Es ist ein besonderer Tag im kleinen Ort Thorshafen an der Ostsee: Das jährliche Wettangeln findet am See gleich hinter den Deichen statt. Nur durch einen Zufall nimmt der Erzähler daran teil und lernt Anja kennen. Gemeinsam angeln verbindet, macht aber auch müde. Eine vom Schilf verdeckte Stelle lädt zum Ausruhen ein, bis sich plötzlich die Angel strafft. Welcher Fisch hat angebissen, vielleicht ein Hecht oder gar ein Wels, der Herrscher des Sees? Am Ende des Tages feiern alle Thorsheimer gemeinsam: die Natur, das Leben, die Fische, das Meer und natürlich die Liebe, wobei nicht verraten sein soll, wie die Lehrerin Frau Laura es fertigbringt, zur Fischkönigin ernannt zu werden. Mit dieser letzten Geschichte hat Siegfried Lenz seinen Lesern über seinen Tod hinaus ein wunderbares Geschenk gemacht.
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Barbara Möller gibt gerne zu, dass diese verglichen mit früheren Werken des Autors eher untypisch schmale nachgelassene Erzählung von Siegfried Lenz mitunter etwas blutarm und im besten Fall schräg daherkommt. Macht aber nichts, findet sie. Denn erstens sind alle echten Lenz-Motive (Flüsse, Meere, Fischen, Tauchen) enthalten. Und zweitens, so Möller weiter, ist mit Nikolaus Heidelbach einer der dollsten Buchillustratoren des Landes mit an Bord. Für Möller Grund genug, sich zu freuen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.09.2015Ein toller Hecht
Siegfried Lenz’ letzte Erzählung
ist nun postum erschienen
„Das Wettangeln“ heißt die letzte, nur wenige Seiten umfassende Erzählung, die Siegfried Lenz vor seinem Tod im Oktober 2014 noch vollenden konnte. Es ist eine trügerisch einfache Geschichte, die dieser so menschenfreundliche Autor hier erzählt, kinderleicht und doch tiefgründig wie der See, an dem sie spielt. Der Ich-Erzähler kommt dem alten Henry, einst preisgekrönter Turmspringer, jetzt Schiedsrichter beim Wettangeln, dem Höhepunkt des Jahres im kleinen Ort Thorshafen, zu Hilfe, als dieser mit seinem Rollstuhl stürzt. Zum Dank darf der Junge am Wettangeln teilnehmen, zusammen mit Henrys Nichte Anja, die ihn den Wettbewerb bald vergessen lässt. „Ohne etwas zu sagen, weckte sie Empfindungen, von denen ich wünschte, dass sie dauerten“, heißt es einmal.
Es ist eine zweifache Initiation, von der Lenzerzählt: Der Junge lernt die Liebe kennen, und er lernt, wie man sich unter den Raubfischen des Lebens behaupten kann, wenn man jemanden an seiner Seite hat. Und weil zum Erwachsenwerden der Schmerz gehört, muss er mit einem Hecht kämpfen, der sich in seine Hand verbeißt. Doch Hecht, Wels und Karpfen sind nur der Beifang der Geschichte. Lenz hat seine Angel weit ausgeworfen und zieht die beiden dicksten Fische der Literatur, die Themen Liebe und Tod, wie nebenbei an Land. Ein großes Drama – nicht zufällig ist der Schauplatz nach Thor, dem Donnergott, benannt – in der kleinen Form.
Auf seine stille Weise variiert Lenz das Lied vom Matrosen, „der alles, was ihm zum Glück fehlte, in den Augen eines Mädchens fand“. Auf dem Vorblatt des von Nikolaus Heidelbach märchenschön illustrierten Bandes ist ein Blinker zu sehen. Ein Blinker ist ein künstlicher Köder aus Metall. Hier aber steht er für die Kunst des Erzählers Lenz, den Leser mit einer solchen Beiläufigkeit zu ködern, dass er den Haken nicht spürt, den er da verschluckt.
CHRISTOPHER SCHMIDT
Siegfried Lenz: Das Wettangeln. Mit Illustrationen von Nikolaus Heidelbach. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2015. 44 Seiten, 18 Euro.
Vom großen und kleinen Fisch: Illustration von Nikolaus Heidelbach.
Foto: Verlag
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Siegfried Lenz’ letzte Erzählung
ist nun postum erschienen
„Das Wettangeln“ heißt die letzte, nur wenige Seiten umfassende Erzählung, die Siegfried Lenz vor seinem Tod im Oktober 2014 noch vollenden konnte. Es ist eine trügerisch einfache Geschichte, die dieser so menschenfreundliche Autor hier erzählt, kinderleicht und doch tiefgründig wie der See, an dem sie spielt. Der Ich-Erzähler kommt dem alten Henry, einst preisgekrönter Turmspringer, jetzt Schiedsrichter beim Wettangeln, dem Höhepunkt des Jahres im kleinen Ort Thorshafen, zu Hilfe, als dieser mit seinem Rollstuhl stürzt. Zum Dank darf der Junge am Wettangeln teilnehmen, zusammen mit Henrys Nichte Anja, die ihn den Wettbewerb bald vergessen lässt. „Ohne etwas zu sagen, weckte sie Empfindungen, von denen ich wünschte, dass sie dauerten“, heißt es einmal.
Es ist eine zweifache Initiation, von der Lenzerzählt: Der Junge lernt die Liebe kennen, und er lernt, wie man sich unter den Raubfischen des Lebens behaupten kann, wenn man jemanden an seiner Seite hat. Und weil zum Erwachsenwerden der Schmerz gehört, muss er mit einem Hecht kämpfen, der sich in seine Hand verbeißt. Doch Hecht, Wels und Karpfen sind nur der Beifang der Geschichte. Lenz hat seine Angel weit ausgeworfen und zieht die beiden dicksten Fische der Literatur, die Themen Liebe und Tod, wie nebenbei an Land. Ein großes Drama – nicht zufällig ist der Schauplatz nach Thor, dem Donnergott, benannt – in der kleinen Form.
Auf seine stille Weise variiert Lenz das Lied vom Matrosen, „der alles, was ihm zum Glück fehlte, in den Augen eines Mädchens fand“. Auf dem Vorblatt des von Nikolaus Heidelbach märchenschön illustrierten Bandes ist ein Blinker zu sehen. Ein Blinker ist ein künstlicher Köder aus Metall. Hier aber steht er für die Kunst des Erzählers Lenz, den Leser mit einer solchen Beiläufigkeit zu ködern, dass er den Haken nicht spürt, den er da verschluckt.
CHRISTOPHER SCHMIDT
Siegfried Lenz: Das Wettangeln. Mit Illustrationen von Nikolaus Heidelbach. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2015. 44 Seiten, 18 Euro.
Vom großen und kleinen Fisch: Illustration von Nikolaus Heidelbach.
Foto: Verlag
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» Dieser letzte Wurf ist ein echter Lenz, ein unerwartetes Geschenk.« Julika Pohle Welt kompakt, 08.10.2015