Joshua Ferris, Ins Freie, 345 Seiten, Luchterhand 2010, ISBN 978-3-630-87297-1
Dieser Roman hat mich im Innersten mitgenommen von der ersten bis zur letzten Seite. Er zeigt mit literarischen Mitteln und einfacher Erzählung, wie brüchig unsere Welt, wie fragil unser Alltag sein kann. Wer jemals
mit Problemen der Psyche konfrontiert war oder dies in seiner nächsten Umgebung erlebt hat, den wird…mehrJoshua Ferris, Ins Freie, 345 Seiten, Luchterhand 2010, ISBN 978-3-630-87297-1
Dieser Roman hat mich im Innersten mitgenommen von der ersten bis zur letzten Seite. Er zeigt mit literarischen Mitteln und einfacher Erzählung, wie brüchig unsere Welt, wie fragil unser Alltag sein kann. Wer jemals mit Problemen der Psyche konfrontiert war oder dies in seiner nächsten Umgebung erlebt hat, den wird dieses Buch nicht unberührt lassen.
Der Roman erzählt von Tim Farnsworth und seiner Frau Jane. Tim ist ein sehr erfolgreicher Anwalt in New York und seit langem Partner und somit Miteigentümer der angesehenen Kanzlei Troyer, Barr in Manhattan. Seine Frau Jane ist eine nicht weniger erfolgreiche Maklerin und zusammen mit ihrer Tochter Becka führen sie ein wohlhabendes und abgesichertes Leben in einer riesigen Wohnung.
Bis eines Tages im Inneren von Tim etwas geschieht, was das ganze Buch über keinen eindeutigen Namen bekommt, schlussendlich als Psychose mit Medikamenten immer wieder in Schach gehalten wird, was ihn und seine Familie aber verfolgt und belastet über lange Jahre: Tim steht mitten in einer Verhandlung vor Gericht, bei einem Essen mit seiner Frau oder eine Besprechung mit seinen Kollegen plötzlich auf und geht. Er läuft so lange, bis er erschöpft irgendwo zusammenbricht, oder fast erfroren im Schnee liegt, denn oft entledigt er sich bei seinen Wanderungen seiner Kleidung, hunderte von Malen muss seine Frau Jane ihn abholen, und sie tut das mit großer Geduld. Denn dieser unerklärliche Wandertrieb von Tim belastet nicht nur zunehmend sein Familienleben und vor allen Dingen seine Beziehung zu seiner Tochter Becka, sondern auch seine Stellung in der Kanzlei.
Joshua Ferris’ geniale und unter die Haut gehende Beschreibung des Schicksals von Tim und seiner Familie zieht sich über ungefähr 15 Jahre. Es gibt keine genauen Zeitangaben und die einzelnen Kapitel gehen nicht immer chronologisch vor, sondern wechseln oft die Zeitebenen. Parallel dazu wird der Fall von R.H. Hobbs verfolgt, der seine Frau getötet haben soll, und den Tim verteidigt, bis ihm seine Partner das Mandat wegnehmen und ihn aus der Partnerschaft in ein reines Angestelltenverhältnis abstufen.
Immer wieder wechseln sich lange „Wanderphasen“ ab mit Zeiten, wo er und auch Jane wieder arbeiten können. Ihr großer Reichtum ermöglicht es ihnen, immer wieder lange Pausen einzulegen und auch die besten Ärzte zu konsultieren, Doch alle sind ratlos und so spitzt sich mit jedem neuen Anfall die Situation dramatisch zu.
Es ist ein beeindruckendes Buch über innerseelische Zustände, die jederzeit über jeden kommen können. Es ist aber auch ein bewegendes Zeugnis einer unzerstörbaren Liebe, die über eine lange Zeit größer zu sein versucht als diese mysteriöse und gefährliche Krankheit.
Ein gewaltiges und dennoch sehr sensibles Buch, hervorragend recherchiert und einfühlsam geschrieben. Ein großer Roman aus unserer Zeit.