Jennifer Egan
Gebundenes Buch
Der größere Teil der Welt
Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize for Fiction 2011 und dem National Book Critics Circle Award for Fiction 2011. Roman. Deutsche Erstausgabe
Übersetzung: Zeltmann, Heide
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Bennie Salazar, ein Musikproduzent mit Visionen, hat Höhen und Tiefen erlebt. Auch seine Assistentin Sasha hat Probleme, von denen er allerdings nichts ahnt. Als Scotty, der Leadgitarrist von Bennies einstiger Punkband, überraschend wieder auftaucht, holt die Vergangenheit beide ein. Jennifer Egan entwirft ein großes Portrait des kulturellen Umbruchs seit dem Ende der Utopien bis zum digitalen Zeitalter und erzählt in wechselnden Perspektiven von Liebe, Freundschaft und Verlust. Der größere Teil der Welt reicht von der Musikszene San Franciscos Ende der Siebziger und dem New York der Neu...
Bennie Salazar, ein Musikproduzent mit Visionen, hat Höhen und Tiefen erlebt. Auch seine Assistentin Sasha hat Probleme, von denen er allerdings nichts ahnt. Als Scotty, der Leadgitarrist von Bennies einstiger Punkband, überraschend wieder auftaucht, holt die Vergangenheit beide ein. Jennifer Egan entwirft ein großes Portrait des kulturellen Umbruchs seit dem Ende der Utopien bis zum digitalen Zeitalter und erzählt in wechselnden Perspektiven von Liebe, Freundschaft und Verlust. Der größere Teil der Welt reicht von der Musikszene San Franciscos Ende der Siebziger und dem New York der Neunziger bis zur ökologischen Katastrophe der Zukunft und einem verblüffenden Konzert am Ground Zero. Für ihren Roman erhielt Jennifer Egan den Pulitzer-Preis 2011 und zahlreiche weitere renommierte Auszeichnungen.
Egan, Jennifer
Jennifer Egan wurde 1962 in Chicago geboren und wuchs in San Francisco auf. Neben ihren Romanen und Kurzgeschichten schreibt sie für den New Yorker sowie das New York Times Magazine und lehrt an der Columbia University Creative Writing. Ihr Roman »Look at Me« kam ins Finale für die Nominierung des National Book Awards. Für ihren Roman »Der größere Teil der Welt« wurde sie mit dem Pulitzer-Preis 2011 ausgezeichnet.
Jennifer Egan wurde 1962 in Chicago geboren und wuchs in San Francisco auf. Neben ihren Romanen und Kurzgeschichten schreibt sie für den New Yorker sowie das New York Times Magazine und lehrt an der Columbia University Creative Writing. Ihr Roman »Look at Me« kam ins Finale für die Nominierung des National Book Awards. Für ihren Roman »Der größere Teil der Welt« wurde sie mit dem Pulitzer-Preis 2011 ausgezeichnet.
Produktdetails
- Verlag: Schöffling
- Originaltitel: A Visit from the Goon Squad
- Seitenzahl: 386
- Erscheinungstermin: Januar 2012
- Deutsch
- Abmessung: 215mm
- Gewicht: 560g
- ISBN-13: 9783895612244
- ISBN-10: 3895612243
- Artikelnr.: 34531339
Herstellerkennzeichnung
Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Das arg Konzeptuelle an diesem gefeierten Roman von Jennifer Egan scheint Felicitas von Lovenberg nicht zu stören. Den Epiphanien sei es gedankt, zu denen Egans wüster Figurenreigen in dreizehn "Kapiteltracks" sich laut Lovenberg immer mal wieder emporwirft. Die Story zusammenzufassen sei eigentlich unmöglich, erklärt sie, versucht es aus Mangel an Alternativen dann aber doch, was uns, wie ganz richtig vermutet, nicht wirklich schlauer macht. Der eigentliche Clou des Buches liegt für Lovenberg ohnehin in dem Kunststück, die berühmten "six degrees of separation", die verdammte Verwandtschaft mit so ziemlich jedem auf dieser Welt also, mit literarischen Mitteln, als große Kakophonie exemplifiziert zu haben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Das Signal der Stille
Das Schönste im Leben sind die Pausen: Jennifer Egans neuer Roman "Der größere Teil der Welt"
Sie sagt, sie fände diese Debatten langweilig: die um die Zukunft des Romans zum Beispiel oder die darum, ob es Kinder verdirbt, wenn sie ständig auf ihre Smartphones starren. Sie hat einen Roman geschrieben, "Der größere Teil der Welt" heißt er, der dreizehn Kapitel (und ungefähr genauso viele Erzähler) hat, eines ist dabei, das wie eine Powerpoint-Präsentation abläuft, ein anderes spielt in der Zukunft, wo die Leute dann ständig sehr kunstfertige SMS verschicken. Man könnte also denken, dass die amerikanische Schriftstellerin Jennifer Egan doch irgendwie mitten drinsteckt in diesen Debatten um die
Das Schönste im Leben sind die Pausen: Jennifer Egans neuer Roman "Der größere Teil der Welt"
Sie sagt, sie fände diese Debatten langweilig: die um die Zukunft des Romans zum Beispiel oder die darum, ob es Kinder verdirbt, wenn sie ständig auf ihre Smartphones starren. Sie hat einen Roman geschrieben, "Der größere Teil der Welt" heißt er, der dreizehn Kapitel (und ungefähr genauso viele Erzähler) hat, eines ist dabei, das wie eine Powerpoint-Präsentation abläuft, ein anderes spielt in der Zukunft, wo die Leute dann ständig sehr kunstfertige SMS verschicken. Man könnte also denken, dass die amerikanische Schriftstellerin Jennifer Egan doch irgendwie mitten drinsteckt in diesen Debatten um die
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Technologien von heute und die Romane von morgen.
Aber das denkt man genau so lange, bis man diesen neuen Roman zu lesen beginnt - und merkt, dass es das eine ist, darüber zu debattieren, welche Relevanz Romane noch haben können, wenn die anderen Formate (und deren Geräte) die kulturelle Imaginationskraft der Gegenwart so in Beschlag genommen haben; Debatten, an denen sich Jennifer Egans Kollegen Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides und Gary Shteyngart schon beteiligt haben - und das andere, eine Erzählung von Menschen im Laufe der Zeit hinzulegen, die nur in dieser Form zu haben ist: nämlich als Roman. "Lasst uns", sagt Jennifer Egan, "mit dieser wahnsinnig flexiblen Form Dinge tun, die man anders nicht hinbekommt - dann müssen die Leute eben lesen, weil sie diese Art von Genuss nirgendwo sonst kriegen."
Aber der Reihe nach: Jennifer Egan, geboren 1962, aufgewachsen in San Francisco, heute lebt sie mit einem Mann und zwei Söhnen in Brooklyn, schreibt seit 1993 Romane, Erzählungen und Reportagen und hat für "Der größere Teil der Welt" 2011 den Pulitzer-Preis bekommen (und noch ein paar andere, sehr renommierte mehr). Ein Buch, dessen Geschichte zur Zeit des Punk beginnt und in den zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts endet und diesen Weg aber nicht linear geht, sondern in Sprüngen, vorwärts, rückwärts, seitwärts: Den Anfang - der aber nicht der Anfang des Buches ist - machen ein paar Teenager, die eine Band gründen, The Flaming Dildos, in Kalifornien, es ist 1979.
Einer von den Flaming Dildos, Benny, macht Karriere in der Musik, ein anderer, Scotty, strauchelt, stürzt und fängt sich wieder. Ein Mädchen, Jocelyn, lernt einen reichen Plattenboss kennen: Lou, der sechs Kinder mit drei Frauen hat, und wie dieser Lou, ein Kind der amerikanischen Sixties, mit seinen Kindern und seinen Frauen mehr verfährt als lebt, das erfährt man auch in einem Kapitel des Romans - und genauso, wie Jules, der Bruder von Bennys späterer Frau Stephanie, bei einem Interview über eine Schauspielerin herfällt und dafür ins Gefängnis geht, und wie diese Schauspielerin, Kitty Jackson, dann mit einem Bananenrepubliksgeneral für ein paar schöne Paparazzi-Bilder verkuppelt wird, damit der General, ein Völkermörder, bessere Presse kriegt. Das wiederum war die Idee einer PR-Agentin namens Dolly, deren Tochter, Lulu, am Ende der Geschichte, also in der Zukunft, die Assistentin von Benny ist.
Und da gibt es auch noch Sasha, die auch mal Bennys Assistentin war, und ihre Tochter Allison, ihren Onkel Ted und ihren Zuhälter Lars, und Bosco, noch ein gestrandeter Musiker, und die Republikanerin Cathy, die mit Bennys Frau Stephanie Tennis spielt und mit Benny schläft - im Grunde besteht "Der größere Teil der Welt" nur aus Nebenfiguren, zusammengehalten von einer Idee - der Zeit und was sie aus uns macht, wenn wir versuchen, einen Ort in ihr zu finden - und einer Form, die sich als extrem dehnbar und belastbar herausstellt.
Also reden wir am Ende doch über die Form dieses neuen Romans, auch wenn Jennifer Egan die Romanformdebatte langweilt und sie das bei bester Laune sagt. Sie hat, siehe oben, eine angenehm pragmatische Art, mit ihrem Beruf umzugehen, ohne jetzt dabei anti-akademisch oder anti-intellektuell zu werden, was ja genauso langweilig wäre. Aber während Jeffrey Eugenides zuletzt in Interviews darüber nachgedacht hat, ob es in seinen Romanen "Signale" gibt, "dass die Geschichte vom Erzähler erfunden wird" (was der große Wolfgang Herrndorf in seinem Blog mit "Signale, daß die Geschichte vom Erzähler erfunden wird - Wahnsinn. Was werden sie als nächstes herausfinden?" sehr lustig abmoderierte), sagt Jennifer Egan: "Ich glaube, man liest doch, um unterhalten zu werden und der Gegenwart zu entfliehen. Deswegen lese ich jedenfalls. Mich interessiert es nicht, auf Kosten einer guten Geschichte vorgeführt zu bekommen, wie schlau jemand ist."
Aber sie experimentiert im neuen Roman selbst doch auch herum, wenn sie mit Powerpoint arbeitet? "Warum ich am Ende in diese ungewöhnlichen Erzählformen hineingestolpert bin", sagt Jennifer Egan, "hat nur damit zu tun, dass man oft interessantere und komplexere Geschichten erzählen kann, wenn man sich außerhalb von dem bewegt, was man konventionell nennt."
Und dann sagt sie etwas, dass einem wieder mal dieses Gefühl gibt, amerikanische Autoren hätten doch irgendwie ein paar mehr Tassen im Schrank als manche ihre Kollegen aus der alten Welt, ein Gefühl, das einem dieses phantastische Buch sowieso schon gibt: "Besseres kann doch gar nicht passieren, als dass der Roman sich gegen so viel Konkurrenz zur Wehr setzen muss wie jetzt. Aber die Leute werden keine Bücher lesen, wenn wir ihnen sagen, dass sie gut für sie sind und sie klüger machen, als wären sie Vitamine. In dem Moment, wo Bücher zu einer lästigen Pflicht werden, sind wir am Ende." Also, was tun wir dagegen? "Let's have some fun!"
Sie lacht. Sie meint das so. Jennifer Egan hat sich hingesetzt und diesen Roman geschrieben, mit der Hand, auf Papier, wie alle ihre Bücher davor. Sie brauche, sagt Jennifer Egan, ein Gefühl von Abenteuer und Ungewissheit beim Schreiben, diesen Überraschungsmoment - angeblich soll Balzac ja auch immer sofort vom Mittagessen aufgesprungen und zu seinem Manuskript auf dem Schreibtisch zurückgerannt sein, weil er wissen wollte, wie es weitergeht. Selbst das Powerpoint-Kapitel mit seinen Kreisen, Pfeilen, Schnittmengen und Diagrammen sei handschriftlich entstanden, Jennifer Egan hatte das Programm nicht mal auf ihrem Computer: Da war nur diese Idee, etwas mit Powerpoint zu schreiben, das in der Wüste spielt.
Allison, die Tochter von Sasha, erzählt in diesem Kapitel die kleine Geschichte ihrer Familie: der Vater ein erschöpfter Arzt, die Mutter eine Frau mit Geheimnissen, die in ihrer Vergangenheit liegen, der Bruder, Lincoln, dokumentiert die Pausen in Popsongs: "Roxanne", von Police, zwei Sekunden zwischen Minute 1:57 und 1:59, anderthalb Sekunden bei "Bernadette" von den Four Tops, zwei bei "Foxy Lady" von Jimi Hendrix. Ein Tic, der seinen Vater wahnsinnig macht, warum nur, fragt er, warum hat Lincoln keine Freunde, sondern sammelt Stille? "Die Pause lässt einen glauben, dass der Song zu Ende ist", antwortet Sasha ihm. "Und dann ist der Song gar nicht richtig zu Ende, deshalb ist man erleichtert. Aber dann endet er doch, denn jedes Lied hat natürlich ein Ende, und DIESMAL - IST - ENDGÜLTIG - ALLES - VORBEI."
In einem Roman, der kein Zentrum hat, um das er kreist, ist dieser Satz, diese eine Seite in Allisons Powerpoint-Präsentation so etwas wie die Schlüsselstelle. Jennifer Egan hat ein Buch geschrieben, das natürlich, und es macht großen Spaß, von Musik handelt. Und vom Augenblick im Leben des 20. Jahrhunderts, als Punk und postmoderne französische Theorie die Ästhetik veränderten. Plötzlich ging es ums Umbauen und Auslachen, um mehr ironische Distanz und weniger Bekenntnis - ein Augenblick, von dem auch Jonathan Franzen in "Freiheit" und Jeffrey Eugenides in der "Liebeshandlung" erzählt haben. Da ist offenbar noch etwas ungeklärt an dieser Phase, das noch geklärt werden muss, überhaupt verbindet man Punk ja eher mit England als mit Kalifornien oder New York, woher er aber ja eigentlich kam.
Doch die Musikwelt ist im Grunde nur der Vordergrund für Jennifer Egan, die selbst, am Ende der Siebziger, ein spätes Hippiemädchen gewesen sei, sagt sie, und zu den Leuten, über die sie jetzt geschrieben hat, gar nicht gehörte. Punk, das habe sie aber trotzdem kapiert, war der Augenblick, an dem es wieder losging, das Gefühl wieder einsetzte, dass doch noch etwas zu bewegen sei, dass Aufbruch und Veränderung nicht mit den Sixties ein für alle Mal vorbei war.
Nach einer Pause geht es weiter, um dann irgendwann, unweigerlich, aufzuhören - diese Pausen zu erforschen hieße dann eigentlich, das Leben zu erforschen: Hoffen, Neuerfinden, Kraftschöpfen, Durchkommen, Innehalten, Aussetzen, Aufgeben. Weitermachen, aber wie, während die Uhr läuft. Nicht alle von Jennifer Egans Figuren schaffen es, den Punkt zu überwinden. Eine nimmt sich das Leben, eine andere stirbt öffentlich, eine dritte zieht sich zurück. Oder kehrt noch einmal wieder.
Dieser Augenblick aber, an dem sich das entscheidet, der Richtungswechsel, die Grenze, diese Pause in der Bewegung scheint wichtiger als die Bewegung selbst. Dass Jennifer Egan im blöden Powerpoint-Programm eine grafische Metapher für ihren eigenen Roman und das Leben gefunden hat, ist einigermaßen genial. Dass er, trotz dieser Smartheit, am Ende ein zutiefst menschliches Dilemma behandelt, könnte man dabei fast übersehen. Es macht diesen Roman aber so bewegend.
TOBIAS RÜTHER
Jennifer Egan: "Der größere Teil der Welt". Übersetzt von Heide Zeltmann. Schöffling & Co., 392 Seiten, 22,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aber das denkt man genau so lange, bis man diesen neuen Roman zu lesen beginnt - und merkt, dass es das eine ist, darüber zu debattieren, welche Relevanz Romane noch haben können, wenn die anderen Formate (und deren Geräte) die kulturelle Imaginationskraft der Gegenwart so in Beschlag genommen haben; Debatten, an denen sich Jennifer Egans Kollegen Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides und Gary Shteyngart schon beteiligt haben - und das andere, eine Erzählung von Menschen im Laufe der Zeit hinzulegen, die nur in dieser Form zu haben ist: nämlich als Roman. "Lasst uns", sagt Jennifer Egan, "mit dieser wahnsinnig flexiblen Form Dinge tun, die man anders nicht hinbekommt - dann müssen die Leute eben lesen, weil sie diese Art von Genuss nirgendwo sonst kriegen."
Aber der Reihe nach: Jennifer Egan, geboren 1962, aufgewachsen in San Francisco, heute lebt sie mit einem Mann und zwei Söhnen in Brooklyn, schreibt seit 1993 Romane, Erzählungen und Reportagen und hat für "Der größere Teil der Welt" 2011 den Pulitzer-Preis bekommen (und noch ein paar andere, sehr renommierte mehr). Ein Buch, dessen Geschichte zur Zeit des Punk beginnt und in den zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts endet und diesen Weg aber nicht linear geht, sondern in Sprüngen, vorwärts, rückwärts, seitwärts: Den Anfang - der aber nicht der Anfang des Buches ist - machen ein paar Teenager, die eine Band gründen, The Flaming Dildos, in Kalifornien, es ist 1979.
Einer von den Flaming Dildos, Benny, macht Karriere in der Musik, ein anderer, Scotty, strauchelt, stürzt und fängt sich wieder. Ein Mädchen, Jocelyn, lernt einen reichen Plattenboss kennen: Lou, der sechs Kinder mit drei Frauen hat, und wie dieser Lou, ein Kind der amerikanischen Sixties, mit seinen Kindern und seinen Frauen mehr verfährt als lebt, das erfährt man auch in einem Kapitel des Romans - und genauso, wie Jules, der Bruder von Bennys späterer Frau Stephanie, bei einem Interview über eine Schauspielerin herfällt und dafür ins Gefängnis geht, und wie diese Schauspielerin, Kitty Jackson, dann mit einem Bananenrepubliksgeneral für ein paar schöne Paparazzi-Bilder verkuppelt wird, damit der General, ein Völkermörder, bessere Presse kriegt. Das wiederum war die Idee einer PR-Agentin namens Dolly, deren Tochter, Lulu, am Ende der Geschichte, also in der Zukunft, die Assistentin von Benny ist.
Und da gibt es auch noch Sasha, die auch mal Bennys Assistentin war, und ihre Tochter Allison, ihren Onkel Ted und ihren Zuhälter Lars, und Bosco, noch ein gestrandeter Musiker, und die Republikanerin Cathy, die mit Bennys Frau Stephanie Tennis spielt und mit Benny schläft - im Grunde besteht "Der größere Teil der Welt" nur aus Nebenfiguren, zusammengehalten von einer Idee - der Zeit und was sie aus uns macht, wenn wir versuchen, einen Ort in ihr zu finden - und einer Form, die sich als extrem dehnbar und belastbar herausstellt.
Also reden wir am Ende doch über die Form dieses neuen Romans, auch wenn Jennifer Egan die Romanformdebatte langweilt und sie das bei bester Laune sagt. Sie hat, siehe oben, eine angenehm pragmatische Art, mit ihrem Beruf umzugehen, ohne jetzt dabei anti-akademisch oder anti-intellektuell zu werden, was ja genauso langweilig wäre. Aber während Jeffrey Eugenides zuletzt in Interviews darüber nachgedacht hat, ob es in seinen Romanen "Signale" gibt, "dass die Geschichte vom Erzähler erfunden wird" (was der große Wolfgang Herrndorf in seinem Blog mit "Signale, daß die Geschichte vom Erzähler erfunden wird - Wahnsinn. Was werden sie als nächstes herausfinden?" sehr lustig abmoderierte), sagt Jennifer Egan: "Ich glaube, man liest doch, um unterhalten zu werden und der Gegenwart zu entfliehen. Deswegen lese ich jedenfalls. Mich interessiert es nicht, auf Kosten einer guten Geschichte vorgeführt zu bekommen, wie schlau jemand ist."
Aber sie experimentiert im neuen Roman selbst doch auch herum, wenn sie mit Powerpoint arbeitet? "Warum ich am Ende in diese ungewöhnlichen Erzählformen hineingestolpert bin", sagt Jennifer Egan, "hat nur damit zu tun, dass man oft interessantere und komplexere Geschichten erzählen kann, wenn man sich außerhalb von dem bewegt, was man konventionell nennt."
Und dann sagt sie etwas, dass einem wieder mal dieses Gefühl gibt, amerikanische Autoren hätten doch irgendwie ein paar mehr Tassen im Schrank als manche ihre Kollegen aus der alten Welt, ein Gefühl, das einem dieses phantastische Buch sowieso schon gibt: "Besseres kann doch gar nicht passieren, als dass der Roman sich gegen so viel Konkurrenz zur Wehr setzen muss wie jetzt. Aber die Leute werden keine Bücher lesen, wenn wir ihnen sagen, dass sie gut für sie sind und sie klüger machen, als wären sie Vitamine. In dem Moment, wo Bücher zu einer lästigen Pflicht werden, sind wir am Ende." Also, was tun wir dagegen? "Let's have some fun!"
Sie lacht. Sie meint das so. Jennifer Egan hat sich hingesetzt und diesen Roman geschrieben, mit der Hand, auf Papier, wie alle ihre Bücher davor. Sie brauche, sagt Jennifer Egan, ein Gefühl von Abenteuer und Ungewissheit beim Schreiben, diesen Überraschungsmoment - angeblich soll Balzac ja auch immer sofort vom Mittagessen aufgesprungen und zu seinem Manuskript auf dem Schreibtisch zurückgerannt sein, weil er wissen wollte, wie es weitergeht. Selbst das Powerpoint-Kapitel mit seinen Kreisen, Pfeilen, Schnittmengen und Diagrammen sei handschriftlich entstanden, Jennifer Egan hatte das Programm nicht mal auf ihrem Computer: Da war nur diese Idee, etwas mit Powerpoint zu schreiben, das in der Wüste spielt.
Allison, die Tochter von Sasha, erzählt in diesem Kapitel die kleine Geschichte ihrer Familie: der Vater ein erschöpfter Arzt, die Mutter eine Frau mit Geheimnissen, die in ihrer Vergangenheit liegen, der Bruder, Lincoln, dokumentiert die Pausen in Popsongs: "Roxanne", von Police, zwei Sekunden zwischen Minute 1:57 und 1:59, anderthalb Sekunden bei "Bernadette" von den Four Tops, zwei bei "Foxy Lady" von Jimi Hendrix. Ein Tic, der seinen Vater wahnsinnig macht, warum nur, fragt er, warum hat Lincoln keine Freunde, sondern sammelt Stille? "Die Pause lässt einen glauben, dass der Song zu Ende ist", antwortet Sasha ihm. "Und dann ist der Song gar nicht richtig zu Ende, deshalb ist man erleichtert. Aber dann endet er doch, denn jedes Lied hat natürlich ein Ende, und DIESMAL - IST - ENDGÜLTIG - ALLES - VORBEI."
In einem Roman, der kein Zentrum hat, um das er kreist, ist dieser Satz, diese eine Seite in Allisons Powerpoint-Präsentation so etwas wie die Schlüsselstelle. Jennifer Egan hat ein Buch geschrieben, das natürlich, und es macht großen Spaß, von Musik handelt. Und vom Augenblick im Leben des 20. Jahrhunderts, als Punk und postmoderne französische Theorie die Ästhetik veränderten. Plötzlich ging es ums Umbauen und Auslachen, um mehr ironische Distanz und weniger Bekenntnis - ein Augenblick, von dem auch Jonathan Franzen in "Freiheit" und Jeffrey Eugenides in der "Liebeshandlung" erzählt haben. Da ist offenbar noch etwas ungeklärt an dieser Phase, das noch geklärt werden muss, überhaupt verbindet man Punk ja eher mit England als mit Kalifornien oder New York, woher er aber ja eigentlich kam.
Doch die Musikwelt ist im Grunde nur der Vordergrund für Jennifer Egan, die selbst, am Ende der Siebziger, ein spätes Hippiemädchen gewesen sei, sagt sie, und zu den Leuten, über die sie jetzt geschrieben hat, gar nicht gehörte. Punk, das habe sie aber trotzdem kapiert, war der Augenblick, an dem es wieder losging, das Gefühl wieder einsetzte, dass doch noch etwas zu bewegen sei, dass Aufbruch und Veränderung nicht mit den Sixties ein für alle Mal vorbei war.
Nach einer Pause geht es weiter, um dann irgendwann, unweigerlich, aufzuhören - diese Pausen zu erforschen hieße dann eigentlich, das Leben zu erforschen: Hoffen, Neuerfinden, Kraftschöpfen, Durchkommen, Innehalten, Aussetzen, Aufgeben. Weitermachen, aber wie, während die Uhr läuft. Nicht alle von Jennifer Egans Figuren schaffen es, den Punkt zu überwinden. Eine nimmt sich das Leben, eine andere stirbt öffentlich, eine dritte zieht sich zurück. Oder kehrt noch einmal wieder.
Dieser Augenblick aber, an dem sich das entscheidet, der Richtungswechsel, die Grenze, diese Pause in der Bewegung scheint wichtiger als die Bewegung selbst. Dass Jennifer Egan im blöden Powerpoint-Programm eine grafische Metapher für ihren eigenen Roman und das Leben gefunden hat, ist einigermaßen genial. Dass er, trotz dieser Smartheit, am Ende ein zutiefst menschliches Dilemma behandelt, könnte man dabei fast übersehen. Es macht diesen Roman aber so bewegend.
TOBIAS RÜTHER
Jennifer Egan: "Der größere Teil der Welt". Übersetzt von Heide Zeltmann. Schöffling & Co., 392 Seiten, 22,95 Euro
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unglaublich abwechslungsreich, spannend, lustig, deprimierend und sprachlich fesselnd. Daniel Schieferdecker Esquire Magazin 20220927
Broschiertes Buch
Ein seltsames Buch, eigentlich kein Roman, sondern 13 Erzählungen, jeweils aus der Sicht einer Figur, die irgendwie alle miteinander zusammenhängen. Mal im Stil einer wissenschaftlichen Abhandlung, mal über 75 Seiten als PowerPoint-Folien erzählt Egan einen Zeitraum von 40 Jahren …
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Ein seltsames Buch, eigentlich kein Roman, sondern 13 Erzählungen, jeweils aus der Sicht einer Figur, die irgendwie alle miteinander zusammenhängen. Mal im Stil einer wissenschaftlichen Abhandlung, mal über 75 Seiten als PowerPoint-Folien erzählt Egan einen Zeitraum von 40 Jahren wild von einer Epoche in die andere wechselnd. Das ist sicher alles sehr gekonnt und beeindruckend, aber lässt einen doch kalt.
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Broschiertes Buch
Für Rockmusik-Fans wie geschaffen
Der Roman der amerikanischen Schriftstellerin Jennifer Egan mit dem kryptischen Titel «Der größere Teil der Welt» wurde bei seinem Erscheinen mit Preisen überhäuft, von denen der ‹Pulitzer Prize for Fiction› des …
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Für Rockmusik-Fans wie geschaffen
Der Roman der amerikanischen Schriftstellerin Jennifer Egan mit dem kryptischen Titel «Der größere Teil der Welt» wurde bei seinem Erscheinen mit Preisen überhäuft, von denen der ‹Pulitzer Prize for Fiction› des Jahres 2011 der wichtigste ist. Die englische BBC wählte ihn zu einem der bedeutendsten Werke des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Was den Titel anbelangt, bringt auch das Original, «A Visit From The Goon Squad», keine Klärung, denn «Ein Besuch vom Schlägertrupp» trifft weder das, was im Roman passiert, noch das, was mutmaßlich mit ihm gesagt werden soll. Die Autorin hat als wichtigste Inspirationsquelle für ihre Story die «Recherche» von Marcel Proust genannt, und demnach dürfte die wahre Intention ihres Romans wohl eher eine ‹allegorische Suche nach der Wahrheit› sein.
In nicht-chronologischer Folge werden dreizehn nur lose miteinander verknüpfte Geschichten erzählt, die sich um die Hauptfiguren Bennie und Sasha ranken. Schauplätze sind San Francisco, New York, Neapel und ein Safaripark in Kenia. Beginnend als Bassist der Band «Flaming Dildos» hat Bennie Salazar, unterstützt durch seinen kokain-abhängigen Mentor Lou, eine steile Karriere hingelegt und es zum erfolgreichen Musikproduzenten gebracht. Seine überaus tüchtige Assistentin Sasha hat eine Affäre mit Alex, der später, von Bennie angeheuert, seinem obdachlosen Schulfreund Scott zu einem Comeback als Musiker verhelfen soll. Weil Sasha als Kleptomanin ständig in Angst ist, erwischt zu werden und gesellschaftlich abzustürzen, kehrt sie der Musikbranche irgendwann endgültig den Rücken, um ein bürgerliches Leben zu führen, - sie heiratet einen Arzt und wird Mutter.
Eines Tages provoziert Bennie den Aufsichtsrat seiner inzwischen mit dem Label «Sow's ear» groß gewordenen Plattenfirma, indem er den Sitzungs-Teilnehmern zum Mittagessen Kuhfladen servieren lässt, - und auf der Stelle gefeuert wird. Bennies spätere Frau wiederum arbeitet für die Public-Relation-Managerin Dolly, deren Tochter Lulu mit Alex liierte ist. Um einem südamerikanischen Diktator zu einem besseren Image in der Öffentlichkeit zu verhelfen, soll Bennies Schwager als Journalist die Film-Schauspielerin Kitty Jackson, deren Karriere auf dem Tiefpunkt ist, dafür engagieren, sich mit dem Potentaten für die Klatschpresse fotografieren zu lassen. Bei einem Spaziergang im Central Park von New York versucht der Journalist, Kitty zu vergewaltigen, und wird verhaftet. Im vorletzten Kapitel führt die junge Alison auf 75 Seiten grafisch, also im Powerpoint-Stil, ihr Tagebuch vor, worin schließlich auch die akribische Analyse ihres Bruders zu Pausen in der Rockmusik dargestellt wird.
Beginnend in der Hippie-Ära, reicht die zeitliche Spanne des Romans über Punk und New Wave bis ins frühe Internetzeitalter. Man bedauert als Leser, dass dem Buch keine CD beigelegt wurde, mit deren Hilfe man, auch als Laie, die verschiedenen Ausflüge in die Rockmusik wenigstens akustisch nachvollziehen könnte. Die einzelnen Kapitel werden aus den unterschiedlichsten Perspektiven erzählt; einen nachvollziehbaren Plot gibt es nicht. Wobei die einzelnen Szenen oft abrupt wechseln, der Leser ist einem permanenten Wechselbad der Gedanken und Gefühle ausgesetzt. Und es geht nicht immer nur um Musik, oft wird auch Moral oder Gewalt thematisiert, und manchmal sogar Politik und Gesellschaft. Jennifer Egan hat ein umfangreiches Figuren-Ensemble erschaffen, deren einzelne Charaktere stimmig geschildert werden. Mit vielen eingestreuten Aphorismen bleibt ihre sprachlich effizient, in bester amerikanischer Tradition erzählte Geschichte stets anschaulich. Völlig humorfrei stilistisch nüchtern behandelt sie zielgerichtet ihre ineinander verwobenen Themen, zu denen die Reue zählt und der latente Wunsch, Versäumtes nachholen, an alte Erfolge anknüpfen zu können. Dabei dürften manchen Lesern allerdings die häufigen musikalischen Ausflüge, anderer Hörpräferenzen wegen, ziemlich suspekt bleiben, was den potentiellen Leserkreis deutlich einschränken dürfte!
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