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Neues vom Nobelpreisträger Isaac Bashevis Singer: 27 Geschichten des großen Erzählers liegen hier erstmals auf Deutsch vor. So erzählt er von einem Handwerker, der eine Prostituierte heiraten will, oder von einem armen Klempner, der alles dafür gibt, um aus seinem Sohn einen Rabbi zu machen. Ein faszinierendes Bild der untergegangenen Welt des Ostjudentums zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Produktbeschreibung
Neues vom Nobelpreisträger Isaac Bashevis Singer: 27 Geschichten des großen Erzählers liegen hier erstmals auf Deutsch vor. So erzählt er von einem Handwerker, der eine Prostituierte heiraten will, oder von einem armen Klempner, der alles dafür gibt, um aus seinem Sohn einen Rabbi zu machen. Ein faszinierendes Bild der untergegangenen Welt des Ostjudentums zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Autorenporträt
Singer, Isaac Bashevis
Isaac Bashevis Singer wurde 1904 in Radzymin (Polen) geboren und wuchs in Warschau auf. Er erhielt die traditionelle jüdische Erziehung und besuchte ein Rabbinerseminar. Mit zweiundzwanzig Jahren begann er Gedichte zu schreiben, zunächst auf hebräisch, dann auf jiddisch. 1935 emigrierte er in die USA. Im Jahr 1978 wurde ihm für sein Gesamtwerk der Nobelpreis für Literatur verliehen. Singer starb 1991 in Surfside, Florida.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.07.2004

Rebbe und Rebbezin
Geschichten von Isaac Bashevis Singer zu seinem 100. Geburtstag
„Man kann auch in Amerika Jude sein”, sagt der junge Rabbiner, dem es in Warschau am Zuspruch der Gläubigen fehlt. Schneider will er nun werden: „In Amerika muss man nicht ein ganzes Kleidungsstück nähen. Es genügt, wenn man einen Knopf oder eine Öse annäht.” Aber das überzeugt seinen älteren Kollegen nicht, und dessen Sohn wirft gar die Behauptung ein, in Amerika gingen die Leute auf dem Kopf, was von beiden Erwachsenen aber zurückgewiesen wird.
Schließlich bucht der Rebbe eine Schiffspassage, sein Schild verschwindet vom Haustor - Vorzeichen einer „stillen Revolution”. Seine Frau legt ihr Seidenkopftuch ab und setzt eine Perücke auf, den Söhnen werden die Schläfenlocken gestutzt, und er selbst vertauscht den Seidenkaftan mit einem Mantel aus Baumwollrips: „Einmal traf ich ihn beim Zeitungslesen an. Er schlug sogar kurz einen Roman auf. Es war, als sagte er stumm: Da Gott mich nicht braucht, brauche ich ihn auch nicht.”
Da Gott alle Warnungen in den Wind schlägt, reist der Rebbe mit seiner Familie ab. Je weiter sie nach Westen vordringen, desto deutlicher wird der Verfall. In Brüssel soll der Rebbe in einem Restaurant gespeist haben, das nicht gut koscher war. Abgründe tun sich auf, und der Erzähler gesteht, dass sie auch ihm selbst, dem Rabbiner-Sohn, durchaus reizvoll erschienen: „Ich hatte den starken Wunsch fortzugehen - jedesmal, wenn ich einen Zug pfeifen hörte, wurde diese Sehnsucht wieder wach. In meiner Phantasie sah ich den Rebbe in einer Fabrik, barhaupt, glattrasiert, eine Schickse zu jeder Seite.”
Nach einigen Monaten in der Fabrik aber spürt der verlorene Sohn, dass ihm die Kraft fehlt. Nun will er das Schächten lernen und schreibt aus Amerika nach Warschau, um sich das einschlägige Handbuch, das „Tewuot Schor”, schicken zu lassen.
Ähnliche Wege
In gewisser Weise zeichnet die Geschichte „Ein Rebbe in unserer Straße” auch den Weg des Isaac Bashevis Singer nach, der nach eigenen Angaben am 14. Juli 1904 im polnischen Radzymin als Sohn einer Rabbinerfamilie geboren wurde. Auch er ist 1935 nach Amerika ausgewandert, auch er ist der jüdischen Tradition und der jiddischen Sprache verbunden geblieben. Auch er war prädestiniert Rabbiner zu werden und wurde dann etwas anderes - Schriftsteller wie sein zehn Jahre älterer Bruder Israel Joshua, der den Weg vieler osteuropäischen Juden - vom Dorf Bilgoraj bis in die Großstadt Warschau und sogar bis nach New York - ganz miterlebt hatte.
Angesichts der Geschichten, die der Band „Ein Bräutigam und eine Braut” versammelt, scheint dieser Ortswechsel gar nichts so bedeutsam. Man kann nach New York gehen, kann sich den Bart und seinen Söhnen die Schläfenlocken abschneiden, doch irgendwann kommt der Tag, wo man sich das „Tewuot Schor” nachschicken lässt.
Singer beschreibt einen Mikrokosmos voller verknäuelter Lebenslinien, die sich alle in jenem Zimmer kreuzen, wo sein gelehrter Vater versucht, sie zu entwirren. Es geht um wahre, um vorgetäuschte und lächerliche Liebe, um Ehebruch und Ehescheidung, um „Lärm, der beim Studium stört”. Ein Totengräber klagt über die Untreue seiner Frau - und mag doch nicht auf die gute Stimmung verzichten, die ihr Liebhaber verbreitet. Der Zorn eines Bäckers ist eindeutiger: „Rabbi, ich schäme mich, es zu sagen, aber sie küsst ihn. Sie küsst ihn ununterbrochen, hätschelt ihn, sorgt sich um seine Gesundheit. Er frisst zu wenig, er schläft zu wenig.” Da könne es nur eine Lösung geben: „,Rabbi, entweder ich oder der Hund‘, dröhnte Sainwel, ,Für uns beide ist im Haus kein Platz.‘”
Die kleine Welt
So einfach aber geht es nicht zu. Am Ende sind ein toter Hund, ein zerquetschter Käsekuchen und ein verletzter Bäcker zu beklagen, der seine Frau nun aber wieder für sich hat. Fast. An die Stelle des Hundes sind zwei Kanarienvögel und ein Papagei getreten. Ein Papagei, der Jiddisch spricht, und niemand hätte damals geglaubt, dass man diese Sprache bald zu den aussterbenden zählen würde. Isaac Bashevis Singer, der 1978 den Nobelpreis erhielt und 1991 starb, war einer ihrer letzten großen Autoren.
Ihren Weg in die Welt aber haben auch die jetzt vorliegenden Erzählungen, die zwischen 1955 und 1960 im „Forverts” erschienen, über das Amerikanische genommen. Neben Romanen wie der Saga „Die Familie Moskat” (1950) und „Der Zauberer von Lublin” (1960), neben Stücken wie dem erfolgreich verfilmten „Yentl, the Yeshiva Boy” (1974) und vierzehn Kinderbüchern, waren es vor allem seine über hundert Erzählungen, die Singers Ruhm begründeten. Ihr Erfolg in der großen Welt beruht nicht nur darauf, dass sie eine Welt überliefern, die es nicht mehr gibt, sondern dass sie jene kleine beschreiben, um deren Ordnungen tagtäglich gerungen wird. Man könne doch, argumentiert jener ausreisewillige Rebbe, auch in Amerika Jude sein. Und der weise Vater beginnt seine Entgegnung mit zwei Wörtern, die der Quell aller Geschichten Singers sind: „Ja, aber...”
ULRICH BARON
ISAAC BASHEVIS SINGER: Ein Bräutigam und zwei Bräute. Geschichten. Aus dem Amerikanischen von Sylvia List. Carl Hanser Verlag, München 2004. 216 Seiten, 17,90 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2004

Die Zuhälter am Trauhimmel
Pflichtlektüre: Nachgelassene Erzählungen von Isaac Bashevis Singer

Ehestreitigkeiten, Liebesunfälle und anderer Schlamassel - es geht hoch her in der Warschauer Krochmalnastraße 10. Fast jede der 27 autobiographischen Erzählungen des Nobelpreisträgers von 1978 - eine postume Ausgrabung ersten Ranges - beginnt auf die gleiche Weise: Die Tür geht auf, und ein fremder Mensch stürzt herein, schwer beladen mit Sorgen, und wendet sich um Hilfe an den Nachbarschaftsrabbi.

Dessen bescheidenes Heim ist das Zentrum der jüdischen Gemeinde. Es dient als Gerichtshof "Beth din") und psychotherapeutische Ambulanz, als Ort für Talmud-Debatten und Erste-Hilfe-Station für Liebeskranke. "In meinen Büchern kehre ich immer wieder in die Krochmalnastraße 10 zurück", meinte Singer einmal. "Ich kann mich noch genau an jeden Winkel und jeden Bewohner erinnern. Andere graben nach Gold, aber für mich ist diese Straße meine Goldader." Sie ist die Lebensschule des Erzählers, wie dieser Band aufs schönste zeigt.

Die Geschichten über "meinen Vater, den Rabbi" lesen sich wie die Folgen einer Serie. Dank ihrer Mischung von Vertrautem und Neuem, Wiederholung und Variation hat der Leser bald das Gefühl, in diesem Buch zu Hause zu sein. Ein kindlicher Blick wird vorgegeben. Der Erzähler erinnert sich an das, was er einst miterlebte, wenn die Erwachsenen stritten oder der Vater ihn schickte, um Beklagte vorzuladen. Aber damit ist keine Beschränkung aufs Infantile verbunden. Ungezwungen wechselt die Perspektive zwischen kindlichem Einst und erzählerischem Jetzt, zwischen Naivität und Gewitztheit.

Männer oder Frauen kommen zum Rabbi, um ihre Partner zu beschuldigen. Da kümmert sich einer zuwenig und bringt der Gattin nie Geschenke mit, da knutscht eine andere mit dem Hund - jedenfalls lieber als mit dem Angetrauten. Zwei wollen ganz schnell verheiratet werden, zerstrittene Paare verlangt es umgehend nach der Scheidung. Der Junge macht sich auf vieles, was er zu hören bekommt, seinen ersten Reim. Bei allzu heiklen Angelegenheiten heißt es: "Geh aus dem Zimmer." Versteht sich, daß er trotzdem eine Möglichkeit findet, die Verhandlungen mit einem Ohr zu verfolgen. Süße und schauerliche Geschichten zeichnen sich in seiner angeregten Phantasie ab: "Nicht nur oben im Himmel gab es Geheimnisse, sondern auch hier unten auf der Erde. Ich wünschte mir, möglichst schnell erwachsen zu werden . . ."

Der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts sind mit den geschlossenen, eng zusammenhaltenden Gemeinschaften oft auch die deutlichen Charaktere verlorengegangen: lauter Männer und Frauen ohne Eigenschaften, die jede Festlegung scheuen. In Singers Geschichten, die in der Großstadt spielen, glaubt man sich manchmal wie auf dem Dorf - so sehr bestimmt eine genießbare Deutlichkeit den Ton, die an den Menschenkenner Tschechow erinnert. Singers Figuren sind oft typenhaft, aber doch keine Hampelmänner an den Schnüren der Absehbarkeit; eine allzu beschauliche Abrundung wird vermieden. Vor allem vergißt Singer über der plastischen Menschenschilderung nicht, daß der "Typ" oder "Charakter" oft schief und schmerzhaft auf der Seele sitzt.

Reb Sainwele kann in seiner Geschichte ein Lied davon singen: Er gilt als "Tumtum" - das talmudische Wort bezeichnet einen Mann mit unsicherer Geschlechtsidentität. Seine Wangen sind glatt wie die eines Kindes. Welch eine "Demütigung, mit nacktem Gesicht in einer ganzen Gemeinde bärtiger Juden herumlaufen zu müssen". Die Jugend ruft dem gelehrten Mann spottende Worte hinterher, Reb macht fröhliche Miene dazu. Aber in seinen Augen steht die kummervolle Frage, die in mitleidigen Momenten auch den Autor umtreibt: "Sind so die Menschen?"

Zur rabbinischen Gelehrsamkeit gehören die Bestimmungen, die den Alltag bis ins kleinste regeln. Aber ringsum verändert sich die Welt, fordert die Modernisierung Tribut, fallen die Menschen vom Glauben ab. Auch der Junge, so deutet sich an, wird die vorgegebene Spur verlassen: "Vielleicht würde auch ich mir die Schläfenlocken abschneiden." Der Vater jedoch schnürt gegen die Auflösungserscheinungen in der jüdischen Gemeinde den Gebetsriemen enger. Singer ist ein gleichermaßen von Komik und Respekt bestimmtes Vaterbildnis gelungen. Nur einmal platzt dem geduldigen Mann, der von Frauen aus Gründen der Versuchungsvermeidung prinzipiell den Blick abwendet, der Kragen - als er es nämlich in der Titelgeschichte mit einem Heiratsschwindler zu tun bekommt, der gleich zwei unansehnliche Bräute zum Narren hält.

Ansonsten ist ihm nichts Menschliches fremd. "Meine Frau ist eine Hure", beklagt sich ein Mann und beginnt zu erzählen. "Sie müssen sich scheiden lassen", lautet der Rat des Rabbis: je schneller, desto besser. Nun aber beginnt der Mann selbst die Sache herunterzuspielen und steigert sich immer mehr hinein ins Verständnis für seine Frau - der Rivale sei ja auch ein so ungemein liebenswürdiger Mensch. "Bei uns zu Hause ist es trübsinnig, und wenn er kommt, bringt er ein bißchen Freude mit." Bis am Ende alles so bleiben darf, wie es ist. Vielleicht noch schöner, auf jeden Fall skurriler ist die Geschichte "Eine ungewöhnliche Hochzeit". Man könnte sie sich mit viel Täterätä à la Kusturica verfilmt vorstellen. Ein ehrbarer Mann heiratet eine Prostituierte, und es wird groß gefeiert in der Wohnung des Rabbis, auch wenn die Mutter des Erzählers sich sehr geniert. "Jeden Augenblick ging die Tür auf, und ein Dieb oder Zuhälter kam hereinspaziert. Die meisten Gäste aber waren Freudenmädchen, feingemacht in Samt und Seide und mit Straußenfederhüten. Auch die Puffmütter erschienen . . . Vier Zuhälter hielten die Stangen des Trauhimmels."

Am Ende dieser Geschichten wird der Leser nicht mit Gewißheiten, sondern mit offenen Fragen entlassen. Und mit einem Sinn für Toleranz, denn er lernt bei Singer - und wenn er es weiß, lernt er es noch ein wenig besser -, daß im Garten des Menschlichen vieles ziemlich schief gewachsen ist. Der soziale Hintergrund wird nur angedeutet, aber es ist nicht zu verkennen, daß die Verhältnisse am Rand der Armseligkeit angesiedelt sind. In "Eine Kindheit in Warschau" hat Singer beschrieben, wie das schmutzstarrende Außenklo im Hinterhof der Schrecken seiner jungen Jahre gewesen sei. Zwischen 1910 und 1917 lebten die Singers in der Krochmalna. Dann zwang die nackte Not sie, Warschau zu verlassen.

Nachlesen kann man solche Hintergründe in Stephen Trees Singer-Biographie, der es unter verzeihlicher Vernachlässigung der Werke gelingt, die spannungsvollen Ambivalenzen dieses Lebens darzustellen. Singer blieb der Autor des orthodoxen Judentums, ohne selbst orthodox zu sein. Er war einerseits zu weltlich für die Synagoge, andererseits zu religiös geprägt, um in der säkularen Welt aufzugehen. Als Amerikaner wahrte er die gute, alteuropäische Form. Das Übernatürliche mit seinen Kobolden und Dämonen faszinierte ihn - und noch mehr das Natürliche, die Sexualität, deren Bann er mit unverblümter Vehemenz darstellte.

Das Schreiben gehörte für ihn zum Lebensvollzug wie das Atmen. In manchen Jahren produzierte er mehr Texte als andere Schriftsteller in Jahrzehnten. Statt der Beliebigkeit und Nachlässigkeit, die man angesichts solcher Vielschreiberei erwarten könnte, findet man in "Ein Bräutigam und zwei Bräute" eine beiläufige, aus dem Handgelenk geschüttelte Meisterschaft. Keinerlei Genrezwang der short story engt den Erzähler ein, auf perfekte Abrundung und finale Knalleffekte kann er verzichten. Man hat den Eindruck, eine naturbelassene Scheibe Leben vorgelegt zu bekommen - Indiz dafür, daß hier große Kunst am Werk ist.

Veröffentlicht wurden die Erzählungen in der jiddischen Zeitung "Forverts" zwischen 1955 und 1960. Singer schrieb für sie seit 1935, dem Jahr, in dem er in die Vereinigten Staaten auswanderte, um dem Antisemitismus zu entgehen, der auch unter der polnischen Militärregierung rabiater wurde. Er blieb der Zeitung als renommierter Beiträger über fünfzig Jahre lang treu, auch als ihre Auflage von einer Viertelmillion auf ein Zehntel sank. "Forverts" war die Probebühne für Hunderte von Erzählungen und eine ganze Reihe seiner Romane, bevor sie ins Amerikanische übersetzt wurden. Manches, was in den Archiven der Zeitung ruhte, ist erst in den letzten Jahren wiederentdeckt worden - einige schwächere Romane darunter, aber auch diese wunderbaren Erzählungen, deren Veröffentlichung mehr als eine Pflichtübung anläßlich des hundertsten Geburtstags ist.

WOLFGANG SCHNEIDER

Isaac Bashevis Singer: "Ein Bräutigam und zwei Bräute". Geschichten. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Sylvia List. Hanser Verlag, München 2004. 216 S., geb., 17,90 [Euro].

Stephen Tree: "Isaac Bashevis Singer". Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 2004. 200 S., br., 14,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als habe ihm der vor hundert Jahren geborene Isaac Bashevis Singer "eine naturbelassene Scheibe Leben" aufgetischt - so fühlte sich Wolfgang Schneider bei der Lektüre der nachgelassenen Erzählungen aus "Ein Bräutigam und zwei Bräute". Gar mit einem anderen Jubilar und ausgewiesenen Großen des Fachs, Anton Tschechow, vergleicht der Rezensent den Nobelpreisträger von 1978, der für seine Erzählungen aus dem Erfahrungsfundus seiner Kindheit schöpft, die er, als Sohn eines Rabbiners, in der jüdischen Gemeinde Warschaus verlebte. Thematisch sind die 27 Geschichten auf dem weiten Feld des Menschlichen-Allzumenschlichen angesiedelt, handeln von Ehebruch und -streitigkeiten, Prostituiertenhochzeiten und der alltäglichen Grausamkeit, die entsteht, wenn Menschen zusammenleben. Die Leute, allesamt einprägsame Charaktere, schütten bei ihrem Rabbi, der Seelsorge sowohl im spirituellen als auch im psychotherapeutischen Sinne versteht, ihr Herz aus, und der Sohn hört mit. Und zeichnet, sich erinnernd, ein "gleichermaßen von Komik und Respekt bestimmtes Vaterbildnis".

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