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"Mit »Im Schatten junger Mädchenblüte« gelingt Proust endlich der Durchbruch. Eine Chronik der Belle Époque mit ihren Salons, ihren eleganten Restaurants, ihren besten Adressen für Roben, Anzüge, Krawatten, Blumen, Gebäck oder Eis; eine Chronik auch des mondänen Badelebens an den Stränden der Normandie; eine Satire des Großbürgertums, des Hochadels und der jüdischen Finanzwelt; schöpferische Reflexion auch über Literatur und bildende Kunst, wie sie in den Figuren von Bergotte und Elstir Gestalt annehmen. Der Kommentar versucht, die Topographie der Belle Époque zu präzisieren und die oft…mehr

Produktbeschreibung
"Mit »Im Schatten junger Mädchenblüte« gelingt Proust endlich der Durchbruch. Eine Chronik der Belle Époque mit ihren Salons, ihren eleganten Restaurants, ihren besten Adressen für Roben, Anzüge, Krawatten, Blumen, Gebäck oder Eis; eine Chronik auch des mondänen Badelebens an den Stränden der Normandie; eine Satire des Großbürgertums, des Hochadels und der jüdischen Finanzwelt; schöpferische Reflexion auch über Literatur und bildende Kunst, wie sie in den Figuren von Bergotte und Elstir Gestalt annehmen. Der Kommentar versucht, die Topographie der Belle Époque zu präzisieren und die oft verborgenen Bezüge zu bildender Kunst und Literatur aufzudecken. Er weist außerdem auf wichtige Erzählstrukturen hin und zeigt das Zusammenspiel der einzelnen Teile, Themen und Stilnuancen. Ein besonderes Augenmerk gilt Prousts Auseinandersetzung mit der Malerei."
Autorenporträt
Proust, MarcelMarcel Proust wurde am 10. Juli 1871 in Auteuil geboren und starb am 18. November 1922 in Paris. Sein siebenbändiges Romanwerk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ist zu einem Mythos der Moderne geworden.Eine Asthmaerkrankung beeinträchtigte schon früh Prousts Gesundheit. Noch während des Studiums und einer kurzen Tätigkeit an der Bibliothek Mazarine widmete er sich seinen schriftstellerischen Arbeiten und einem - nur vermeintlich müßigen - Salonleben. Es erschienen Beiträge für Zeitschriften und die Übersetzungen zweier Bücher von John Ruskin. Nach dem Tod der über alles geliebten Mutter 1905, der ihn in eine tiefe Krise stürzte, machte Proust die Arbeit an seinem Roman zum einzigen Inhalt seiner Existenz. Sein hermetisch abgeschlossenes, mit Korkplatten ausgelegtes Arbeits- und Schlafzimmer ist legendär. In Swanns Welt, der erste Band von Prousts opus magnum, erschien 1913 auf Kosten des Autors im Verlag Grasset. Für den zweiten Band, Im Schatten junger Mädchenb

lüte, wurde Proust 1919 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Die letzten Bände der Suche nach der verlorenen Zeit wurden nach dem Tod des Autors von seinem Bruder herausgegeben.

Rechel-Mertens, EvaEva Rechel-Mertens, geboren 1895 in Perleberg, studierte Romanistik, Germanistik und Anglistik in Berlin und Marburg. Sie war als Übersetzerin aus dem Französischen tätig, ihr Hauptwerk war Prousts À la recherche du temps perdu (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit). Eva Rechel-Mertens starb 1981 in Heidelberg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.2014

Die Lufthoheit über Proust ist gefährdet!
Eine Alternative? Bernd-Jürgen Fischers Neuübersetzung von Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit"

Erst mit "Im Schatten junger Mädchenblüte", erschienen 1919, begann die Erfolgsgeschichte Marcel Prousts. Dieser zweite Band des Zyklus "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" brachte den ersten zurück ins Bewusstsein, der sechs Jahre zuvor erschienen war. Nun wurde deutlich, welch bedeutendes Romangebirge im Entstehen war. Proust wurde der Prix Goncourt verliehen, Auflage folgte auf Auflage, und die Publikation der weiteren Bände war gesichert: Werk in der Welt.

Der zweite ist der sommerlichste Band der "Recherche". Marcel reist mit seiner unendlich sanftmütigen Großmutter an die normannische Küste, in das mondäne Badestädtchen Balbec, Ort des Luxus und der Moden. Und Tummelplatz der "kleinen Bande" - jener Mädchenschar um die kapriziöse Albertine, deren Zauber Marcel verfällt. Das Buch bietet die Wiederkehr vertrauter Figuren, etwa des feinen Herrn Swann mit seiner vormals halbweltlichen Gattin Odette und der gemeinsamen Tochter Gilberte, der ersten komplizierten Liebe im Leben des Erzählers.

Prousts Analyse der menschlichen Empfindungen wird bestimmt durch das Wechselspiel von Illusion und Ernüchterung. Von Zeit zu Zeit wird für seinen jungen Helden ein Traum Wirklichkeit; aber er erfüllt sich dabei nicht. Das gilt für die Liebe ebenso wie für den sozialen Ehrgeiz und leider oft auch die Kunst. Ein Initiationserlebnis ist die Begegnung mit dem Schriftsteller Bergotte. Allein der Name ist für Marcel ein symbolisches Gefäß, in dem ein ganzer Erwartungscocktail schäumt. Als er ihn nun bei den Swanns leibhaftig trifft und feststellen muss, dass der verehrte Greis in Wahrheit ein gedrungener Mann mit roter Schneckenhausnase und Spitzbart ist, wird wiederum effektvoll der Zusammenprall von Illusion und Wirklichkeit inszeniert. Marcel muss einsehen, dass Werk, Leben und noch mehr das gesellschaftliche Erscheinungsbild eines Schriftstellers ganz verschiedene Seiten der Persönlichkeit sind, die oft erstaunlich wenig miteinander zu tun haben.

Verwundern kann die Übersetzungsgeschichte dieses Großwerks des zwanzigsten Jahrhunderts. Eine angemessene deutsche Fassung ließ mehr als drei Jahrzehnte auf sich warten. Erst die vollständige Übertragung von Eva Rechel-Mertens, entstanden von 1953 bis 1957, gab Proust die deutsche Stimme. Dennoch ist es erfreulich, dass die Zeit der Alternativlosigkeit (Luzius Kellers Fassung der Suhrkamp-Werkausgabe basiert ja ebenfalls auf Rechel-Mertens' Übertragung) nun vorbei ist. In aller Stille hat der Linguist Bernd-Jürgen Fischer in zehnjähriger Arbeit die komplette "Recherche" übersetzt. Seine Fassung erscheint etappenweise seit dem vergangenen Jahr. Das Echo der Kritik blieb bisher allerdings verhalten. Manche scheinen Fischers Überraschungscoup als eine Art ungebührliche Bemächtigung zu empfinden. Suhrkamps Lufthoheit über Proust ist gefährdet!

Prousts Sätze sind lang und labyrinthisch, voller Differenzierungen und Parenthesen, Vergleiche und Analogien. Sätze, die unterwegs sind, als wären sie selbst kleine Geschichten, an deren Ende nach einer Reihe von Verwicklungen oft eine überraschende Auflösung steht. Eva Rechel-Mertens hat mit ihren manchmal geradezu lateinisch anmutenden Konstruktionen in den weit ausschwingenden Proustschen Satzbögen für Übersicht gesorgt. Sie hat mittels des Semikolons aus einer langen Nebensatzkonstruktion oft mehrere Hauptsätze gebaut, manchmal aus einem Satz zwei oder drei gemacht. Fischer dagegen bemüht sich, den langen Atem der Proustschen Satzbögen auch im Deutschen wehen zu lassen, und über weite Strecken gelingt ihm das gut. Dadurch bekommt der deutsche Proust einen neuen Ton, der dem Original näher ist als die bisherige Aufgeräumtheit. Vorzüge entwickelt Fischers Übersetzung darüber hinaus bei den Beschreibungen (Landschaften, Musik); lyrisch-poetische Passagen gelingen ihm meist besser.

Fischer hat das Ethos der meisten heutigen Übersetzer: so wortgetreu wie möglich zu übertragen. Das kann ein Gewinn sein. Als Albertine den fabelhaften Bloch das erste Mal auf der Promenade trifft, fragt sie Marcel: "Comment s'appelle-t-il, cet ostrogoth-là." Fischer nimmt's wörtlich, und man versteht gut, was mit dieser Redewendung gemeint ist. "Wer ist das denn, dieser Ostgote da?" Das klingt origineller als der "ungeschliffene Kerl" bei Rechel-Mertens.

Im Zusammenhang mit Bloch kommt immer wieder ein zentrales Motiv ins Spiel: der Antisemitismus der Ära Dreyfus. Albertine meint nach der Begegnung mit Bloch zu Marcel in Fischers Übersetzung: "Ich hätte wetten mögen, dass das ein Itzig war. Typisch deren Tour, hängen sich dran an einen wie die Zecken." Das klingt nicht schön; nicht nur durch den Zecken-Vergleich, auch durch die Bezeichnung "Itzig". "Jude" aber wäre zu schwach für den abwertenden französischen Ausdruck "youpin". Rechel-Mertens hatte die Stelle entschärft: "Das habe ich mir doch gedacht, dass das ein Judenjüngling ist. Die öden einen immer so an." Von Zecken keine Rede, was im Übrigen biologisch auch nicht völlig korrekt ist. "Faire la punaise", steht bei Proust, also etwa: "die Wanze machen".

Gleich darauf folgt eine Passage, die Albertines Verdruss über Bloch begründet. Der geschwätzige Bursche hat sie bloßgestellt. Albertine hatte sich den Fuß verstaucht und das als Vorwand genutzt, um eine lästige Einladung abzusagen. Manches Sportereignis lässt sie sich aber trotzdem nicht entgehen. Bloch plaudert es scherzhaft aus: "Sie liegt auf der Chaiselongue, aber dank der Gabe der Ubiquität taucht sie gleichzeitig hier und da beim Golf auf." So jedenfalls Rechel-Mertens; der theologische Begriff der "Ubiquität", der auch bei Proust steht und die Omnipräsenz Gottes meint, trifft wunderbar die hochgestochene Redeweise Blochs. In Fischers Eindeutschung dagegen ist die Pointe verwässert: "Sie befindet sich auf der Chaiselongue, doch im Wege der Allgegenwart besucht sie dennoch zugleich so manches Golfspiel."

Bisweilen führt Fischers Dogma der Wörtlichkeit zu fragwürdigen Ergebnissen. In Balbec begegnet Marcel Octave, einem smarten Burschen und Mädchenschwarm, immer mit Golf- und Tennisschläger unterwegs, bestens bewandert in allen Stil- und Kleidungsfragen, ein Kenner von Pferden, Zigarren und Bargetränken; nebenbei, eine Karikatur des jungen Jean Cocteau. Marcel jedenfalls ist von Octave beeindruckt und bedauert es, dass Albertine ihn nicht vorgestellt hat. "Aber woher", ruft Albertine in Fischers Neuübersetzung darauf aus, "ich kann Sie doch nicht so einem Gigolo vorstellen! Hier wimmelt das nur so von Gigolos!" Gigolo? "Ich kann Sie doch nicht mit so einem Laffen bekannt machen", hieß es bei Rechel-Mertens, und der "Laffe" scheint Albertines Verachtung treffender ausdrücken. Und was steht bei Proust? Tatsächlich "Gigolo". Das Problem liegt aber darin, dass "Gigolo" heute im Deutschen einen ganz anderen Klang hat als im Frankreich des Jahres 1919. Es ist (abgesehen von der Spezialbedeutung im Bereich sexueller Dienstleistungen) ein abgelebtes Illustriertenwort aus der Gunter-Sachs-Epoche.

Fischers Wörtlichkeit verfehlt den Geist des Originals, wenn dieser sich nur mit etwas lockerer Leine auch im Deutschen entfalten könnte. Von der Schauspielerin Léa sei bekannt, "dass ihre Neigungen nicht nach der Seite der Herren gingen", heißt es schlicht und witzig bei Rechel-Mertens. Bei Fischer ist nun die Rede von einer Frau, "deren Neigungen nicht in dem Ruf standen, sie hauptsächlich zum Herrenufer zu tragen". In solchen verstolperten Momenten wird klar: Auf Eva Rechel-Mertens können wir noch nicht verzichten. Denn sie verfügt über Esprit, Bernd-Jürgen Fischer eher nicht. Zu hoffen ist, dass er die ausstehenden Bände noch einmal überarbeitet, damit seine ambitionierte Übersetzung die Zukunft hat, die sie verdient.

WOLFGANG SCHNEIDER.

Marcel Proust: "Im Schatten junger Mädchenblüte". Auf der Suche nach der verlorenen Zeit 2.

Aus dem Französischen und mit Anmerkungen von Bernd-Jürgen Fischer. Reclam Verlag, Ditzingen 2014. 844 S., geb., 32,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.11.2013

14. November 1913 Vor 100 Jahren erschien der erste Band von Marcel Prousts Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“
Die chemische
Reaktion des Leidens
Bernd-Jürgen Fischer bringt Prousts „Recherche“ noch
einmal komplett ins Deutsche – der erste Band liegt vor
VON INA HARTWIG
Mit dem Titel geht es schon los. „Du côté de chez Swann“ – was soll das, bitteschön, bedeuten? Grammatisch ist das ein Clash, ein Zusammenprall zweier Ortsbestimmungen, und keineswegs das vornehme Französisch, das Marcel Proust nachgesagt wird. „Auf der Seite von bei Swann“ wäre die wörtliche Übersetzung, was natürlich weder Rudolf Schottlaender befolgte, der erste Übersetzer Prousts ins Deutsche, noch Eva Rechel-Mertens, die in den Fünfzigerjahren als bisher Einzige die sieben Bände von „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ vollständig übertragen hat; sie prägte den bis heute bei deutschsprachigen Proust-Lesern geläufigen Titel „In Swanns Welt“. Schottlaender hatte 1926 „Der Weg zu Swann“ vorgeschlagen. Jetzt, hundert Jahre nach der Originalausgabe, will Bernd-Jürgen Fischer die „Recherche“ noch einmal komplett übertragen; der erste Band liegt vor. Er nennt ihn „Auf dem Weg zu Swann“.
  Man kann lange darüber streiten, ob „côté“ treffend mit „Seite“, „Weg“ oder „Welt“ zu übertragen sei. Wichtig ist, dass ein weiterer Band der „Recherche“ das Wort im Titel führt: „Le côté de Guermantes“. Rechel-Mertens hatte, konsequent, „Die Welt der Guermantes“ daraus gemacht; Fischer kündigt „Der Weg nach Guermantes“ an. Mit „Unterwegs zu Swann“ versus „Guermantes“ hat sich Luzius Keller vorgewagt, als er Rechel-Mertens’ Übersetzung für die kommentierte Frankfurter Proust-Ausgabe bei Suhrkamp (1994-2002) überarbeitete; damit wurde die Titel-Korrespondenz der beiden „côtés“ ausgerechnet von einem der besten Proust-Kenner eliminiert.
  Der arme Rudolf Schottlaender, dessen „Swann“ von dem einflussreichen Romanisten Ernst Robert Curtius brutal verrissen worden war, durfte nicht weitermachen. Walter Benjamin und Franz Hessel haben die Staffel übernommen, aber nur „Im Schatten junger Mädchen“ und „Die Herzogin von Guermantes“ geschafft. Damit war die Ära der deutsch-jüdischen Proust-Übersetzer fürs Erste beendet.
  Das ist ein großer Jammer und nicht nur deshalb von Belang, weil Charles Swann, in dessen „Welt“ Proust uns eben hier einführt, ein Jude ist und damit Gegenpol zur „Welt“ der katholischen Aristokratie, prototypisch vertreten durch das Geschlecht der Guermantes (zu dem neben der Herzogin auch der schwule Charlus zählt). Die ganze „Recherche“, deren Gesellschaftsleben durch die Dreyfus-Affäre die härteste Prüfung erfährt, ist von Gegensätzen, von getrennten Welten oder Seiten, gekennzeichnet. Der tiefste Graben dürfte zwischen einem republikanisch gesinnten Judentum verlaufen und einer Aristokratie, die die Französische Revolution am liebsten rückgängig machte. Proust, erzogen von einer jüdischen Mutter, deren Humor er aufgesogen hat, witterte offenbar schon früh die Illusion vollständiger Integration. Sein jüdisch-katholisches Elternhaus war keineswegs die Regel, vielmehr im Paris der Jahrhundertwende die Ausnahme.
  Im ersten Band der „Recherche“ befinden wir uns in der jüdisch-republikanischen Illusionsphase: Swann, steinreich, gebildet, Mitglied des Jockeyclubs, ist ein anerkanntes Mitglied der Gesellschaft, bis hinein in höchste Regierungskreise. Bei den Eltern des Erzählers in Combray ist er ein gern gesehener Gast (seinetwegen muss Marcel auf den sehnlich erwarteten mütterlichen Gute-Nacht-Kuss verzichten). Swann ist verheiratet mit Odette, einer ehemaligen Kokotte, und hat eine Tochter, Gilberte, in die sich der Erzähler, durch eine Weißdornhecke spähend, verliebt.
  „Du côté de chez Swann“ besteht aus drei Teilen, wovon der mittlere und längste, „Eine Liebe von Swann“, rückblickend aus Sicht eines allwissenden Erzählers berichtet wird, als Roman im Roman. Die Story geht vor die Geburt Marcels zurück, als Swann einer Frau verfiel, die „nicht sein Genre“ war; eben Odette. Von Wagner versteht die Dame etwa so viel „wie der Hund vom Klavierspielen“ (Schottlaender) oder „wie die Kuh vom Zitherspielen“ (Rechel-Mertens) oder: die Wagners Opern anzuhören „so viel interessiert wie eine Kuh das Stricken“ – so übersetzt Fischer und wirft ein gelungenes „na, viel Spaß!“ hinterher. Damit kommt er dem Originaltext durchaus nah: „Entendre du Wagner . . . avec elle qui s’en soucie comme un poisson d’une pomme, ce serait gai!“ Sieh an, bei Proust sind’s Fisch und Apfel, die Odettes musikalischen Stupor anzeigen! Redewendungen sind das Schlaraffenland der Übersetzer. Das Vergnügen sei ihnen gegönnt.
  Empfindlicher muss man auf Eingriffe reagieren, die an die Substanz des Gedankengebäudes rühren. So ist im Original in Bezug auf Swanns notorische Eifersucht vom „chimisme même de son mal“ die Rede. Diesen „Chemismus seines Leidens“ hat bislang lediglich Luzius Keller übernommen; alle anderen stören sich daran. Bei Rechel-Mertens wird eine „merkwürdige Alchemie“ daraus, die im Original aber nicht zu finden ist: „Ainsi, par le chimisme de son mal, après qu’il avait fait de la jalousie avec son amour, il recommencait à fabriquer de la trendresse, de la pitié pour Odette.“ Fischer, dazu neigend, Fremdwörter zu unterdrücken, schreibt: „So also begann er wieder nach dem gleichen Umwandlungsverfahren seines Leidens, mit dem er aus seiner Liebe seine Eifersucht erzeugt hatte, Zärtlichkeit und Mitleid für Odette hervorzubringen.“ Es ist ja nicht so, dass Proust der „Chemismus“ unterlaufen wäre! Er trifft vielmehr den Kern der Sache: Eifersucht folgt chemischen Gesetzen; sie ist zugleich Bedingung der Liebe und eine Krankheit. Diese Sinnlichkeit chemischer Reaktionen hat mit romantischer Hingabe und geteilter Zuneigung nichts, aber auch gar nichts zu tun. Für Prousts böse Liebestheorie, die sich in der Beziehung des Erzählers zu Albertine noch steigern wird, ist Swann das Urmodell.
  Hinzu kommt: Prousts Roman steckt voller Ärzte-Satire, was pikant ist angesichts der medizinischen Großkarriere seines eigenen Vaters (Choleraforscher, Universitätsprofessor, Akademiemitglied), von dessen Wissen er offenkundig profitierte. So sehr, dass die Ärzte der „Recherche“ im Grunde Hochstapler sind, allen voran Doktor Cottard aus dem „kleinen Kreis“ der Salonkönigin Madame Verdurin. Da passt es doch ganz vorzüglich, wenn es über Swanns Liebe resümierend heißt, sie sei, „wie man es in der Chirurgie ausdrückt, nicht mehr operabel“.
  Um Prousts Biss hat sich der lange Zeit unterschätzte Rudolf Schottlaender hochverdient gemacht. So macht er beispielsweise aus „ça ne devrait pas être permis de jouer Wagner comme ça!“ (wörtlich: Es sollte nicht erlaubt sein, Wagner so zu spielen!): „Es ist einfach polizeiwidrig schön, wie er seinen Wagner kann.“ Man vernimmt hier das unverklemmte, gewitzte, das moderne Deutsch der Weimarer Republik, das die Nazis konsequent zu vernichten wussten. Eva Rechel-Mertens’ Übertragung mit ihrer ausgewogenen, stilsicheren Sprache bleibt kanonisch. Luzius Keller liefert den interessantesten, werkgenetisch aufschlussreichen Anmerkungsteil. Auch Bernd-Jürgen Fischers Apparat beeindruckt durch eine schwerpunktmäßig historische Detailfülle.
  Die neue Übersetzung vermag die von Eva Rechel-Mertens dennoch nicht abzulösen, das lässt sich nach dem ersten Band bereits sagen. Zu schwankend sind bei Fischer die Sprachebenen; mal altertümelnd, dann wieder kommt mit einer „Bauernmaid“ (für „paysanne“) eine allzu forsche Färbung herein. Sicher, „Fehler“ lassen sich in jeder Übersetzung nachweisen. Was die Neuübersetzung eines Klassikers aber leisten muss, ist, den Ton zu treffen, den des Werks wie den der Gegenwart. Bei Fischer fehlen Glanz und zeitgenössischer Drive. Das eben war bei Schottlaender, aller „Fehler“ zum Trotz, anders.
Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. 1: Auf dem Weg zu Swann. Übersetzung und Anmerkungen von Bernd-Jürgen Fischer. Reclam Verlag, Stuttgart 2013. 693 Seiten, 29,95 Euro.
Wagners Musik interessiert Odette
so viel „wie eine Kuh das Stricken“
    
    
So profan sah sie aus, die Erstausgabe von Band eins des monumentalen Romans:
Marcel Prousts „À la recherche du temps perdu –
Du côté de chez Swann“ erschien 1913 bei Bernard Grasset, Paris. FOTO: OH
Im Schatten junger Männerblüte: Marcel Proust im Kreis
seiner Freunde, Robert de Flers (links) und Lucien Daudet, undatierte kolorierte Aufnahme.
FOTO: RUE DES ARCHIVES / SÜDDEUTSCHE ZEITUNG PHOTO
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