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Moskau, Anfang der 90er Jahre. Im Wohnheim des Gorki-Instituts hocken die poetischen Hoffnungen aus der sowjetischen Provinz aufeinander. Das Imperium zerfällt, die Stimmung ist gereizt, der Wodka knapp. Otto von F., Student aus der Westukraine, will im Kaufhaus "Kinderwelt" Geschenke besorgen, findet nicht mehr heraus und gerät in die Gewalt von Geheimdienstbeamten, die in den Katakomben unter dem Kreml ein Rattenheer züchten.
Moscoviada, Juri Andruchowytschs erfolgreichster, in viele Sprachen übersetzter Roman, ist von ungebrochener Aktualität. Das neoautoritäre Rußland, der eifernde
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Produktbeschreibung
Moskau, Anfang der 90er Jahre. Im Wohnheim des Gorki-Instituts hocken die poetischen Hoffnungen aus der sowjetischen Provinz aufeinander. Das Imperium zerfällt, die Stimmung ist gereizt, der Wodka knapp. Otto von F., Student aus der Westukraine, will im Kaufhaus "Kinderwelt" Geschenke besorgen, findet nicht mehr heraus und gerät in die Gewalt von Geheimdienstbeamten, die in den Katakomben unter dem Kreml ein Rattenheer züchten.

Moscoviada, Juri Andruchowytschs erfolgreichster, in viele Sprachen übersetzter Roman, ist von ungebrochener Aktualität. Das neoautoritäre Rußland, der eifernde Nationalismus, die Verklärung der kommunistischen Epoche, der chauvinistische Kitsch, der ideologische Druck - all diese Gespenster werden in einem karnevalesken Spektakel unter panischem Gelächter zum Teufel gejagt.
Autorenporträt
Andruchowytsch, JuriJuri Andruchowytsch, geboren 1960 in Iwano-Frankiwsk/Westukraine, dem früheren galizischen Stanislau, studierte Journalistik und begann als Lyriker. Außerdem veröffentlicht er Essays und Romane. Andruchowytsch ist einer der bekanntesten europäischen Autoren der Gegenwart, sein Werk erscheint in 20 Sprachen. 1985 war er Mitbegründer der legendären literarischen Performance-Gruppe Bu-Ba-Bu (Burlesk-Balagan-Buffonada). Mit seinen drei Romanen Rekreacij (1992; dt. Karpatenkarneval, 2019), Moscoviada (1993, dt. Ausgabe 2006), Perverzija (1999, dt. Perversion, 2011), die unter anderem ins Englische, Spanische, Französische und Italienische übersetzt wurden, ist er unfreiwillig zum Klassiker der ukrainischen Gegenwartsliteratur geworden.
Rezensionen
»Moskowiade, das könnte geradezu eine Gattungsbezeichnung sein: ein auf den Handlungsort Moskau genau abgestimmtes Prosastück, das die Absurditäten, den Extrem- und Surrealismus im Zentrum der zugrunde gehenden Sowjetunion ausmisst. Und weil alles möglich ist, ist die Grundfarbe am Ende nicht schwarz - nein, sie ist kunterbunt und nicht zu fassen.«
DIE ZEIT

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2006

Der Geheimdienst der Gespenster
Im Delirium des Postsozialismus: Juri Andruchowytsch und sein Romanerstling „Moscoviada”
Das Imperium zerfällt. Nirgendwo ist das deutlicher zu erleben als im Zentrum des Imperiums, in Moskau, wo die versprengten Völkerschaften aufeinandertreffen: Abchasen und Kasachen, Tadschiken und Turkmenen, Georgier und Kirgisen. Die Ukrainer hatten darunter zu leiden, nach dem Alphabet stets die Vorletzten in der Sowjetunion zu sein. Einer dieser Vorletzten ist Otto von F., Hauptfigur in Juri Andruchowytschs „Moscoviada”, einem phantastischen Panoptikum des Untergangs. Wo ist auf der weiten Skala zwischen Esten und Usbeken der Platz der Ukrainer? Das ist eine der zentralen, ungelösten Fragen in diesem wilden, alkohol- blut- und spermagetränkten Buch. Da gehen nicht nur viele Flaschen zu Bruch, sondern auch das Geschirr im Imbiss, so dass die Kassiererin herbeieilt, „um herauszufinden, was Sache ist. Die Sache ist die, dass das Imperium in den letzten Zügen liegt”. Die Suppe ist alle, und auch die Suppenteller werden knapp.
Der Roman, der in der Übersetzung von Sabine Stöhr nun erstmals aufDeutsch vorliegt, erschien in der Ukraine 1993. Nach dem Erfolg von „Zwölf Ringe” schiebt der Verlag damit das kraftvolle Prosadebüt nach. Geschrieben wurde es 1992 in Feldafing bei München, wo Andruchowytsch sich zum ersten Mal im Westen aufhielt. Der Roman spielt an einem regnerischen Tag im Frühjahr 1991, verarbeitet aber Erfahrungen aus den Jahren 1989 bis 1991, in denen Andruchowytsch als Literaturstudent in Moskaulebte. So kann man mit der „Moscoviada” eine Reise rückwärts durch die Geschichte antreten, und doch wirkt dieses Buch erstaunlich frisch undaktuell, als hätte sich seither gar nicht so viel verändert. Er habe „all die imperialen Gespenster vertreiben” wollen, schreibt der Autor im Nachwort. Doch vierzehn Jahre später muss er konstatieren, dass sie „sehr viel standfester, lebendiger, mithin gar keine Gespenster” waren.
Eine U-Bahn nur für Stalin
Es ist also fraglich, ob die Brachial-Groteske die richtige Form gewesen ist, um die alten Geister zu vertreiben. Doch es hieße die Literatur zu überfordern, wollte man von ihr die Überwindung des Vergangenen erhoffen. Andruchowytsch spielt mit dieser Erwartung, indem er Geschichte als literarischen Kosmos ausbreitet und seine Prosa mit Zitaten aus der ukrainischenLiteraturgeschichte spickt. Es ist ein Verfahren der Postmoderne, alles Originäre durch Referenzen auf Bekanntes zu ersetzen. Literatur ist alles und weiß alles. Aber was ist sie wert?
In einem der zahlreichen, alkoholbefeuerten Monologe des Helden heißt es: „Mein ganzes Leben schon suche ich mir und anderen zu beweisen, dass dieseWelt viel zu brutal ist, als dass man sie mit Worten verbessern könnte, aber auch viel zu zerbrechlich, als dass man mit Kugeln irgend etwas ändernkönnte. Beziehungsweise umgekehrt.” Der Zwischenraum des Absurden istdie Leerstelle, die für das Schreiben noch bleibt. Otto von F. lebt, wie einst der Autor, als ukrainischer Literaturstudent in Moskau. Er ist ein Alter Ego als Maulheld und Clown, dessen Selbstwertgefühl irgendwo zwischen Verpennerung und Nobelpreiserwartung oszilliert. Größenwahn ist hier die Bedingung des Schreibens.
Im Moskau des Jahres 1991 ist sie aber auch ein Überlebensmittel. Andruchowytsch spricht seinen Helden vertraut in der Du-Form an und wechselt nurgelegentlich in die Ich-Erzählung, wenn Otto Briefe an den König Olelko II. formuliert. Dadurch einsteht ein Konzert innerer Stimmen, ein fortgesetztes Selbstgespräch, mal wahnhaftes Delirium, mal Kneipengerede, mal kristallklare Analyse. „Beziehungsweise umgekehrt”, müsste es an dieser Stelle heißen. Denn die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit sind nicht zu ermitteln.
Otto von F. wohnt in einem Studentenwohnheim und bricht von dort zu einer Odyssee durch die Stadt auf, die ihn zunächst in eine Bierhalle führt,zu einer Freundin, von der er im Streit und mit einer Prügelei scheidet, ineinen Imbiss, der mittels einer Handgranate in die Luft fliegt, in die U-Bahn, in der es angeblich auch eine verborgene Linie gibt, die einst allein für Stalin angelegt wurde und die an verglasten Folterkellern vorbeiführt. Ottovon F. landet schließlich nicht bei seinem Freund, der mit ihm an einer ukrainischen Literaturzeitschrift arbeiten möchte, auch nicht im Kaufhaus „Kinderwelt”, denn er hat längst vergessen, was er dort eigentlich wollte, sondern in der Unterwelt der Kanalisation, wo der Geheimdienst eine Armee von Riesenratten züchtet, die der Demokratiebewegung zu Leibe rücken sollen. Der Held gerät in ein Verhör. Er berichtet von Anwerbungsversuchen durch den KGB, die er als Student durchleiden musste und richtet schließlich, getarnt mit einer Clownsmaske, ein Massaker in einer Konferenz der Toten an, wo die Gespenster derVergangenheit – von Iwan dem Schrecklichen bis zu Lenin – über die Zukunft der Welt beraten. Doch es fließt kein Blut, es rieseln bloß die Sägespäne. Da wundert man sich noch nicht einmal darüber, dass der Held sich am Ende eine Kugel in den Kopf jagt, um ins Leben zurückzukehren und anschließend unbeschädigt den Nachtzug nach Kiew besteigt, zurück in die Heimat.
Wo sein Standpunkt sein wird – oder der Platz der Ukraine in der Welt –, ist da noch nicht abzusehen. Die Zukunft ist unklar, weil von der Geschichte so wenig geblieben ist. Otto von F. drückt das so aus: „Das Imperium ist schon deshalb faszinierend, weil manche Umstände jahrhundertelang geklärt werden. Danach werden alle rehabilitiert – die Opfer wie die Henker –, aber das ist schon ohne jede Bedeutung.”JÖRG MAGENAU
JURI ANDRUCHOWYTSCH: Moscoviada. Roman. Aus dem Ukrainischen von Sabine Stöhr. Suhrkamp V erlag, Frankfurt am Main 2006. 224 S., 22,80 Euro.
Nächste Ausfahrt Karpaten: Der russische Bär als Tramper auf den Straßen Moskaus im Jahre 1991
Foto: Shepard Sherbell/Corbis
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.09.2006

Mit Bubabu wird alles gut
Juri Andruchowytsch feiert die Trunkenheit als Weltzustand

Man sollte Moskau "unter Anwendung humaner parlamentarischer Methoden" dem Erdboden gleichmachen und "wieder die dichten finnischen Wälder pflanzen, die es hier früher gab . . . Man muß diesem Land Ruhe gönnen vor seiner verbrecherischen Hauptstadt." Lustvoll wird der Untergang der verhaßten Metropole imaginiert. Der antisowjetische Affekt befeuert den Erzähler - und der ist niemand anderes als der vom westlichen Feuilleton als kluger Auskunftgeber in Sachen Ukraine geradezu umschwärmte Essayist und Romancier Juri Andruchowytsch.

"Moscoviada", 1993 im Zeitungsvorabdruck erschienen, ist sein bis heute erfolgreichster Roman. Daß er ein Kultbuch werden konnte, erscheint sofort plausibel. Er kam zur rechten Stunde, als geballter Ausdruck eines historischen Moments: der Spannung beim Zerreißen eines Imperiums, das seine Macht überdehnt hat. Der deutsche Leser des Jahres 2006 ahnt, welch diebisches Lesevergnügen dieser burleske Abgesang auf die Sowjetunion vor allen den Abtrünnigen an der Peripherie bereitet haben muß.

Geschildert wird ein triefnasser Maisamstag im Leben des jungen ukrainischen Dichters Otto von F., ein Name, der nach altem galizischem Adel klingt. Von F. bewohnt ein Zimmer im siebten Stock eines Moskauer Dichterwohnheims, wo im Zeichen der Völkerfreundschaft die Stipendiaten aus allen Richtungen der Sowjetunion zusammenleben - Studenten aus Partisansk, Mückomorsk, Leninoscheissk, Uralsk oder Urinsk, wie es mit einer gewissen Neigung zum Namenskalauer heißt. Autobiographischer Hintergrund: Andruchowytsch war 1990/91 selbst Maxim-Gorki-Stipendiat in Moskau.

Der Roman ist in der ungewöhnlichen "Du"-Anrede gehalten, nur in seinen farbenprächtigen Träumen wird Otto von F. die Ich-Form gestattet. Zwei Dinge will er an diesem Samstag erledigen: den prospektiven Herausgeber einer ukrainischen Literaturzeitschrift treffen und später im Kaufhaus "Kinderwelt" Geschenke für die Sprößlinge seiner Freunde kaufen - die Wahl wird nicht schwerfallen, denn dort gibt es nur Papiertauben zum Selberbasteln, diese aber hunderttausendfach.

Allerdings gerät der Tag, der für F. so verheißungsvoll mit einem unverhofften Geschlechtsakt unter der Gemeinschaftsdusche begann, völlig aus den Fugen. Zunächst bricht er mit ein paar "Schriftstellerbrüdern" in eine Bierbar von der Größe und Gemütlichkeit eines Hangars auf. Die männlichen Trinker dort erscheinen als "Runkelrübengesichtermutanten", die Frauen riechen "nach Sickergrube". Moskau, eine Müllwelt, eine Kloake voller Kloakenmenschen.

In den wenigen Jahren, die seit "Moscoviada" vergangen sind, ist die Stadt zur glitzernden, sündteuren Metropole geworden; bei Andruchowytsch ist sie nur ein asiatischer Albtraum. Die Menschen wirken wie befallen von "Viren der Kraftlosigkeit und Apathie". Ein unübersehbares Menetekel des Niedergangs: Es mangelt sogar an Bierkrügen, weshalb die Trinker mit leeren Einmachgläsern unterwegs sind. Selbst der Wodka reicht nicht mehr. Während die heroischen Vorfahren beim Sturm auf Berlin ihr Leben ließen, stirbt mancher Bewohner der späten Sowjetunion über den Mühen der Alkoholbeschaffung. Das Imperium hat seine Treuesten verraten, die Säufer.

Eine weitere Zwischenstation ist ein Imbiß, wo F. von den Schwärmereien eines "bekloppten Feinschmeckers" behelligt wird und nur knapp einem Bombenattentat entgeht. Rückblenden informieren über seine chaotischen Frauenbeziehungen und sein kompliziertes, von Ringkämpfen geprägtes Verhältnis zur schlangengiftkundigen Freundin Galja, der Otto gegen Mittag einen Besuch abstattet. Um Verführung geht es auch in den eindrucksvollen Kapiteln über Ottos "Rendezvous" mit dem KGB. Der Jungdichter wurde mit einer Mischung aus Liebenswürdigkeit und Erpressung (sein Großvater kämpfte in einer ukrainischen SS-Division) zum Mitarbeiter gemacht. "In meiner Biographie liegt eine Zeitbombe . . ." Eines Tages werde ein fleißiger Literaturstudent sie aus den Akten ziehen. Ob Andruchowytsch da etwas mit dem Skandal kokettiert hat?

Otto von F. arbeitet an einem Versroman, einem urukrainischen Epos, und er führt gelegentlich innere Dialoge mit König Olelko II. Und dann ist da der Traum von Lemberg, auch wenn der Name dieser für Andruchowytsch so wichtigen Stadt nicht fällt: "Ein Kumpel hat mir erst kürzlich alte Postkarten aus der Stadt gezeigt, in der ich wohne. Sie sind ungefähr fünfzig Jahre alt. Ich aber rief: Ich will in dieser Stadt leben! Wo ist sie?! Was haben sie mit ihr angestellt?!" So schwärmt Otto in einer vom Suff inspirierten Rede, die in ein Plädoyer für die Unabhängigkeit der Ukraine mündet. Nie ist Patriotismus sympathischer als im Aufbruchsstadium - die westlichen Kategorien von "progressiv" und "reaktionär" greifen hier nicht.

Dann zieht das Tempo an. In einem öffentlichen Pissoir wird von F. der Geldbeutel mitsamt der Rückfahrkarte in die Ukraine gestohlen. Bei der Verfolgung des Diebes gerät er in die düsteren Keller des Kaufhauses "Kinderwelt" und von dort in die Moskauer Unterwelt. Jetzt wird's ein Schauerroman, mit expressionistischen Steilheiten, parodistisch gebrochen. Otto verirrt sich in die Tunnel einer geheimen Regierungsmetro und die Katakomben spätsowjetischer Wissenschaft, der gerade die Züchtung schäferhundgroßer Ratten zur Auflösung ungenehmigter Versammlungen gelungen ist - letzte Geheimwaffe des Imperiums. Von einem Trupp schwerbewaffneter Rattenfänger, ehemalige Afghanistan-Kämpfer, wird er gefangengenommen und zur Hinrichtung vorbereitet.

Das opernhafte Finale furioso schildert ein surreales Symposion zur Rettung der Sowjetunion. Es ist ein gespenstischer Maskenball, der in einem unterirdischen Saal von der Größe des Roten Platzes stattfindet. Hier haben die Machthaber und Tyrannen der russischen Geschichte von Iwan dem Schrecklichen über Katharina bis zu Lenin ihren Auftritt. Aber als von F. dem Spuk schließlich mit Pistolenschüssen ein Ende macht, erweisen sie sich allesamt als sägespänegefüllte Popanze.

Andruchowytsch hat seine allegorische Phantasie ebenso mit Science-fiction und Horrorfilmen wie mit den Unterweltsklassikern von Dante bis Poe genährt. Vor allem aber "Die Reise nach Petuschki", jenes in den Achtzigern kultisch verehrte alkoholisch-apokalyptische Prosapoem von Wenedikt Jerofejew, hat torkelnd Pate gestanden für diese spätsowjetische Phantasmagorie, in der die Trunkenheit zum Weltzustand wird. "Moscoviada" ist ein glänzend geschriebenes, von Sabine Stöhr glänzend übersetztes Buch - was nicht leicht gewesen sein dürfte angesichts des manisch aufgekratzten Grundtons und der vielfältigen Sprachspielereien. Es ist eine volle Ladung "Bubabu", wie Andruchowytsch das karnevalistische Gebräu nannte, mit dem er und einige Mitstreiter die spätsowjetische Ukraine literarisch unsicher machten. Das Imperium wird weggelacht.

Es mangelt nicht an selbstreferentiellen Gags, etwa wenn Otto von F. die "super Zeilen" eines gewissen Andruchowytsch zitiert. Dieser bemüht sich sichtlich, das postmoderne Spaß-Soll überzuerfüllen. Dabei meint der Autor es sehr ernst, insofern er von sowjetischer Verbitterung und ukrainischer Aufbruchshoffnung angetrieben ist. Und von der Angst, das Imperium könnte doch noch zurückschlagen. Ist es vielleicht nur ein Trick, die Nationen heimzuschicken in die Unabhängigkeit? Sollen sie doch ihr Referendum machen. Sollen sie die Freiheit haben, sich in den Abgrund der Inkompetenz zu stürzen. Wenn sie erst einmal eine Weile sich selbst überlassen waren, wird Rückkehrsehnsucht die Folge sein, und das Imperium wird im Schein der verlorenen Größe erstrahlen. Die amputierten Glieder des Reichs werden wieder zusammenwachsen; ein neues, wunderbares Zeitalter der Deportationen wird kommen. In dieser Vision ergeht sich ein hohnlachender, mit schwarzem Strumpf maskierter Anonymus, und wenn man an die Verklärung der kommunistischen Epoche im neoautoritären Rußland denkt, mag einem dabei mulmig zumute werden.

Juri Andruchowytsch: "Moscoviada". Roman. Aus dem Ukrainischen übersetzt von Sabine Stöhr. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 223 S., geb., 22,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Als ebenso "vergnügliche wie lehrreiche" Lektüre empfiehlt Ulrich M. Schmid den neuen Roman des ukrainischen Schriftstellers Juri Andruchowytsch. In "Moscoviada" setzt Andruchowytsch Moskau ein Denkmal seiner Hassliebe, denn von hier ging zwar der russische Imperialismus aus, doch hierhin führten auch alle Wege der kulturellen Intelligenzia. Hierhin kommt auch Otto von F., an's Literaturinstitut, womit er ganz Alter Ego des Autors ist. Die Ereignisse lassen den Helden die Höhen des russischen Studentenlebens im Wohnheim erleben (mit seinem charakteristischen Geruch aus "Müllschlucker, Alkoholfahne und Sperma") und die Abgründe der Staatsgewalt: Der KGB zwingt den Helden, selbst Spitzel zu werden. Sehr erhellend und überzeugend findet der Rezensent, wie Otto von F. seine Identität aus der Ablehnung Moskaus gewinnt, was er im Roman weitaus komplexer dargestellt sieht als im Nachwort zur deutschen Ausgabe.

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