Ein Dokument des Scheiterns
Boris Reitschuster war vor Jahren Russlandkorrespondent bei "Focus“. Nach seinem Jobverlust arbeitet er sich an Journalisten und Institutionen ab, denen er eine Nähe zur Regierungspolitik unterstellt. Mit vielen hatte er juristische Auseinandersetzungen, die er, wie er
in seinem neuen Buch schreibt, fast alle verlor. Der Rauswurf aus der Bundespressekonferenz scheint…mehrEin Dokument des Scheiterns
Boris Reitschuster war vor Jahren Russlandkorrespondent bei "Focus“. Nach seinem Jobverlust arbeitet er sich an Journalisten und Institutionen ab, denen er eine Nähe zur Regierungspolitik unterstellt. Mit vielen hatte er juristische Auseinandersetzungen, die er, wie er in seinem neuen Buch schreibt, fast alle verlor. Der Rauswurf aus der Bundespressekonferenz scheint seinen Frust auf (ehemalige) Kollegen noch mal deutlich gesteigert zu haben.
Das Buch ist der Versuch einer Abrechnung mit Menschen und Institutionen, die der Blogger schon seit Jahren als Unterdrücker von Meinungsfreiheit darstellt. Auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass er in sozialen Medien dafür bekannt ist, Kritik an ihm durch Blocken zu unterbinden, erscheint dies unredlich. Fast nichts an dem Buch ist neu, man kennt das Meiste von seinem Blog, was daran liegt, dass der Großteil eine Übernahme von Artikeln eben dieses Blogs ist. Wie dort schon macht der Leser auch in dem Buch wieder Bekanntschaft mit einer Reihe namenlos bleibender Bekannter: "gute Freunde", "erfahrene Juristen" usw.
Auch an der Sprache hat sich nichts geändert. Sie erscheint, gelinde gesagt, gewöhnungsbedürftig: Der Ausdruck "In meinen Augen" kommt gefühlt auf jeder zweiten Seite vor. Die Angewohnheit, Haupt- und Nebensätze durch Punkt zu trennen empfinde ich als eine Unart, z.B.: „ein Wink mit dem Zaunpfahl. Der dazu führte...“ Oder: „Auch mich haben die Polizisten festgehalten. Weil sie verhindern wollten...“ Einmal findet sogar eine syntaktische Vierteilung statt: “Aber der Psychoterror erreicht Ausmaße, die ich mir vor kurzem noch nicht vorstellen konnte. Und die sich sicher sehr viele Menschen in unserem Land bis heute nicht vorstellen können. Obwohl sie nur die Spitze des Eisbergs sind. Und es anderen Kritikern der Regierung und des Zeitgeists noch viel schlimmer ergeht.“
Reitschuster geht mit missliebigen Personen nicht zimperlich um. Oftmals diffamiert er, etwa wenn er vom "Auftrags-Rufmörder Jan Böhmermann" spricht, manchmal ist die Sprache schlicht ungelenk, z.B. wenn er sein Buch als eine "intellektuelle Reise durch den Wahnsinn unserer Zeit" beschreibt.
Zu Beginn des Buches bezeichnet Reitschuster den Satz „Ein Journalist darf sich nie selbst in den Mittelpunkt stellen" als "eine der wichtigsten Lehren, die mir mein langjähriger Chef Helmut Markwort mit auf den Weg gegeben hat." Das klingt nicht wahrhaftig, da Reitschuster seinen Blog nach seinem eigenen Namen benannt hat, dort, in Videos und auch in seinem neuen Buch immer wieder über einen „polit-medialen Komplex“ lamentiert, dessen Opfer er sei, und Reklame für einen Shop macht, der Fanartikel zu seiner Person vertreibt.
Zurecht verwahrt sich der Autor dagegen, als Nazi beschimpft zu werden. Dieser Vorwurf ist ungerechtfertigt und wird heutzutage wie der, Faschist zu sein, inflationär benutzt. Etwas konterkariert wird Reitschusters Bemerkung allerdings dadurch, dass er selbst ständig beklagt, etwas würde ihn an finsterste Zeiten erinnern. Das Mittelalter wird er damit wohl kaum meinen. Offenbar sieht er sich selbst allerdings nicht bloß als Opfer, sondern auch als Held. Das an Wilhelm Tell gemahnende Titelbild, auf dem Reitschuster einen Apfel auf dem Kopf hat, lässt das zumindest vermuten.
Auf seinem Blog bewirbt Reitschuster sein Produkt übrigens wie folgt: "Die wahre Geschichte. Jetzt vorbestellen – bevor das Buch verboten wird!" In einem Video beklagt er, dass er mit diesem Buch nicht viel verdiene. Wer ihn wirklich unterstützen wolle, möge ihm doch lieber (zusätzlich) Geld spenden. Man kann natürlich auch beides unterlassen.