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Sie werden immer brutaler und immer jünger. Gewalttätige Jugendliche finden sich keineswegs nur in Metropolen wie Berlin, Hamburg, Zürich oder Wien. Auch in Kleinstädten meiden viele von uns bestimmte Straßen, Plätze und Stadtviertel sowie nächtliche U- und S-Bahnfahrten. Eltern und Lehrer fürchten die Gewalt in ihren Schulen, Polizei und Sozialarbeiter kommen an ihre Grenzen.
Die Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig ist schon lange nicht mehr bereit, dies hinzunehmen: "Wenn wir nicht rasch und konsequent handeln, wenn wir unsere Rechts- und Werteordnung nicht entschlossen durchsetzen, werden wir den Kampf gegen die Jugendgewalt verlieren."
Das ebenso provokante wie sachkundige Buch einer unbequemen und überaus mutigen Richterin.
Die Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig ist schon lange nicht mehr bereit, dies hinzunehmen: "Wenn wir nicht rasch und konsequent handeln, wenn wir unsere Rechts- und Werteordnung nicht entschlossen durchsetzen, werden wir den Kampf gegen die Jugendgewalt verlieren."
Das ebenso provokante wie sachkundige Buch einer unbequemen und überaus mutigen Richterin.
Die Gewalttäter werden jünger, brutaler, skrupelloser und die Gesellschaft mit diesem Problem hilfloser. Die Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig war nicht bereit, das hinzunehmen. So wollte sie nicht akzeptieren, dass bei Jugendlichen zwischen Straftat und Gerichtsverhandlung viele Monate vergehen und entwickelte das Neuköllner Modell. Hier findet nach einfachen Delikten von Jugendlichen innerhalb von drei Wochen die Gerichtsverhandlung statt. Die schnellen Strafen haben damit einen größeren Wirkungseffekt bei Tätern und Opfern. In ihrem Buch "Das Ende der Geduld" erläutert sie das Modell und deren Durchsetzungsweg, beschreibt Lebensläufe jungendlicher Krimineller, schildert Straftaten und Verfahren, benennt die Situationen an Schulen, Jugendämtern und der Polizei. Heisig liefert Fakten und aber auch Lösungsvorschläge, wie z.B. die Vernetzung von Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendamt, Schulen, Behörden, Institutionen und Eltern funktionieren sollte. Dabei wirft sie auch einen vergleichenden Blick ins europäische Ausland. Im ihrem Buch fordert die Richterin die Beseitigung von Handlungsdefiziten und eine ehrliche und notwendige Debatte in der Bekämpfung von Jugendkriminalität. Kirsten Heisig verstarb unerwartet Ende Juni 2010 in Berlin.
Kirsten Heisig, geb. 1961, verstarb Ende Juni 2010 in Berlin. Sie war Jugendrichterin, das von ihr wesentlich initiierte sog. "Neuköllner Modell" zeichnet sich vor allem aus durch Prävention, Abschreckung, Konsequenz und Schnelligkeit.
Produktdetails
- Verlag: Herder, Freiburg
- 2. Aufl.
- Seitenzahl: 205
- Erscheinungstermin: 26. Juli 2010
- Abmessung: 195mm x 129mm x 20mm
- Gewicht: 238g
- ISBN-13: 9783451302046
- ISBN-10: 3451302047
- Artikelnr.: 29850726
Herstellerkennzeichnung
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Rettet die verlorenen Kinder, bevor es zu spät ist
Die Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig hat mit ihrem Buch "Das Ende der Geduld" eine Streitschrift verfasst, die uns aufrütteln muss
Nur die Schlagzeilen gleichen sich: Polizei machtlos; neue Dimension der Kriminalität; Kinderdealer ohne Papiere zum x-ten Mal erwischt. Wenn es nicht so bitter wäre, könnte man die vergeblichen Versuche, den strafunmündigen Drogenkurieren beizukommen, als Teil des alljährlichen Berliner Sommertheaters abtun. Nur wird dieses Mal offener als sonst über die Herkunft der Kinder informiert. Viele werden Jahr um Jahr aus Beirut eingeschleust; in Berlin leben sie entweder in einer der arabischen Großfamilien - vor denen sich die
Die Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig hat mit ihrem Buch "Das Ende der Geduld" eine Streitschrift verfasst, die uns aufrütteln muss
Nur die Schlagzeilen gleichen sich: Polizei machtlos; neue Dimension der Kriminalität; Kinderdealer ohne Papiere zum x-ten Mal erwischt. Wenn es nicht so bitter wäre, könnte man die vergeblichen Versuche, den strafunmündigen Drogenkurieren beizukommen, als Teil des alljährlichen Berliner Sommertheaters abtun. Nur wird dieses Mal offener als sonst über die Herkunft der Kinder informiert. Viele werden Jahr um Jahr aus Beirut eingeschleust; in Berlin leben sie entweder in einer der arabischen Großfamilien - vor denen sich die
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Behörden, aber auch die Polizei fürchten - oder in einem offenen Heim für junge Flüchtlinge. Das Heim verlassen sie schnell, wenn sich die erste Aufregung über ihre gefährlichen, lukrativen Geschäfte gelegt hat, um dort alsbald wieder von der Polizei abgeliefert zu werden: folgenlos. Und weil die Heimkinder keine Papiere haben, können sie auch nicht abgeschoben werden, etwa zu ihren Eltern. Die seien, so geben sie stereotyp an, gestorben.
Die Jugendrichterin Kirsten Heisig, die sich vor einigen Wochen das Leben nahm, hat über diese Kinder, deren kriminelle Laufbahn offenbar alle zuständigen Ämter überfordert, ausführlich in ihrem heute erscheinenden Buch berichtet. Sie hat vorausgesehen, dass es im Juli 2010 wieder passieren, dass wieder vor geschlossenen Heimen gewarnt würde und Politiker forsch die Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters verlangen würden. Wenn das geschieht, schreibt die Richterin, werden demnächst Zehnjährige als Dealer geholt.
Warum aber, fragt Kirsten Heisig, kann man die Identität der Kinder nicht feststellen, die in Beirut mit Pass die Kontrollen passieren und in Berlin ohne Pass aus dem Flugzeug steigen? Warum erleichtert man der libanesischen Drogenmafia, die inzwischen zu Reichtum gekommen ist und dealen lässt, auch noch durch Untätigkeit das Geldverdienen? Und warum ist es nicht allererstes Ziel, diese Kinder dem Einfluss der Drogenclans zu entziehen?
Das sind nur einige von ziemlich vielen Fragen, auf die Heisig keine Antworten bekommen hat. Und es ist nur einer von vielen überzeugend, klar und nüchtern begründeten Anlässen, dieses Buch zu schreiben: ein Plädoyer für hoch gefährdete Kinder und Jugendliche, deren Rettung die Schule, die Jugendhilfe und auch das Jugendstrafrecht eigentlich ermöglichen sollten. Die aber preisgegeben werden, weil Behörden nicht über ihren Tellerrand zu schauen bereit oder unfähig sind, weil der Datenschutz vorgeschoben wird auf Kosten dieser Kinder, die als Heranwachsende immer wieder im Gerichtssaal landen. Und dann ist es meistens zu spät.
Die Jugendrichterin warnt davor, diese Entwicklung, die nicht nur in Berlin-Neukölln zu beobachten ist, zu unterschätzen. Kirsten Heisig hatte ihren Beruf aus Überzeugung ergriffen und lange geglaubt, mit sinnvollen Entscheidungen Jugendkriminalität eindämmen und jungen Straftätern eine Chance auf ein normales Leben eröffnen zu können. "Seit längerer Zeit habe ich nicht mehr den Eindruck", schreibt sie, "beiden Zielen gerecht werden zu können." Die überbordende Gewalt, die Brutalität, die sich seit längerem in Übergriffen an Schulen, auf der Straße, aber auch in den Familien entlädt und ihr Opfer nicht nur verletzt, sondern auch demütigt, könne nicht mehr nur durch Strafjustiz eingedämmt werden. Heisig schildert an ausgewählten Fällen, was sich verändert hat, und unterzieht neben der Justiz auch das Schulwesen, die Jugendhilfe und das Treiben der freien sozialen Träger einer schonungslosen Analyse.
Immer wieder wird viel zu spät erkannt, dass sich kriminelle Karrieren verfestigen. Die erzieherischen Maßnahmen der Gerichte laufen dann zwangsläufig ins Leere. Den Schulen bleibt der Schulverweis, sofern der Verurteilte dort überhaupt noch erscheint. Nicht selten verschwinden die jungen Täter einfach aus dem Gesichtskreis der Institutionen, weil sich diese nicht absprechen und eine von der anderen glaubt, sie kümmere sich schon darum. Und die Opfer? Es treibt die Richterin um, dass sie vielen nicht helfen kann, weil das System zu langsam, zu ineffizient arbeitet. Am Beispiel brutaler Vergewaltigungen, die während angeblich unverzichtbarer Heimurlaube von einschlägig Vorbestraften verübt werden, zeigt sie, wie "durch elterliches Versagen und unter den Augen der geduldig abwartenden staatlichen Institutionen" schwer kriminelle Jugendliche heranwachsen.
Kirsten Heisig ist nicht die wohl bekannteste deutsche Jugendrichterin geworden, weil sie - wie oft behauptet - besonders hart zu urteilen pflegte. In ihrem Buch berichtet sie vom Erfolg eines Richterkollegen, der junge Rechtsradikale für ihre Überfälle rasch zu Haftstrafen verurteilte, unbeeindruckt von Störmanövern im Gerichtssaal. Das Urteil, so Heisig, habe eine abschreckende Wirkung entfaltet, es zog Frieden ein in der kleinen Stadt bei Berlin. Allerdings hatte der Richter zum unter Juristen und Kriminologen umstrittenen Mittel der "Gewaltprävention" gegriffen, was vielleicht nur deshalb allgemein akzeptiert wurde, weil nicht nur die brutalen Angriffe geächtet waren, sondern auch die braune Weltsicht der jungen Täter.
Kirsten Heisig hat schließlich ihren Gerichtssaal verlassen, um die Ursachen der Gewaltexplosion aufzuklären, die seit einigen Jahren ganze Viertel verunsichern. Sie stieß auf Erziehungsdefizite, die aus Kindern Schulversager und Serientäter machen und mit deren Behebung jede Schule überfordert ist. Das Selbstverständnis einer toleranten Gesellschaft wird so untergraben, das Jugendstrafrecht mit seinem Erziehungsanspruch erodiert. Geduldig hat Heisig diesen Zusammenhang in Streitrunden, im Fernsehen und in Zeitungen und schließlich sogar auf erstaunlich gut besuchten Elternabenden in Berlin-Neukölln immer wieder erklärt. Nicht jeder wollte ihr folgen, aber mit der Zeit wurden es immer mehr. Es ist Kirsten Heisigs wohl größtes Verdienst, dass es ihr gelang, für diese verlorenen Kinder eine Allianz zu schmieden, die sich nicht mit (durchaus berechtigten) Klagen über zu wenig Geld und Personal aufgehalten hat.
Das als "Neuköllner Modell" bekannt gewordene Konzept hat im Prinzip nur versucht, was sich jeder mit gesundem Menschenverstand unter Gewaltprävention und Jugendhilfe vorstellt. Es ging dabei nicht um schärfere Gesetze, sondern zuallererst darum, die geltenden durchzusetzen: die Schulpflicht, das Prügelverbot für Eltern, die Fürsorgepflicht von Eltern. Wie viel Kraft und Zeit das gekostet hat, ahnt der Leser, wenn er sich auf den spröden, ausführlichen Bericht der Jugendrichterin einlässt. Kirsten Heisig widmet ganze Kapitel den irrwitzigen Verästelungen von Behörden, die zu fatalen Blockaden führen, und jenen absurden Sparmaßnahmen, die ein Jugendamt ruinieren können, weil sie seine Arbeit verunmöglichen.
Heisig lehnt den Rückzug des Staates und seiner professionellen Helfer aus vielen Bereichen ab. Sie bezweifelt, dass dissoziale Entwicklungen durch unübersichtliche und sündhaft teure Sozialprojekte aufgefangen werden können. Sie zieht auch jene statistischen Zaubertricks in Zweifel, die die Öffentlichkeit mit unklaren Zahlen beruhigen sollen, wo eigentlich Alarm ausgelöst werden müsste.
Ausführlich schildert Kirsten Heisig ihren Alltag, der ihr an manchen Gerichtstagen elf Entscheidungen abverlangt, vom harmlosen Verkehrsdelikt bis zur Anordnung einer Haftstrafe. Die Fälle, die sie als Beispiele heranzieht, verdeutlichen immer wieder, wo zu spät oder unzureichend reagiert wurde - etwa weil Drogentests bei jugendlichen Gewalttätern unüblich sind. Immer öfter muss die Jugendrichterin feststellen, dass junge Angeklagte in der Zeit zwischen der Tat, die gerade verhandelt wird, und dem Gerichtstermin weitere, oft immer grausamere Straftaten begingen. Immer schneller scheint sich die Spirale der Gewalt zu drehen - und wenn die Richterin Glück hat, weil die neuen Netzwerke, die sie in Berlin-Neukölln aufgebaut hat, funktionieren, erfährt sie davon, noch bevor sie ein Urteil fällen muss. Erfährt sie es nicht, verpufft für junge Straftäter jede erzieherische Intervention. Dasselbe passiert wenn es dem Gericht nicht gelingt, für die verhängte Strafe alsbald einen Platz im Jugendarrest oder Gefängnis zu finden.
Heisigs Buch "Das Ende der Geduld" ist eine ungewöhnliche Streitschrift, die aufrütteln und aufklären statt abrechnen will. Der Titel zielt nicht nur auf die beunruhigend große Zahl der nicht erzogenen Straftäter, sondern auch auf die unsichtbaren Eltern und die Ohnmacht des Staates, der die Bürger mit hohlen Integrationsparolen einlullt. Mit diesem Buch hat sich eine mutige Frau ihre Empörung über die gefährliche Langmut und Ignoranz unserer Gesellschaft von der Seele geschrieben. Oder gerade nicht. Denn es gibt kein tröstliches Ende, keine Handlungsanweisung, wie man die rechtsfreien Räume, in denen so viele Kinder untergehen, zurückerobern kann. Nur die Gewissheit: Etwas muss sich ändern. Jetzt.
REGINA MÖNCH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Jugendrichterin Kirsten Heisig, die sich vor einigen Wochen das Leben nahm, hat über diese Kinder, deren kriminelle Laufbahn offenbar alle zuständigen Ämter überfordert, ausführlich in ihrem heute erscheinenden Buch berichtet. Sie hat vorausgesehen, dass es im Juli 2010 wieder passieren, dass wieder vor geschlossenen Heimen gewarnt würde und Politiker forsch die Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters verlangen würden. Wenn das geschieht, schreibt die Richterin, werden demnächst Zehnjährige als Dealer geholt.
Warum aber, fragt Kirsten Heisig, kann man die Identität der Kinder nicht feststellen, die in Beirut mit Pass die Kontrollen passieren und in Berlin ohne Pass aus dem Flugzeug steigen? Warum erleichtert man der libanesischen Drogenmafia, die inzwischen zu Reichtum gekommen ist und dealen lässt, auch noch durch Untätigkeit das Geldverdienen? Und warum ist es nicht allererstes Ziel, diese Kinder dem Einfluss der Drogenclans zu entziehen?
Das sind nur einige von ziemlich vielen Fragen, auf die Heisig keine Antworten bekommen hat. Und es ist nur einer von vielen überzeugend, klar und nüchtern begründeten Anlässen, dieses Buch zu schreiben: ein Plädoyer für hoch gefährdete Kinder und Jugendliche, deren Rettung die Schule, die Jugendhilfe und auch das Jugendstrafrecht eigentlich ermöglichen sollten. Die aber preisgegeben werden, weil Behörden nicht über ihren Tellerrand zu schauen bereit oder unfähig sind, weil der Datenschutz vorgeschoben wird auf Kosten dieser Kinder, die als Heranwachsende immer wieder im Gerichtssaal landen. Und dann ist es meistens zu spät.
Die Jugendrichterin warnt davor, diese Entwicklung, die nicht nur in Berlin-Neukölln zu beobachten ist, zu unterschätzen. Kirsten Heisig hatte ihren Beruf aus Überzeugung ergriffen und lange geglaubt, mit sinnvollen Entscheidungen Jugendkriminalität eindämmen und jungen Straftätern eine Chance auf ein normales Leben eröffnen zu können. "Seit längerer Zeit habe ich nicht mehr den Eindruck", schreibt sie, "beiden Zielen gerecht werden zu können." Die überbordende Gewalt, die Brutalität, die sich seit längerem in Übergriffen an Schulen, auf der Straße, aber auch in den Familien entlädt und ihr Opfer nicht nur verletzt, sondern auch demütigt, könne nicht mehr nur durch Strafjustiz eingedämmt werden. Heisig schildert an ausgewählten Fällen, was sich verändert hat, und unterzieht neben der Justiz auch das Schulwesen, die Jugendhilfe und das Treiben der freien sozialen Träger einer schonungslosen Analyse.
Immer wieder wird viel zu spät erkannt, dass sich kriminelle Karrieren verfestigen. Die erzieherischen Maßnahmen der Gerichte laufen dann zwangsläufig ins Leere. Den Schulen bleibt der Schulverweis, sofern der Verurteilte dort überhaupt noch erscheint. Nicht selten verschwinden die jungen Täter einfach aus dem Gesichtskreis der Institutionen, weil sich diese nicht absprechen und eine von der anderen glaubt, sie kümmere sich schon darum. Und die Opfer? Es treibt die Richterin um, dass sie vielen nicht helfen kann, weil das System zu langsam, zu ineffizient arbeitet. Am Beispiel brutaler Vergewaltigungen, die während angeblich unverzichtbarer Heimurlaube von einschlägig Vorbestraften verübt werden, zeigt sie, wie "durch elterliches Versagen und unter den Augen der geduldig abwartenden staatlichen Institutionen" schwer kriminelle Jugendliche heranwachsen.
Kirsten Heisig ist nicht die wohl bekannteste deutsche Jugendrichterin geworden, weil sie - wie oft behauptet - besonders hart zu urteilen pflegte. In ihrem Buch berichtet sie vom Erfolg eines Richterkollegen, der junge Rechtsradikale für ihre Überfälle rasch zu Haftstrafen verurteilte, unbeeindruckt von Störmanövern im Gerichtssaal. Das Urteil, so Heisig, habe eine abschreckende Wirkung entfaltet, es zog Frieden ein in der kleinen Stadt bei Berlin. Allerdings hatte der Richter zum unter Juristen und Kriminologen umstrittenen Mittel der "Gewaltprävention" gegriffen, was vielleicht nur deshalb allgemein akzeptiert wurde, weil nicht nur die brutalen Angriffe geächtet waren, sondern auch die braune Weltsicht der jungen Täter.
Kirsten Heisig hat schließlich ihren Gerichtssaal verlassen, um die Ursachen der Gewaltexplosion aufzuklären, die seit einigen Jahren ganze Viertel verunsichern. Sie stieß auf Erziehungsdefizite, die aus Kindern Schulversager und Serientäter machen und mit deren Behebung jede Schule überfordert ist. Das Selbstverständnis einer toleranten Gesellschaft wird so untergraben, das Jugendstrafrecht mit seinem Erziehungsanspruch erodiert. Geduldig hat Heisig diesen Zusammenhang in Streitrunden, im Fernsehen und in Zeitungen und schließlich sogar auf erstaunlich gut besuchten Elternabenden in Berlin-Neukölln immer wieder erklärt. Nicht jeder wollte ihr folgen, aber mit der Zeit wurden es immer mehr. Es ist Kirsten Heisigs wohl größtes Verdienst, dass es ihr gelang, für diese verlorenen Kinder eine Allianz zu schmieden, die sich nicht mit (durchaus berechtigten) Klagen über zu wenig Geld und Personal aufgehalten hat.
Das als "Neuköllner Modell" bekannt gewordene Konzept hat im Prinzip nur versucht, was sich jeder mit gesundem Menschenverstand unter Gewaltprävention und Jugendhilfe vorstellt. Es ging dabei nicht um schärfere Gesetze, sondern zuallererst darum, die geltenden durchzusetzen: die Schulpflicht, das Prügelverbot für Eltern, die Fürsorgepflicht von Eltern. Wie viel Kraft und Zeit das gekostet hat, ahnt der Leser, wenn er sich auf den spröden, ausführlichen Bericht der Jugendrichterin einlässt. Kirsten Heisig widmet ganze Kapitel den irrwitzigen Verästelungen von Behörden, die zu fatalen Blockaden führen, und jenen absurden Sparmaßnahmen, die ein Jugendamt ruinieren können, weil sie seine Arbeit verunmöglichen.
Heisig lehnt den Rückzug des Staates und seiner professionellen Helfer aus vielen Bereichen ab. Sie bezweifelt, dass dissoziale Entwicklungen durch unübersichtliche und sündhaft teure Sozialprojekte aufgefangen werden können. Sie zieht auch jene statistischen Zaubertricks in Zweifel, die die Öffentlichkeit mit unklaren Zahlen beruhigen sollen, wo eigentlich Alarm ausgelöst werden müsste.
Ausführlich schildert Kirsten Heisig ihren Alltag, der ihr an manchen Gerichtstagen elf Entscheidungen abverlangt, vom harmlosen Verkehrsdelikt bis zur Anordnung einer Haftstrafe. Die Fälle, die sie als Beispiele heranzieht, verdeutlichen immer wieder, wo zu spät oder unzureichend reagiert wurde - etwa weil Drogentests bei jugendlichen Gewalttätern unüblich sind. Immer öfter muss die Jugendrichterin feststellen, dass junge Angeklagte in der Zeit zwischen der Tat, die gerade verhandelt wird, und dem Gerichtstermin weitere, oft immer grausamere Straftaten begingen. Immer schneller scheint sich die Spirale der Gewalt zu drehen - und wenn die Richterin Glück hat, weil die neuen Netzwerke, die sie in Berlin-Neukölln aufgebaut hat, funktionieren, erfährt sie davon, noch bevor sie ein Urteil fällen muss. Erfährt sie es nicht, verpufft für junge Straftäter jede erzieherische Intervention. Dasselbe passiert wenn es dem Gericht nicht gelingt, für die verhängte Strafe alsbald einen Platz im Jugendarrest oder Gefängnis zu finden.
Heisigs Buch "Das Ende der Geduld" ist eine ungewöhnliche Streitschrift, die aufrütteln und aufklären statt abrechnen will. Der Titel zielt nicht nur auf die beunruhigend große Zahl der nicht erzogenen Straftäter, sondern auch auf die unsichtbaren Eltern und die Ohnmacht des Staates, der die Bürger mit hohlen Integrationsparolen einlullt. Mit diesem Buch hat sich eine mutige Frau ihre Empörung über die gefährliche Langmut und Ignoranz unserer Gesellschaft von der Seele geschrieben. Oder gerade nicht. Denn es gibt kein tröstliches Ende, keine Handlungsanweisung, wie man die rechtsfreien Räume, in denen so viele Kinder untergehen, zurückerobern kann. Nur die Gewissheit: Etwas muss sich ändern. Jetzt.
REGINA MÖNCH
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"Und Das Ende der Geduld ist eine Provokation. Denn Kirsten Heisig hat auf Missstände hingewiesen, auf die Trägheit der Justiz, auf Versäumnisse der Schulen und der Jugendämter, auf Ressortdenken und mangelndes Engagement." -- Die Zeit
"Heisigs Buch ist ehrlich, authentisch, nicht darauf aus, gezielt zu provozieren. Das, was sie beschreibt reicht aus, um sich wirklich Sorgen zu machen." -- Giessener Allgemeine
"Heisigs Buch ist ehrlich, authentisch, nicht darauf aus, gezielt zu provozieren. Das, was sie beschreibt reicht aus, um sich wirklich Sorgen zu machen." -- Giessener Allgemeine
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Eines möchte Rezensent Joachim Käppner nach der Lektüre von diesem Buch unbedingt klarstellen: Die Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig, die sich Ende Juni unter seltsamen Umständen das Leben genommen haben soll, passt nicht in die rechte Ecke, in die sie von ihren Kritikern - von ihr Kritisierten - oft und gern gestellt worden ist. Was er diesem postum veröffentlichten Buch entnimmt, ist vor allem ein engagiertes Plädoyer für "nötige Ungeduld", für mehr Engagement und die durchaus konsequente Anwendung des Rechts, allerdings eines liberalen. Sehr überzeugend findet er die Fälle, anhand derer Heisig darstellt, wie die Jugendkriminalität in Neukölln aus dem Ruder gelaufen ist, bei arabischen Intensivtäter, Skinheads oder drogensüchtigen Punks, die allesamt von den milden Varianten des Strafrechts nicht mehr zu erreichen sind.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Die Problematik auffällig gewordener Jugendlicher wird von allen Seiten gut beleuchtet.
Vielleicht hält das Buch, uns als Leser, manchmal einen Spiegel vor.
Kinder und Jugendliche zu lieben, heißt nicht, ihnen keine Grenzen zu setzen. Nur wenn das Leben einen Rahmen hat kann man …
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Die Problematik auffällig gewordener Jugendlicher wird von allen Seiten gut beleuchtet.
Vielleicht hält das Buch, uns als Leser, manchmal einen Spiegel vor.
Kinder und Jugendliche zu lieben, heißt nicht, ihnen keine Grenzen zu setzen. Nur wenn das Leben einen Rahmen hat kann man sich in diesem ausprobieren. Das gilt auch für gerechte, zeitnahe Bestrafung, wie immer eine Bestrafung auch aussehen mag!
Unsere Gesetze reichen aus - sie müssen nur auch zügig umgesetzt werden können und da war Kirsten Heise auf einem so positiven Weg, an den richtigen Stellen, das Wichtige einzufordern.
Ein unbedingt lesenswertes Buch - traurig der zu frühe Tod der Verfasserin!
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Antworten 56 von 60 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 56 von 60 finden diese Rezension hilfreich
Dies ist eine authentische Darstellung der aktuellen Verunsicherung und Ohnmacht großer Teile der Bevölkerung vor jugendlicher Gewalt. Aber gleichzeitig weist die Autorin Wege, wie der Staat und die Justiz reagieren müss(t)en.
Antworten 21 von 26 finden diese Rezension hilfreich
Antworten 21 von 26 finden diese Rezension hilfreich
Das Buch ist sehr informativ und stellt bei mir unweigerlich den Zusammenhang zur den aktuellen Diskussionen rund um Integrations- und Einwanderungsfragen her und hilft diese besser zu verstehen. In klarer und verständlicher Ausdrucksform werden u. a. auch die Folgen falscher …
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Das Buch ist sehr informativ und stellt bei mir unweigerlich den Zusammenhang zur den aktuellen Diskussionen rund um Integrations- und Einwanderungsfragen her und hilft diese besser zu verstehen. In klarer und verständlicher Ausdrucksform werden u. a. auch die Folgen falscher Integrationspolitik aufgezeigt. Warum nur finden Menschen wie Frau Heisig so wenig Gehör bei den Verantwortlichen?
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Buch der Berliner Jugend-Richterin, die sich das Leben nahm. Milieustudie und Biografie über jugendliche Gewalttäter in Deutschland, speziell in Berlin. Jahrzehnte langes Ankämpfen hat auch in Einzelschicksalen nicht wirklich viel gebracht. Es ist erschreckend, was in unserer Jugend …
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Buch der Berliner Jugend-Richterin, die sich das Leben nahm. Milieustudie und Biografie über jugendliche Gewalttäter in Deutschland, speziell in Berlin. Jahrzehnte langes Ankämpfen hat auch in Einzelschicksalen nicht wirklich viel gebracht. Es ist erschreckend, was in unserer Jugend vor sich geht. Wie wenig Skrupel und wenig Respekt sie besitzen. Und vor allem keinen Anspruch auf eine Zukunft für sich selbst. Das ist schon nicht mehr desillusioniert. Und am Ende fragt man sich, wohin unsere Gesellschaft steuert. Und ob man was dagegen unternehmen kann.
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Antworten 10 von 11 finden diese Rezension hilfreich
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größtenteils sehr gut und leicht verständlich geschrieben. allerdings finden sich öfter große zaheln und daten-ansammlungen, die einen etas verwirren. sie beeinträchtigne jedoch nicht den gesamteindruck, den dieses buch vermitteln will. gute …
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größtenteils sehr gut und leicht verständlich geschrieben. allerdings finden sich öfter große zaheln und daten-ansammlungen, die einen etas verwirren. sie beeinträchtigne jedoch nicht den gesamteindruck, den dieses buch vermitteln will. gute lösungsvorschläge zu den genannten problemen. klar, deutlich und ehrlich formuliert.
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Lange überfällig!
Das Manuskript dieses Buches lag vor, die Bearbeitung war abgeschlossen, als die Autorin, Jugendrichterin Kirsten Heisig, ermordet wurde. Man kann da einen Zusammenhang vermuten, aber nachdem die Ermittlungen boykottiert wurden, kann man nichts beweisen.
Das ist …
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Lange überfällig!
Das Manuskript dieses Buches lag vor, die Bearbeitung war abgeschlossen, als die Autorin, Jugendrichterin Kirsten Heisig, ermordet wurde. Man kann da einen Zusammenhang vermuten, aber nachdem die Ermittlungen boykottiert wurden, kann man nichts beweisen.
Das ist allerdings auch ein deutliches Zeichen dafür, daß die Autorin etwas zu sagen hatte. Was kristallklar wird, wenn man es selbst liest: Kirsten Heisig kannte nicht nur die Probleme aus ihrem Berufsalltag, sie hat sich auch ihrer Verantwortung gestellt und Problemlösungen erarbeitet, in weit größerem Ausmaß als man von ihr verlangen konnte.
In diesem kleinen Buch steckt nicht nur die Kompetenz einer erfahrenen Richterin, sondern auch das Einfühlungsvermögen einer Mutter und das Gerechtigkeitsempfinden einer gesetzestreuen Bürgerin. Wenn wir die Entwicklung in unserem Staat noch in eine positive Richtung treiben wollen, sollten wir auf das Vermächtnis von Kirsten Heisig hören und nicht die Augen für das verschließen, was sie mit ihrem geschulten Auge schon vor Jahren auf uns hat zukommen sehen.
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