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Produktdetails
  • Das Posthume Tagebuch 1
  • Verlag: Kirchheim, München
  • 1998.
  • Seitenzahl: 92
  • Deutsch, Italienisch
  • Abmessung: 12mm x 145mm x 207mm
  • Gewicht: 182g
  • ISBN-13: 9783874100748
  • ISBN-10: 387410074X
  • Artikelnr.: 06578871
Autorenporträt
Eugenio Montale, geb. am 12. Oktober 1896 in Genua, wuchs an der ligurischen Küste auf und studierte zunächst Gesang. Nach dem 1. Weltkrieg, an dem er als Offizier teilnahm, veröffentlichte er 1919 seine ersten Gedichte. 1928 ging er als Angestellter des Verlags Bemporad nach Florenz und wurde 1929 Direktor des Gabinetto Vieusseux. 1938 wurde er wegen antifaschistischer Gesinnung entlassen. Während des Krieges war Montale freier Schriftsteller und Mitarbeiter mehrerer Zeitschriften der liberalen Opposition, unter anderem von 'Solaria' und 'Campo di Marte', außerdem Übersetzer von Shakespeare, Cervantes, Melville, Eliot. 1948 ging er nach Mailand, wo er unter anderem als Redakteur für den 'Corriere della Sera' und 1955-67 als Musikkritiker des 'Corriere d'informazione' arbeitete. 1967 wurde er Senator auf Lebenszeit. 1975 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Eugenio Montale starb am 12.9.1981 in Mailand.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.1998

Sechsundsechzig Gedichte suchen ihren Autor
Verwirrspiel: Mit seinem "postumen Tagebuch" foppt Eugenio Montale die Literaturkritik / Von Winfried Wehle

Wer in der Symbiose von Literatur und Literaturkritik jeweils Wirt und Gast ist, läßt sich nicht immer genau unterscheiden. Ein reines Vergnügen waren sich die beiden jedenfalls selten. Wann sind Autoren schon mit ihren Kritikern und diese mit jenen zufrieden? Ruhiger wird es eigentlich erst postum. Dann gehen die Namen und Werke allmählich an die literarhistorische Denkmalpflege über. Ihren Preis hat jedoch auch sie. Poeten und Literaten müssen dann von jenseits des Grabes aus stumm mit anhören, was über sie gesagt wird. Mehr als einer hat daher seinem Nachleben vorzubeugen versucht, etwa durch Gespräche mit einem Eckermann, Manifeste, Eigenkommentare in Briefen oder durch andere Selbstschutzmaßnahmen.

Ein origineller Fall dieser Art beschäftigt gerade Italien. Es geht um den Lyriker und Nobelpreisträger Eugenio Montale (1896 bis 1981). Er hatte wohl triftige Gründe zur Annahme, daß die Fachgelehrten ihn unter den Heiligenschein eines modernen Klassikers stellen würden. Nicht nur, weil er in seinem "zweiten Beruf" selbst mehr als fünfzig Jahre lang Kritiker war. Zu Lebzeiten hatte er ihnen auch als Dichter nahegestanden. Dies erhellt der Briefwechsel mit Gianfranco Contini, einem der Großen der italienischen Philologie. Im Jahre 1933 war die dritte, erweiterte Ausgabe von Montales erstem Gedichtband Ossi di seppia ("Tintenfischknochen") erschienen. Sie wurde von einem Namenlosen in einer obskuren Zeitschrift besprochen: Der damals 21 Jahre alte Contini hatte in den Erweiterungen poetische Spuren erkannt, die aus der hermetisch verschlossenen Zeichenwelt der ersten Sammlung hinausführten. Für Montale muß es wie die Offenbarung eines neuen Zieles gewesen sein. Eine lange, fast fünfzigjährige Weggefährtenschaft entstand, mit Briefen, Begegnungen, intimen Kommentaren von Versen, Menschen, Kollegen und Zeiten, voller Ernst, Witz, Ironie und dem zweiten Buch Montales, den Occasioni ("Gelegenheiten", 1933) als Höhepunkt ihrer Werkstattgespräche. Doch trotz persönlichster Anteilnahme: es blieb immer spürbar, wer der Gebende und der Nehmende war und wem die Wortführerschaft zustand. Bei allem hielt Montale eine feine, unmerkliche Grenze, eine Art "reservatio mentalis" ein, die von Contini feinfühlig respektiert wurde. Als dieser ihm einmal eigene lyrische Versuche zuschickte, ging Montale mit keinem Wort darauf ein.

Im Grunde war es Contini selbst, der Montale früh vor den Umarmungen einer noch so wohlwollenden Kritik warnte - als er selbst noch nicht dazugehörte. Drastisch verwies er auf den Zeitgenossen Ungaretti, den sie wie eine "camorra" umstellt habe. Montale, so scheint es, hat diese Lektion bis zu seinem Lebensende nicht vergessen. Denn wenn ihm ein Interesse eigen war, dann dies: mit Hilfe der Kunst Breschen ins alltägliche Gerede zu schlagen und sprachliche Beschlagnahmungen aufzuheben. In seinen Augen errichten Regeln, Begriffe, Parolen, und wären sie noch so vernünftig, Absperrungen gegen die Beweglichkeit des Lebens.

Als eine solche Enteignung muß Montale auch die literarische Kritik angesehen haben. Und er scheint ihre Herrschaft besonders im Blick auf jenen Zeitpunkt gefürchtet zu haben, ab dem er endgültig schweigen und sie das letzte Wort über ihn haben würde. Wenn nicht alles täuscht, hat er versucht, auch dieser letzten, das gesamte Werk umfassenden Vereinnahmung vorzubeugen. Dazu hat er ein Diario postumo ("Das postume Tagebuch") ersonnen. Es sieht ganz so aus, als ob er damit großen Erfolg haben würde. Denn es bietet, seit einiger Zeit schon, dem Feuilleton Italiens Stoff zu einem tückischen Boulevardstück.

Montales lyrisches Vermächtnis besteht aus 66 Gedichten. Eine Summe, einen letzten Bescheid enthalten sie jedoch nicht. Im Grunde hat er darin nichts mitzuteilen, was er so oder ähnlich nicht schon früher zur Sprache gebracht hätte. Manche Stücke zitieren Unterhaltungen; andere halten sich an alltägliche Rückstände. Wiederholungen fallen auf, Brüche. Ungereimtheiten, durchsetzt mit sinnreich "sprühenden" Versen. "Ich greife", kommentiert er sich selbst, "zurück auf Zettelkästen/die aus Erinnerungen schöpfen/um sie dann aufs Geratewohl zu verbinden". Es sieht so aus, als könne er sein Schreiben nur noch dadurch verlängern, daß er sich, Epigone seiner selbst, an seinen früheren Worten festhält. Das schwache Ende eines großen Dichters?

Doch das Dilettantische, es geht ihm allzu glatt, ja geradezu stimmig von der Hand. Muß nicht der Verdacht entstehen, es sei am Ende absichtsvoll inszeniert? Daß Montale ein falsches Spiel mit den Erwartungen an einen heiliggesprochenen Poeten treibt? Er hat ein lyrisches Testament hinterlassen, ihm aber zugleich jede Bedeutung als Schlußwort entzogen. Themen und Texte, die ihn berühmt gemacht haben, werden aufgerufen: aber nur, um zu einem Pasticcio verarbeitet zu werden. Alles scheint auf eine Antiklimax hin angelegt, als wolle er die Zumutung abwehren, sein Leben und sein Werk laufe auf etwas Bestimmtes hinaus. Das postume Tagebuch hat ein "Verwirrspiel" (Zweites Testament) im Sinn: Montale gewinnt ihm die parodistische Lust einer "Selbstentheiligung" ab. Er stellt sich damit im Grunde eine Art Amnestie vom Bedeutend-sein-müssen aus. So zumindest hat es auch einer gesehen, der es wissen könnte: der Freund Andrea Zanzotto, im Text als "Serenissimus" vertreten und selbst Autor raffinierter Sprachkunststücke. So gesehen, veranstaltet er eine Art antiautoritäres Dichten, das sich gegen all die unerwünschte Autorität richtet, die ihm zugeschrieben wird, um sich dann wieder auf sie berufen zu können. Dieser philologischen Leibwache gilt es zu entgehen; deshalb hat er seinem Werk einen burlesken Hinterausgang eröffnet.

Daß er zu solchen Mitteln gegriffen haben könnte, dafür sprechen weitere Umstände. Seine letzten Gedichte hat er in elf Umschlägen hinterlassen. Sie sind in seiner Handschrift geschrieben und doch zugleich anders: er hat sie wohl absichtlich etwas verstellt. Und dann ist da Annalisa Cima. Sie hat dem Fall erst die nötige Regenbogenfärbung gegeben. Als sie Montale kennenlernte, war sie siebenundzwanzig, er zweiundsiebzig Jahre alt. Sie wurde, mit wechselnden Titeln, die Muse seines Alters. Gerontophilie hätte die Presse, zumal in Italien, ja noch durchgehen lassen. Nicht aber, daß der Dichter schon nach kurzer Zeit sein Testament mehrfach zu ihren Gunsten geändert und sie als literarische Alleinerbin eingesetzt hat. Die Gedichte des postumen Tagebuches hat er ihr gewidmet und ausgehändigt. Sie hat sie in eine eigene Stiftung eingebracht, um sie, nach dem Willen des Autors, einige Jahre nach seinem Tod in kleinen Gruppen nach und nach zu veröffentlichen. Annalisa aber war selbst Poetin. Öffentlichkeit war ihr keineswegs zuwider, und Montale verschaffte sie ihr. Als deshalb 1996 alle nachgelassenen Texte erschienen, platzte der Knoten, den Montale von langer Hand geschürzt zu haben scheint: sprachen nicht all die dubiosen Umstände eher dagegen, daß Montale ihr Autor war, und damit für Fälschung? Würde sich ein Nobelpreisträger selbst so in den Nachruhm verabschieden?

In die Falle gegangen ist schließlich der Literaturwissenschaftler Dante Isella. Er hatte vor aller Augen, im Corriere della Sera, dem Tagebuch den philologischen Segen verweigert. Der Verdacht traf jedoch nicht nur Annalisa Cima, sondern auch Rosanna Bettarini. Sie und eben nicht Dante Isella hatte im Auftrag der Erbin die kritische Ausgabe von 1996 besorgen dürfen. Beide, Isella wie Bettarini, waren dem Werk Montales editorisch verbunden. Mehr noch: beide waren Schüler Gianfranco Continis. Es wurde also ein Stück im Stück aufgeführt: auch hier ein Erbenstreit, wem Continis Freundschaft zu Montale jetzt zusteht oder, anders gesagt, wer der bessere Meisterschüler des Meisters ist. Montale jedenfalls konnte zufrieden sein. Er hatte seine Erben, Philologen, Kritiker, Zeitungen und die Leserschaft mit seinem nachgelassenen Werk so beschäftigt, wie er es wollte. Es sollte irritieren, in Frage stellen, falsche Sicherheiten vereiteln. Es zieht seine Originalität nicht so sehr aus dem, was es sagt, sondern daraus, was es leugnet: die wohlmeinenden Zumutungen des Nachruhms. Lieber ein poetischer Narr als ein philologischer Heiliger, schien Montale seinem abschließenden Tagebuch anvertrauen zu wollen.

Man mag Montales authentische Apokryphen für ein geistreiches Divertimento halten. Ernst war es ihm damit dennoch. Denn er war immerhin bereit, seinen guten Ruf aufs Spiel zu setzen, um seiner poetischen Grundüberzeugung die Treue zu halten. Dichtung, wiederholt er noch zuletzt, ist dem "Mangel" verpflichtet, den die "Natur" erleidet angesichts der falschen Zeugnisse, die von Schwätzern, Bürokraten und Marktschreiern abgelegt werden. Sie sind "Überbringer lebloser Zeichen", weil sie alles erklären wollen, während doch "das Leben selbst jeden Tag die Grenzen überwindet, die es setzt". Das ist der testamentarische Wille seiner "Flaschenpost" aus dem Jenseits. Solange er hier Unruhe stiftet, kann er also dort seinen Frieden finden. Deshalb hat er auch dafür gesorgt, daß das Nachspiel auf Erden weitergeht. Ab dem Jahre 2006 sollen die Gespräche zugänglich werden, die Annalisa Cima mit ihm geführt (und aufgezeichnet) hat. "Sie werden vielen Ärger machen", heißt es bereits jetzt.

Der erste Teil dieses postumen Tagebuchs ist soeben, mit dem Nötigsten versehen, in der ansprechenden Übersetzung von Christine Koschel erschienen; der zweite steht bevor. Dann wird es einen vollständigen Text und doch nicht schon das Werk Montales selbst geben. Dieses ist noch im Entstehen. Seine eigentliche Gestalt fände es erst zusammen mit den Verwilderungen, die es selbst provoziert hat.

Eugenio Montale: "Die Worte sprühen". Das postume Tagebuch I. Gedichte italienisch und deutsch. Von Christine Koschel übersetzt; mit einem Nachwort von Annalisa Cima und mit Erinnerungen Carlo Emilio Gaddas und Alberto Moravias an Montale. Verlag Peter Kirchheim, München 1998, 92 S., br., 32,- DM.

"Eusebio e Trabucco. Carteggio di Eugenio Montale e Gianfranco Contini". A cura di Dante Isella. Adelphi Edizioni. Milano 1997. 328 S., 48000 Lire.

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