Wibke Bruhns unfertige Erinnerungen haben nicht nur den Charme des Unvollkommenen. Sie führt durch eine Zeit, die leider immer mehr in Vergessenheit gerät. Die Mahnungen des dritten Reiches, die hoffnungsvolle Stimmung in den 1960er Jahren, in denen viele die Ärmel hochgekrempelt und, so stelle ich
es mir vor, vergessen hatten, dass sie egoistisch sind. Nun ja, natürlich nicht alle. Aber die…mehrWibke Bruhns unfertige Erinnerungen haben nicht nur den Charme des Unvollkommenen. Sie führt durch eine Zeit, die leider immer mehr in Vergessenheit gerät. Die Mahnungen des dritten Reiches, die hoffnungsvolle Stimmung in den 1960er Jahren, in denen viele die Ärmel hochgekrempelt und, so stelle ich es mir vor, vergessen hatten, dass sie egoistisch sind. Nun ja, natürlich nicht alle. Aber die Schmach des Krieges abzuwaschen und eine Republik zu bauen, der solche Verfehlungen nie mehr passieren, war ganz sicher ein Motor dieser Zeit, die Bruhns erlebt und ihrem Buch beschrieben hat (wie Peter Sloterdijk so trefflich in seinem "Falls Europa erwacht" beschreibt).
Erzählerisch elegant führt sie den Leser durch die Jahre und die Erfahrungen, die sie machen durfte.
Im Grunde beschreibt sie die Stimmung, aus der heraus der Club of Rome entstehen und Erich Fromm sein "Haben oder Sein" schreiben konnte. Ein Stimmung, die noch Platz für Hoffnung und Idealismus hatte. Und sie beschreibt die Mechanismen und die Korruption, deretwegen seither diese Hoffnung systematisch erstickt wurde und immer mehr einer Welt der Konformität und der rücksichtslosen gegenseitigen Ausbeutung Platz machen musste. Eine Welt, die ich nirgends besser analysiert gefunden habe, wie in Rückemanns "Ökolution 4.0".
Wir sollten diesen Zeitzeugen aufmerksam zuhören. Ihre Erfahrungen aus der jüngeren Vergangenheit sind in der Lage, uns diese oder schlimmere Erfahrungen zu ersparen. Aber nicht, indem wir sie für unwichtig abstempeln, sondern ernst nehmen. Wofür sonst leben Menschen wie Bruhns?