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Ein Buch, das seinesgleichen und bis zum Ende seinen Erzähler suchtWer ist Kirio? Ein seltsamer Vogel, ein Verrückter, ein Heiliger? Seine Spur findet sich zuerst in Südfrankreich und verliert sich im Hanau der Brüder Grimm. Kirio läuft gerne auf den Händen und stellt auch sonst alles auf den Kopf. Er spielt Flöte und redet mit Steinen und Fledermäusen ebenso selbstverständlich wie mit Menschen. Er nimmt alles für bare Münze, bis auf die bare Münze selbst. Er vollbringt Wunder über Wunder und merkt es nicht. Wer also ist dieser Kirio? Und wem gehört die Stimme, die von ihm erzählt? Sie weiß es…mehr

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Produktbeschreibung
Ein Buch, das seinesgleichen und bis zum Ende seinen Erzähler suchtWer ist Kirio? Ein seltsamer Vogel, ein Verrückter, ein Heiliger? Seine Spur findet sich zuerst in Südfrankreich und verliert sich im Hanau der Brüder Grimm. Kirio läuft gerne auf den Händen und stellt auch sonst alles auf den Kopf. Er spielt Flöte und redet mit Steinen und Fledermäusen ebenso selbstverständlich wie mit Menschen. Er nimmt alles für bare Münze, bis auf die bare Münze selbst. Er vollbringt Wunder über Wunder und merkt es nicht. Wer also ist dieser Kirio? Und wem gehört die Stimme, die von ihm erzählt? Sie weiß es selber nicht! Und so ist das Rätsel auch dem Leser aufgegeben. Ist es die des Autors? Die des Schöpfers? Eines Engels? Der Phantasie? Anne Webers neuer Roman liest sich wie eine moderne Heiligenlegende und zugleich als poetischer Grenzgang zwischen Himmel und Erde.Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2017
Autorenporträt
Weber, Anne§
Anne Weber, geboren 1964 in Offenbach, lebt als Autorin und Übersetzerin in Paris. Zuletzt erschienen bei S. Fischer »Kirio«, »Ahnen«, »Tal der Herrlichkeiten«, »August« und »Luft und Liebe«. Ihr Werk wurde unter anderem mit dem Heimito-von-Doderer-Preis, dem 3sat-Preis, dem Kranichsteiner Literaturpreis und dem Johann-Heinrich-Voß-Preis ausgezeichnet. 2020 wurde sie zur Stadtschreiberin von Bergen-Enkheim ernannt und erhielt den Deutschen Buchpreis. Ihre Bücher schreibt Anne Weber auf Deutsch und Französisch.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.03.2017

Ein Purzeltraum
Kirio schlägt am liebsten Rad, spielt Flöte und wirft alles um.
Anne Weber stellt in ihrem Schelmenroman die Welt auf den Kopf.
VON JOSEPH HANIMANN
An dieser Stelle müsste sich der Rezensent eigentlich schon verabschieden, so wie es zuvor diverse Erzähler im Buch auch getan haben. Mit den üblichen Rezensionskategorien ist der Titelfigur dieses Romans nicht beizukommen. Sie hat kein Gesicht, keine Herkunft, ist die Güte in Person, ohne dies selber zu merken. Für die Figur müssten die Grammatik gesprengt und neue Fürwörter erfunden werden, denn in „er-sie-es“ passe sie schwerlich hinein, warnt schon am Anfang jener, der sie wohl am besten kennt und immer dann erzählerisch einspringt, wenn die anderen Erzähler ausfallen.
Wie zum Beispiel die Erzählerin Nummer eins, die im ersten Kapitel des Buches noch schläft. Dafür hat sie auch allen Grund, denn sie hat den sprunghaften Kirio und sein für die anderen zugleich ermüdendes und glückbringendes Herumpurzeln in der Welt aus nächster Nähe erlebt. Sie ist nämlich seine Mutter.
Doch was besagt denn das nun wieder? Dass sie es war, die in einer Ausweich-Nische eines Autobahntunnels in Südfrankreich im kurzen Scheinwerferlicht der vorbeiflitzenden Autos den Kleinen die Schatten der Welt erblicken ließ? Kaum hatte sie den Siebenjährigen in der Klavierklasse des Konservatoriums von Saint-Paul-Trois-Châteaux eingeschrieben, sagte er, er wolle lieber Flöte lernen und war dann auch bald verschwunden. Lang hält dieser Kerl es bei keinem Erzähler aus.
Das gibt der Autorin Anne Weber alle Freiheiten, nach Lust und Laune mit den Erzählformen zu spielen. Ein so ein leichtfüßig daherkommendes Kabinettstück zwischen Kindermärchen, Schelmenroman, Lebensweisheitsgleichnis und Heiligenlegende ist uns in der eher bedeutungsschweren Romanliteratur unserer Jahre nicht mehr begegnet. Mit ihrer Geschichte aus dem Leben eines ins Wunderbare gespiegelten Taugenichts hat die Autorin ein kleines Zauberding geschaffen, das nun auf der Kandidatenliste für den Preis der Leipziger Buchmesse steht.
Mit Lebensplänen, Überzeugungen, Durchsetzungskraft, Zielstrebigkeit, überhaupt Zielen, ist diesem Wesen namens Kirio nicht zu kommen. Er trollt sich durch die Welt, am liebsten auf den Händen gehend, nimmt die Dinge, wie sie kommen, die Kälte, den Hunger und die Wanzen in der Höhle in der Ardèche, in der er eine Zeit lang lebt, wie das winzige Mansardenzimmer in Paris, wo er auf der Straße Flöte spielt: ein Stottern und Schluchzen, zugleich Lachen und Weinen. Einen Unterschied zwischen gut und schlecht kennt er nicht, alles ist, wie es ist. Aber in jedem, der mit ihm in Berührung kam, wirkt diese wie eine Glücksahnung weiter. Das ist etwas Besonderes selbst für den Schwermütigen namens Winter, der an einem Wintermorgen einen Schneeball an seinem linken Ohr vorbeizischen spürt, worauf unter den zur Arbeit eilenden Parisern sofort eine heitere kurze Schneeballschlacht ausbricht, bevor sie, den Schnee von den Mänteln und Hosenbeinen abklopfend, gleich weiter zum nächsten Metroeingang eilen.
Dies alles passiert, wie gesagt, ohne jede Intention. Schon Kirios Schullehrer hatte hinter dem immerfort den Unterricht störenden Jungen nichts Störrisches, Freches oder Renitentes bemerkt, sondern einfach eine Art zu sein. Alles Umstürzlerische hängt wie zufällig und von ihr unbemerkt an dieser Figur. „Wer sich auf den Kopf stellt, stellt im selben Augenblick die Welt auf den Kopf“, sagt sich der Lehrer. Und tatsächlich ist Umkehrung, Umstülpung der Dinge, beiläufiger Umsturz in allen möglichen Varianten das Leitmotiv dieses Romans.
Das reicht von Kirios seltsamer Rede an die Fledermäuse in seiner Höhle – „Ihr Flugmäuse . . . Ihr hattet euch aus dem Staub gemacht und uns darin zurückgelassen“ – bis zu seiner Art, alles in der Welt für bare Münze zu nehmen, außer dem Geld, das er nicht zu horten und in nützliche Dinge zu verwandeln versteht.
Es gehört zum Risiko solcher Schelmenromane, sich in einer mehr oder weniger vergnügliche Episodenabfolge zu verlieren. Schon bei Rabelais’ „Gargantua“ oder bei Eulenspiegels Streichen lauerte manchmal jene Gefahr. Hier ist sie gebannt durch abwechslungsreichen, geschickt konstruierten, ständigen Erzählerwechsel. Kirio ist genügend Idee, um ein schlüssiges Lebensmodell durchscheinen zu lassen, steht aber genug in den konkreten Lebenssituationen, um damit nicht abzuheben. Man findet ihn sympathisch, doch bleibt er uns irgendwie fremd und behält mit seinem unscharfen Erscheinungsbild etwas Kurioses, nicht ganz Geheures. Der Roman wirkt mitunter wie Kafkas Kurzerzählung vom Odradek, jenem im Treppenhaus rumorenden, nie sichtbaren Rätselwesen, erzählt jedoch im heiter vergnüglichen Stil eines Jean Paul.
Die literarischen Anspielungen sind zahlreich im Buch, von Marcel Proust bis zur biblischen Menschenerschaffung, doch kann man sie auch übersehen, wie der Romanheld wohl selber es tut. Die von der Autorin gekonnt in die Episoden versteckte alternative Lebensvision strahlt auch so, bis nach Hanau, der Geburtsstadt der Brüder Grimm, in die Kirio per Mitfahrgelegenheit gelangt. Dort verliert sich seine Spur. Es entsteht aber die Gelegenheit, auch das berühmte Brüderpaar als Erzähler auftreten und in der Umkehrform des Futurs das Märchen noch einmal aufsagen zu lassen: „Es wird einmal ein wunderlicher Flötenspieler sein . . . “. Diesmal mit glücklichem Ausgang. Konstruiert? Mag sein. Man ertappt sich selber jedoch beim Wunsch, daran zu glauben, während die Autorin sich mit einer letzten eleganten Pirouette aus dem Staub macht. Nur im Tonfall hat sie sich mit den manchmal aufdringlichen englischen Konversationsfloskeln des Erzählens etwas übernommen, als gälte es, plaudernd den letzten Ballast von Ernst abzuschütteln. Zu Kirios Freiheit braucht man sich nicht mit Wortpeitschen zu prügeln.
Anne Weber: Kirio. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2017. 220 Seiten, 20 Euro. E-Book: 18,99 Euro.
So leichtfüßig wird selten
erzählt in unserer
bedeutungsschweren Zeit
Der Leser hofft und glaubt, die
Autorin macht sich mit eleganter
Pirouette aus dem Staub
Anne Webers Erzählkunststück „Kirio“ ist für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.
Foto: Isolde Ohlbaum/laif
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2017

Wer auf Händen geht, sieht mehr von der Welt
Nichts ist sicher, geglaubt, verbürgt: Anne Weber erzählt in ihrem neuen Roman "Kirio" die aberwitzige Heiligengeschichte eines Glückskinds

"Wer bin ich?", fragt Kirio gleich zu Beginn dieses rätselhaften Romans, der seinen Namen trägt, damit wenigstens das gesichert ist. Seine Frage aber zu beantworten, ist nicht die einfachste Aufgabe, wie sich im Laufe der Geschichte noch herausstellen wird. Nicht einmal Kirio selbst weiß es mit Gewissheit zu sagen: "Aber ich habe die Hoffnung, einem Detektiv in die Hände gefallen zu sein. Einem Leser mit detektivischem Gespür. Und am besten einem ebensolchem Autor. Wenn ich Glück habe und sie es darauf anlegen, werden sie mir auf die Spur kommen. Und am Ende werden wir alle wissen, mit wem oder was wir es zu tun haben."

So also lautet die Spielanordnung zu Anne Webers irrwitziger literarischer Phantasie: Identität oder so etwas wie Authentizität ist so leicht nicht zu haben. Denn was ist schon ein Ich, zumal wenn es sich um ein reines Phantasiegeschöpf, man könnte auch sagen, eine Kopfgeburt handelt? Für Kirio müsste man die Grammatik sprengen, heißt es im Roman einmal, neue Worte und am besten ganz neue Buchstaben erfinden: "Ich du er sie es wir ihr sie. Das soll's gewesen sein? Damit ließe sich alles erfassen?" Nun also ist der detektivische Leser gefragt, zumal die vielen Stimmen, die neben den verschiedenen Erzählerinnen auftreten, sich auch nie sicher sind, wer sich hinter dem zentralen Hirngespinst verbirgt.

Wer sich in Anne Webers multiperspektivischem Kaleidoskop auf die Spur dieses französischen Luftgeistes begibt, in dessen Gegenwart die wundersamsten Dinge geschehen, kommt schon beim Namen ins Grübeln. So wenig wir über Kirios Herkunft wissen, der in einem Autobahntunnel irgendwo unter den Alpen zwischen Savoyen und dem Piemont geboren wurde, so vielsagend ist sein Name: Nicht nur gab es einst einen bretonischen Bischof, der so hieß und der, weil er Kranke von Geschwüren und anderem Übel erlöst haben soll, als Heiliger verehrt wird. In Kirio steckt auch das griechische Kyrios, das Göttliche. Und sogar etwas Französisches findet sich noch darin: "Qui rit" - der, der lacht.

Zu lachen gibt es immer wieder in dieser postmodernen Heiligengeschichte, in der uns die deutsche Autorin mit Wohnsitz Paris auf höchst unsicheres Terrain führt. Ein Großteil der Komik bezieht der Roman aus dem Umstand, dass Kirio tatsächlich von Grund auf gut ist, jedenfalls ohne jeglichen Argwohn und ohne Absicht. Jede Schlechtigkeit des Lebens tropft an ihm ab wie Wasser an lackiertem Blech. Darin ist er nicht nur eine Art französischer Wiedergänger jenes unerschütterlich netten Amerikaners Forrest Gump aus dem Roman von Winston Groom. Er trägt auch Züge von Sybille Bergs grundgutem Helden Toto aus ihrem Roman "Vielen Dank für das Leben". Wie dieser lässt sich auch Kirio den Glauben an das Gute nicht nehmen, ja mehr noch: Er denkt erst gar nicht in Kategorien von gut und böse. Damit hat es dieser Held unter die Finalisten für den diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse gebracht.

Und wie es sich für eine ordentliche Legendengeschichte gehört, haben wir es deshalb auch in "Kirio" mit überliefertem Wissen zu tun. Nichts ist verbürgt, alles, was geschildert wird, muss geglaubt werden, so hanebüchen es auch ist. Das beginnt schon mit der Verkündigungsszene am Telefon, in der die Erzählerin Nummer eins, die eben noch gar nicht einsatzbereit war, weil sie noch im Bett lag und schlief, auf das kommende Ereignis vorbereitet wird. Nach der abenteuerlichen Geburt wird Kirios Leben mehr oder weniger chronologisch erzählt: Wie das Kind wächst und gedeiht, wie es mit drei Jahren seinen Namen schreiben und bald sämtliche Sternbilder aufsagen kann, aber bis es sieben ist, kein Wort gesprochen hat. Wie es später zur Schule geht und von seinen Klassenkameraden gemocht wird, weil Kirio einfallsreich ist und immer guter Dinge. Und manchen auch das Leben rettet. Und wie Kirio dann eines Tages Paris verlässt und bei einer stummen Frau im Wald die Lust kennenlernt, ehe er sich vom Mistral weiter gen Süden tragen lässt. Irgendwann, aber keineswegs zufällig landet er schließlich in Hanau, der Heimat der Brüder Grimm. Spätestens hier zeigt sich, dass sich Webers Text auch einer Gattungzugehörigkeit widersetzt: In die Legende mischen sich Märchentöne oder auch umgekehrt.

Insgesamt aber schlägt Anne Weber einen gänzlich anderen Ton an als etwa in ihrem vorherigen Buch "Ahnen", in dem sie sich auf die Suche nach einem Vorfahren machte, den sie nie kennengelernt und dessen Geschichte sie tief in die eigene Familienhistorie und ins zwanzigste Jahrhundert geführt hatte. "Kirio" dagegen ist ein Schelmenstück. Anarchisch, sprachverliebt und voller literarischer Hinweise auf Werke von Calvino, Pavese, Proust oder Zola. Bisweilen überschlägt sich die Lust am Wortwitz, und manches wird ausgeführt, wo es gar nicht nötig wäre. Dass sich etwa Kirio am liebsten auf den Händen durchs Leben bewegt, ist ja schon ein Bild, das für sich spricht. Trotzdem will die Autorin sichergehen und legt noch einmal nach, dass es "um die Erfahrung der Umkehrung" gehe, und es sinnvoll und nötig sei, nicht nur für einen Augenblick die Position zu wechseln, sondern länger darin zu verharren. "Das gängige Oben und Unten ist uns derart in Fleisch und Blut übergegangen, dass wir zunächst einmal die Decke weiterhin als Decke und den Boden weiterhin als Boden wahrnehmen möchten". Die Bodenhaftung haben wir da aber längst schon verloren und uns bereitwillig der sinnlichen Täuschung überlassen.

SANDRA KEGEL

Anne Weber. "Kirio". Roman.

S. Fischer Verlag, Frankfurt 2017. 224 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Anne Weber schafft in Szenen und meta-literarischen Reflexionen ein schwer fassbares, aber dabei ungemein klares Lese-Erlebnis, aus dem man nicht viel schlauer, aber belebt hervorgeht. Fabian May Westdeutscher Rundfunk, WDR 5 20170304