Die Lepsius-Expedition nach Ägypten in den Jahren 1842-45 war eine der großen Pioniertaten der Ägyptologie und setzte neue Maßstäbe in der archäologischen Dokumentation. Mit bis dahin unerreichter Präzision wurden die antiken Baudenkmäler messtechnisch aufgenommen und zeichnerisch festgehalten.
Lepsius drang mit seinem Team dabei bis weit nach Oberägypten und zum Blauen Nil vor. Die Ausrüstung,…mehrDie Lepsius-Expedition nach Ägypten in den Jahren 1842-45 war eine der großen Pioniertaten der Ägyptologie und setzte neue Maßstäbe in der archäologischen Dokumentation. Mit bis dahin unerreichter Präzision wurden die antiken Baudenkmäler messtechnisch aufgenommen und zeichnerisch festgehalten. Lepsius drang mit seinem Team dabei bis weit nach Oberägypten und zum Blauen Nil vor. Die Ausrüstung, sowohl finanziell als auch technisch, war für die damalige Zeit überragend (auch wenn Lepsius immer wieder um Geld betteln musste) und es ist sicher kein Zufall, dass alle sechs Teilnehmer gesund und wohlbehalten in die Heimat zurückkehrten. Nur der Gipsformer Franke wurde wegen Fehlverhaltens frühzeitig zurückgeschickt.
Die Ergebnisse dieser Expedition beschäftigen die Forschung bis heute, da sie Zustände und Bausubstanz im Detail dokumentieren, die heute so nicht mehr erhalten sind. Bis in die jüngste Vergangenheit werden auch immer noch Entdeckungen in den Originaldokumenten gemacht, die nahezu vollständig überliefert sind. Die Tagebücher und Reisekorrespondenz der Teilnehmer Erbkam und Weidenbach werden bzw. wurden gerade erst publiziert.
Der Begleitkatalog zur aktuellen Ausstellung „Abenteuer am Nil“ im Ägyptischen Museum in Berlin ist die aus meiner Sicht bisher beste an Laien gerichtete Publikation zur Lepsius-Expedition überhaupt. Die anschaulich geschriebenen Beiträgen stellen alle relevanten Forschungsgebiete vor und auch die Reisebegleiter, die in der Vergangenheit immer im Schatten des übermächtigen Richard Lepsius standen, werden angemessen gewürdigt. Zur Illustration werden sowohl die vor Ort entstandenen Zeichnungen herangezogen als auch exemplarische Abbildungen aus der berühmten Publikation „Denkmäler aus Ägypten“ und anderen Sekundärquellen. Mit jedem Kapitel komplettiert sich das Bild und zeigt den gesamtheitlichen Ansatz der Expedition: Minutiöse Dokumentation des vorhandenen Großbaubestandes und der Wanddekorationen, Sammeln von transportablen Stücken (vor allem Architekturelemente) und das Erstellen von Abgüssen, insbesondere von Inschriften und Stelen. Lepsius war einer der führenden Orient-Sprachforscher des 19. Jahrhunderts und seine hervorragenden Kenntnisse der Hieroglyphenschrift ermöglichten es ihm, noch vor Ort mit bemerkenswertem Gespür bedeutende Entdeckungen zu machen, die selbst heute noch die Wissenschaft beschäftigen. Die Autoren der Textbeiträge im Katalog ordnen Lepsius‘ Leistung ein und machen deutlich, wie vorausschauend der Forscher war, aber auch, wo er irrte. Auf der anderen Seite sieht man leider nur zu deutlich, wie viel Substanz in den letzten 150 Jahren unwiederbringlich verloren ging. Lepsius‘ Dokumentation ist teilweise der einzige Zeuge, dass Denkmäler überhaupt einmal existierten und es sind vor allem Ägypter, die diesen Verlust zu verantworten haben. Raubgrabungen und rücksichtsloser Umgang mit nicht-islamischen Kulturgütern sind auch heute noch ein Problem im Land.
Der Katalog zeigt sehr eindrücklich die enorme Leistung des Lepsius-Teams und wenn die physischen Strapazen und sozialen Konflikte der Expedition, die vor allem in den Tagebüchern und Briefen des Expeditionsarchitekten Georg Erbkam festgehalten wurden (Lepsius selber schrieb nur ein „fachliches“ Expeditionstagebuch), auch etwas in den Hintergrund treten, taucht der Leser tief in die Arbeit vor Ort und die Gedankenwelt des Alten Ägypten ein. Ein ausgesprochen spannend inszenierter Begleitband zur Ausstellung, der die vielen Facetten der Expedition und ihr wissenschaftliches Nachleben anschaulich vermittelt.
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)