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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Wie Daniela Dahn die Gesellschaft umstürzen will
„Die einst geforderte Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat genügt nicht mehr – heute geht es um die Pflicht des Staates zum Gehorsam gegen den Bürger.“ So beginnt die neue Streitschrift von Daniela Dahn, „Wir sind der Staat – Warum Volk sein nicht genügt“. Und gleich im zweiten Satz kommt mit elementarer Wucht, gewissermaßen ihr Aufruf, ja Aufschrei zum Umsturz gegen Gewissenlosigkeit und Maßlosigkeit: „Durch Weigerung ist Macht nicht zu bekehren, die Konflikte haben Dimensionen angenommen, die nur noch durch Selbstermächtigung zu lösen sind.“
Mit einer Schrift wider die bestehende Ordnung hat der Leser es also zu tun. Geordnet in acht Kapitel. Dahns Antwort auf ihre Frage „Haben wir den Staat, den wir verdienen?“ bringt sie zu dem Schluss, dass „die Kommunikation zwischen oben und unten nicht zufällig gestört“ sei. Fast genauso fand sich eben dieser Satz im Programm des „Neuen Forum“ im Herbst 1989. In dieser Umbruchzeit war die Autorin Gründungsmitglied der Oppositionsbewegung „Demokratischer Aufbruch“, der sie nach kurzer Zeit wegen Vereinnahmung durch die CDU/CSU den Rücken kehrte.
Im zweiten Kapitel „Wer herrscht? Das Phantom der Volkssouveränität“ führt uns der Furor des sachkundigen Zorns der Autorin zunächst in die Geschichte des Staatsrechts. Unterfüttert von Zitaten und Belegen aus Vergangenheit und jüngster Gegenwart, beschwört das Kapitel die „nie erreichte verfassungs- und gesetzgebende Kraft des Volkes – das ist die teilsouveräne Gewalt, die zu erobern nunmehr unwiderruflich ansteht“. Analyse wechselt in diesem Buch mit Handlungsvorschlägen, endlich die Macht der „unsichtbaren Clans“, die Dahn sehr wohl benennt, zu brechen.
Im dritten Kapitel stellt die Autorin die Frage „Worüber wird geherrscht?“ Sogleich gibt sie die Antwort: „Der Staat sichert die Eigentumsordnung.“ Papst Benedikt, mittlerweile Privatperson, wurde im Bundestag mit seinem Verweis auf Worte des Heiligen Augustinus bemüht: „Nimm das Recht weg – was ist ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande.“ Aber, so Dahn, habe der Zitierte „nicht übersehen, dass die Staaten von Anfang an grade durch das von ihnen geschaffene Recht zu Räuberbanden wurden“? So eben auch wen wundert’s?, die Bundesrepublik.
„Der Gürtel der Habenichtse darf unbegrenzt enger geschnallt werden.“ Das sei die neue Staatsphilosophie, gegossen in die Hartz-IV-Gesetze und empfohlen für den europäischen Export. Doch kritisch geht Dahn auch mit dem Anfangsmythos der Bundesrepublik, dem von Ludwig Erhard proklamierten „Wohlstand für alle“ ins Gericht. Was in Zeiten des Wirtschaftswunders aufzugehen schien, sei eben kein „gewachsenes Eigentumsrecht“. Dahn stellt schlichtweg fest, dass die Hälfte der Bundesbürger heute kein Vermögen hat.
Somit: Die Eigentumsrechte der wenigen sind mehr wert als die politischen Beteiligungsrechte der vielen.“ Beispiel Bankenrettung: „Der Stempel too big to fail ist ein traumhafter Freibrief für jede Gaunerei.“ Dahn geht es um die am Reibach unbeteiligten Bürger, die „too small to care“ sind. Fazit bis hierhin: „Das römische Recht ist die Scharia der weißen Eigentümer. Diesen Fundamentalismus zu unterbinden, steht in den Entwicklungsländern genauso an wie im Ruhrgebiet.“
Und dann sind auch so schöne Sätze zu lesen wie: „Die europäische Demokratie ist noch eine Baustelle, die internationale eine Brache.“
In den folgenden Kapiteln geht der aufhellende Rechts- und Gerechtigkeitsexkurs weiter. Mal in der Form eines fiktiven Tribunals, mal als virtueller Volkshochschulkurs. Ein guter Kunstgriff, um Belege zu liefern, für, ja für Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Namen des Rechts, und um Nachdenkhilfe zu geben durch Anleihen bei Vordenkern. Und so lesen wir von den „unsichtbaren Clans“, vom „Staatsstreich des Kapitals“, jeweils mit aussagestarken Verweisen.
Nach dieser Dahnschen Logik geht es dann an die „Selbstermächtigung der Bürger“. Da genügt der Autorin die Parteiendemokratie nicht mehr. Keine Partei nimmt sie aus in ihrer Kritik. Sich auf Hannah Arendt berufend, belebt sie den Rätegedanken neu, wenngleich „nicht als sofortige, ultimative Lösung, aber als möglicher demokratischer Ausweg aus der Parteienkrise“.
Dahn will nicht hinnehmen, dass sich der Staat immer mehr in eine „Apparatur zum Schutz systemrelevanten Privateigentums auf Kosten der Allgemeinheit“ verwandelt. „Gold den Hütten, Grau den Palästen“, frei nach Georg Büchner ist das ihre Kernforderung. Das ist noch kein neues „Kommunistisches Manifest“, aus dem freilich in vorliegendem Buch zitiert wird, es ist eher ein Essay in der Art von Stéphane Hessels „Empört euch!“ (aus dem nicht zitiert wird). Dabei ist Hessels Fazit ganz im Sinne von Dahn: „Neues schaffen“, schrieb er, „heißt, Widerstand leisten. Widerstand leisten heißt, Neues schaffen.“
Und noch ein Blick nach Frankreich, ins Mutterland der Revolution, sei gestattet. Das Buch von Daniela Dahn hat mich auch an Émile Zolas „J’accuse“ erinnert, dessen offener Brief 1898 an den französischen Staatschef zur Affäre Dreyfus nicht nur die Titelseiten von Tageszeitungen füllte. Zola wurde für diesen Text angeklagt und emigrierte, um der Haft zu ergehen. Zu seiner Genugtuung kam es einige Jahre später unter einer neuen, einer linken, Regierung in Frankreich zur Trennung von Kirche und Staat.
Bei Daniela Dahn geht es nun also um die Trennung von Eigentum und Staat. Ein Exil zumindest hat diese Frau nicht zu befürchten, die vor einigen Jahren um ein Haar Verfassungsrichterin in Brandenburg geworden wäre. Einer lebendigen Diskussion über ihre Thesen kann sie sich aber gewiss sein.
HANNO HARNISCH
Daniela Dahn: Wir sind der Staat. Warum Volk sein nicht genügt. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013. 166 Seiten, 16,96 Euro.
Hanno Harnisch war in der DDR Rundfunkjournalist. Von 2002 bis 2009 war er Feuilletonchef des Neuen Deutschland. Er ist Gastprofessor für Journalismus an der Universität Rostow am Don und Stellvertretender Pressesprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag.
Gold den Hütten, Grau
den Palästen: Das ist
Daniela Dahns Credo
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