Man hatte Hiram B. Otis gewarnt, bevor er Canterville kaufte: In diesen Mauern spukt es. Doch völlig unbeeindruckt von solch allzu britischem Aberglauben bezieht der amerikanische Botschafter mitsamt seiner Familie das neu erworbene Domizil. Bald schon machen besonders die Kinder der Neuankömmlinge dem tatsächlich dort hausenden Gespenst das Dasein zur Hölle und treiben es in die Verzweiflung, bis die kleine Virginia sich seiner erbarmt. Neben dem »Gespenst von Canterville« enthält dieser Band die Märchen und Erzählungen »Der glückliche Prinz«, »Die Nachtigall und die Rose«, »Der selbstsüchtige Riese« und »Lord Arthur Saviles Verbrechen«.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.04.2015Durchs
Ofen-
rohr
Eine unheimlich
heimelige Version
von Oscar Wildes
berühmten
„Gespenst von
Canterville“
VON FRITZ GÖTTLER
Er hat jede Menge Schlechtes getan in seinem Leben, der alte Sir Simon, und das bereut er nun wirklich heftig. Müde ist er, denn seit dreihundert Jahren hat er deshalb nicht mehr geschlafen. Herumspuken muss er, in seinem alten Schloss. Sir Simon ist einer von Oscar Wildes bekanntesten Helden, das „Gespenst von Canterville“, das in der gleichnamigen Erzählung mit uramerikanischer Skepsis und für traditionalistische britische Spukwesen schockierendem Pragmatismus konfrontiert wird – in Gestalt des amerikanischen Gesandten Hiram B. Otis, der das Schloss gekauft hat, und seiner Familie, darunter die Tochter Virginia.
Joëlle Tourlonias hat die tragikomische Geschichte angenehm lakonisch in Bildern gestaltet, hat das Schloss Canterville auf intimes Puppenhausformat gebracht, mit schön verwinkelten Zimmerchen, die über Ofenrohre miteinander kommunizieren, bis in die Rückzugs- und Ruhekammer Sir Simons hinauf – sodass die Gruselatmosphäre geprägt ist von dezenter Heimeligkeit. Die schönsten Spuk- und Kriminalgeschichten funktionieren über ihre locations , über die Räume, in denen Schreckliches und Blutiges einst sich ereignete, die Geheimnisse bergen und zu ihrer Lösung mysteriöse Hinweise und Indizien enthalten für alle, die gelernt haben zu schauen und zu beobachten. Wie immer bei Oscar Wilde – der persönlich auf einem Bild an einer Wand im Schloss über das Geschehen wacht –, in seinen Erzählungen, Märchen und Stücken, geht es um Erlösung, und vielleicht ist sowieso die detektivische Auflösung eines Falles eine Form der Erlösung aus dem Ungewissen. Für Sir Simon und seine Helferin Virginia wird es eine schreckliche Prozedur, die aber der Imagination überlassen bleibt. „Der Tod muss so schön sein. Endlich im Frieden sein.“
Oscar Wilde: Das Gespenst von Canterville. Illustrationen von Joëlle Tourlonias. Aus dem Englischen von Franz Blei. Verlagshaus Jacoby & Stuart, Berlin 2014. 32 Seiten, 12,95 Euro.
Illustration aus Oscar Wilde und Joëlle Tourlonias: Das Gespenst von Canterville.
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Ofen-
rohr
Eine unheimlich
heimelige Version
von Oscar Wildes
berühmten
„Gespenst von
Canterville“
VON FRITZ GÖTTLER
Er hat jede Menge Schlechtes getan in seinem Leben, der alte Sir Simon, und das bereut er nun wirklich heftig. Müde ist er, denn seit dreihundert Jahren hat er deshalb nicht mehr geschlafen. Herumspuken muss er, in seinem alten Schloss. Sir Simon ist einer von Oscar Wildes bekanntesten Helden, das „Gespenst von Canterville“, das in der gleichnamigen Erzählung mit uramerikanischer Skepsis und für traditionalistische britische Spukwesen schockierendem Pragmatismus konfrontiert wird – in Gestalt des amerikanischen Gesandten Hiram B. Otis, der das Schloss gekauft hat, und seiner Familie, darunter die Tochter Virginia.
Joëlle Tourlonias hat die tragikomische Geschichte angenehm lakonisch in Bildern gestaltet, hat das Schloss Canterville auf intimes Puppenhausformat gebracht, mit schön verwinkelten Zimmerchen, die über Ofenrohre miteinander kommunizieren, bis in die Rückzugs- und Ruhekammer Sir Simons hinauf – sodass die Gruselatmosphäre geprägt ist von dezenter Heimeligkeit. Die schönsten Spuk- und Kriminalgeschichten funktionieren über ihre locations , über die Räume, in denen Schreckliches und Blutiges einst sich ereignete, die Geheimnisse bergen und zu ihrer Lösung mysteriöse Hinweise und Indizien enthalten für alle, die gelernt haben zu schauen und zu beobachten. Wie immer bei Oscar Wilde – der persönlich auf einem Bild an einer Wand im Schloss über das Geschehen wacht –, in seinen Erzählungen, Märchen und Stücken, geht es um Erlösung, und vielleicht ist sowieso die detektivische Auflösung eines Falles eine Form der Erlösung aus dem Ungewissen. Für Sir Simon und seine Helferin Virginia wird es eine schreckliche Prozedur, die aber der Imagination überlassen bleibt. „Der Tod muss so schön sein. Endlich im Frieden sein.“
Oscar Wilde: Das Gespenst von Canterville. Illustrationen von Joëlle Tourlonias. Aus dem Englischen von Franz Blei. Verlagshaus Jacoby & Stuart, Berlin 2014. 32 Seiten, 12,95 Euro.
Illustration aus Oscar Wilde und Joëlle Tourlonias: Das Gespenst von Canterville.
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