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Benutzername: 
Zabou1964
Wohnort: 
Krefeld

Bewertungen

Insgesamt 191 Bewertungen
Bewertung vom 17.09.2024
Die Frauen jenseits des Flusses
Hannah, Kristin

Die Frauen jenseits des Flusses


ausgezeichnet

Frauen im Vietnamkrieg – eine berührende Geschichte

Zugegebenermaßen wusste ich bisher sehr wenig über den Vietnamkrieg. Als dieser 1955 ausbrach, war ich noch gar nicht auf der Welt. Kristin Hannah hat sich dieses Themas jetzt auf besondere Art und Weise angenommen. Sie berichtet vom Krieg und vor allem von der Zeit nach der Heimkehr aus der Sicht einer Frau. Was der jungen Krankenschwester Frances, genannt Frank, widerfahren ist, hat mich sehr berührt.

Die junge Frances wächst wohlbehütet in Coronado Island/Kalifornien auf. Als ihr Bruder in den Vietnamkrieg zieht, beschließt sie, dass auch Frauen Helden sein können, und meldet sich freiwillig als Krankenschwester in Vietnam. Dort trifft sie auf Ethel und Barb, zwei andere Krankenschwestern, die Freundinnen fürs Leben werden sollen. Gemeinsam stehen die drei Frauen Unvorstellbares durch. Neben allem Grauen findet Frank aber auch ihre große Liebe und in ihrer Freizeit haben die Freundinnen auch jede Menge Spaß. Bis der Tag der Heimkehr in die USA kommt. Frances wird bei der Ankunft am Flughafen bespuckt, ihre Eltern meiden das Thema Krieg, niemand erkennt ihre Leistungen an. Für Frances bricht eine Welt zusammen.

Dies war mein erster Roman von Kristin Hannah. Ich habe ihn gelesen, weil mich das Thema interessierte. Die Autorin schildert am Beispiel einer jungen Frau und ihrer beiden Freundinnen, alle aus vollkommen verschiedenen Gesellschaftsschichten, wie es vielen Frauen in der Mitte des letzten Jahrhunderts ergangen ist. Aber hat sich am Verhalten der Bevölkerung heute wirklich etwas geändert? Wie gehen wir mit Veteranen um? Würdigen wir die Leistungen der Mediziner, die im Krieg ihren Dienst verrichten? Die Rolle der Frau war in den sechziger und siebziger Jahren sicherlich eine andere als heute. Im Buch wird auch auf die Themen sexuelle Befreiung und die Hippie-Bewegung eingegangen.

Frances‘ Schicksal hat mich tief berührt und auch nachdenklich gemacht. Dies war bestimmt nicht mein letztes Buch der Autorin.

Bewertung vom 13.09.2024
Der längste Schlaf
Raabe, Melanie

Der längste Schlaf


ausgezeichnet

Ich mag die Romane von Melanie Raabe sehr. Deshalb war es klar, dass ich auch ihr neustes Werk lesen musste. Die Themen Schlafen und Träumen interessieren mich zudem. Neben der spannenden Geschichte um Mara Lux ist es Melanie Raabe sehr gut gelungen, die Fakten zu diesen Themen unterhaltsam niederzuschreiben.

Mara Lux ist eine junge deutsche Forscherin, die in London lebt. Mit Ausnahme ihrer besten Freundin Roxi verbindet sie nichts mehr mit ihrem Geburtsland. Bereits als Kind hat sie in ihren Träumen schreckliche Ereignisse vorausgesehen. Daraus resultierte eine Angst zu schlafen und zu träumen. Seit vielen Jahre leidet sie an Schlaflosigkeit. Als sie eines Tages Post von einem deutschen Notar erhält, in dem ihr das Erbe eines alten Herrenhauses in einer deutschen Kleinstadt angekündigt wird, hält sie den Brief für einen schlechten Scherz. Trotzdem reist sie auf Anraten ihrer Freunde nach Deutschland, um sich das Haus anzusehen. Was ihr dort widerfährt, ist so spannend beschrieben, dass ich den Roman nicht mehr aus der Hand legen konnte.

Melanie Raabe versteht es ausgezeichnet, die Spannung von Seite zu Seite zu steigern. Mir haben die mystischen Elemente in der Geschichte sehr gut gefallen. Wer hat sich nicht schon mal gefragt, ob er etwas, das gerade geschieht, nicht schon zuvor im Traum erlebt hat? Das Setting mit der seltsamen Kleinstadt und dem alten Herrenhaus mit seinem verwilderten Garten passt ausgesprochen gut zu der mystischen Stimmung. Die Geschichte nimmt einige überraschende Wendungen, sodass ich das ein oder andere Mal mit meinen Vermutungen zur Auflösung des Rätsels falsch lag.

Mich hat der neue Roman von Melanie Raabe gefesselt und ich spreche eine klare Leseempfehlung aus.

Bewertung vom 30.08.2024
Wo Meer auf weiße Felsen trifft
Baites, Mina

Wo Meer auf weiße Felsen trifft


sehr gut

Dieser Roman hat mich besonders durch seine Thematik und das hübsche Cover angesprochen. Die Inhaltsangabe versprach eine spannende Geschichte, die sowohl in England als auch in Südafrika im Jahr 1900 spielt. Beides habe ich bekommen und noch viel mehr.

Sofie leitet in Dover das Maiden’s Gold, eine Gastwirtschaft und Pension. Sie ist eine alleinstehende Frau, die Männer stets auf Distanz hält und sich durchzusetzen weiß. In ihrem Lokal verkehren allerhand skurrile Gestalten, wie Prostituierte, Taschendiebe und Gaukler. Aber auch Touristen kehren regelmäßig ein. Alle werden von Sofie mit demselben Respekt behandelt. Eines Tages beschließt der unsympathische Eigentümer des Hauses jedoch, dieses zu verkaufen. Er verlangt eine Summe von Sofie, die sie unmöglich aufbringen kann. Ein außergewöhnliches Angebot eines geheimnisvollen Gastes könnte ihr geliebtes Lokal jedoch retten.

Ein zweiter Handlungsstrang der Geschichte spielt in Südafrika zur Zeit des Burenkriegs. Über diesen Teil der südafrikanischen Geschichte wusste ich bisher noch gar nichts. Das Schicksal der Familie Huisman hat mich sehr bewegt. Wie die beiden Handlungsstränge zusammenhängen, ergibt sich im Laufe der Geschichte.
Mina Baites konnte mich mit ihrem neusten Werk wieder fesseln. Besonders ans Herz gewachsen ist mir die Figur der Sofie. Ich habe diese moderne und herzliche Frau sofort gemocht. Da sie selbst aus ärmlichen Verhältnissen stammt, hat sie stets ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Ärmsten der Gesellschaft. Von denen mochte ich besonders Molly gerne. Aber auch die Figuren in Südafrika und die harten Umstände des Burenkrieges haben mich sehr bewegt.

Am Ende des Romans bleiben einige Fragen offen, sodass ich sehr auf eine Fortsetzung der Geschichte hoffe.

Fazit:
Bewegende und spannende Unterhaltung in der viktorianischen Zeit

Bewertung vom 16.07.2024
Der Bademeister ohne Himmel
Pellini, Petra

Der Bademeister ohne Himmel


ausgezeichnet

Auf dieses Buch wurde ich durch eine Leseprobe aufmerksam. Das Cover, das den Unterkörper eines Mannes unter Wasser zeigt, hat sofort mein Interesse geweckt. Und auch die Inhaltsangabe klang sehr vielversprechend. Das ernste Thema Demenz aus der Sicht eines 15-jährigen Mädchens erzählt zu bekommen, hatte einen ganz besonderen Reiz.

Linda lebt allein mit ihrer Mutter. Am liebsten würde sie ihrem Leben ein Ende setzen. Aber da gibt es den 86-jährigen Hubert, den dementen Nachbarn, den sie drei Nachmittage in der Woche betreut. Und es gibt ihren Freund Kevin, der fest an den Untergang der Welt glaubt. Hubert wird von der polnischen Pflegekraft Ewa betreut, die mir im Laufe der Geschichte sehr ans Herz gewachsen ist. Aber auch Linda war mir sehr sympathisch. Ihre erfrischend unkomplizierte Art, mit dem dementen Hubert umzugehen, hat mir sehr gefallen. Auf vielfältige Art und Weise versucht sie, Huberts Erinnerungen wach zu halten. Da er früher als Bademeister gearbeitet hat, bläst sie zum Beispiel einmal mit ihm Schwimmflügel auf. Das Parfum seiner vor sieben Jahren verstorbenen Frau Rosalie, auf die er trotzdem noch immer wartet, versprüht sie mit Ewa auf seinem Kopfkissen. Einige Gedankengänge fand ich für eine 15-Jährige erstaunlich erwachsen. Aber gestört hat mich diese Tatsache nicht.

Das Buch ist unterteilt in sehr kurze Kapitel von drei bis sieben Seiten. Die Zahl über jedem Artikel ist von einem scheinbar handgemalten Kreis umrundet. Der Sinn dahinter erschließt sich dem Leser bei der Lektüre des Buches. Farbiges Vorsatzpapier in einem knalligen Schwimmflügel-Orange und ein Lesebändchen runden die gehobene Ausstattung dieses Hardcovers ab.

Petra Pellini war früher in der Pflege demenzkranker Patienten tätig. Sie weiß also, worüber sie schreibt, was man ihrem Erstlingswerk anmerkt. Mich hat vor allem der lockere Schreibstil aus der Sicht eines Teenagers sehr begeistert. Weitere Werke der Autorin werde ich mit Sicherheit lesen.

Bewertung vom 12.06.2024
Provenzalische Flut / Pierre Durand Bd.10
Bonnet, Sophie

Provenzalische Flut / Pierre Durand Bd.10


ausgezeichnet

Ich verfolge diese wunderbare Reihe vom ersten Band an. Somit begleite ich den sympathischen Chef de Police municipale Pierre Durand bereits seit zehn Jahren. Ich freue mich jedes Jahr auf einen neuen Band aus der Feder von Sophie Bonnet. Ihre Beschreibungen der Landschaften, der Menschen und der kulinarischen Genüsse wecken jedes Mal mein Fernweh. Verknüpft sind diese immer mit einem spannenden Kriminalfall.

Im vorliegenden zehnten Band verbringen Pierre und seine Ehefrau Charlotte ihre Flitterwochen an der Côte Varoise. Leider haben sie nicht lange etwas von ihrer trauten Zweisamkeit. Direkt am ersten Morgen rettet Pierre einen Mann vor dem Ertrinken. Es handelt sich um einen Taucher, der trotz der sofortigen Rettungsmaßnahmen eines Notarztes leider noch am Strand verstirbt. Die örtliche Polizei geht von einem Unfall aus. Aber der Notarzt bezweifelt das. Pierre möchte Charlotte nicht enttäuschen und will sich aus dem Fall heraushalten. Als ihn der Notarzt allerdings anruft und Andeutungen macht, den Mörder des Tauchers zu kennen, lässt Pierre sich auf ein Treffen ein, zu dem der Arzt jedoch nicht erscheint. Pierre beginnt, nach dem Arzt zu suchen, versucht aber gleichzeitig, dies vor Charlotte zu verheimlichen. Ob ihm das lange gelingt, und wie sie darauf reagiert, solltet ihr selber lesen.

Der Kriminalfall ist wieder sehr spannend erzählt. Pierre stößt bei seinen Nachforschungen auf der Insel Porquerolles nicht nur auf eine traumhafte Landschaft, sondern auch auf Umweltaktivisten, die sich durch recht ungewöhnliche Aktionen Gehör verschaffen wollen. Interessant fand ich die Schilderungen des Wasserproblems, das von den Touristen noch verstärkt wird. Neben der Ermittlungsarbeit bleiben den Frischvermählten noch genügend Gelegenheiten, den kulinarischen Freuden der Region zu frönen. Bei den Beschreibungen der Speisen lief mir regelmäßig das Wasser im Munde zusammen. Sophie Bonnet fügt am Ende ihrer Romane immer ein paar Rezepte hinzu, sodass der Leser diese zuhause nachkochen kann.

Mich hat dieser zehnte Fall der Reihe wieder vorzüglich unterhalten. Man kann die Bände einzeln lesen, jeder Fall ist in sich abgeschlossen. Ich empfehle allerdings die komplette Reihe zu lesen, denn sie ist wirklich ein Genuss.

Bewertung vom 29.05.2024
Windstärke 17
Wahl, Caroline

Windstärke 17


ausgezeichnet

Nachdem mir bereits der Debütroman der Autorin – 22 Bahnen – sehr gut gefallen hatte, wollte ich natürlich auch den Nachfolger lesen. In diesem Roman geht es um Ida, die jüngere Schwester von Tilda, der Hauptfigur des ersten Buches. Wieder konnte mich die Autorin mit ihrem außergewöhnlichen Erzählstil sofort in ihren Bann ziehen.

Ida ist mittlerweile eine erwachsene junge Frau. Nachdem ihre Schwester Tilda zum Studieren nach Berlin gegangen war, blieb sie als 11-Jährige mit der alkoholkranken und depressiven Mutter allein.
Sie beginnt zu schreiben, um ihre Gefühle zu verarbeiten. Als sie – mittlerweile erwachsen – eines Tages nach Hause kommt, hat die Mutter sich das Leben genommen. Ida versinkt in Wut und Schuldgefühlen, schafft es nicht mal, zur Beerdigung der Mutter zu gehen. Schließlich verlässt sie die Wohnung und bricht alle Brücken zu ihrem alten Leben hinter sich ab. Zu Tilda, die mittlerweile in Hamburg lebt und eine Familie hat, will sie auch nicht. So landet sie auf Rügen, trifft dort Knut, in dessen Kneipe sie jobbt, und dessen Frau Marianne. Außerdem lernt sie Leif kennen, einen jungen Mann, der auch sein Päckchen zu tragen hat.

Idas Geschichte hat mich noch mehr bewegt als die von Tilda. Der Selbstmord der Mutter hat sie wütend und traurig zugleich gemacht. Streckenweise sucht sie sogar die Schuld bei sich. Ihre Wut schwimmt sie sich in der Ostsee weg. Sie schwimmt jeden Morgen bei Sonnenaufgang, egal wie das Wetter ist, bis zur völligen Erschöpfung. In Knut und Marianne, die sie spontan bei sich aufnehmen, findet sie eine Art Ersatzeltern. Marianne kümmert sich liebevoll um sie. Und dann ist da noch Leif, in den sich Ida Hals über Kopf verliebt. Die beiden kommen sich näher, aber Ida hat Angst vor der Nähe und bleibt vorsichtig. Wahrscheinlich ist die Angst vor einem weiteren Verlust zu groß.

Caroline Wahl hat eine ganz eigene Sprache. Ihre Sätze sind kurz und schnörkellos. Die Dialoge sind wie in einem Drehbuch geschrieben. Das hat mir Ida noch nähergebracht. Ich konnte ihre Wut, ihre Trauer, ihre Verletzlichkeit sehr gut fühlen.

Jetzt bin ich sehr gespannt, was Caroline Wahl als nächstes schreiben wird. In einem Interview hat sie erzählt, dass sie gerne mal einen Fantasyroman verfassen möchte. Das ist überhaupt nicht mein Genre – aber von Caroline Wahl würde ich es trotzdem lesen.

Von mir gibt es eine ganz klare Leseempfehlung.

Bewertung vom 17.05.2024
Bonjour Agneta
Hamberg, Emma

Bonjour Agneta


ausgezeichnet

Auf dieses Buch aufmerksam geworden bin ich durch das fröhliche Cover in knalligen Farben: Eine Frau mit lila T-Shirt und knallrotem Rock sitzt lachend auf einer Schaukel vor strahlendblauem Himmel. Die Inhaltsangabe hat mich sofort angesprochen, da ich sowohl Schweden als auch Frankreich sehr gerne mag. Die Lektüre versprach ein vergnügliches Abenteuer zu werden.

Sehr amüsant war der Einstieg in die Geschichte. Die 49-jährige Agneta lebt allein mit ihrem Ehemann Magnus in einem Haus in Schweden. Die Kinder sind aus dem Haus und melden sich nur, wenn sie Geld von Agneta wollen. Ihr Mann hat sich zum Gesundheitsfanatiker entwickelt, der auch Agneta alles verbietet, was Spaß macht. Deshalb isst sie heimlich Käse und Weißbrot und versteckt ihren Wein vor ihm unterm Bett. Ihre heimliche Sehnsucht ist ein Haus in Frankreich. Deshalb bewirbt sie sich spontan auf eine Stellenanzeige als Au Pair in der Provence. Als sie dort ankommt, findet sie statt des erwarteten Kindes einen alten, leicht dementen Herrn vor. Einar lebt, nachdem sein Lebenspartner verstorben ist, allein in einem riesigen Kloster, das er und sein Mann, sehr außergewöhnlich gestaltet haben. Agneta schwört sich zunächst, nur zwei Wochen auszuhalten, bevor sie zurückgeht. Doch dann kommt alles anders …

Agneta habe ich sofort gemocht. Sie ist leicht übergewichtig und genießt trotzdem mit allen Sinnen das Leben. Aber auch Einar, der zunächst ziemlich brummig und abweisend rüberkommt, hat sich schnell in mein Herz geschlichen. Die beiden sind ein herrliches Gespann. Dann gibt es noch die Nachbarin Bonnibelle, die sich bisher um Einar gekümmert hat und den Barbesitzer Fabien, einen charmanten Junggesellen. Beide unterstützen Agneta und sogen dafür, dass sie sich doch sehr schnell in ihrer neuen Rolle wohlfühlt. Für mich war dieser Roman wie ein kleiner Urlaub. Das französische Savoir-vivre habe ich sehr genossen. Die sympathischen Charaktere und der flüssige und witzige Schreibstil haben mich das Buch nicht aus der Hand legen lassen.

Mit großer Freude habe ich gelesen, dass Emma Hamberg bereits an einer Fortsetzung schreibt, die ich mit absoluter Sicherheit auch lesen werde.

Bewertung vom 05.04.2024
Sommerhaus am See
Poissant, David James

Sommerhaus am See


sehr gut

Eigentlich bin ich kein Freund amerikanischer Literatur. Die meisten Romane sind mir zu oberflächlich und berühren mich nicht. Bei „Sommerhaus am See“ hat mich zuerst das Cover angezogen. Es zeigt eine Frau im Badeanzug vor einem See, eingewickelt in ein grünes Handtuch, das Kinn nachdenklich auf ihre Hand gestützt. Auch die Inhaltsangabe und die Leseprobe haben mich neugierig gemacht. Meinen Entschluss, dieses Romandebüt zu lesen, habe ich nicht bereut.

Die Familie Starling trifft sich jeden Sommer in ihrem Häuschen an einem See in North Carolina. Doch dieses Jahr soll es das letzte Treffen in diesem Haus sein, da die Eltern Richard und Lisa sich entschlossen haben, das Haus zu verkaufen und ihren Lebensabend in Florida zu verbringen. Ihre Söhne Michael, der mit seiner Ehefrau Diane angereist ist, und Thad, der seinen Partner Jake mitgebracht hat, sind wenig begeistert davon, dass dieses Relikt ihrer Kindheit bald nicht mehr der Familie gehört. Gleich am Anfang des Romans geschieht ein schreckliches Unglück: Ein Junge einer anderen Familie ertrinkt im See. Michael versucht, ihn zu retten, scheitert aber. Nach und nach erfährt der Leser immer mehr über die einzelnen Familienmitglieder. Was zunächst nach einer ganz normalen glücklichen Familie aussah, entpuppt sich im Laufe der Geschichte immer mehr als eine Gruppe von Menschen mit Geheimnissen und Sehnsüchten.

Die Tatsache, dass dieser Roman im Präsens geschrieben ist, hat mich zunächst etwas gestört. Aber ich hatte mich schnell an den Schreibstil gewöhnt. Die Perspektive wechselt kapitelweise zwischen den einzelnen Familienmitgliedern und deren Partnern. Jeder hat seine Geschichte und sein eigenes Schicksal. Die Handlung spielt im Jahr 2018, Trump ist amerikanischer Präsident, was einiges an Diskussionsstoff bei der Familie Starling bietet. Die zum Teil tragischen Geschichten der Protagonisten haben mich bewegt. Einiges mag mehr oder weniger typisch amerikanisch sein, wie das Leben von Michael und Diane, die beide schuften, um sich ein Leben über ihren Verhältnissen doch nicht leisten zu können. Andere Dinge wie Alkoholismus und Untreue geschehen überall auf der Welt.

Alles in allem konnte der Autor mich mit seinem Debut überzeugen.

Fazit:
Feinfühliges Portrait einer amerikanischen Familie.

Bewertung vom 08.02.2024
Der Schacherzähler
Pinnow, Judith

Der Schacherzähler


ausgezeichnet

Auf dieses Buch aufmerksam geworden bin ich durch die zahlreichen sehr positiven Buchbesprechungen in den sozialen Medien. Da ich mit Schach überhaupt nichts anfangen kann, hätte ich um diesen Roman sonst wahrscheinlich einen großen Bogen gemacht. Und, um das gleich vorwegzunehmen, hätte mich dadurch um einen echten Lesegenuss gebracht. Für alle, die dieselben Befürchtungen haben, sei gesagt: Die Hauptfiguren spielen zwar Schach, aber man braucht absolut keine Vorkenntnisse, das Spiel an sich ist nebensächlich.

Die Geschichte beginnt mit einem alten Mann, der vorgestellt wird. Er ist seit einiger Zeit Witwer und weiß ohne seine Frau nicht so recht, wie er seinen Tag bewältigen soll. Er lebt nach einem festen Zeitplan. Ein Teil dessen ist, dass er mit seinem Schachbrett und einer Thermoskanne mit Tee in den Park geht, um dort gegen seine verstorbene Frau imaginäre Schachpartien zu spielen. Eines Tages begegnet er dort dem 9-jährigen Janne, der auf einer Skateranlage übt. Der Junge ist neugierig und geht auf den alten Mann, der sich ihm als „Oldman“ vorstellt, zu. Seine alleinerziehende Mutter Malu arbeitet in einem Café und ist oft mit der Erziehung Jannes überfordert. In der Schule gilt er als schwierig, oft muss Malu zur Lehrerin kommen und sich deren Beschwerden anhören. Erst als Janne und Oldman sich annähern, und Janne beginnt, das Schachspiel zu erlernen, wird er ruhiger. Doch eines Tages ist Oldman nicht an seinem Platz im Park.

Diese Geschichte hat mich sehr berührt. Es geht hier nicht nur um die Einsamkeit eines alten Witwers oder um die Probleme einer alleinerziehenden Mutter und deren Sohn. Dieses Buch ist viel mehr. Die Autorin vermittelt ihren Lesern, wie wichtig Freundschaft und Familie sind, ohne jemals belehrend zu wirken. Sie erzählt aus verschiedenen Perspektiven, wie sich die Protagonisten nach und nach annähern. Auch aus Oldmans Vergangenheit, die eine nicht unerhebliche Rolle spielt, erfährt der Leser einiges. Das Ende hielt für mich noch eine echte Überraschung bereit und ließ mich das Buch mit einem Lächeln im Gesicht zuklappen.

Nicht unerwähnt lassen möchte ich die sehr hübsche Gestaltung des Buches: Eingestreut in die Geschichte sind kleine Illustrationen von Vivien Thiessen, die sehr gut zu der Handlung passen. Auch die Gestaltung des Covers in einem hellen Grün mit roter Schrift hat mir ausgesprochen gut gefallen. Es zeigt einen alten Mann und einen Jungen, die nebeneinander hergehen, eingerahmt in Kastanienblätter.

Bewertung vom 25.12.2023
Lindy Girls
Stern, Anne

Lindy Girls


sehr gut

Auf diesen Roman bin ich durch das hübsche Cover aufmerksam geworden, das zwei junge Frauen in der typischen Kleidung der 20er Jahre zeigt. Auch der Klappentext sprach mich sofort an. Jazzmusik und Tanz in Berlin Ende der 20er Jahre interessierten mich sehr. Von der Autorin hatte ich bisher noch nichts gelesen, allerdings sehr viel Gutes gehört.

Erzählt wird die Geschichte abwechselnd aus der Perspektive der vier Frauen. Wally Kaluza, genannt der General, ist eine strenge Tanzlehrerin, die ihrer Tanztruppe hartes Training abverlangt. Sie findet acht Mädchen auf den Straßen Berlins, die nicht zu viel Erfahrung mit dem Tanzen haben. Eine von ihnen ist Alice, eine junge Jüdin, die tagsüber in einer Fabrik schuftet und sich alleine um ihren Bruder Ben kümmert. Thea entstammt einer reichen Familie, der sie, als sie verheiratet werden soll, den Rücken kehrt. Auf der Straße lernt sie Gila kennen, eine Sekretärin bei einer Zeitung, die davon träumt, einen eigenen Roman zu veröffentlichen.

Auf knapp 350 Seiten beschreibt Anne Stern die Gründung der Gruppe, das Training und die ersten Engagements der Lindy Girls. Nebenher geht sie noch auf diverse private Probleme der Haupt- aber auch der Nebenfiguren ein. Das Aufkommen der Nazis, die Rolle der Frau in der Gesellschaft, die Folgen des Ersten Weltkriegs. Das war mir etwas zu viel. Trotzdem hat der Roman mich sehr gut unterhalten und ich habe die Tanz- und Musikszenen ganz besonders genossen.