Dieser Abend soll alles entscheiden - Jan hat einen Tisch im Edelrestaurant "Paris" reserviert, den Ring in der Tasche und den Antrag im Kopf, auch wenn er kaum hoffen kann, dass die schöne Nadine ihre Verlobung mit einem anderen löst und bei ihm in Berlin bleibt. Doch er hat nicht mit dem arroganten Patron Naujoks gerechnet, der nach einem Malheur im Restaurant nur Bargeld nehmen will, das Jan erst besorgen muss; auch nicht mit dem alternden Polizisten Hentschel, der noch einmal den harten Hund markiert, als er ihn in die Bank rennen sieht. Jan, der doch nur zu Nadine zurückwill, wird aufs Revier gebracht, wo er die Nerven verliert - mit furchtbaren Folgen. In nur einer Nacht entsteht aus der Euphorie und Not einer jungen Liebe, aus menschlicher Schwäche und dem Zusammenspiel gar nicht so unwahrscheinlicher Zufälle ein Strudel der Gewalt, ein dramatischer Schicksalssog, dem sich am Ende niemand entziehen kann.
Volker Heise zeigt ein schillerndes Kaleidoskop von Großstadtexistenzen - und erzählt hochspannend davon, wie weit der Mensch gehen kann. Ein mitreißender Roman über ein Verbrechen aus Liebe.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Volker Heise zeigt ein schillerndes Kaleidoskop von Großstadtexistenzen - und erzählt hochspannend davon, wie weit der Mensch gehen kann. Ein mitreißender Roman über ein Verbrechen aus Liebe.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2018Berlin, Berlin, wir fahren durch Berlin
Arglose Menschen zur falschen Zeit am falschen Ort: Volker Heise setzt in seinem Debüt auf die Technik des Dokumentarfilms
Im Jahr 2003 stellte der Regierende Bürgermeister Berlins eine Werbekampagne vor, die das Image seiner Stadt aufpolieren sollte. Der Slogan lautete: "Mir geht's Berlin". Weil der erhoffte Beifall ausblieb, einigte man sich schon 2008 auf das neue Motto "Be Berlin". So ist aus einem angedichteten Gefühl in nur fünf Jahren ein Existenzgebot geworden, das den Einwohnern die Inkarnation der Stadt aufbürdete.
Nun hat Volker Heise mit "Außer Kontrolle" einen Berlin-Roman vorgelegt, in dem es um beides geht, auf der einen Seite die wechselhafte, stets mit einer bestimmten Umgebung verschmolzene Stimmung weniger Figuren, auf der anderen Seite deren Verkörperung des urbanen Raums. Bei der Ausarbeitung der Charaktere zeigt sich Heise d'accord mit Aristoteles, der die Ansicht vertrat, eine Stadt bestehe aus "unterschiedlichen Arten von Menschen; ähnliche Menschen bringen keine Stadt zuwege".
Jan, der Protagonist, ist einundzwanzig Jahre alt und maximal unscheinbar. Nachdem er seine Jugendzeit in einer niedersächsischen Reihenhaussiedlung vor dem Computer abgesessen hat, fühlt er sich in Berlin wie ausgewechselt, einfach nur "durch eine andere Luft, durch andere Straßen, durch andere Häuser". Bald verliebt er sich in Nadine, die im Callcenter jobbt und schleunigst zurück in ihre Heimat nach Vorpommern möchte, wo der Verlobte wartet. Jan kauft daraufhin zwei Ringe und bereitet einen Konterheiratsantrag im Edelrestaurant des ehemaligen Problemkinds Tobias Naujoks vor.
Sofort denken wir an den Sternekoch Tim Raue, der seinerzeit für die "Be Berlin"-Kampagne geworben hat und als Musterbeispiel des Aufsteigers gehandelt wurde - vom Gangmitglied zum Spitzengastronom. Im Gegensatz zu Raue kauert Naujoks nach einem kurzen Höhenflug aber wieder am Nullpunkt: Schulden angehäuft, Karriere begraben, Hebel im Gehirn auf der Kippe. Und dann ist da noch der Polizist Axel Hentschel, der einst für das Sondereinsatzkommando tätig war und jetzt Streife fährt. Seine Ehe ist kaputt, sein Gemüt ebenfalls.
So unterschiedlich die Figuren auch sind, sie alle erscheinen wie Gestrandete, deren Existenz ins Konturlose ausfranst. Ihre Wege werden sich im Laufe der nur eine Nacht umfassenden Geschichte kreuzen, sie werden sich anpöbeln, misshandeln und massakrieren. Nahe kommen wir diesen Außenseitern, weil sich der Erzähler in ihre Sichtweisen einfühlt und ihre Erlebnisse, der Unmittelbarkeit halber, im Präsens wiedergibt.
Die in der Vergangenheitsform gehaltenen Rückblenden wirken dagegen wie hastig wegmoderierte Anamneseprotokolle. Sie sind inhaltlich, nicht jedoch dramaturgisch mit der Haupthandlung verbunden. "Außer Kontrolle" ist Volker Heises erster Roman, allerdings wird man den 1961 geborenen Autor beileibe nicht als kulturelles Greenhorn bezeichnen können. Er arbeitete bereits als Regisseur und Dramaturg, Produzent und Kolumnist. Für die Serien "Schwarzwaldhaus 1902" und "Zeit der Helden" wurde ihm der Grimme-Preis verliehen. Mit "24h Berlin - Ein Tag im Leben" gewann er den Deutschen Fernsehpreis. Die Mammutproduktion, an der achtzig Kamerateams beteiligt waren, illustriert in Echtzeit, wie mehr als fünfzig Berliner verschiedenster Couleur ihren Alltag bewältigen.
Leider gelingt es Heise nicht, die Gewohnheiten des Dokumentarfilmers beim Schreiben hintanzustellen. Zwar lässt er den Namen der Stadt und den Handlungszeitraum unerwähnt. Gleichwohl schildert er die Topographie Berlins pingelig genau und streut Hinweise in den Text, die signalisieren, dass wir uns im Jahr 2008 befinden. Vor allem aber versucht er, das Nebeneinander großstädtischer Eindrücke in das Nacheinander von Sprache zu überführen, indem er so lange Detail auf Detail schichtet, bis das Geschehen nur noch aus Äußerlichkeiten besteht. Selbst die Einkäufe namenloser Randfiguren bleiben uns nicht verborgen: "zwei Scheiben Bierschinken, ein halbes Weißbrot, Margarine, Gewürzgurken aus dem Spreewald".
Die vielen Milieuminiaturen zeugen von einer hervorragenden Beobachtungsgabe, jedoch schickt die Pedanterie, mit der sie ausgebreitet werden, den Plot auf einen misslichen Schlingerkurs. Anton Tschechows Forderung, kein Requisit dürfe in der Literatur bedeutungslos, keine Episode ohne Folgen bleiben, wird von Heise, der hier als regelrechter Anti-Tschechow auftritt, unentwegt ins Gegenteil verkehrt. Das demonstrieren auch jene Passagen, die wie Berlin-Kolumnen anmuten und im Schlick gängiger Kiezklischees versumpfen. Stichworte: Bio-Supermarkt, Sojamilch, Gentrifizierung. Zu selten wird poetisch verdichtet, zu oft angestrengt dokumentiert. Insofern ist "Außer Kontrolle" ein durchaus treffender Titel, solange man ihn auf die Erzählökonomie des Buchs bezieht.
Dennoch zeigt der Autor immer wieder, dass er etwas beherrscht, worum ihn mancher Kollege beneiden dürfte: die Kunst des lebendigen Dialogs, frei von hölzernem Gerumpel und überflüssigem Sprachzierrat. Auch das temporeiche Finale hat es in sich. Es führt vor Augen, wie schnell eine Situation entgleisen kann, wenn sich arglose Menschen zur falschen Zeit am falschen Ort aufhalten. Jan und Nadine in Naujoks Restaurant, Hentschel auf Streife, mehr benötigt der Zufall nicht, um eine grausig eskalierende Kettenreaktion in Gang zu setzen.
Sollte Volker Heise bei seinem nächsten Roman die Bestandsaufnahme zugunsten literarischer Stringenz an der kurzen Leine halten, dürfte etwas Beachtliches dabei herauskommen.
KAI SPANKE
Volker Heise:
"Außer Kontrolle".
Roman.
Rowohlt Berlin Verlag,
Berlin 2017. 240 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Arglose Menschen zur falschen Zeit am falschen Ort: Volker Heise setzt in seinem Debüt auf die Technik des Dokumentarfilms
Im Jahr 2003 stellte der Regierende Bürgermeister Berlins eine Werbekampagne vor, die das Image seiner Stadt aufpolieren sollte. Der Slogan lautete: "Mir geht's Berlin". Weil der erhoffte Beifall ausblieb, einigte man sich schon 2008 auf das neue Motto "Be Berlin". So ist aus einem angedichteten Gefühl in nur fünf Jahren ein Existenzgebot geworden, das den Einwohnern die Inkarnation der Stadt aufbürdete.
Nun hat Volker Heise mit "Außer Kontrolle" einen Berlin-Roman vorgelegt, in dem es um beides geht, auf der einen Seite die wechselhafte, stets mit einer bestimmten Umgebung verschmolzene Stimmung weniger Figuren, auf der anderen Seite deren Verkörperung des urbanen Raums. Bei der Ausarbeitung der Charaktere zeigt sich Heise d'accord mit Aristoteles, der die Ansicht vertrat, eine Stadt bestehe aus "unterschiedlichen Arten von Menschen; ähnliche Menschen bringen keine Stadt zuwege".
Jan, der Protagonist, ist einundzwanzig Jahre alt und maximal unscheinbar. Nachdem er seine Jugendzeit in einer niedersächsischen Reihenhaussiedlung vor dem Computer abgesessen hat, fühlt er sich in Berlin wie ausgewechselt, einfach nur "durch eine andere Luft, durch andere Straßen, durch andere Häuser". Bald verliebt er sich in Nadine, die im Callcenter jobbt und schleunigst zurück in ihre Heimat nach Vorpommern möchte, wo der Verlobte wartet. Jan kauft daraufhin zwei Ringe und bereitet einen Konterheiratsantrag im Edelrestaurant des ehemaligen Problemkinds Tobias Naujoks vor.
Sofort denken wir an den Sternekoch Tim Raue, der seinerzeit für die "Be Berlin"-Kampagne geworben hat und als Musterbeispiel des Aufsteigers gehandelt wurde - vom Gangmitglied zum Spitzengastronom. Im Gegensatz zu Raue kauert Naujoks nach einem kurzen Höhenflug aber wieder am Nullpunkt: Schulden angehäuft, Karriere begraben, Hebel im Gehirn auf der Kippe. Und dann ist da noch der Polizist Axel Hentschel, der einst für das Sondereinsatzkommando tätig war und jetzt Streife fährt. Seine Ehe ist kaputt, sein Gemüt ebenfalls.
So unterschiedlich die Figuren auch sind, sie alle erscheinen wie Gestrandete, deren Existenz ins Konturlose ausfranst. Ihre Wege werden sich im Laufe der nur eine Nacht umfassenden Geschichte kreuzen, sie werden sich anpöbeln, misshandeln und massakrieren. Nahe kommen wir diesen Außenseitern, weil sich der Erzähler in ihre Sichtweisen einfühlt und ihre Erlebnisse, der Unmittelbarkeit halber, im Präsens wiedergibt.
Die in der Vergangenheitsform gehaltenen Rückblenden wirken dagegen wie hastig wegmoderierte Anamneseprotokolle. Sie sind inhaltlich, nicht jedoch dramaturgisch mit der Haupthandlung verbunden. "Außer Kontrolle" ist Volker Heises erster Roman, allerdings wird man den 1961 geborenen Autor beileibe nicht als kulturelles Greenhorn bezeichnen können. Er arbeitete bereits als Regisseur und Dramaturg, Produzent und Kolumnist. Für die Serien "Schwarzwaldhaus 1902" und "Zeit der Helden" wurde ihm der Grimme-Preis verliehen. Mit "24h Berlin - Ein Tag im Leben" gewann er den Deutschen Fernsehpreis. Die Mammutproduktion, an der achtzig Kamerateams beteiligt waren, illustriert in Echtzeit, wie mehr als fünfzig Berliner verschiedenster Couleur ihren Alltag bewältigen.
Leider gelingt es Heise nicht, die Gewohnheiten des Dokumentarfilmers beim Schreiben hintanzustellen. Zwar lässt er den Namen der Stadt und den Handlungszeitraum unerwähnt. Gleichwohl schildert er die Topographie Berlins pingelig genau und streut Hinweise in den Text, die signalisieren, dass wir uns im Jahr 2008 befinden. Vor allem aber versucht er, das Nebeneinander großstädtischer Eindrücke in das Nacheinander von Sprache zu überführen, indem er so lange Detail auf Detail schichtet, bis das Geschehen nur noch aus Äußerlichkeiten besteht. Selbst die Einkäufe namenloser Randfiguren bleiben uns nicht verborgen: "zwei Scheiben Bierschinken, ein halbes Weißbrot, Margarine, Gewürzgurken aus dem Spreewald".
Die vielen Milieuminiaturen zeugen von einer hervorragenden Beobachtungsgabe, jedoch schickt die Pedanterie, mit der sie ausgebreitet werden, den Plot auf einen misslichen Schlingerkurs. Anton Tschechows Forderung, kein Requisit dürfe in der Literatur bedeutungslos, keine Episode ohne Folgen bleiben, wird von Heise, der hier als regelrechter Anti-Tschechow auftritt, unentwegt ins Gegenteil verkehrt. Das demonstrieren auch jene Passagen, die wie Berlin-Kolumnen anmuten und im Schlick gängiger Kiezklischees versumpfen. Stichworte: Bio-Supermarkt, Sojamilch, Gentrifizierung. Zu selten wird poetisch verdichtet, zu oft angestrengt dokumentiert. Insofern ist "Außer Kontrolle" ein durchaus treffender Titel, solange man ihn auf die Erzählökonomie des Buchs bezieht.
Dennoch zeigt der Autor immer wieder, dass er etwas beherrscht, worum ihn mancher Kollege beneiden dürfte: die Kunst des lebendigen Dialogs, frei von hölzernem Gerumpel und überflüssigem Sprachzierrat. Auch das temporeiche Finale hat es in sich. Es führt vor Augen, wie schnell eine Situation entgleisen kann, wenn sich arglose Menschen zur falschen Zeit am falschen Ort aufhalten. Jan und Nadine in Naujoks Restaurant, Hentschel auf Streife, mehr benötigt der Zufall nicht, um eine grausig eskalierende Kettenreaktion in Gang zu setzen.
Sollte Volker Heise bei seinem nächsten Roman die Bestandsaufnahme zugunsten literarischer Stringenz an der kurzen Leine halten, dürfte etwas Beachtliches dabei herauskommen.
KAI SPANKE
Volker Heise:
"Außer Kontrolle".
Roman.
Rowohlt Berlin Verlag,
Berlin 2017. 240 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Volker Heise lässt es ganz schön krachen in seinem Romandebüt ... Die Großstadt ist hier vor allem ein Ort, an dem viele Dinge gleichzeitig geschehen. So entsteht eine Dynamik, die etwas Atemloses hat. Berliner Zeitung