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Die Deutschen stehen seit Jahrhunderten in regem Austausch mit der islamischen Welt. Und doch sind sie hin- und hergerissen zwischen Faszination und Verachtung. Für Joseph Croitoru öffnet sich dieser Zwiespalt schon im Zeitalter der Aufklärung. Bei Staatsmännern wie Friedrich dem Großen, Denkern wie Herder und Autoren wie Lessing finden sich Klischees, die uns noch heute begegnen: Luxus und Reichtum, Falschheit und Faulheit. Die Aufklärung war aber doch mit dem Anspruch angetreten, sich des eigenen Verstandes zu bedienen? Dieses Buch ist ein Appell, in der Auseinandersetzung mit dem…mehr

Produktbeschreibung
Die Deutschen stehen seit Jahrhunderten in regem Austausch mit der islamischen Welt. Und doch sind sie hin- und hergerissen zwischen Faszination und Verachtung. Für Joseph Croitoru öffnet sich dieser Zwiespalt schon im Zeitalter der Aufklärung. Bei Staatsmännern wie Friedrich dem Großen, Denkern wie Herder und Autoren wie Lessing finden sich Klischees, die uns noch heute begegnen: Luxus und Reichtum, Falschheit und Faulheit. Die Aufklärung war aber doch mit dem Anspruch angetreten, sich des eigenen Verstandes zu bedienen? Dieses Buch ist ein Appell, in der Auseinandersetzung mit dem islamischen Orient endlich den Maximen der Aufklärung gerecht zu werden - was heute dringender nottut denn je.
Autorenporträt
Croitoru, JosephJoseph Croitoru, 1960 in Haifa geboren, ist promovierter Historiker und freier Journalist. Er studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Judaistik in Jerusalem und Freiburg. Seit den 1990er Jahren schreibt er regelmäßig für die Feuilletons der FAZ und NZZ mit den Schwerpunkten Nahost und Osteuropa. Er lebt in der Nähe von Freiburg. Sein 2003 im Carl Hanser Verlag erschienenes Buch Der Märtyrer als Waffe. Die historischen Wurzeln des Selbstmordattentats war mehrfach auf der SZ/NDR-Bestenliste platziert. 2018 folgte bei Hanser: Die Deutschen und der Orient. Faszination, Verachtung und die Widersprüche der Aufklärung.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2018

Hilli und Halla
Mohammed-Karikaturen allüberall: Joseph Croitoru lässt in seinem Buch „Die Deutschen und der Orient“
lieb gewordene Illusionen über die Aufklärung des 18. Jahrhunderts platzen
VON LOTHAR MÜLLER
Im August 1775 schrieb Friedrich der Große an Voltaire, er verhandele derzeit „mit tausend mohammedanischen Familien, denen ich in Westpreußen Heimstätten und Moscheen geben will. So wird es hier die vorgeschriebenen Ritualwaschungen geben, und man wird, ohne Anstoß daran zu nehmen, hilli und halla singen hören. Dies war die einzige Sekte, die in diesem Land noch fehlte.“ Eher nonchalant zitierte er mit „hilli und halla“ das islamische Glaubensbekenntnis: „La ilaha illa Allah wa-Muhammad rasul Allah“ (Es gibt keinen Gott außer Allah und Muhammad ist sein Gesandter). Friedrichs Sympathien für Mohammed waren gering, er hielt generell wenig von Propheten. Seine im Juli gegebene Order, „die in Polen sich aufhaltenden Tataren zu persuadiren, dass selbige sich in Meinen Landen niederlassen“, war Teil seines Konzepts, die Entwicklung Westpreußens durch die Ansiedlung von Einwanderern zu fördern.
Voltaire überging die Ankündigung mit Schweigen. Vielleicht, weil ihr ein wenig Spott beigemischt war. Friedrich hatte angemerkt, er handele „als treuer Jünger des Patriarchen von Ferney“, und das war Voltaire selbst, der für sein anti-mohammedanisches Drama „Mahomet“ (1741) in ganz Europa berühmt war und sich seit Jahren vergeblich bemühte, den preußischen König dazu zu bewegen, gemeinsam mit Katharina II. die Türken das Osmanische Reich zu zerschlagen.
Der Historiker Joseph Croitoru, der 1960 in Haifa geboren wurde und für deutsche Zeitungen über den Nahen Osten und Osteuropa schreibt, erzählt diese Episode im Eingangskapitel seines Buches „Die Deutschen und der Orient“. Sie zeigt, wie sich das anfängliche Einverständnis zwischen Friedrich und Voltaire, die beide in Mohammed eine exemplarische Figur der machtpolitischen Instrumentalisierung von Religion sahen, zum Dissens über den Umgang mit dem aktuellen islamischen Großreich wandelt. Der Dissens ging aus Friedrichs eigener Machtpolitik hervor, aus der Notwendigkeit, die preußische Expansion seit den Schlesischen Kriegen durch Bündnispolitik abzusichern. Als er 1749 befürchten musste, Russland und Österreich könnten sich zu einem Angriff auf Preußen verbünden, nutzte er den Besuch des Janitscharenrittmeisters Said Effendi in Potsdam zur öffentliche Demonstration seiner Bemühungen um eine preußisch-türkische Militärallianz.
Der Leser lernt in diesem Auftaktkapitel die beiden Grundregeln kennen, denen Croitorus Buch folgt. Die erste besagt: Achte auf die politische Großwetterlage und die aktuellen Ereignisse, die den Autoren vor Augen stehen, wenn sie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts über den Islam schreiben. Die zweite lautet: Beschränk dich nicht auf das, was damals in Büchern zu lesen war, nimm hinzu, was in den Zeitungen und Zeitschriften stand, sie sind die Medien, in denen die schöngeistigen Debatten über die morgenländische Poesie auf die Nachrichten über Kriegsereignisse, Gesandtschaften und diplomatische Initiativen treffen.
Beide Grundregeln sind ergiebig. Die erste führt zur ständigen Hintergrundanwesenheit des russisch-türkischen Krieg von 1768 bis 1774 und des russisch-österreichischen Kriegs gegen das Osmanische Reich von 1787 bis 1792. Sie stellt die imaginären Türkenfiguren der Opernbühnen, Kunstmärchen, Erzählungen und Gedichte in einen aktuellen Echoraum. Die zweite Regel macht die Bedeutung der Pressepolitik Friedrichs des Großen für die islam- und türkenfreundlichen Tendenzen in der preußischen Öffentlichkeit kenntlich.
Als Gotthold Ephraim Lessing 1751 Redakteur der Berlinischen privilegierten Zeitung wurde, war seine Kritik an den negativen Stereotypen über den Orient am preußischen Hof willkommen. Die Nachzeichnung der islamfreundlichen Position Lessings ist nur ein Seitenstrang in Croitorus Buch. Seine Hauptthese besagt, dass Lessings Haltung zum Islam gerade nicht repräsentativ für die Aufklärung in Deutschland gewesen ist.
In der aktuellen Islamdebatte sehen sich diejenigen, die den Satz verteidigen, der Islam gehöre zu Deutschland, als Erben der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, berufen sich auf ihre Toleranzgebote und ihre Vorurteilskritik, auf ihren Kosmopolitismus, ihre Lust am Übersetzen. Dagegen setzt Croitoru sein Buch als eine Warntafel: Ihr, die Ihr heute Thilo Sarrazin kritisiert, glaubt nicht, dass Ihr Euch auf eine starke Tradition berufen könnt! Die Verachtung des Islam und die Dämonisierung seines Begründers waren auch dort weit verbreitet, wo Ihr sie nicht vermutet, mitten in der Aufklärung selbst, sie sind tiefer verwurzelt, als Euch lieb sein kann.
Voltaire ist auch deshalb eine Portalfigur dieses Buches, weil er Repräsentant der historischen Aufklärung ist und zugleich gegen Mohammed als einen „Betrüger“ polemisiert. Eher en passant lässt Croitoru erkennen, dass es für dieses „Betrüger“-Etikett zwei Quellen gibt, die im 17. Jahrhundert wurzelnde europäische Radikalaufklärung und die christliche Abwehr eines konkurrierenden Monotheismus. Bei den Radikalaufklärern kursierte die anonyme Abhandlung „Über die drei Betrüger“, die Moses, Jesus und Mohammed gleichermaßen den Prozess machte. Sie hinterließ ihre Spuren in den Schriften des Marquis d’Argens, der erotische Romane schrieb, mit Friedrich und Voltaire in Potsdam über Kleriker herzog und seinen Spott über die islamische Religion mit seinen Reiseerfahrungen als Gesandtschaftssekretär in arabischen Ländern und Anekdoten aus seinem Aufenthalt in Konstantinopel würzte. Der Marquis hat seinen Auftritt im Auftaktkapitel, wichtiger ist Croitoru die zweite, im Deutschland des 18. Jahrhunderts reichlich sprudelnde Quelle der Abwertung des Islams im Interesse der christlichen Religion.
Wenn hier Mohammed als Betrüger abgekanzelt wird, dann mit dem Ziel, dem Islam den Rang einer Offenbarungsreligion abzusprechen. Die erste deutsche Koranübersetzung aus dem Arabischen, die 1771 auf den Markt kam, hat ein Mohammed-Verächter angefertigt, der evangelische Pastor und Orientalist David Friedrich Megerlin, der in seiner Vorrede den Religionsstifter als Antichrist und falschen Propheten schmähte. Goethe hat sie sogleich für sein Gedicht „Mahomets Gesang“ verwendete, und er selbst dürfte der Verfasser des Verrisses sein, mit dem sie in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen bedacht wurde.
Eine Schlüsselrolle für die Anfänge der Orientalistik in Deutschland spielte das Bündnis der protestantischen Theologie mit der Philologie. Zu Recht widmet Croitoru dieser Frühgeschichte der Orientalistik breiten Raum, im Blick vor allem auf den Göttinger Professor Johann David Michaelis und seinen Leipziger Rivalen Johann Jacob Reiske. Michaelis glaubte, weil er die arabische Kultur für geschichts- und entwicklungslos hielt, ihre vorislamischen Zeugnisse ließen sich wie ein Archiv benutzen, in dem die Lebenswelt der Juden zur Zeit der Entstehung der Bibel festgehalten ist. Seine Entdeckung des Eigenwerts der arabischen Poesie ließ sich leicht mit einem herablassenden Blick auf die islamische Religion (und auch einer gehörigen Portion Antijudaismus) verbinden. Johann Jacob Reiske steht demgegenüber für das Studium des Arabischen als lebendiger, über die Zeiten hinweg kulturell produktiver Sprache, und es liegt eine gewisse Ironie darin, dass ausgerechnet die von Michaelis initiierte und mit einem Fragenkatalog versehene Arabien-Expedition Carsten Niebuhrs die Position Reiskes bekräftigte. Niebuhrs Reisebericht erbrachte wenig für die These, über die arabische Sprache und Kultur ließe sich die biblische Lebenswelt rekonstruieren, und entlastete die Araber von dem Vorwurf, sie seien eine Nation von Betrügern und Räubern.
Wer von diesem Buch eine Geschichte des Orientalismus erwartet, in der Feenmärchen, fantasierte Serails und Kostümmuftis, von alla- turca-Melodien umspielt, eine Hauptrolle spielen, der wird enttäuscht sein. Croitoru geht mit den deutschen Literaten hart ins Gericht. Der Domkanonikus Johann Wilhelm Ludwig Gleim, einer der Erfinder des empfindsamen Freundschaftskultes, entpuppt sich als antitürkischer Kriegshetzer, nicht anders Christian Friedrich Daniel Schubart in Württemberg, und in Christoph Martin Wielands Roman „Der goldene Spiegel“ wie in seiner Versdichtung „Oberon“ entdeckt Croitoru schwarze, den Rassismus streifende Flecken. Manchmal, etwa im Umgang mit Schiller oder Herder, deren skeptischen Äußerungen über Mohammed sich freundlichere Zitate gegenüberstellen ließen, ist seine Warntafel allzu streng. Ihre Kernthese aber, dass die Islamfeindschaft zur deutschen Aufklärung gehört, vertritt sie überzeugend.
Joseph Croitoru: Die Deutschen und der Orient. Faszination, Verachtung und die Widersprüche der Aufklärung. Carl Hanser Verlag, München 2018. 416 Seiten, 28 Euro.
Die Verachtung des Islam
war mitten in der Aufklärung
stark verwurzelt
Unter Radikalaufklärern
kursierte die Abhandlung
„Über die drei Betrüger“
Brille mit Kamera,
Mikrofon
und integriertem
Bildschirm, 1997.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.03.2019

Der Orient in den Köpfen der Aufklärer
Mit Seitenblick auf die Gegenwart: Joseph Croitoru zeichnet Debatten über den Islam im achtzehnten Jahrhundert nach

Die Namen Thilo Sarrazin und Navid Kermani tauchen gar nicht auf in Joseph Croitorus Buch "Die Deutschen und der Orient" - und doch sind sie bei der Lektüre ständig präsent. Der Autor fächert die Islamdebatten im achtzehnten Jahrhundert auf; die vermeintliche Rückständigkeit der Muslime und die ästhetische Schönheit des Korans sind darin wiederkehrende Topoi. Der Historiker und Journalist, der auch regelmäßig für diese Zeitung schreibt, arbeitet eng an den Quellen, zitiert ausgiebig aus Dramen, Aufsätzen und Briefen der Aufklärer, und dennoch ist ihm ein äußerst gegenwärtiges Buch geglückt.

Ausführlich widmet er sich der Wahrnehmung des Orients am Hofe Friedrichs des Großen. Der ergötzte sich als Thronfolger zwar an seinem intellektuellen Austausch mit Voltaire, war auch begeistert von dessen islamfeindlichem Theaterstück "Mahomet" (F.A.Z. vom 29. Dezember 2017), aber nach den Schlesischen Kriegen sah er das Osmanische Reich als potentiellen Verbündeten gegen Österreich und Russland und förderte daraufhin eine islamfreundliche Publizistik.

Sogar Voltaire mäßigte nun seinen Spott und gestand dem Religionsstifter Mohammed zu, "fast ganz Asien aus der Abgötterey" herausgerissen zu haben. Am stärksten aber tat sich Gotthold Ephraim Lessing als Islamversteher hervor. Schon weit vor seinem Spätwerk "Nathan der Weise" befasste sich der Verfechter der religiösen Toleranz ausführlich mit dem Islam. In Dramenentwürfen bemühte er sich um ein positives Bild der Religion, aber auch in Rezensionen und Übersetzungen, wobei er Kritik an den Muslimen in den Originalen häufig ignorierte. Heute würde man wohl von Framing sprechen. Gleichermaßen bedienten sich auch islamkritische Autoren des achtzehnten Jahrhunderts der Technik des selektiven Lesens. Ganz ähnlich wird heute Surensucherei betrieben, um je nach Auslegung zu insinuieren, dass der Islam eine Religion des Friedens beziehungsweise der kriegerischen Unterwerfung ist.

Für Lessing war die Darstellung des Islams als vernunftgeleitete Religion gleich doppelt ein Mittel zum Zweck: Sie diente ihm einerseits als Kritik an Ausprägungen des Christentums, die seinen aufklärerischen Ideen widersprachen, andererseits war der islamfreundliche Ton in Zeiten der preußisch-osmanischen Annäherung schlicht opportun. In seiner Zeit als Dramaturg am Hamburger Nationaltheater stand Lessing islamkritischen Werken dann allerdings deutlich offener gegenüber. Der Grund war recht profan: Das Theater benötigte dringend Geld, und Islamkritik war schon damals ein Garant für einen Publikumserfolg.

Croitoru legt auf beeindruckende Weise bloß, wie politische Konjunkturen, die Zensur und die Sorgen um das eigene berufliche Fortkommen treibende Kräfte für das Wirken der Denker der Aufklärung waren. Er beschränkt sich nicht auf Dichtergrößen wie Voltaire, Lessing oder den vom Propheten Mohammed faszinierten jungen Goethe. Seine Protagonisten sind auch der "Leipziger Literaturpapst" Johann Christoph Gottsched, der frühe Arabist Johann Jacob Reiske, der sich für eine kulturhistorische Auseinandersetzung mit der arabischer Dichtkunst einsetzte, ebenso wie der patriotische Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim.

Der hatte 1774 sein weithin rezipiertes Lehrgedicht "Halladat" veröffentlicht, für Croitoru "die Geburtsstunde der ersten deutschen, stellenweise vom Koran inspirierten Dichtung". Diese Inspiration hielt ihn jedoch nicht ab, Muslime in anderen Gedichten des Aberglaubens zu bezichtigen, die Osmanen als "Hunde" zu bezeichnen und den österreichischen Kaiser Joseph II. zum Krieg gegen die Türken aufzurufen. Der Türkenhass, mit dem Gleim bei weitem nicht allein war, wurde gespeist vom aufkeimenden Philhellenismus - Griechenland müsse vom Joch der Osmanenherrschaft befreit werden, um den Traum der Wiedergeburt des antiken Hellas zu verwirklichen.

Croitoru zeigt auf, wie sehr die damalige Debatte von romantisierenden oder abwertenden Wunschvorstellungen geprägt war. Der Orient befand sich in den Köpfen der Aufklärer. Die eigene Anschauung war nicht so relevant. Wenn es die Möglichkeit der direkten Begegnung mit Muslimen gab, wurden die Erlebnisse häufig im Sinne der eigenen Deutungsmuster interpretiert. Der Forschungsreisende Carsten Niebuhr stellt da eine Ausnahme dar. Im Vorbericht seiner "Beschreibung von Arabien" von 1772 warnte er die Europäer, "zu früh über die Sitten anderer Nationen" zu urteilen. Mit seinen differenzierten Reiseberichten zielte Niebuhr auf den Nachweis ab, dass die Araber weder schlechter noch besser seien als die Europäer. In der Rezeption - zumindest außerhalb Preußens - wurde aber wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass Niebuhr betonte, um wie viel höflicher und zivilisierter die Araber im Vergleich zu den Türken seien.

Im Rahmen der Bemühungen um eine preußisch-osmanische Allianz waren 1763 und 1791 jeweils große Delegationen aus Konstantinopel nach Berlin und Potsdam gekommen. Die Gesandten und ihre Begleiter wurden fasziniert beobachtet, bewirtet, in die Oper eingeladen und von vielen in der Bevölkerung sogar nachgeahmt. Friedrich der Große kommentierte beißend, ihn würde es nicht wundern, "wenn der Reiz des Neuen nicht irgendeinen meiner dummen Landsleute dazu treiben würde, sich beschneiden zu lassen". Als sich die Aufenthalte in die Länge zogen und immer teurer wurden, lästerten dann immer mehr Diplomaten darüber, wie habgierig und ungesittet die Türken seien.

Seit vierzig Jahren ist wohl kaum ein Buch mit dem Wort "Orient" im Titel erschienen, das nicht Bezug nahm auf die Theorien Edward Saids. Croitoru kann auch ohne. Den Debattierenden des späten achtzehnten Jahrhunderts ging es schließlich weniger um eine Auseinandersetzung mit den Muslimen oder eine Abgrenzung von ihnen als vielmehr um die Deutungshoheit in einer innerdeutschen Debatte. Joseph Croitoru wirft daher mit seinem quellensatten Buch nicht nur neues Licht auf die Zeit, die wir Aufklärung nennen. Die Klarheit, mit der er Strategien, Stereotype und Streitpunkte der Islamdebatte des achtzehnten Jahrhunderts offenlegt, führt auch direkt in die Gegenwart.

MORITZ BEHRENDT.

Joseph Croitoru: "Die Deutschen und der Orient". Faszination, Verachtung und die Widersprüche der Aufklärung.

Carl Hanser Verlag, München 2018. 415 S., geb., 28,- [Euro].

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"Joseph Croitoru lässt in seinem Buch lieb gewordene Illusionen über die Aufklärung des 18. Jahrhunderts platzen". Lothar Müller, Süddeutsche Zeitung, 09.10.18

"Croitoru legt auf beeindruckende Weise bloß, wie politische Konjunkturen, die Zensur und die Sorgen um das eigene berufliche Fortkommen treibende Kräfte für das Wirken der Denker der Aufklärung waren. [...] Er wirft daher mit seinem quellensatten Buch nicht nur neues Licht auf die Zeit, die wir Aufklärung nennen. Die Klarheit, mit der er Strategien, Stereotype und Streitpunkte der Islamdebatte des achtzehnten Jahrhunderts offenlegt, führt auch direkt in die Gegenwart." Moritz Behrendt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.03.19

"Man muss Croitoru dankbar sein, diese Zusammenhänge (...) in einer Zeit in Erinnerung zu rufen, in der Russophilie und Islamophobie dies- und jenseits des Atlantiks eine unheilige Allianz miteinander eingehen." Konstantin Sakkas, SWR 2 Lesenswert, 24.09.18

"Das Buch fällt (...) durch dreierlei auf: Einmal durch diese erzählerischen Passagen, die sehr ausgeprägt sind, aber auch durch eine scharfe Analyse. Und als drittes durch eine ungeheure Quellenlage - das ist schon beeindruckend, was Croitoru alles gelesen hat." Kersten Knipp, WDR 3 Gutenbergs Welt, 22.09.18

"Man liest Croitorus erhellendes, überaus facettenreiches Buch unweigerlich im Hinblick auf heutige Debatten und Gereiztheiten. Und staunt darüber, wie tief deren Wurzeln sind. Dieses Werk erweitert unser Bild der Aufklärung auf unerwartete Weise." Wolfgang Schneider, DLF Studio9, 22.10.18

"Ein wunderbar wichtiger Beitrag im Verständnis um die vielfältig gelagerten Auseinandersetzungen der Deutschen mit dem islamischen Osten - zweifelsohne äußerst empfehlenswert! Melanie Christina Mohr, Qantara, 04.02.19
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