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Ein Gespenst geht um in Europa: der Neoliberalismus. Der "Neoliberalismus" ist zu einem meist negativ konnotierten Schlagwort verkommen. Dieses Buch möchte einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte leisten und die geistes- und zeitgeschichtlichen Ursprünge des Neoliberalismus erhellen. Der Wirtschaftshistoriker Philip Plickert analysiert den Niedergang des klassischen Liberalismus und dessen Krise im frühen 20. Jh. In der Zwischenkriegszeit entwickelten sich vier Zentren eines erneuerten Liberalismus: Wien, London, Freiburg und Chicago. 1947 gründete Friedrich August von Hayek die Mont…mehr

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Produktbeschreibung
Ein Gespenst geht um in Europa: der Neoliberalismus. Der "Neoliberalismus" ist zu einem meist negativ konnotierten Schlagwort verkommen. Dieses Buch möchte einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte leisten und die geistes- und zeitgeschichtlichen Ursprünge des Neoliberalismus erhellen. Der Wirtschaftshistoriker Philip Plickert analysiert den Niedergang des klassischen Liberalismus und dessen Krise im frühen 20. Jh. In der Zwischenkriegszeit entwickelten sich vier Zentren eines erneuerten Liberalismus: Wien, London, Freiburg und Chicago. 1947 gründete Friedrich August von Hayek die Mont Pèlerin Society (MPS) als Sammlungspunkt der versprengten und marginalisierten Neoliberalen. Aktive Mitglieder der MPS waren einflußreiche Denker wie Hayek, Ludwig von Mises, Milton Friedman, James Buchanan, Walter Eucken, Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow sowie Ludwig Erhard. Das Buch schildert, gestützt auf reiches Quellenmaterial, den schwierigen Aufbau der MPS, unterschiedliche strategischePerspektiven, den frühen politischen Durchbruch in Deutschland mit Erhards Wirtschaftsreform, die interne Krise um 1960 und die langfristige Ausstrahlung der MPS als intellektueller Kernorganisation der Neoliberalen auf Wissenschaft und Politik.
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Autorenporträt
Philip Plickert, geb. 1979 in München, hat Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der Universität München und an der London School of Economics studiert. 2007 Promotion mit einer ideengeschichtlichen arbeit an der Universität Tübingen. Neben dem Studium freie Mitarbeit bei verschiedenen Zeitungen und dem Rundfunk. Seit April 2007 Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. 2009 erhielt er den Ludwig-Erhard-Förderpreis für Wirtschaftspublizistik, 2010 den Bruckhaus-Förderpreis der Hanns Martin Schleyer-Stiftung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.08.2008

Der Neoliberalismus wird siebzig

Ideen entfalten ihre Macht: Ein Häufchen liberaler Intellektueller hat die Wirtschaftspolitik der ganzen Welt umgekrempelt.

VON PHILIP PLICKERT

Der Neoliberalismus war ein Kind der Krise der dreißiger Jahre. Auf Große Depression, Massenarbeitslosigkeit und Elend folgte der Aufstieg totalitärer Regime. Weite Kreise machten die Marktwirtschaft für das Chaos verantwortlich. Deshalb setzten immer mehr Staaten auf straffe Kontrolle und Lenkung der Wirtschaft. Die verbliebenen Liberalen waren in der Defensive.

Ende August 1938, vor siebzig Jahren, traf sich eine kleine Gruppe marktwirtschaftlich denkender Ökonomen und Publizisten zu einer internationalen Konferenz in Paris, dem Colloque Walter Lippmann. In seiner Streitschrift "The Good Society" hatte der bekannte amerikanische Autor Lippmann verschiedene totalitäre Ideologien kritisiert: Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus gleichermaßen. Zugleich warnte er vor einem "schleichenden Kollektivismus" auch im Westen. Die sich in Paris versammelnden Liberalen, unter ihnen der noch unbekannte Friedrich August von Hayek, suchten nach Antworten auf die existentielle Krise ihrer Denkrichtung.

Wenn heute über "Neoliberalismus" gesprochen und gestritten wird, dann hat das nur noch wenig mit der ursprünglichen Idee zu tun. Das Wort "neoliberal" ist zu einem Schimpfwort verkommen, dem die gleiche Bedeutung zugeschrieben wird wie "Manchester-Liberalismus". Dabei wollten sich die frühen Neoliberalen von diesem gerade distanzieren.

Ihre Vertreter wie Walter Eucken und Alexander Rüstow kritisierten das "Laissez-faire" des neunzehnten Jahrhunderts. Sie machten es verantwortlich für die Entstehung von Kartellen und wirtschaftlicher Konzentration, die einer freiheitlichen und gerechten Ordnung gefährlich waren. Der Staat - so ihre Vorstellung - solle gerade nicht auf die völlige Selbstregulierung der Wirtschaft hoffen. Er müsse vielmehr einen wettbewerbspolitischen Rahmen setzen. Die frühen Neoliberalen wünschten sich den Staat schlank, aber stark, um nicht zur Beute der Interessengruppen zu werden.

Um vom Liberalismus zu retten, was zu retten war, wagten sie eine Abgrenzung vom historischen Liberalismus: Ihre Antwort auf die Krise war der "Neoliberalismus". Der sollte kompromisslos auf eine Wettbewerbsordnung setzen. Denn starker Wettbewerb hält nicht nur die Märkte flexibel, er kommt über niedrigere Preise und bessere Produkte den Verbrauchern zugute.

Der Versuch, schon 1938 in Paris eine internationale Vereinigung zu bilden, scheiterte. Es kam zu einigen kleineren Konferenzen, auch mit Gewerkschaftsführern, aber der Ausbruch des Krieges setzte diesen Aktivitäten ein Ende.

Der gebürtige Wiener Hayek, der nun in London lehrte, hatte die Diskussionen aufmerksam verfolgt. Er kam zu der Erkenntnis, dass nicht politischer Aktivismus, sondern Ideen zählen. Langfristig könnten sie die Geschichte lenken. Auch Hayeks linker Gegenspieler John Maynard Keynes hatte in seiner "General Theory" geschrieben: "Die Ideen der Ökonomen und politischen Philosophen, seien sie richtig oder falsch, sind wirkmächtiger als allgemein gedacht. Die Welt wird tatsächlich von nichts anderem regiert."

Nach dem Krieg wagte Hayek einen neuen Anlauf, eine Vereinigung neoliberaler Intellektueller zu gründen. Dies gelang ihm mit der Mont Pèlerin Society. Benannt war sie nach einem kleinen Berg in der Schweiz am Genfer See. Dort trafen sich über die Ostertage 1947 insgesamt 39 hochkarätige Intellektuelle, darunter Wilhelm Röpke und Eucken, der Kopf der Freiburger Schule, die emigrierte Wiener Schule um Ludwig von Mises, der Philosoph Karl Popper sowie der junge Milton Friedman von der Universität Chicago.

Zehn Tage lang diskutierten sie über die ökonomische und politische Krise ihrer Zeit und suchten Strategien zur Wiederbelebung einer liberalen Weltordnung. Einige waren verzweifelt. Sie sahen sich umgeben von einem Meer aus freiheitsfeindlichen Ideologien; nicht nur der Vormarsch des Kommunismus in Osteuropa, auch die Ausbreitung halbsozialistischer Wohlfahrtsstaaten im Westen beunruhigten sie zutiefst. Individuelle Freiheit, Verantwortung und Würde seien gefährdet, wenn kollektivistische Ordnungen den Handlungsspielraum des Einzelnen immer weiter einschränkten. Staatliche Lenkung der Wirtschaft sahen sie - nach dem Buchtitel von Hayek - als "Weg in die Knechtschaft".

Anfangs erntete ihre Gesellschaft eher Spott. So mokierte sich Joseph Schumpeter über das vergebliche Unterfangen der neoliberalen "Ökonomen vom Berg". Sie seien unbedeutend und irrelevant. Die Einwände der Gesellschaft gegen die zunehmende staatliche Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft galten als überholt. Auch einer ihrer Mitgründer, Röpke, war skeptisch, ob die Gesellschaft erfolgreich oder nur "eine Art von liberaler Freimaurerei" würde.

1947 hätte wohl kaum einer erwartet, dass die Mont Pèlerin Society, die anfangs so marginal und isoliert war, fünfzig Jahre später in der englischen "Sunday Times" als "der einflussreichste, aber kaum bekannte Thinktank des zwanzigsten Jahrhunderts" bezeichnet werden würde. Wie Karl Marx und seine Internationale hatten Hayek und seine neoliberale Geistesbrigade die Welt verändert. Ihr Erfolg in der Wissenschaft ist unübersehbar. Allein acht Mitglieder der Gesellschaft erhielten bis heute den Wirtschaftsnobelpreis, allen voran Hayek im Jahr 1974 und Milton Friedman 1976.

Ein früher Durchbruch gelang den Neoliberalen ausgerechnet im kriegszerstörten Deutschland, als Ludwig Erhard 1948 eine abrupte Entfesselung des Marktes wagte. Die Grundzüge dieser Politik waren am Mont Pèlerin skizziert worden. Eucken erklärte dort, weshalb in Deutschland die Produktivkräfte gefesselt waren: Das alte, wertlose Geld motivierte niemanden zu Leistung, und die staatlich festgelegten Preise waren so unrealistisch, dass alle Waren und Rohstoffe gehortet wurden. Nur eine Währungsreform in Verbindung mit einer Freigabe der Preise konnte einen wirtschaftlichen Aufschwung bringen, glaubte Eucken. Genau dies wagte Ludwig Erhard im Juni 1948 - gegen den Widerstand einer breiten Front von Zweiflern.

Als Wirtschaftsminister wurde Erhard prominentes Mitglied der Mont Pèlerin Society. Er fühlte sich wohl im Kreise der Neoliberalen, mehrfach trat er als Redner auf. Die Gesellschaft, die anfangs stark von Deutschen oder Emigranten aus dem deutschsprachigen Raum geprägt war, wandelte sich aber in den frühen sechziger Jahren, als ein Streit die Gesellschaft an den Rand der Spaltung führte.

Die Kontroverse führte letztlich dazu, dass der schwerkranke Röpke und sein Freund Rüstow die Gesellschaft verließen. Damit schied die soziologisch orientierte Richtung des Neoliberalismus aus, die als Voraussetzung für eine Marktwirtschaft eine bürgerlich-konservative Gesellschaftsordnung ansah.

Zugleich radikalisierte sich das neoliberale Denken: In Amerika stieg Milton Friedman, der Vordenker des "Monetarismus", zum neuen Star der Wirtschaftswissenschaften auf, der zeitweise auch Hayek überstrahlte. Die jüngere Chicagoer Schule um Friedman glaubte nun nicht mehr, dass der Staat als echter Wettbewerbshüter auftreten könne, sondern sah ihn fest in der Hand von Interessengruppen. Je weniger Staat, desto besser der Markt, lautete ihr Credo. Auch Hayek forderte, der "Wettbewerb als Entdeckungsverfahren" dürfe durch keine staatliche Intervention gestört werden. Der Neoliberalismus wandte sich wieder dem "Laissez-faire" zu.

Mitte der siebziger Jahre, als die Wirtschaft in allen westlichen Industriestaaten immer tiefer in eine Stagflation - eine Mischung aus Wachstumsschwäche und steigender Inflation - fiel und die staatliche Steuerung der Konjunktur versagte, gerieten die Keynesianer in die Defensive. Nun war die Bühne frei für neoliberale Ökonomen. Nicht Ideen allein, sondern die Umstände halfen ihnen.

In Großbritannien, das in den siebziger Jahren als "kranker Mann Europas" galt, war Margaret Thatcher eine fleißige Schülerin. In Amerika fand sich mit Ronald Reagan ein eifriger Verfechter der neoliberalen Konzepte. Der Vormarsch der Neoliberalen wäre aber vermutlich nicht auf so breiter Front geglückt, hätte nicht im Hintergrund ihr Netzwerk aus Mont Pèlerin Society und Thinktanks gewirkt.

Von einer intellektuellen "Hegemonie", die linke Kritiker mit teils verschwörungstheoretischem Unterton beklagen, kann aber keine Rede sein. Außerhalb der Wirtschaftswissenschaften blieb der Neoliberalismus stets marginal. Auch sollte man die "neoliberale Revolution" der Wirtschaftspolitik nicht überbewerten. Der versprochene "Rollback" des Staates ist weitgehend Rhetorik geblieben.

Kann man in Deutschland angesichts einer Staatsquote von rund 45 Prozent und einer Grenzbelastung durch Steuern und Abgaben von mehr als 60 Prozent ernstlich von einem "entfesselten Kapitalismus" sprechen? Als der Sozialismus 1989/90 zusammenbrach, kommentierte Mont-Pèlerin-Mitglied und Nobelpreisträger James Buchanan dies mit den sarkastischen Worten: "Der Sozialismus ist tot, aber der Leviathan lebt weiter." Gemeint war der vom Philosophen Thomas Hobbes als "Leviathan" bezeichnete Staat, der den Bürgern soziale Sicherheit verspricht, dabei jedoch ihre Freiheit beschränkt.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Mit geradezu glänzenden Augen hat der hier rezensierende Ökonom Gerd Habermann dieses Buch aus den Händen gelegt, in dem er jetzt schon einen Klassiker der Wirtschaftsliteratur erblickt. Der FAZ-Autor Philip Plickert zeichnet darin die Geschichte der ur-liberalen Mont Pelerin Society nach, zu der auch der Rezensent selbst gehört (und was zu erwähnen er wohl nur vergessen hat). Auch wenn Habermann betont, dass sich hier ein sehr breites Spektrum liberaler Theoretiker versammelte - von Hayek und Mises über Popper und Rawls bis zu Eucken -, gibt er leider keine nähere Bestimmung des Begriffs Neoliberalismus, der sich doch offenbar recht entschieden gewandelt hat, und geht auch sonst wenig auf das Buch ein. Habermann kommt es vor allem darauf an, die "glänzende Minorität" des Liberalismus noch einmal ins richtige Licht zu setzen - gegen den "Leviathan" des Wohlfahrtsstaates, "autoritären Etatismus" und die Staatsquote.

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