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'Das Böse warum fasziniert es uns und stößt uns zugleich ab? Gibt es das absolute Böse? Sind Terroristen unmenschliche Monster? Gibt es so etwas wie Sünde? Werden wir böse geboren, oder macht uns erst die Gesellschaft zu Übeltätern? Terry Eagleton, überzeugter Marxist und bekennender Katholik, geht dem Phänomen des Bösen auf den Grund. Dabei zieht er Augustinus und die Bibel ebenso heran wie Sigmund Freud, Hannah Arendt, Thomas Mann, William Shakespeare und die Daily Mail. Brillant, scharfsinnig und originell legt Eagleton dar, dass das Böse nihilistisch und selbstzerstörerisch ist und dass…mehr

Produktbeschreibung
'Das Böse warum fasziniert es uns und stößt uns zugleich ab? Gibt es das absolute Böse? Sind Terroristen unmenschliche Monster? Gibt es so etwas wie Sünde? Werden wir böse geboren, oder macht uns erst die Gesellschaft zu Übeltätern? Terry Eagleton, überzeugter Marxist und bekennender Katholik, geht dem Phänomen des Bösen auf den Grund. Dabei zieht er Augustinus und die Bibel ebenso heran wie Sigmund Freud, Hannah Arendt, Thomas Mann, William Shakespeare und die Daily Mail. Brillant, scharfsinnig und originell legt Eagleton dar, dass das Böse nihilistisch und selbstzerstörerisch ist und dass abstrakte Ideengebäude zwar das Gute wollen, aber meist das Schlechte erschaffen. Eagleton liefert keine vorgefertigte Definition des Bösen. Vielmehr lädt er die Leser zum Mitdenken ein.
Autorenporträt
Terry Eagleton, geb. 1943 im englischen Salford, ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

Hainer Kober, 1942 geboren, studierte Germanistik und Romanistik. Seit 1972 übersetzt er aus dem Französischen und Englischen. Unter anderem hat er Werke von Stephen Hawking, Oliver Sacks, Jonathan Littell, Terry Eagleton und Jean Ziegler ins Deutsche übertragen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.04.2011

Das Böse ist kein Anlass für schlaflose Nächte

Zur Beschreibung menschlicher Abgründe sprechen wir in psychologischer oder kriminalistischer Manier von Heimtücke, Grausamkeit und schlechtem Begehren. Was rechtfertigt darüber hinaus die Rede vom Bösen? Geht es nur um das "sogenannte Böse", wie ein Bestseller von Konrad Lorenz nahelegt? Oder kommt dem Bösen eine eigene metaphysische Realität zu, wie Terry Eagleton in seinem neuen Buch schreibt?

Belesenheit und Sprachmächtigkeit dieses Autors, sein Witz und die ungebremste Lust, Evidenzen des Zeitgeistes zerplatzen zu lassen, machen Eagleton-Bücher zu einer erfrischenden Lektüre. Als Kulturtheoretiker ist er dem famosen Egon Friedell vergleichbar, dessen origineller Zugriff die strenge Frage nach dem historischen oder philosophischen Beleg wie eine Unbotmäßigkeit von Spaßverderbern verstummen lässt. Mit seinem neuen Buch will Terry Eagleton das Böse als Gegenstand des mythischen Verstehens der Welt begreiflich machen, als ein Phänomen der Leiderfahrung, das mit dem Aggressionsvokabular der Verhaltensforscher und den Begriffen der forensischen Psychologie nur unzureichend erfasst wird. Wäre nun also die Rede vom "sogenannten Bösen" hinfällig, wie sie einst Konrad Lorenz in provokativer Absicht gegen die Verstiegenheiten der Theodizee führte? Nein, denn Eagleton hat die Gelegenheit der Widerrede doch ein wenig verschenkt. So muss es jedenfalls jedem Richter vorkommen, der zu Recht vorgibt, sich mit dem Bösen auszukennen. Bei seiner Herleitung des Bösen als metaphysischer Realität weicht Eagleton in die psychoanalytische Theorie aus und bleibt im Philosophischen ungenau.

Mit Freuds Todestrieb sucht Eagleton die Wurzeln des Bösen in den Blick zu bekommen. "Es ist diese schmerzliche Leere, die mit Fetischen, moralischen Idealen, Reinheitsphantasien, besessenem Wollen, dem absoluten Staat oder der phallischen Führerfigur ausgefüllt werden. Darin gleicht der Nazismus anderen Spielarten des Fundamentalismus. Die obszöne Lust an der Vernichtung des anderen wird zur einzigen Möglichkeit, sich davon zu überzeugen, dass man noch existiert. Das Nichtsein im Kern der eigenen Identität ist, unter anderem, ein Vorgeschmack des Todes; und eine Möglichkeit, den Schrecken der menschlichen Sterblichkeit abzuwehren, ist die Liquidation derer, die dieses Trauma verkörpern. Auf diese Weise beweist man, dass man Macht hat über den einzigen Gegner - den Tod -, den man noch nicht einmal im Prinzip besiegen kann." Etwas adeptenhaft Überspanntes liegt in diesen Rekapitulationen Freudscher Gewalt- und Identitätstheorie. Wie soll denn von hier aus der Übergang zu einer Plausibilisierung des metaphysisch Bösen gelingen, das Eagleton im "kosmischen Schmollen" hervorbrechen sieht? Eagleton treibt das Böse in spekulative Höhen, wo das, was er den "ontologischen Schmerz" nennt, der modernen Melancholieerfahrung merkwürdig unzugänglich bleibt. So bleibt das Böse auf paradoxe Weise Behauptung, erscheint noch in der Dramatisierung unfreiwillig niedlich.

Auch Augustins Bestimmung des Bösen als einer Deprivation, als eines Mangels wird bei Eagleton im Todestrieb psychoanalytisch angebunden und bleibt auf diese Art, sieht man recht, doch eher missverständlich: "Wie lässt sich über die Opfer von Maos ungeheuerlichen Säuberungen oder über die Ermordeten in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern überhaupt reden, wenn man sie als Resultat eines bloßen Mangels sieht? Heißt das nicht, die schreckliche Positivität des Bösen zu unterschätzen?", fragt der Autor, als sei Mangel im vorliegenden Kontext moralisch und nicht vielmehr metaphysisch zu verstehen. "Ich glaube, dass uns hier die psychoanalytische Theorie retten kann, denn dank ihrer dürfen wir behaupten, dass das Böse eine Art Deprivation sei, ohne indessen seine fürchterliche Kraft zu leugnen." Aber wie weit trägt das Autoritätsargument der psychoanalytischen Theorie? Ist von ihr jene "Rettung" zu erwarten, die die Philosophie nicht leisten will?

Besser, man traut der Philosophie selbst die Darstellung des Bösen zu. Dann gewinnt man die Chance, es anders als nur in seiner biographischen Herkunft und moralischen Qualität zu analysieren. Das war etwa die Ansicht von Leszek Kolakowski, der das Böse über das "Phänomen der Gleichgültigkeit der Welt" zu beschreiben suchte und so einerseits in der Akzentuierung der Identitätsfrage auf der Linie Eagletons liegt, andererseits eine weitaus reichere Phänomenologie als dieser zu bieten hat. Während Eagleton zum Aufweis des Bösen die Befunde der Tiefenpsychologie für primär hält, erklärt Kolakowski sie für nachgeordnet gegenüber der originären Erfahrung, dass die Welt dem Menschen in Gleichgültigkeit, nicht Gegenseitigkeit zugetan ist. Die Versuche, diese Gleichgültigkeit durch einzelne Vertrautheitserfahrungen zu überwinden, stehen für Kolakowski im Zentrum des Ringens zwischen Gut und Böse - Begriffe, an die er sich nicht klammert, weil sie in ihrer moralischen Konnotation den Blick für den metaphysischen Gehalt eher verstellen als schärfen.

"Das Phänomen der Gleichgültigkeit der Welt gehört zu den fundamentalen Erfahrungen, das heißt denjenigen, die sich nicht als Einzelfälle eines anderen, ursprünglicheren Bedürfnisses interpretieren lassen. Dieser Umstand scheint mir ganz besonders wichtig", schrieb Kolakowski und fuhr mit der im Nachhinein gegen Eagleton lesbaren Pointe fort: "Man könnte zwar meinen, dass bestimmte von der Tiefenpsychologie entdeckte Phänomene originärer seien und die Erfahrung der Gleichgültigkeit der Welt sich von diesen ableiten lasse: dass beispielsweise die regressive Angst, die die Sehnsucht nach Rückkehr in die embryonale Situation erweckt, nach erneutem Eintritt in den schützenden Mutterschoß und nach völliger Befreiung von Verantwortung für das Leben - dass es das ist, was die Erfahrung der Welt als einer gleichgültigen evoziert. Desgleichen könnte man meinen, dass der Todestrieb, der Wunsch nach völligem Ausgleich der Spannungen, die durch die bloße Tatsache des organischen Lebens entstehen, jenen Anblick der Welt als einer gleichgültigen erklärt."

Doch für Kolakowski verhält es sich umgekehrt: Die Sehnsucht nach dem pränatalen Unterschlupf, nach dem Halbtod, der vom Leben auf eigene Rechnung befreit, sowie der Versuch, sich unwiderrufliche Abwesenheit in der Welt zu sichern, stellen bereits eine Fluchtbewegung vor etwas dar, und jenes Etwas muss dem Bedürfnis nach einem Versteck oder der Angst vor dem Dasein vorangehen. Mehr als das vage "Gefühl des Nichtseins" (Eagleton) ist es die Unfähigkeit, sich die Welt anders als im Beuteverhältnis vertraut zu machen, die das Böse freisetzt. Die technologische Kultur gestattet es uns, die Welt in Form einer Beute an uns zu reißen, schafft aber ihre Gleichgültigkeit nicht ab, erklärte Kolakowski: "Die Bändigung der Dinge ist nur scheinbar, das Gefühl der Begegnung mit der Natur im gegenseitigen Austausch ist illusorisch wie die Liebe eines Nekrophilen. Die Natur ist dem Menschen gehorsam nur in ihrer Gleichgültigkeit, nicht in Gegenseitigkeit."

Hier, in der genauen Beobachtung einer ontologischen Frustration, scheint mehr von den Bedingungen des Bösen auf als in manchen Aperçus, die Eagleton zum Thema feilbietet. Hat man irgendeinen Witz nicht verstanden, wenn der Autor schreibt: "Das Böse ist kein Anlass für schlaflose Nächte." Ja, wofür denn sonst, wenn es wirklich um das Böse gehen sollte? Wozu solche Sätze? Sätze, die selbst Erlösungstheologen nicht über die Lippen kommen dürften, wenn sie sich ihre Leidempfindlichkeit bewahrt haben. Und dann finden sich bei Eagleton doch wiederum brillante Passagen gegen obszöne scholastische Glättungsversuche wie jenen, den Eagleton das Große-Bild-Argument nennt. Demnach ist das Böse nicht böse, sondern einfach Gutes, das wir als solches nicht erkennen. Wären wir in der Lage, das ganze kosmische Bild ins Auge zu fassen - so spottet der Autor über den Hochmut der Theodizee -, die Welt also gleichsam aus göttlicher Sicht zu betrachten, dann würden wir bemerken, dass das, was uns böse erscheint, eine wesentliche Rolle in einem segensreichen Ganzen spielt. "Ein Kleinkind mag entsetzt sein beim Anblick einer Frau, die einen menschlichen Finger absägt, weil es nicht begreift, dass die betreffende Frau eine Chirurgin ist und der betreffende Finger sich nicht mehr retten lässt. So betrachtet, ist das Böse der Wald, den wir vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Kurzsichtig, wie wir sind, finden wir es unangebracht, dass man Säuglinge über offenem Feuer brät, doch könnten wir unsere eigene Perspektive erweitern und verstehen, welche Rolle diese Handlungsweise in einem größeren Plan spielt, würden wir vielleicht ihre Richtigkeit einsehen und eventuell begeistert helfen." Das ist Eagleton in Hochform. Mehr muss zur scholastischen Erklärsucht des Unerklärbaren nicht gesagt werden.

Eagletons Buch ist lesenswert trotz seiner Capricen. Er packt ein Thema an, das die Szientisten alle Jahre wieder für mausetot erklären, obwohl es in jeder Leiderfahrung unabweislich wird. Dass es mehr als munter vorgebrachter kulturhistorischer Verweise bedarf, um die Rede vom sogenannten Bösen loszuwerden und in einem präzisen, nicht nur metaphorischen Sinne vom Bösen zu sprechen, steht auf einem anderen Blatt.

CHRISTIAN GEYER

Terry Eagleton: "Das Böse".

Aus dem Englischen von Hainer Kober.

Ullstein Verlag, Berlin 2011. 208 S., geb., 18,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Burkhard Müller hat sich mit drei Büchern an die Ergründung des Bösen gemacht, sieht sich aber zu seiner Enttäuschung nicht wirklich weitergebracht. Terry Eagleton fasst das Böse als metaphysisches Problem auf, das sich als ein universaler Vernichtungswillen entpuppt, legt der Rezensent dar. So herzlich er dem Autor auch zustimmt, dass die Etikettierung von schlimmen Taten als schlichtweg böse eine Bestrafung oder Therapie des Täters ausschließt. Eagletons "Neid- und Verkürzungstheorie", das Böse sei Folge des Leidens an der fehlenden Teilhabe am "Reichtum der Seienden" findet er dann wenig tiefgründig. Der Rezensent unterstellt dem Autor hier, dass er vor dem Bösen damit letztlich "ängstlich" zurückscheut und sich nicht an die Wurzel des Übels traut. Deshalb endet das Buch in den Augen des unzufriedenen Rezensenten auch eher schwach mit Überlegungen zum Terroristen, der mit dem wahren Bösen doch wohl eher nichts zu tun hat, wie Müller meint.

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