg in die westdeutsche Demokratie und die Marktwirtschaft gefunden, oder sich zumindest damit abgefunden haben. Schröders Mutter war noch überzeugte Nationalsozialistin gewesen. Er selbst wurde Kommunist. Einer seiner Söhne leitet heute eine große Immobilienagentur in der Hauptstadt. Das Buch zeigt eine spannende, menschliche und zuweilen anachronistische deutsche Familien-Wirtschaftsgeschichte.

Im Jahr 1966 wechselte Schröder von Hamburg an die Freie Universität Berlin: "Während meine 68er-Kommilitonen sich mit den Professoren stritten, bemühte ich mich anpasserisch um eine Stelle als Hilfsassistent beim Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Ich diente dem blinden Emeritus Bruno Schultz als Mädchen für alles. Schultz sagte gerne: Die Wissenschaft ist eine Hure der Herrschenden." Schröder saugte den revolutionären Geist auf, demonstrierte vor dem Springer-Hochhaus und wirkte im Umfeld der KPD. Später wurde er Buchhalter bei der "Alternativen Liste Berlin". Dank Schröders ökonomischen Verstandes behielten die chaotischen grünen Verbände immer eine solide Kassenführung. Er war der Hüter der schwarzen Null, und als es immer mehr finanzielle Begehrlichkeiten gab, machte Schröder einen Kopfstand, um zu zeigen, dass aus leeren Taschen keine Münzen fallen. In seiner Autobiographie rechnet er nun mit so manchen Falschvorstellungen der Linken aus den sechziger bis neunziger Jahren ab.

"Wer den Menschheitstraum von einer neuen Gesellschaft mit Folter, Mord und Totschlag durchsetzen will, erreicht das Gegenteil", schreibt Schröder: "So hat die Politik von SED und DKP dem Sozialismus tausendmal mehr geschadet als die antikommunistischen Reden eines Franz Josef Strauß." Dass die Linke nicht aufstand, als 1961 eine Mauer durch Berlin gebaut wurde, schmerzt Schröder bis heute. "Nein, sie verteidigte es sogar!"

Zudem hatte Schröder Zweifel an dem Kult um die Arbeiterklasse und das Proletariat: "Zum Beispiel hielt ich viele Dinge, die in der Marxistischen Arbeiterschulung gelehrt wurden, schlichtweg für Quatsch." So etwa, dass der Kapitalist den Arbeitern immer nur so viel Lohn gibt, wie zur Erhaltung seiner Arbeitskraft notwendig sei. "Nun gab es ja viele Facharbeiter, die nicht schlecht verdienen und sich zum Beispiel teure Reisen leisten können." Als Schröder dies anmerkte, erhielt er zur Antwort: "Die brauchen die Reisen, damit sie arbeitsfähig bleiben können." Später verkauften die Marxisten ihre Häuser und Grundstücke unter anderem in Frankfurt an Banken - "mit beträchtlichen Gewinnen", wie Schröder bissig anmerkt.

Sein flüssig, heiter und ehrlich geschriebenes Buch ist die Rückschau eines Linken, dem das Linkssein immer fremd blieb. "Immer wenn ich das Propagandablatt der Alternativen Liste mit dem Namen ,Der Stachel' auf dem Wittenbergplatz vor dem KaDeWe, einem der größten Warenhäuser Europas, verteilt hatte, ging ich anschließend in dieses Kaufhaus hinein. Ein Tempel des Konsums. Angehäuft mit den feinsten Sachen. Ich genoss es, in einer Gesellschaft zu leben, die solche Dinge offerieren konnte. Auch wenn man nicht das Geld hatte, sie zu kaufen: Es genügte, sie zu sehen", schreibt er.

Schröder leistete sich zudem einen BMW V8. Seine Genossen tobten. Aber Mitfahren wollte jeder. Berühmt wurde Schröder als Vorkämpfer für die Erinnerung an die Ereignisse vom 18. März 1848. An diesem Tag kapitulierte das Militär des preußischen Königs vor den Kämpfern für Freiheit und Demokratie. König Friedrich Wilhelm IV. musste seinen Hut vor den Toten ziehen. Ohne den 18. März hätte es keinen 18. Mai gegeben, den Tag, an dem die Nationalversammlung in der Paulskirche zusammentrat. Schröders Autobiographie trägt daher auch den Namen "Dass ein gutes Deutschland blühe - oder: Mein März-Marathon".

Seit Jahrzehnten organisiert er die Erinnerungsfeiern zur Märzrevolution in Berlin und setzte durch, dass der Platz vor dem Brandenburger Tor nach diesem Tag benannt wurde. Dabei bekam er viel Unterstützung von seinen grünen Freunden, aus den Reihen der CDU und aller anderen Parteien: Bei den Mahnwachen stand dann der Liberale Hermann Otto Solms neben Petra Pau von den Linken. Keiner anderen politischen Initiative ist dies im wiedervereinigten Deutschland gelungen. Für sein Engagement bekam Schröder das Bundesverdienstkreuz.

Wer an Schröders Wohnsitz in Berlin-Kreuzberg vorbeigeht, findet im Schaufenster Bürsten. Aus Ahnenverehrung führt er eine alte Hamburger Bürstenmacherei fort, die es seit 1866 gibt. Sein Vater war Obermeister der Hamburger Bürstenmacherinnung. Freilich wurde das Bürstenmacherhandwerk in den siebziger Jahren zum sterbenden Handwerk. Seitdem werden Bürsten maschinell hergestellt. "Per Hand Bürsten zu machen ist praktisch so, als würde man eine Baugrube mit einem Spaten statt mit einem Bagger ausheben. Also ein Anachronismus", meint Schröder. Das charakterisiert ihn auch selbst, als linken Patrioten, Handwerker und Kaufmann, Demokrat und inzwischen auch ein wenig Kapitalist. Schröder hat eine ehrliche Rückschau über sein Leben, seine Ansichten und seine Überzeugungen geschrieben. Hamburg und Berlin, Anarchie und Phantasie, KaDeWe und BMW.

JOCHEN ZENTHÖFER

Volker Schröder: Dass ein gutes Deutschland blühe. Pro Business Berlin 2018, 178 Seiten, 18 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr