Produktdetails
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2012

Seine Hellischkeit
In seinem neuen Kayankaya-Krimi „Bruder Kemal“ würzt Jakob Arjouni einen
Entführungsfall mit dem Aroma der Frankfurter Buchmesse – und das schmeckt ganz schön scharf
VON ALEX RÜHLE
Am heutigen Samstag öffnet die Frankfurter Buchmesse ihre Pforten für das allgemeine Publikum. Wer traurig ist, nicht dabeisein zu können, wer allen Ernstes glaubt, in diesem Gewühl aus Wichtigtuerei, Herbstviren und Tonnen bedruckten Papiers etwas zu verpassen, der verfüge sich in seine ortsansässige Buchhandlung, lege 19,90 Euro auf den Tresen und frage nach „Bruder Kemal“, dem neuen Roman von Jakob Arjouni. Darin verschlägt es nämlich den Privatdetektiv Kemal Kayankaya einmal auf die Messe und was er dort erlebt, kann zusammengefasst werden in Kayankayas Satz: „Die Buchmesse war nicht die Hölle, sie roch nur ein bisschen so.“
  Die ganze hochtourige Ereignislosigkeit des Betriebs, durchsetzt vom Käsebrötchendunst aus den Verlagskabinen, das verbissene Aufmerksamkeitsgerangel der Autoren, die feinen Unterschiede, wer in welchem Hotel untergebracht ist, der fiese Tratsch, das panische Herumhorchen, wer wo welchen Abschluss tätigt, – wir haben kein Diplom in Messebeschreibungskomparatistik, behaupten aber einfach mal, dass das keiner je so witzig und treffend aufgeschrieben hat wie Jakob Arjouni.
  Der und sein Privatdetektiv waren selbst mal, 1987, eines der ganz heiß gehandelten Themen der Messe. Plötzlich gab es da diesen 23-jährigen Autor mit dem marokkanischen Nachnamen, der in Südfrankreich lebte, aber, verdammt nochmal, mit 23 haut man doch nicht derart meisterliche Krimis raus? Diese genauen, schlagfertigen Dialoge. Der schlanke, starke Plot. Und dann noch im Doppelpack? Der Diogenes-Verlag brachte damals gleich zwei Bücher raus, die Kayankaya durch Frankfurt und seine ersten Fälle als Privatdetektiv folgten, beide mit dem gelbschwarzen Cover, das Krimikenner von Chandler- und Hammett-Krimis kannten.
  Kayankaya stand seinen amerikanischen Kollegen Marlowe und Spade in Sachen Lakonie und Lonesomeness in nichts nach, und er war zugleich eine großartige bundesrepublikanische Erfindung: Türkische Eltern, die sehr früh sterben, wächst bei einer deutschen Pflegefamilie auf, sieht also türkisch aus, ohne die Sprache zu verstehen, liebt die Sportschau und sein Bier, sagt einmal „Im Grunde meines Herzens bin ich ein tanzender Schlesier“ und schafft es, alle Klischees und Stereotypen auf einmal zu unterlaufen.
  Manchmal fragte man sich, wo dieser bekennende Underdog seine Weltläufigkeit und sein feines Gespür für die Zwischentöne akademischer Milieus herhatte, etwa wenn er über einen nostalgischen Alt-68er spottete: „Er war der Typ, der mit dir durch die Straße geht und irgendwann mit feuchten Augen auf ein Fenster zeigt und flüstert: ,Da hat sich Ulrike mal versteckt’.“ Aber kaum wunderte man sich kichernd auf dem Sofa vor sich hin, schon sprang einen dieser Kayankaya direkt an: Die Deutschen, so sagt er einmal, seien ja so fabelhaft kosmopolitisch, Safari in Afrika, kiffen in Kairo, „aber ein Türke ohne Sperrmüll unterm Arm und zehn ungewaschenen Kindern - das geht nicht rein in ihren Schädel.“
  Jetzt, elf lange Jahre nach seinem letzten Fall, ist Kayankaya endlich wieder da. Er ist mittlerweile 53, weshalb ihm Arjouni ein für einen Noir-Detektiv fast schon sadistisch anmutendes Gesundheitsprogramm zumutet: Er raucht nicht mehr, trinkt nur noch wenig, fährt Fahrrad, lebt in einer festen Beziehung und einer gediegenen Wohnung, und seine Freundin will auch noch ein Kind von ihm. Nur seine Antworten und sind Blick sind noch so scharf wie bei seinem ersten Fall.
  Ach so, genau, der Fall. Besser gesagt, die Fälle, Kayakaya kriegt es nämlich diesmal mit zwei Geschichten auf einmal zu tun. Zuerst kommt ein Anruf aus der Oberen Zeppelinalle. Riesenvilla, bewohnt von einer Frau namens Valerie de Chavannes. Ihre Tochter ist verschwunden, es gibt da einen Typen namens Abakay, der sich als Fotograf das Vertrauen der Mutter erschlichen und jetzt angeblich ihre Tochter in seiner Gewalt hat. Einfache Sache, denkt Kayankaya, da will es ein Mädchen einfach mal seiner Mutter zeigen.
  Wenig später hat er sich in den größten Schlamassel seines Lebens manövriert: Er findet das Mädchen in seinem eigenen Erbrochenen, eine Art autoaggressiver Notwehr, sie hatte sich vollgekotzt, um so einer Vergewaltigung zu entgehen. Der Mann, der sich an ihr vergehen wollte, liegt tot im Flur. Als der erstaunte Zuhälter Abakay auftaucht, sieht Kayankaya rot, schlägt ihn ohnmächtig und arrangiert dann alles so, als habe Abakay den Freier umgebracht.
  Beim Lesen stellt man sich zwei Fragen: Wie will Kayankaya aus dieser Kiste wieder rauskommen? In seinem Anfall von Selbstjustiz hat er so ziemlich alles falsch gemacht: Er belügt einen befreundeten Polizisten und bekommt es, indem er sich mit dem schmierigen Abakay anlegt, auch mit dessen mächtigem Onkel, Scheich Hakim zu tun. Vor allem aber fragt man sich, wie sein Autor Arjouni diesen Fall mit Kayankayas zweitem Auftrag zusammenbringen kann: Ein Verlag sucht für die Tage der Frankfurter Buchmesse einen Leibwächter, sie haben doch jetzt diesen mutigen Marokkaner im Programm, der erstmals das Tabuthema Homosexualität in der arabischen Welt literarisch bearbeitet . . .
  Um es kurz zu machen: Arjouni schafft das. Man muss dabei zwar ein, zweimal an die Definition denken, die Arjouni selbst mal gab, als er sagte, Krimis seien „die ausgeprägteste Form von Märchen“. Der eigentliche Witz an diesem Buch ist aber ohnehin sein Witz. Um wenigstens ansatzweise den Humor wiederzugeben, der durch diesen Krimi weht, schalten wir uns kurz in ein Telefongespräch zwischen Kayankaya und einem Herrn namens Methat ein, dem Sekretär von Scheich Hakim: „Anfangs redete er türkisch, bis er mir einen Augenblick Zeit ließ, ihm zu erklären, dass ich kein Türkisch gelernt hatte. Nach einer ungläubigen Pause fuhr er auf Deutsch fort. Er sprach starken hessischen Dialekt. ,Wer will mich sehen?‘ – ,Sei Hellischkeit.‘ – ,Helligkeit?‘ – ,Heelliischkeit!‘ – ,Tut mir leid. Heilig, Höllig?‘ – ,Hellisch! Wie hellische Aussischt! Mensch!‘ – ,Ah. Seine Herrlichkeit.‘ “
  Arjounis Witz geht aber über kalauernde Lustigkeit hinaus. Sein fünfter Kayankaya ist deshalb so brillant, weil Arjouni die beiden ineinander verschränkten Fälle dazu nutzt, die verschiedensten Lebenswelten so genau wie lakonisch zu beschreiben. Und er macht sich einen Heidenspaß daraus, seine Leser in die Irre zu führen: Seine erste Auftraggeberin, die anfangs so mondän wie nymphoman wirkt, macht genauso überraschende Wandlungen durch wie die Handlung um den marokkanischen Autor, dessen Buch hier in Deutschland so anders rezipiert wird, als er sich das vorgestellt hatte und der sich über Drohbriefe merkwürdigerweise zu freuen scheint.
  Am Ende erfährt Kayankaya, dass er Vater wird. Schön für ihn. Aber hoffentlich heißt das nicht, dass wir wieder elf Jahre bis zu seinem nächsten Fall warten müssen.
Kayankaya liebt die Sportschau
und sein Bier: „Im Grunde bin
ich ein tanzender Schlesier.“
Frankfurter Buchmesse 2012, während der Aufbauarbeiten: Ein Mann geht mit einem Stapel Bücher an einem Plakat entlang. Wer Jakob Arjounis neuen Krimi liest, glaubt nicht, dass es hier nur um Bücher geht.
FOTO: TORSTEN SILZ/DAPD
  
  
  
  
  
Jakob Arjouni: Bruder
Kemal. Kayankayas fünfter Fall. Diogenes Verlag,
Zürich 2012. 225 Seiten, 19,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr