Vielseitige interessante Geschichten: Ohne Juden wäre Wien nicht das heutige Wien geworden
Über 250 Seiten geballte Geschichte und Information über das Judentum in Österreich, vor allem in Wien. In den 1920er-Jahren lebten 1,9 Menschen in Wien, wovon mehr als 200 000 Juden waren. Die drittgrößte
jüdische Gemeinschaft in Europa hatte sich in der Gesellschaft etabliert. In vielen Bereichen wie in…mehrVielseitige interessante Geschichten: Ohne Juden wäre Wien nicht das heutige Wien geworden
Über 250 Seiten geballte Geschichte und Information über das Judentum in Österreich, vor allem in Wien. In den 1920er-Jahren lebten 1,9 Menschen in Wien, wovon mehr als 200 000 Juden waren. Die drittgrößte jüdische Gemeinschaft in Europa hatte sich in der Gesellschaft etabliert. In vielen Bereichen wie in der Medizin, als Rechtsanwälte, in Forschung, Wirtschaft und sehr stark in der Kunst und Kultur, prägten diesen Menschen die Stadt Wien, ihre Geschichte und Kultur – in fast jedem Kapitel erfährt der Leser von Bauten, wissenschaftlichen Entdeckungen, Kunstwerken, Musikstücken, Filme u. a., der Schöpfer dem Judentum angehörten. Wien ohne Juden wäre heute wohl nur die halbe Stadt.
Die Autorin führt den Leser in den ersten Kapiteln in die Geschichte der Juden in Wien ein. Geliebt und gehasst, als Geldgeber für Kaiser geholt, von der Wiener Neidgesellschaft verjagt oder in isoliert, durch ihre Salonkultur Wien im 19. Jahrhundert zur Weltstadt gemacht und vieles mehr. Immer wieder gibt es Kapitel, die den Leser mit der Kultur und der Religion dieses Volkes vertraut machen, immer in Verbindung mit Österreich, meist mit Wien, so beispielsweise über Mikwaot, Orte der spirituellen Reinigung (Bäder). Eigentlich müsste ich hier zumindest 50 bis 60 Themen anführen, um die Vielfalt der Beiträge zu illustrieren, belasse es aber mit Beispielen wie den Geschichten der Familien Rothschild und Ephrussi, die Entstehung der Wiener Kaufhäuser, der Ottakringer Brauerei oder des Wiener Prater durch jüdische Geschäftsleute, über jüdischen Humor und Hollywood-Größen, die Wiener Cafés und die Salzburger Festspiele, gegründet durch Hugo von Hofmannsthal, das Jüdische Museum, die Tante Jolesch oder Jiddisch im Wienerischen von Arik Brauer (Beisl, Haberer …).
In sehr sachlicher und emotionsfreier Art erwähnt Spera die schäbige Haltung Wien gegenüber Juden zu allen Zeiten. So sollte etwa der Besitzer einer Villa, der 1938 fliehen musste, der Stadt Wien die Grundsteuer bis 1945 nachzahlen, dann bekäme er seinen Besitz wieder zurück. Der Besitzer jedoch schenkte die Villa dem Staat Israel, der darin seine Botschaft in Wien einrichtete.
Das Wiener Fiakerlied geht auf Gustav Pick zurück, Fritz Löhner-Beda schrieb die Texte zu viele Operetten wie beispielsweise „Das Land des Lächelns“ oder Schlager wie „In der Bar zum Krokodil“. Mehr als dreitausend jüdische Kinder konnten zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft durch Kindertransporte in europäische Länder gerettet werden – ein berührendes Beispiel zeigt die Autorin anhand der Schachtel für Lilly Bial, gefüllt mit deren Lieblingsgegenständen. Lilly Bial überlebte in Großbritannien.
Jedes Kapitel umfasst in der Regel zwei Seiten und ein Bild, manchmal auch etwas länger. Grundlegende Begriffe im Judentum werden am Ende des Buches erklärt, gefolgt von einem umfangreichen Literaturverzeichnis und Namensregister. Ein Buch, das den Leser bewegt, gleichzeitig informiert über Vergangenes und Gegenwärtiges. Ich finde, es bietet einen ausgezeichneten Einblick in das Judentum, wenngleich natürlich Danielle Spera anfangs schrieb, dass die 100 Themen von ihr subjektiv ausgewählt wurden (und wohl noch um 100 ergänzt werden könnten).