Reisebilder, Flughafengedichte, satirisch-melancholische Kleinode hat der große Romancier John Updike ( 1932) in seiner Gedicht-Sammlung »Americana« von 2001 versammelt. Updike hat mit diesen Gedichten ein letztes großes Bild der USA unmittelbar vor dem 11. September, vor George. W. Bush, vor New Orleans gezeichnet. Und doch sind die Einblicke in die amerikanischen Kleinstadtwelten, auf die Metropolen, auf die Flughäfen des Landes zeitlos mögen sich die Sicherheitsvorkehrungen an den Flughäfen verschärft haben, mag das politische Klima unerträglich aufgeheizt sein: es lohnt, in diese Gedichte einzutauchen. Sie sind eine distanzierte Liebeserklärung, ein "Dennoch", ein melancholisches "Trotzdem" für ein bereits vor 2001 zerrissenes und um seine Mythen gebrachtes Land.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.2009Aus Vogelperspektive
Früher mochten Dichter sich, wie es ein antiker Topos wollte, auf ihr geflügeltes Ross schwingen und die Welt im Höhenflug durchstreifen. Heute steigen sie ins Flugzeug und gewinnen dadurch den Überblick: "Man sieht sie vom Flugzeug, die namenlosen, grünen Inseln / in den ozeanischen, flachen Ebenen liegen, / zwanzig, dreißig Häuserblöcke, alles / doch, was eine Stadt so braucht." Mehr braucht es für John Updike nicht, den unermüdlichen Chronisten amerikanischer Mittelklasseträume, um sich sein Land in diesen Reisetexten aus der Vogelperspektive vorzunehmen. Das gute Dutzend Gedichte dieser Sammlung hält flüchtige Eindrücke mit pointierten Worten fest, ehe sie sogleich wieder vorbei sind - nüchterne Notate im Vorübereilen von oft genau bezeichneten Lokalitäten, die gleichwohl nur als Durchgangsort dienen, kurze Skizzen in Schwarzweiß, ganz wie die Kohlezeichnungen, die diesem zweisprachigen Bändchen beigegeben sind. Erstmals im Jahr 2001 veröffentlicht, bevor das Fliegen seine Unschuld endgültig einbüßte, bietet uns "Americana" heute die lyrische Bestandsaufnahme einer ruhelosen Airport-Lounge-Gesellschaft, die ihre eigentliche Bewegungsfähigkeit durch unentwegte Mobilitätsroutine abzustumpfen droht. "Der Flug hatte Verspätung, / so zog sich das Gerücht die Schlange durch. Schulterzucken / in unseren hoffnungslosen Mänteln. Luftfahrt / schien noch nie eine natürliche Idee." Das allerdings hat die Luftfahrt, wie wir wissen, mit sonstigen Errungenschaften der Kultur gemeinsam, die ebendeshalb wichtig werden, weil sie uns, wie Updikes Texte, das Vorfindliche unnatürlich werden lassen. (John Updike: "Americana". Reisegedichte. Aus dem Amerikanischen von Christian Lux, mit Kohlezeichnungen von Annette Kühn. Luxbooks, Wiesbaden 2008. 65 S., br., 16,80 [Euro].) todö
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Früher mochten Dichter sich, wie es ein antiker Topos wollte, auf ihr geflügeltes Ross schwingen und die Welt im Höhenflug durchstreifen. Heute steigen sie ins Flugzeug und gewinnen dadurch den Überblick: "Man sieht sie vom Flugzeug, die namenlosen, grünen Inseln / in den ozeanischen, flachen Ebenen liegen, / zwanzig, dreißig Häuserblöcke, alles / doch, was eine Stadt so braucht." Mehr braucht es für John Updike nicht, den unermüdlichen Chronisten amerikanischer Mittelklasseträume, um sich sein Land in diesen Reisetexten aus der Vogelperspektive vorzunehmen. Das gute Dutzend Gedichte dieser Sammlung hält flüchtige Eindrücke mit pointierten Worten fest, ehe sie sogleich wieder vorbei sind - nüchterne Notate im Vorübereilen von oft genau bezeichneten Lokalitäten, die gleichwohl nur als Durchgangsort dienen, kurze Skizzen in Schwarzweiß, ganz wie die Kohlezeichnungen, die diesem zweisprachigen Bändchen beigegeben sind. Erstmals im Jahr 2001 veröffentlicht, bevor das Fliegen seine Unschuld endgültig einbüßte, bietet uns "Americana" heute die lyrische Bestandsaufnahme einer ruhelosen Airport-Lounge-Gesellschaft, die ihre eigentliche Bewegungsfähigkeit durch unentwegte Mobilitätsroutine abzustumpfen droht. "Der Flug hatte Verspätung, / so zog sich das Gerücht die Schlange durch. Schulterzucken / in unseren hoffnungslosen Mänteln. Luftfahrt / schien noch nie eine natürliche Idee." Das allerdings hat die Luftfahrt, wie wir wissen, mit sonstigen Errungenschaften der Kultur gemeinsam, die ebendeshalb wichtig werden, weil sie uns, wie Updikes Texte, das Vorfindliche unnatürlich werden lassen. (John Updike: "Americana". Reisegedichte. Aus dem Amerikanischen von Christian Lux, mit Kohlezeichnungen von Annette Kühn. Luxbooks, Wiesbaden 2008. 65 S., br., 16,80 [Euro].) todö
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