"Gottlosigkeit", das war im Zeitalter der Glaubensspaltung einer jener stigmatisierenden Begriffe, mit denen die rechtgläubigen Christen ihre Gegner belegten. Für die Lutheraner waren die "Papisten" ebenso gottlos wie Calvinisten oder die Täufer. Diese zahlten mit gleicher Münze zurück. Damit nicht genug, wurden auch Juden und Türken, aufständische Bauern, Ehebrecher oder Säufer als "gottlos" etikettiert. Die gegenseitige Diffamierung und Stigmatisierung macht deutlich, dass religiöse Devianz methodisch sinnvoll nur als ein Akt sozialer Zuschreibung verstanden werden kann. Jenseits der…mehr
"Gottlosigkeit", das war im Zeitalter der Glaubensspaltung einer jener stigmatisierenden Begriffe, mit denen die rechtgläubigen Christen ihre Gegner belegten. Für die Lutheraner waren die "Papisten" ebenso gottlos wie Calvinisten oder die Täufer. Diese zahlten mit gleicher Münze zurück. Damit nicht genug, wurden auch Juden und Türken, aufständische Bauern, Ehebrecher oder Säufer als "gottlos" etikettiert. Die gegenseitige Diffamierung und Stigmatisierung macht deutlich, dass religiöse Devianz methodisch sinnvoll nur als ein Akt sozialer Zuschreibung verstanden werden kann. Jenseits der herkömmlichen kirchen- und religionsgeschichtlichen Zugriffe eröffnet sich damit nun ein weiter komparativer Horizont, etwa in Form von Vergleichen zwischen unterschiedlichen Strategien, Argumentationen und Legitimationsformen der Stigmatisierung oder von Vergleichen zwischen als abweichend etikettierten Verhaltensweisen. Dabei sollen die handelnden Akteure keineswegs als passive Objekte der Zuschreibung verstanden werden; vielmehr soll komplementär zu den Zuschreibungen auch deren "Eigensinn", ihre Selbstsicht und ihre Praxis, mit in die Betrachtung einbezogen werden. Damit eröffnet der Band einen weiten Blick auf den Normenhorizont der Frühneuzeitlichen Gesellschaft insgesamt.Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
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Zeitschrift für Historische Forschung. Beihefte 51
Gerd Schwerhoff, geb. 1957, studierte Geschichte, Soziologie und Pädagogik an den Universitäten Köln und Bielefeld. Er wurde 1989 mit einer Arbeit zur frühneuzeitlichen Kriminalitätsgeschichte promoviert und habilitierte sich 1996 in Bielefeld mit einer Studie zur Gotteslästerung im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. Nach Lehrstuhlvertretungen und einem Heisenberg-Stipendium der DFG ist er seit 2000 Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Technischen Universität Dresden. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Geschichte der Kriminalität, die Geschichte der Hexenverfolgung, die Geschichte der öffentlichen Räume, die Religions- und die Stadtgeschichte.Eric Piltz, geb. 1978, studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Germanistik an der TU Dresden. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Dresden am Lehrstuhl für Frühe Neuzeit bzw. am SFB 804. Seine Forschungsschwerpunkte sind Selbstzeugnisse, Stadtgeschichte, Nachbarschaft und Raumwahrnehmung.
Inhaltsangabe
I. Einleitende Überlegungen
Eric Piltz und Gerd Schwerhoff Religiöse Devianz im konfessionellen Zeitalter - Dimensionen eines Forschungsfeldes
Harald Maihold »das aus grosser barmhertzickeyt mus unbarmhertzig seyn« - Legitimation und Grenzen der Gottesstrafe in der theokratischen Strafrechtslehre des 16. und 17. Jahrhunderts
II. Predigt und Polemik
Andreas Holzem Wie falsch Luthers vnnd seines anhangs Meynung sei ... Devianzproduktion in der katholischen Predikt über Martin Luther
Marina Münkler Legende / Lügende. Die protestantische Polemik gegen die katholische Legende und Luthers Lügend von St. Johanne Chrysostomo
Annemarie Hagmayer Calvinismus als Etikett. Zuschreibungspraktiken in Leichenpredigten auf sächsische landesherrliche Beamte und Kurfürst Christian I. von Sachsen (1589-1613)
III. Deliktfelder
Gerd Schwerhoff Böse Hexen und fahrlässige Flucher: Frühneuzeitliche Gottlosigkeiten im Vergleich
Francisca Loetz Probleme mit der Sünde: Sexualdelikte im Europa der Frühen Neuzeit
Johannes Dillinger Attentate und Aufstände. Zur religiösen Bedeutung politischer Kriminalität in der Frühen Neuzeit
Sebastian Schmidt Armut als religiöse Devianz in der Frühen Neuzeit
Alexander Kästner Wer ist der Täter - wer ist das Opfer? Zur Konstruktion des Verbrechens »Selbstmord« in juristischen und theologischen Texten des 16. und 17. Jahrhunderts
IV. Gruppenbezogene Devianz
Astrid von Schlachta Erzählungen von Devianz. Die wiedertauffer zwischen interner Absonderung und äußerer Exklusion
Daniel Eißner Fromme Devianz. Pietistische Handwerker als religiöse Übererfüller
Yvonne Kleinmann Reden oder Schweigen über religiöse Differenz? Kommunikationsfelder eines städtischen Gemeinwesens im frühneuzeitlichen Polen
Manja Quakatz Die Sesselträger des Kurfürsten: Muslimisch-osmanische Gefangene aus dem Osmanischen Reich als religiöse Minderheit im München des späten 17. Jahrhunderts
Lionel Laborie Sex, Drugs and Rock 'n' Roll: Religiöse Devianz im England des späten 17. Jahrhunderts
V. Dissimulation und Eigensinn
Martin Skoeries Für und Wider Nikodemismus. Über eine europäische Debatte zwischen Exil und Scheiterhaufen
Andreas Pietsch Ekklesiologie jenseits der Kirchen: konfessionelle Grenzarbeiten bei Dirck Volckertszoon Coornhert
Jürgen Müller Von Kirchen, Ketzern und anderen Blindenführern - Pieter Bruegels d.Ä. Blindensturz und die Ästhetik der Subversion
Eric Piltz und Gerd Schwerhoff Religiöse Devianz im konfessionellen Zeitalter - Dimensionen eines Forschungsfeldes
Harald Maihold »das aus grosser barmhertzickeyt mus unbarmhertzig seyn« - Legitimation und Grenzen der Gottesstrafe in der theokratischen Strafrechtslehre des 16. und 17. Jahrhunderts
II. Predigt und Polemik
Andreas Holzem Wie falsch Luthers vnnd seines anhangs Meynung sei ... Devianzproduktion in der katholischen Predikt über Martin Luther
Marina Münkler Legende / Lügende. Die protestantische Polemik gegen die katholische Legende und Luthers Lügend von St. Johanne Chrysostomo
Annemarie Hagmayer Calvinismus als Etikett. Zuschreibungspraktiken in Leichenpredigten auf sächsische landesherrliche Beamte und Kurfürst Christian I. von Sachsen (1589-1613)
III. Deliktfelder
Gerd Schwerhoff Böse Hexen und fahrlässige Flucher: Frühneuzeitliche Gottlosigkeiten im Vergleich
Francisca Loetz Probleme mit der Sünde: Sexualdelikte im Europa der Frühen Neuzeit
Johannes Dillinger Attentate und Aufstände. Zur religiösen Bedeutung politischer Kriminalität in der Frühen Neuzeit
Sebastian Schmidt Armut als religiöse Devianz in der Frühen Neuzeit
Alexander Kästner Wer ist der Täter - wer ist das Opfer? Zur Konstruktion des Verbrechens »Selbstmord« in juristischen und theologischen Texten des 16. und 17. Jahrhunderts
IV. Gruppenbezogene Devianz
Astrid von Schlachta Erzählungen von Devianz. Die wiedertauffer zwischen interner Absonderung und äußerer Exklusion
Daniel Eißner Fromme Devianz. Pietistische Handwerker als religiöse Übererfüller
Yvonne Kleinmann Reden oder Schweigen über religiöse Differenz? Kommunikationsfelder eines städtischen Gemeinwesens im frühneuzeitlichen Polen
Manja Quakatz Die Sesselträger des Kurfürsten: Muslimisch-osmanische Gefangene aus dem Osmanischen Reich als religiöse Minderheit im München des späten 17. Jahrhunderts
Lionel Laborie Sex, Drugs and Rock 'n' Roll: Religiöse Devianz im England des späten 17. Jahrhunderts
V. Dissimulation und Eigensinn
Martin Skoeries Für und Wider Nikodemismus. Über eine europäische Debatte zwischen Exil und Scheiterhaufen
Andreas Pietsch Ekklesiologie jenseits der Kirchen: konfessionelle Grenzarbeiten bei Dirck Volckertszoon Coornhert
Jürgen Müller Von Kirchen, Ketzern und anderen Blindenführern - Pieter Bruegels d.Ä. Blindensturz und die Ästhetik der Subversion
Rezensionen
»Ein thematisch reicher, in seiner widersprüchlichen Bandbreite faszinierender Band liegt damit vor, der auch als Brückenschlag zwischen der Kirchengeschichte alten Schlags und einer neuen sozialgeschichtlich motivierten Religionsgeschichte, die nach den einzelnen Akteuren fragt, zu verstehen ist.« Prof. Dr. Martin Scheutz,in: Zeitschift für Historische Forschung, Band 45, Heft 2/2018
»Demonstrating the complexity of religious deviance in the confessional age, this collection of essays represents both the status quaestionis of early modern religious history in Germany and offers fruitful suggestions for future directions of research.« Ronnie Po-chia Hsia, in: Francia rescensio, 3/2017
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