Als mittleres von fünf Kindern hat Nele Wieland es sicher nicht leicht gehabt. Den Anforderungen ihres Vaters, eines Patriarchen wie aus dem Bilderbuch, konnte keines der Kinder genügen. Alle Kinder wurden ins Internat geschickt. Von den Söhnen sollte einer Vaters Nachfolger in der Baustoffhandlung
werden, einer sollte ein Studium abschließen und auch die Ehemänner der Töchter und Enkelinnen…mehrAls mittleres von fünf Kindern hat Nele Wieland es sicher nicht leicht gehabt. Den Anforderungen ihres Vaters, eines Patriarchen wie aus dem Bilderbuch, konnte keines der Kinder genügen. Alle Kinder wurden ins Internat geschickt. Von den Söhnen sollte einer Vaters Nachfolger in der Baustoffhandlung werden, einer sollte ein Studium abschließen und auch die Ehemänner der Töchter und Enkelinnen sollten hautpsächlich Herwig Wielands Vorstellungen entsprechen. (Die erste ungeplante Enkeltochter Annabelle lebte wie ein sechstes Kind bei den Wielands.) "Hero" Wielands Träume konnten seine Kinder nicht für ihn verwirklichen. Zur Hochzeit des jüngsten Wieland-Sohnes Johannes auf Mallorca ist Nele nicht gekommen und erzählt nun aus der Ferne die Familiengeschichte. Sie selbst erfüllt sich mit einem Sprachkurs in Italien einen Traum. Die Hochzeit verläuft nicht so feudal wie vermutet. Die Braut ist hochschwanger, das Hotel, in dem gefeiert wird, gehört sowieso ihrem Vater - und Hero ist schwer krank. Gerade bis zur Hochzeit hielt die Fassade der großen Familie, von der Hero sich einmal Schutz und Sicherheit erhoffte.
Doch nun bröckelt es an allen Ecken und Enden. Hero muss sich nicht nur seiner Krankheit stellen; er hinterlässt in Betrieb und Familie alles andere als geordnete Verhältnisse. Er hat bisher weder ein Testament noch eine Patientenverfügung verfasst. Seine Schwester Josepha wurde von Hero finanziell über den Tisch gezogen; bis zu ihrem Tod sorgte er nicht für klare Verhältnisse. Ein Brief, den Josepha Nele hinterlässt, bringt Neles Familienbild endgültig zum Kippen, als sie nach Josephas Tod erkennt, warum sie, das Sandwich-Kind, sich in der Familie immer als Fremdkörper gefühlt hat. Heros Frau Agnes schwieg in der Vergangenheit meistens und flüchtete in Aktivitäten außerhalb der Familie als Stütze der Kirchengemeinde. Man könnte glatt annehmen, dass Heros schwere Krankheit nun für Agnes Erleichterung bringt. Hero selbst, der sich bisher nie etwas anmerken ließ, will plötzlich Ruhe, Ruhe vor Ärzten, vor Angehörigen und deren nicht enden wollenden Ratschlägen. Als Mann mit Familie hat er noch nicht einmal die Freiheit, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen. Nele liebt einen älteren, verwitweten Nigerianer. Für Ken sind Neles Familiengeschichten schwer zu begreifen. Warum diese Distanz in einer Familie, warum folgt Nele nicht einfach ihren Gefühlen? Aus ihrer distanzierten Position erkennt Nele als erste in der Familie, dass Hero seine Krankheit nicht überleben wird. Werden die Wielands, die unter Heros Fuchtel stets die Fassade wahren wollten, mit ihrem Familienoberhaupt über sein Sterben sprechen können?
Neles Beschreibung der Familienverhältnisse aus der Ferne und in Ich-Form wirkt in kurzer, protokollarischer Sprache zunächst sehr kühl, fast schon zynisch. Es fällt schwer zu glauben, dass das Ende ihrer Illusionen sie so wenig berührt, wie sie es die Leser glauben lässt. Die Perspektiven der Geschwister und ihrer Kinder ergänzen Neles Beobachtungen zum Psychogramm einer Familie, in der eine ganze Generation vergeblich um die Aufmerksamkeit des Vaters gerungen hat. Root Leebs Charakterisierung eines Patriarchen und seines Gefolges wirkt in ihrer Klarheit vertraut aus eigenen Familiengeschichten und doch erschreckend.