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Es sind doch immer die sperrigen Figuren, die wir besonders lieben. Die, die sich nicht korrumpieren lassen ... die, die angeblich zu viel nachdenken und immer ein wenig abseits stehen. Ein stiller Vertreter dieser Spezies ist der Detektiv Tabor Süden. Ihn trifft man oft auf dem Münchner Waldfriedhof an – in Zwiesprache mit seinem toten Vater oder seinem besten Freund Martin, der sich erschossen hat. Zeitweise scheint es, als würde Süden eher die Gegangenen um Rat fragen, als mit den Lebenden in Kontakt zu treten. Doch im Dienst – der ehemalige Vermisstenfahnder bei der Kripo stellt sein…mehr

Produktbeschreibung
Es sind doch immer die sperrigen Figuren, die wir besonders lieben. Die, die sich nicht korrumpieren lassen ... die, die angeblich zu viel nachdenken und immer ein wenig abseits stehen. Ein stiller Vertreter dieser Spezies ist der Detektiv Tabor Süden. Ihn trifft man oft auf dem Münchner Waldfriedhof an – in Zwiesprache mit seinem toten Vater oder seinem besten Freund Martin, der sich erschossen hat. Zeitweise scheint es, als würde Süden eher die Gegangenen um Rat fragen, als mit den Lebenden in Kontakt zu treten. Doch im Dienst – der ehemalige Vermisstenfahnder bei der Kripo stellt sein Können seit einiger Zeit der Detektei Liebergesell zur Verfügung, um sich den Vermissungen zu widmen – ist Tabor Süden ein genauer Beobachter und fast hellsichtiger Detektiv.

Ein neuer Fall für Tabor Süden und seine Kollegen:
Welche Abgründe und welch Grausamkeit der neue Fall einer Vermissung in „M“ allerdings für ihn und die Kollegen – Edith Liebergesell, Patrizia Roos und Leonhard Kreutzer – bereithalten wird, das ahnt auch Süden nicht; auch wenn er weiß, dass das plötzliche Verschwinden eines Menschen nicht selten die Tapetentür zu einer Nebenwelt öffnet, die bisher sorgfältig verborgen gehalten wurde.
Der Fall: Der Freund der Journalistin Mia Bischof, 38, ist seit mehr als einer Woche spurlos verschwunden. Ihrer Aussage zufolge hatte der vierundfünfzigjährige Siegfried Denning, Taxifahrer, am späten Sonntagnachmittag ihre Wohnung verlassen, um den Nachtdienst anzutreten. Seitdem fehlt jede Spur, das Handy des Vermissten ist ausgeschaltet und die Nachbarn sagen, sie hätten Denning längere Zeit nicht mehr gesehen. Mia Bischof wendet sich an die Detektei Liebergesell.

Was stimmt nicht mit der Journalistin Mia Bischof?
Doch dass mit dieser Frau etwas nicht stimmt, das spüren Tabor Süden und seine Kollegen. Sie hat keinen Schlüssel zur Wohnung ihres Freundes, sie deutet eine eventuelle Selbstmordgefährdung an, hat das bei der Polizei aber verschwiegen, angeblich aus Scham. Und warum glaubt eine aufgeklärte und kluge Journalistin, dass die Polizei einen erwachsenen Vermissten suchen würde? – Schließlich kann sich jeder Mensch frei bewegen und auch dafür entscheiden, einfach so zu verschwinden. Was stimmt hier nicht?

Neonazis, rechte „Schläfer“ und scheinbar rechtschaffene Bürger
Tabor Süden, der wortkarge Einzelgänger, Patrizia Ross, die auch noch in einer Szenebar arbeitet, Leo Kreutzer, 68 Jahre alt und laut Selbstzitat „der graueste Schattenschleicher der Stadt“, und Edith Liebergesell, deren Schmerz über die Ermordung ihres entführten Sohnes vor zehn Jahren sie in einer verzweifelten Umarmung umklammert … sie alle werden durch diesen scheinbar unspektakulären Fall – ein Taxifahrer ist verschwunden – in einen Strudel hineingezogen. Und hinterher wird diesmal nichts mehr so sein wie zuvor. Denn die Dämonen der Vergangenheit, die in „M“ hinter der Tapetentür lauern, kommen aus der rechten Szene.

Der Schrecken entfaltet sich nach und nach – bis zum bitteren Ende
Anfängliche Bemerkungen über rassistische Äußerungen Dennings führen auf deren Spur, und bald sehen sich die Detektive Neonazis und rechten „Schläfern“ gegenüber, die gut getarnt als scheinbar rechtschaffene Bürger die Gesellschaft unterwandern und infiltrieren. Gekämpft wird in diesem Schattenreich mit härtesten Bandagen – ein Menschenleben zählt hier nicht viel. Und die Detektive müssen bei scheinbar harmlosen Recherchen an scheinbar harmlosen Orten um ihr Leben fürchten … Die Nebenwelt, die sich in „M“ öffnet und offenbart, entfaltet ihren Schrecken nach und nach – bis zum bitteren Ende …

Autorenporträt
Ani, Friedrich
Friedrich Ani wurde 1959 in Kochel am See geboren. Er schreibt Romane, Kinderbücher, Gedichte, Hörspiele, Drehbücher und Kurzgeschichten. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet: Als bisher einziger Autor erhielt Ani den Deutschen Krimipreis in einem Jahr für drei Süden-Titel gleichzeitig. 2010 folgte der Adolf-Grimme-Preis für das Drehbuch nach seinem Roman "Süden und der Luftgitarrist". 2011 wurde der Roman "Süden" mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, ebenso wie 2014 sein Roman "M", der wochenlang auf der KrimiZEIT-Bestenliste stand. Friedrich Ani ist Mitglied des Internationalen PEN-Clubs und lebt in München.
Autoreninterview
Es hieß lange, Sie möchten keinen Tabor-Süden-Roman mehr schreiben, doch dann erschien Süden doch wieder und kümmerte sich erneut um Vermissungen, und mit "M" geht die Süden-Reihe weiter. Wie kam es zu diesem "Comeback"?

Friedrich Ani: Diese Figur ist die Sonne meiner verschatteten Gestalten, die verschwinden oder untertauchen, weil sie auf eine neue, bessere Wirklichkeit hoffen. Ich habe festgestellt, dass ich ohne Tabor Süden meine Vermissungsgeschichten nicht erzählen kann. Und es schien, als habe er schon auf mich gewartet ...

Ein starker Eindruck gleich am Beginn von "M": Die Lebenden und die Toten sind eng miteinander verbunden, fast so, als lebten sie alle in einer Welt. Süden führt Gespräche mit seinem toten Freund Martin und seinem Vater, Edith Liebergesell mit ihrem ermordeten Sohn Ingmar und Süden-Kollege Leonhard begleitet seine verstorbene Frau. Taugen die Lebenden nicht mehr, um das "Gerümpel der Gedanken" bei Ihnen abzuladen oder was fasziniert Sie an dieser Zwiesprache mit den Gegangenen?

Friedrich Ani: Die Toten sind Teil der Gegenwart der Lebenden, sie sind anwesend, ob wir das wahrhaben wollen oder nicht.…mehr
Es hieß lange, Sie möchten keinen Tabor-Süden-Roman mehr schreiben, doch dann erschien Süden doch wieder und kümmerte sich erneut um Vermissungen, und mit "M" geht die Süden-Reihe weiter. Wie kam es zu diesem "Comeback"?

Friedrich Ani: Diese Figur ist die Sonne meiner verschatteten Gestalten, die verschwinden oder untertauchen, weil sie auf eine neue, bessere Wirklichkeit hoffen. Ich habe festgestellt, dass ich ohne Tabor Süden meine Vermissungsgeschichten nicht erzählen kann. Und es schien, als habe er schon auf mich gewartet ...

Ein starker Eindruck gleich am Beginn von "M": Die Lebenden und die Toten sind eng miteinander verbunden, fast so, als lebten sie alle in einer Welt. Süden führt Gespräche mit seinem toten Freund Martin und seinem Vater, Edith Liebergesell mit ihrem ermordeten Sohn Ingmar und Süden-Kollege Leonhard begleitet seine verstorbene Frau. Taugen die Lebenden nicht mehr, um das "Gerümpel der Gedanken" bei Ihnen abzuladen oder was fasziniert Sie an dieser Zwiesprache mit den Gegangenen?

Friedrich Ani: Die Toten sind Teil der Gegenwart der Lebenden, sie sind anwesend, ob wir das wahrhaben wollen oder nicht. In meinen Romanen sind die Verstorbenen noch immer Herzensbewohner ihrer Freunde und Familienmitglieder. Für Süden ist sein ältester Freund und Kollege Martin Heuer ein Ansprechpartner für immer, und Edith Liebergesell wird nicht aufhören, mit ihrem toten Sohn zu sprechen, so lange sie nicht weiß, warum er ermordet wurde. In "M" kommt die Wahrheit ans Licht.

Im Zuge der Ermittlungen nach einer vermissten Person stoßen Tabor Süden, Patrizia Roos, Leo Kreutzer und Chefin Edith Liebergesell in "M" auf Verbindungen zur rechten Szene, die vernetzt ist und die Gesellschaft durchdringt. Wie sehr haben Sie beim Schreiben die Enthüllungen zu den NSU-Morden begleitet, wie entstand das Thema und wie hat es sich beim Schreiben entwickelt?

Friedrich Ani: Die Grundideen für den Roman entstanden vor dem Bekanntwerden der NSU-Verbrechen und des Skandals um die Ermittlungen. Danach habe ich recherchiert wie vor jedem neuen Roman und mich inspirieren lassen von den unfassbaren Ereignissen.

In "M" geht es hart zur Sache - eher ungewöhnlich für ein Süden-Buch. Erforderte das Thema "Neonazis" diese Härte?

Friedrich Ani: Der Ton richtet sich immer nach der Geschichte. In "M" passieren schreckliche Dinge, und es war mir klar, dass dies nicht ein gewöhnlicher "Süden"-Roman werden würde, in dem ich hauptsächlich das Schicksal eines Verschwundenen erzählen möchte. Diesmal geht es auch um Mord und Vergeltung und die Dämonen der Vergangenheit, die in der Gegenwart gnadenlos ihr Unwesen treiben.

Es soll ja Leser geben, die Tabor Süden noch nicht kennen. Was erzählen Sie denen über den wortkargen Detektiv?

Friedrich Ani: Tabor Süden sucht vermisste und verschwundene Personen (nicht alle Verschwundenen werden vermisst!) - früher bei der Kripo, heute als Detektiv. Erist ein großer Zuhörer und feiert das Schweigen. Manchmal neigt er zur Schwermut, dann läuft er stundenlang durch die Stadt und redet stumm auf seinen Schatten ein. Er liest Gedichte. Sein Trinkspruch lautet "Möge es nützen!". Das ist die Übersetzung von Prosit.

Sie bezeichnen sich selbst als "Gasthausbewohner" - was mögen Sie am Sitzen im Gasthaus und sitzen Sie genauso gerne im Kaffeehaus?

Friedrich Ani: Ein richtiges Kaffeehaus wie in Wien gibt es in München, wo ich lebe, nicht. Sehr bedauerlich. Also bleiben das gemeine Gasthaus und die Stüberln. Dort stehe ich, denn sitzen kann ich zu Hause auch.

Sie schreiben nicht nur höchst erfolgreiche Kriminalromane, sondern auch Gedichte, Drehbücher, Hörspielmanuskripte, Kinder- und Jugendbücher. Was bedeuten Ihnen das Schreiben, die Sprache?

Friedrich Ani: Das Schreiben und Erzählen ist für mich eine Form von Atmen. Ich bin, bilde ich mir ein, beim Schreiben in der mir angemessenen Wirklichkeit. Ich schreibe, seit ich elf Jahre alt war, und es ist das größte Glück, dass ich es immer noch tun kann.

Tabor Süden antwortet auf Fragen öfter mit "unbedingt". Wie entwickeln Sie die Sprache einer Figur, die ihr eigenen Ausdrücke?

Friedrich Ani: Die Figur muss von selbst zu sprechen anfangen, ich zwinge ihr keine Sprache auf.

Welches Buch, das Sie als Kind geliebt haben, lesen Sie heute noch gern?

Friedrich Ani: Das weiß ich nicht, ich habe so viel als Kind gelesen ...

Sie erzählten in einem früheren Interview, dass bei Ihnen die Figuren am wichtigsten sind und Sie Ihre Geschichten nach den Figuren, um die Figuren herum schreiben. Leser, die einen klar komponierten Krimiplot wollen, tun sich vermutlich schwer mit Friedrich Ani. Stört es Sie, dass Ihre Romane bei den Krimis zu finden sind und nicht bei der Belletristik/Literatur?

Friedrich Ani: Solange sie überhaupt zu finden sind, ist alles in Ordnung. Und ich schreibe ja auch Kriminalromane, also Krimis, die Romane sind oder umgekehrt.

Nebenwelten, Tapetentüren, Schattenreiche und Doppelleben spielen in den Süden-Büchern eine große Rolle. "Das plötzliche Verschwinden eines Menschen öffnete nicht selten die Tapetentür zu einer Nebenwelt, die bisher sorgfältig verborgen gehalten wurde und in der jede Person, die nun behauptete, überrascht und erschrocken zu sein, seinen eigenen Winkel, seine mit ureigenem Herzensgerümpel vollgestopfte Truhe besaß." (aus: "M"). Woher rührt Ihre Leidenschaft für das Abgründige und Abseitige?

Friedrich Ani: So abseitig empfinde ich meine Geschichten gar nicht. Ich versuche, den Menschen ins Herz zu schauen und sie zu verstehen, nicht zu beurteilen.

Was schätzen Sie an einem guten Kriminalroman?

Friedrich Ani: Wegen des Plots lese ich selten einen Kriminalroman, ich lese Genrebücher wie alle anderen Romane - wegen der Sprache, der Figuren und deren Gedanken und Empfindungen, wegen der Weltsicht des Autors und der Herausforderungen, vor die er mich mit seinem Werk stellt.

Sie leben in München-Giesing und sind Bayern-Fan, verbringen aber auch gerne Zeit auf Sylt. Was mögen Sie an der Insel, den Leuten dort?

Friedrich Ani: Das Licht, die Weite, die ruppige Nordsee (den Blanken Hans!), die Stille des Watts und die Sanftmut der Dünen, die Freundlichkeit der Nordfriesen, die "Strandmuschel" in Rantum und die "Seekiste" in Westerland, die übermütigen Hunde am Strand und so vieles mehr. Oft weiß ich gar nicht, wieso ich wieder wegfahre.

Welches Buch/Welche Bücher lesen Sie aktuell privat bzw. würden Sie gern lesen oder warten darauf, gelesen zu werden?

Friedrich Ani: Ich lese gerade wieder eine Menge von Simenon (Meister, o Meister!), dann habe ich endlich den großartigen (Kriminal?-)Roman "Das finstere Tal" von Thomas Willmann gelesen, außerdem den sagenhaft rasanten, ungewöhnlichen Kitzbühel-Roman von Albert Ostermaier, "Seine Zeit zu sterben" - im Grunde auch ein Kriminalroman. Und jetzt freue ich mich auf die neuen Bücher von Kate Atkinson und Val McDermid. Der Herbst ist gerettet.

Und natürlich zum Schluss die Frage: Woran arbeiten Sie aktuell?

Friedrich Ani: An einem guten Satz.

Interview: Ulrike Bauer, Literaturtest
Rezensionen
Anis leise, melancholische Krimis liegen immer ganz dicht an der Grenze zum großen Roman - in diesem gelingt ihm das besonders gut.

BRIGITTE, 25.09.2013

Ein dunkler Roman, kalt wie die Nacht, tröstlich wie eine Umarmung.

BRIGITTEwoman, 10 / 2013

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.10.2013

DIE KRIMI-KOLUMNE
Im braunen Sumpf: Friedrich Anis „M“
Tabor Süden ist einer von diesen unfassbar gelassenen Typen, denen das Leben einfach so passiert. Es spielt ihm Fälle zu, manchmal schenkt es ihm das Lächeln einer Frau, manchmal drischt es ihm den Selbstmord eines Freundes in den Nacken, aber zum Glück stellt ihm es öfter mal ein Bier auf den Tresen, Helles. Das mag er. Tabor Süden lässt es wirken, er lässt alles erst einmal wirken. Dann lässt er sich weitertreiben, ein schweigsamer Komet, unterwegs im Mikrokosmos München. Gelassen, stoisch, fast träge. Einem Mann wie ihm bieten sich kaum mehr als diese zwei Möglichkeiten: Ermittler oder Eremit. Er betet Hölderlin-Verse und redet lieber mit Toten als mit Lebenden, aber er will den Kontakt zur Außenwelt noch nicht abbrechen. Deshalb ist er Ermittler, inzwischen als Privatdetektiv. Seine grünen Augen sehen immer noch verdammt viel.
Im neunzehnten Tabor-Süden-Roman von Friedrich Ani stapft der Held am rechtsextremen Sumpf entlang – und am Ende legt er ihn natürlich auch trocken. Ani hat eine fesselnde Geschichte gestrickt, eine Grauen erregende vor allem, weil sie gegenwärtig ist und realistisch seit den Anschlagsplänen auf die Synagoge auf den Münchner St. Jakobsplatz und noch gegenwärtiger und realistischer durch den NSU-Prozess. Geht der rechte Terror weiter? Bleiben die Braunen wirklich so unbehelligt? Und was ist, wenn die Ermittlungsbehörden weiterpfuschen wie in Friedrich Anis Kriminalroman, wenn sich Verfassungsschützer und Kriminalbeamte gegenseitig ausspielen? Für Ani und seinen Helden ist klar, dass die NPD besser heute als morgen verboten werden muss.
Eine blonde Frau mit Zöpfen kommt in die Detektei Liebergesell, bei der Tabor Süden angeheuert hat, seit er nicht mehr bei der Kripo arbeitet. Die Vermisstensuche bleibt aber sein Spezialgebiet. Die Kundin vermisst ihren Geliebten. Dass die Frau, die auf ihren Pullovern gern die Zahl 28 trägt und als leitende Lokalredakteurin für eine Münchner Tageszeitung arbeitet, tief im braunen Abschaum steckt, finden Süden und seine Kollegen mit der Zeit heraus. 28 – diese Chiffre steht für die Buchstaben B und H, Blood & Honour, ein Slogan der Neonazis.
Die Detektei Liebergesell besteht neben Süden aus der Chefin, dem Rentner Kreutzer, der sich selbst als „grauesten Schattenschleicher der Stadt“ bezeichnet, und aus einer Göre Anfang dreißig, sie jobbt in einer Bar und heißt Patrizia. Perfektes Team. Nur dass die Chefin, eine Matrone, die ihr ermordetes Kind beweint, gerade in einer Jahrestags-Trauerphase steckt und der Rentner bald von Neonazi-Schlägern aus dem Verkehr gezogen wird. Friedrich Ani lässt viel geschehen, auch in den Vorgeschichten und Nebenhandlungen. Auf wundersame Weise bringt er sich und seine Detektive aber immer wieder zum Kern der Geschichte zurück: zur Suche nach dem Taxifahrer Denning, die immer weiter in den rechtsextremistischen Abgrund führt.
Ani denkt sich in seine Protagonisten hinein und beleuchtet die Welt aus ihrer Perspektive. Die Auftraggeberin mit den blonden Zöpfen zum Beispiel gibt hier ihr Innerstes preis: Sie will ein Kind, sie geht auf die vierzig zu – und der Taxifahrer Denning ist der einzige, von dem sie dieses Kind haben will. Es ist ein starker Ich-muss-jetzt-Mutter-werden-Instinkt, der sie zu den Detektiven treibt, er dominiert alle anderen Gefühle, sonst ginge Anis Geschichte nicht auf. Als Leser muss man sich aber erst überwinden zu akzeptieren, dass bei einem eiskalten Nazigeschöpf Liebe zu einem Mann wichtiger werden kann als die selbst gewählte Lebensaufgabe, das deutsche Volk und die nordische Rasse rein zu halten. Wer Ani die Gefühle dieser Frau abzunehmen bereit ist, den wird dieses Buch in seinen Bann ziehen.
M ist ein München-Krimi. Doch die Frau mit den blonden Zöpfen, ihren Vater, den Übervater der braunen Terrorgruppe, und die Detektive kann es überall geben. Nur Tabor Süden nicht, der braucht sein Bier in Giesing. Zu lachen hat er nicht viel, zu reden auch nicht, aber manchmal schmeckt ihm das Leben.
RUDOLF NEUMAIER
  
Friedrich Ani: M. Ein Tabor-Süden-Roman. Droemer Verlag, München 2013. 368 Seiten, 19,99 Euro, E-Book 17,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Der neue Krimi von Friedrich Ani erinnert Sylvia Staude doch sehr an die Geschichte der NSU-Morde und das Ermittlungdesaster der Geheimdienste. Sogar Beate Zschäpe meint Staude in einer Figur wiederzuerkennen. Abgesehen von diesen der Rezensentin offenbar nicht ganz geheuren Bezüge, findet Staude im Buch den gewohnten Ani-Sound, eine klischeefreie atmosphärische Verdichtung. Dass sämtliche Figuren, der Kommissar eingeschlossen, mit einer dunklen Seite aus Angst und Zweifel ausgestattet sind, gefällt Staude. Ebenso, dass der Autor den Leser stets in kleinbürgerliche Milieus entführt, hier das der Münchner Eckkneipen, in denen im Text allerdings die rechte Gesinnung gedeiht.

© Perlentaucher Medien GmbH
Vor acht Jahren hatte der Autor seinen Helden bereits ausgemustert, vor drei Jahren kehrte Tabor Süden zurück. Im 18. Krimi dieser Reihe läuft der etwas andere Ermittler nun zur Höchstform auf. (.,.) Tabor Süden zu verstehen, ist nicht leicht, was ihn, gerade wegen der Aura der Unnahbarkeit, so interessant und einmalig macht. Es lohnt sich deshalb, mit dem ersten der 18 Krimis aus dem Jahre 2001 anzufangen; bereuen wird man es zu keinem Zeitpunkt. FreiePresse 20131206
Ermittlerporträt
Er ist ein großer Schweiger, hervorragender Zuhörer und hat sich auf "Vermissungen" spezialisiert: Tabor Süden. Friedrich Ani schickt den Ermittler - nun bei der Detektei Liebergesell angestellt - durch München, und gerade seine sperrige Art und tiefe Melancholie scheinen den Lesern nahezugehen und nahezukommen. Dieser Tabor spricht mit Toten, und sie scheinen ihm oft näher als die Lebenden - und er verleitet durch seine wortkarge Gesprächsführung so manchen Menschen dazu, mehr preiszugeben, als er eigentlich wollte. Vielen ist sein Schweigen peinlich und sie plappern drauf los, nur um die Stille zu überdecken. Tabor Süden ist Schweigen nie peinlich. Der wortkarge Detektiv hört viel lieber zu. Darin ist er ein Meister, geduldig und empathisch. Er ist da, wenn man etwas zu erzählen hat, und er versteht etwas vom Leben. So verwundert auch seine Spezialisierung auf die Suche nach vermissten Personen nicht: Denn so mancher fiel nicht einem Verbrechen zum Opfer, sondern hat sich aus seinem alten Leben geschlichen, um ein neues Leben anzufangen; irgendwo anders und manchmal auch mit irgendwem anders ...

Die Gescheiterten und Gebrochenen sind Süden nahe - und genau deshalb gelingt es ihm oft, Schwingungen von noch lebenden Verschwundenen aufzunehmen und sie zu finden. Vielleicht liegt es daran, dass sein Vater nach dem Tod der Mutter ein anderer wurde, beschloss, zu verschwinden, innerlich wegzugehen - bis er dann, drei Jahre später, auch äußerlich wegging, "einen leeren Stuhl zurückließ, seine Lederjacke, einen unbegreiflichen Brief und die Küche ohne ein einziges Trostbrot. Das war an einem Sonntag gewesen, zwei Tage vor Heiligabend. Obwohl Tabor schon sechzehn und geübt darin war, sich gegen die weißen Wände der Einsamkeit zu stemmen und keine Fragen mehr an seine tote Mutter, an Gott und die Madonna in der Kirche zu stellen - und stattdessen Gedichte las, Musik hörte und im Wald Bäume umarmte - , empfand er das Haus an jenem Nachmittag wie ein im schwarzen Weltall vergessenes Raumschiff." Diese Einsamkeit wurde er nie wirklich los - daran ändert auch das Interesse der Frauen an Tabor Süden nichts. Mit seiner schwarzen Jeans, der Lederjacke, den halblangen Haaren, den grünen Augen und dieser Sensibilität zieht er so manche in Bann. Doch Tabor Süden spaziert meist doch lieber allein über den Friedhof, hält Zwiesprache mit den Toten, philosophiert mit ihnen über das Leben.