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Kann man vom Riedberg lernen? Der neue Frankfurter Stadtteil Riedberg galt lange Zeit als eines der größten Stadterweiterungsprojekte der Bundesrepublik nach der Wiedervereinigung. 1997 begonnen, soll das Neubaugebiet im Norden Frankfurts in Zukunft rund 16.000 Einwohner sowie die naturwissenschaftlichen Institute und Forschungseinrichtungen der Frankfurter Goethe-Universität beherbergen. In wissenschaftlichen und interdisziplinären Beiträgen setzen sich namhafte Autorinnen und Autoren mit der Frage auseinander, ob der Riedberg mit seinen Strukturen und städtebaulichen Maßnahmen…mehr

Produktbeschreibung
Kann man vom Riedberg lernen? Der neue Frankfurter Stadtteil Riedberg galt lange Zeit als eines der größten Stadterweiterungsprojekte der Bundesrepublik nach der Wiedervereinigung. 1997 begonnen, soll das Neubaugebiet im Norden Frankfurts in Zukunft rund 16.000 Einwohner sowie die naturwissenschaftlichen Institute und Forschungseinrichtungen der Frankfurter Goethe-Universität beherbergen.
In wissenschaftlichen und interdisziplinären Beiträgen setzen sich namhafte Autorinnen und Autoren mit der Frage auseinander, ob der Riedberg mit seinen Strukturen und städtebaulichen Maßnahmen Vorbildfunktion für zukünftige Stadterweiterungsprojekte haben kann. Dabei werden Architekturen, öffentliche Gebäude und Einrichtungen, die Entwicklungsgeschichte und das städtebauliche Konzept sowie entstandene Freiräume in den Blick genommen.
Einen eigenen Akzent setzt der künstlerische Beitrag des renommierten Fotografen Gerd Kittel, der die Entwicklung des Viertels und der Alltagsarchitekturen in einem Langzeitprojekt verfolgt hat.
Autorenporträt
Christian Kaufmann / Michael Peterek (Hg.)
Mit Fotografien von Gerd Kittel
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2019

Gehobener Durchschnitt

Ein neuer Band zieht Lehren aus der Entwicklung des Riedbergs. In dem Neubaugebiet ist längst nicht alles gut gelaufen - aber auch längst nicht alles schlecht.

Von Rainer Schulze

Alles muss raus. Im fast fertigen Neubaugebiet Riedberg hat der Ausverkauf der letzten Wohnungen begonnen. "Jazz", "Freestyle" und "Verve by Libeskind" - so heißt das letzte Aufgebot der Bauträger in dem neuen Stadtteil. Die Preise für die Wohnprojekte liegen inzwischen auch am Stadtrand in astronomischer Höhe. Lohnt es sich dennoch zuzugreifen? Wie lebt es sich eigentlich auf dem Riedberg? Ein umfangreicher Band ist dieser Frage nun sehr gründlich in Bild und Text nachgegangen.

Der Riedberg steht kurz vor der Fertigstellung. Ende 2020 sollen die letzten Häuser fertig sein. Ein guter Anlass, zurückzuschauen und das Neubaugebiet zu bewerten, meinen Christian Kaufmann und Michael Peterek, die den Band für den Deutschen Werkbund herausgegeben haben. Sie haben mit Personen gesprochen, die in die Planung maßgeblich involviert waren. Und sie haben Außenstehende um eine Kritik gebeten. Sie fällt gar nicht so negativ aus.

Kaufmann ist selbst vor einigen Jahren auf den Riedberg gezogen und schildert, wie "suburban" es sich auf dem besonders bei jungen Familien beliebten Riedberg lebt. Das ehrenamtliche Engagement im Stadtteil sei überwältigend. Bei den öffentlichen Bauten und der Gestaltung der Grünflächen habe die Stadt vieles richtig gemacht. Andererseits habe die Stadtplanung aber auch zu vieles dem Markt überlassen.

"Das Besondere und Nonkonforme sucht man hier oben leider vergeblich", schreibt Kaufmann, der in das einzige Wohnhaus gezogen ist, das auf dem Riedberg von einer Baugruppe errichtet wurde. Es hebt sich ab von den meisten Wohnhäusern, die überwiegend in einer kubischen Formensprache entstanden sind. Kaufmann hätte sich mehr Abwechslung gewünscht. Sein Mitherausgeber Peterek und der Architekt Thorsten Bürklin vermissen darüber hinaus eine höhere Einwohnerdichte und mehr Geschäfte entlang der Stadtbahntrasse. "Im Vergleich zu den Leitbildern seiner Zeit ist der neue Stadtteil nicht spektakulär, auch nicht wirklich experimentell, sondern er steht für die gute Normalität eines Städtebaus am Stadtrand um die Jahrtausendwende", lautet ihr Fazit.

Auch der Architekturkritiker Christian Holl misst den Riedberg nicht an hohen Ansprüchen, sondern eher an seiner Durchschnittlichkeit. Der Riedberg sei kein Modell und kein Experiment, sondern einfach eine alltägliche Stadt von heute. "Den Riedberg prägt das bunte Vielerlei aus Sorgfalt, Harmlosigkeit und Groteske, das auch anderswo zum Alltag gehört." Holl findet auf dem Riedberg beides: architektonische Missgriffe und Bauten hoher Qualität. Er stört sich an städtebaulichen Fehlern, etwa daran, dass dem Auto in der Planung eine zu dominante Rolle zugestanden worden sei und die Straßen zu breit geraten seien. Außerdem sei es falsch gewesen, den Einzelhandel an einer Stelle zu konzentrieren. Dass der Universitätscampus Riedberg zu wenig mit dem Stadtteil verwoben sei, hält Holl ebenfalls für einen Mangel.

Strenger, aber mit einer ähnlichen Grundthese, urteilt Ursula Baus. Auch sie meint, dass am Riedberg keine "Innovationen welcher Art auch immer" intendiert waren. Der Riedberg sei konventionell geplant und gebaut worden, am vermeintlichen Bedarf einer bestimmten Klientel orientiert. "Es sind Familien mit gutverdienenden Hauptverdienern oder Hauptverdienerinnen, die eine optimal funktionierende Umgebung brauchen."

Für die "marktkompatible Alltagsarchitektur" auf dem Riedberg findet Baus deutliche Worte. Die Wohnhäuser im westlichen Villengebiet beispielsweise seien einer ubiquitären, geradlinig-modernen Klötzchenarchitektur zuzurechnen, "die den Klischees von Architectural Digest in einer globalen Wohlstandsästhetik entspricht. Zeitgenössisch gediegene Wohlstandsarchitektur, die in ihrer Funktionalität - mit Doppelgarage, offenen Küchen, salongroßen Badezimmern und Ankleiden in Boutiquengröße - kaum als konventionell, sondern sogar als reaktionär im Sinne einer internationalen Edel-Moderne bezeichnet werden könnte."

Ursula Baus kommt beim Spaziergang durch das kleine Villengebiet eine interessante Assoziation: Sie fühlt sich an die Bonzensiedlungen des real existierenden Sozialismus erinnert. Auch die Wohnhäuser, die ein Bauträger beim gealterten Stararchitekten Daniel Libeskind bestellt hat, findet Baus nicht besonders aufregend: Sie sähen "auch nicht so viel anders aus als alle anderen". Eine gewisse architektonische Eintönigkeit prägt den Riedberg tatsächlich. Baus vermisst auf dem Riedberg das Besondere: Hausgemeinschaften, genossenschaftliche Wohnkonzepte, Baugruppen. Denen sei der Stadtteil aber nicht "sexy" genug erschienen, erinnert sich Dieter von Lüpke, der von 2003 bis 2014 das Stadtplanungsamt leitete. Also in jenen Jahren, in denen der Riedberg geplant wurde und maßgeblich Gestalt angenommen hat.

Lüpke wirft einen kenntnisreichen und durchaus kritischen Blick zurück. Auf der Kostenseite ist der Stadtplaner mit dem Erreichten zufrieden. Der Budgetrahmen der "Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme" wurde mit Mehrkosten von 68 Millionen Euro zumindest einigermaßen eingehalten. Zumal das städtische Vermögen durch viele öffentliche Gebäude gewachsen ist. Zeitlich aber lief das Projekt völlig aus dem Ruder. Ursprünglich waren für den Bau des Riedbergs nur zehn Jahre angesetzt, am Ende wurden es 27. Wer von einer raschen Entlastung des Wohnungsmarktes durch einen neuen Stadtteil an der A5 träumt, wird angesichts dieser Erfahrung sicher aufmerken.

Allein sieben Jahre gingen für Voruntersuchungen und Planverfahren ins Land. Daran schloss sich die komplizierte Phase der Bodenordnung an: 44 Prozent der Fläche gehörten 110 privaten Eigentümern. Die Stadt schreckte auch vor Enteignungsverfahren nicht zurück - 60 solcher Verfahren wurden beantragt und sechs förmlich entschieden. In 54 Fällen konnte eine gütliche Einigung erzielt werden.

Der Wohnungsbau setzte nur sehr schleppend ein und gewann erst 2005 an Dynamik, als die Nachfrage durch das Bevölkerungswachstum und die Niedrigzinsphase schlagartig stieg. Gerade die frühen Projekte auf dem Riedberg bleiben in der Qualität hinter den Erwartungen zurück. Die Stadt und der auf dem Riedberg eingesetzte Treuhänder, die HA Hessen Agentur, setzten sich zunehmend für eine gute Architektur ein und konnten laut Lüpke nachweisen, "dass mit einer überdurchschnittlich guten Architektur in Verbindung mit dem Konzept des Ensembles Steigerungen der Grundstückspreise erreichbar sind".

Lüpke erinnert an die ursprüngliche Motivation für das Neubaugebiet: Die Stadt wollte verhindern, dass Mittelschichtsfamilien mit Kindern ins Umland abwandern. Dass Frankfurt den Plan nicht aufgab, obwohl die Bevölkerung in den neunziger Jahren stagnierte, führt der frühere Amtsleiter auf "Weitsicht, Wachstumsorientierung und Durchsetzungskraft des städtischen Planungsdezernats unter der Führung von Martin Wentz" zurück. "Das Projekt eines neuen Stadtteils brach mit dem über lange Jahre auch in Frankfurt am Main verfochtenen Dogma, Stadtentwicklung sei ausschließlich Innenentwicklung."

Der Einfluss der Politik auf die Entwicklung des Neubaugebiets war nicht immer positiv. Als "problematisch" bewertet der frühere Amtsleiter die Entscheidung der Fraktionen von CDU und SPD, die bauliche Dichte um ein Viertel zu reduzieren. Das brachte einige negative Effekte mit sich: Insbesondere sei die Chance vertan worden, wie ursprünglich geplant, mehrere Einkaufs- und Versorgungszentren auf dem Riedberg einzurichten. Auch der eigentliche Ansatz, den Riedberg nach dem Leitbild der Europäischen Stadt zu entwickeln, das auf Nutzungsmischung und eine klare Trennung von öffentlichen und privaten Räumen setzt, wurde durch eine politische Entscheidung konterkariert.

Die Stadtverordneten reduzierten die Baudichte und erhöhten den Stellplatzschlüssel. Das führte an vielen Stellen zu unansehnlichen Garagenhöfen und zum Verzicht auf Tiefgaragen. Aber auch fehlende politische Intervention könne die städtebauliche Entwicklung hemmen, meint Lüpke. Mit einem stärkeren Engagement hätten die öffentlichen Wohnungsgesellschaften auf dem Riedberg früh bauliche Zeichen setzen können. Diese Vorbildfunktion wurde nicht genutzt.

Was kann man also aus der Entwicklung des Riedbergs lernen? Die öffentlichen Räume und Gebäude können sich sehen lassen. Bei künftigen Projekten mit einer ähnlichen städtebaulichen Dimension sollte die Politik aber genau abwägen, welche Folgen ihre Entscheidungen haben. Die Reduzierung der Einwohnerdichte hat dem Riedberg enorm geschadet. Und ein neuer Stadtteil braucht mehr Vielfalt: bei den Bauträgern, den Wohnformen, in der Architektur und auch in sozialer Hinsicht bei seinen Bewohnern.

"Der Frankfurter Riedberg", Christian Kaufmann / Michael Peterek (Hg.), Gerd Kittel (Fotograf), Jovis Verlag, Berlin 2018. 240 Seiten, 35 Euro.

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