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Wer Margaret Atwood kennenlernen will, muss ihre Gedichte lesen.
Margaret Atwood ist eine der berühmtesten Romanautorinnen der Gegenwart; ihr »Report der Magd« ist fast schon ein Mythos. Aber wer mehr über den Menschen Margaret Atwood wissen will, muss ihre Gedichte lesen, denn es ist ihre Lyrik, in der sie von sich selbst erzählt. Hier begegnet man der leidenschaftlichen Kanadierin, der Feministin und der Umwelt-Aktivistin. Aber vielleicht noch mehr entdeckt man die Reisende und die Naturliebhaberin, das Kind und die Mutter, die Geliebte und die Liebende. Für diese zweisprachige Ausgabe…mehr

Produktbeschreibung
Wer Margaret Atwood kennenlernen will, muss ihre Gedichte lesen.

Margaret Atwood ist eine der berühmtesten Romanautorinnen der Gegenwart; ihr »Report der Magd« ist fast schon ein Mythos. Aber wer mehr über den Menschen Margaret Atwood wissen will, muss ihre Gedichte lesen, denn es ist ihre Lyrik, in der sie von sich selbst erzählt. Hier begegnet man der leidenschaftlichen Kanadierin, der Feministin und der Umwelt-Aktivistin. Aber vielleicht noch mehr entdeckt man die Reisende und die Naturliebhaberin, das Kind und die Mutter, die Geliebte und die Liebende. Für diese zweisprachige Ausgabe wurde aus den rund zwanzig Lyrikbänden, die Margaret Atwood zwischen 1966 und 1995 veröffentlichte, eine repräsentative Auswahl getroffen.
Ein ganzes Leben in Gedichten - in den Übertragungen von Ann Cotten, Ulrike Draesner, Christian Filips, Dagmara Kraus, Elisabeth Plessen, Kerstin Preiwuß, Monika Rinck Jan Wagner und Alissa Walser.
Autorenporträt
Margaret Atwood, geboren 1939 in Ottawa, gehört zu den bedeutendsten Erzählerinnen unserer Zeit. Ihr »Report der Magd« wurde zum Kultbuch einer ganzen Generation. Bis heute stellt sie immer wieder ihr waches politisches Gespür unter Beweis, ihre Hellhörigkeit für gefährliche Entwicklungen und Strömungen. Sie wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem renommierten Man Booker Prize, dem Nelly-Sachs-Preis, dem Pen-Pinter-Preis und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Margaret Atwood lebt in Toronto.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Rezensent Jörg Magenau empfiehlt diese Auswahl mit Gedichten von Margaret Atwood zum Kennenlernen der weniger bekannten Lyrikerin Atwood, aber auch als Werkschau der deutschen Lyrikszene, die hier als Übersetzerteam antritt. Gegen die "eher interlinearen" Übertragungen, die laut Magenau nah an den Originalen bleiben, hat er nichts einzuwenden. Die Texte selbst erscheinen ihm angelsächsisch sachlich, reimlose Momentaufnahmen, Reflexionen in freien Rhythmen, nichts Durchgeformtes. Es geht um Katastrophen, mythische Begleiter wie Fuchs und Schlange und die Verwandlung politischer Themen in Gefühle. Am besten gefallen Magenau die Gedichte, in denen ein Gegenüber angesprochen wird.  Zudem bewundert er,  Atwoods lyrisches Ich angesichts der Kriege und Bedrohungen in der Welt  "still wie eine Zündschnur" bleibt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2020

Wie die Schlange dichten

Neun deutsche Stimmen: Erstmals erscheint eine profunde Auswahl von Margaret Atwoods Lyrik.

Von Tobias Döring

Ein Wesen, dessen Körper lang und schlank und glatt und stets zugleich Bewegung ist, auch wenn er ruht, da unsere Blicke immerfort an ihm entlanggleiten, beständig seinen Windungslinien folgend: Das ist die Schlange. Der Lyrikerin Margaret Atwood ist sie Sinnbild und Begründung ihrer Kunst: "O Schlange, du bist ein Argument für Dichtung", lautet die Anrufung des Gedichts "Psalm an die Schlange" aus Atwoods Band "Interlunar" von 1984. Er enthält eine ganze Serie von Schlangengedichten, die sich programmatisch lesen lassen als Erkundungsgänge in geheime Zwischenzonen, wo aus Bewegung Sprache und aus Sprache Wirklichkeit entsteht: "Mit dem Körper zu sprechen / ist das, was die Schlange tut, Buchstabe / für Buchstabe ins Gras gedruckt, / sich selbst eine Zunge, die ihre erdigen Hieroglyphen windet".

Ihr poetisches Programm ist, überkommene Verfestigungen aufzubrechen: "Vergessen Sie die phallische Symbolik", heißt es mit wünschenswerter Klarheit in einem weiteren Schlangengedicht: "zwei Dinge sind anders: / Schlange schmeckt wie Huhn, / und wer hätte dem Schwanz jemals Weisheit zugeschrieben?"

Ironisch, lakonisch, scharfsichtig und -züngig, oft lustvoll pointiert, dabei völlig unsentimental, ohne jeden Anflug von Gefühligkeit oder Verklärung, gelegentlich in der Distanziertheit fast schon unterkühlt und dennoch niemals kaltschnäuzig, sondern leidenschaftlich anteilnehmend: So wirkt Atwood als Lyrikerin. Diese Erfahrung war überfällig. Nach mehr als einem halben Jahrhundert erhält jetzt erst ein deutschsprachiges Lesepublikum Gelegenheit, die bekannteste Autorin Kanadas auch in dieser Rolle zu entdecken. Nach vereinzelten, eher zaghaften Versuchen, ihre Gedichte hierzulande einzuführen (zuletzt erschien 2014 "Die Tür"), wagt ihr deutscher Verlag den großen Wurf: Aus den sechzehn Lyrikbänden präsentiert er eine zweisprachige Auswahl von knapp hundert Texten aus dreißig Jahren (basierend auf der Zusammenstellung "Eating Fire" von 1998) mit deutschen Fassungen von neun hochkarätigen Übersetzerinnen und Übersetzern, die sich jeweils einem Band von Atwood widmen.

Die Lektüre ist ein Fest. Wo immer man das dicke Buch aufschlägt, man liest sich fest und lässt sich nur zu gern von einem Text zum nächsten ziehen und sich von jedem weiteren aufs Neue überraschen. Ganz unterschiedlich sind Ton- und Stimmungslagen, in meist knappen Versen schlangengleich vorangleitend, mit vielen starken Windungen und Wendungen. Tatsächlich stand Lyrik am Beginn von Atwoods Schreibkarriere und Erfolg. Als ihr erster Gedichtband, "Das Kreisspiel", mit dem höchsten Literaturpreis Kanadas ausgezeichnet wurde, meldete sich telefonisch ein kanadischer Verlag und fragte an, ob sie auch mal einen Roman plane - nur um zu erfahren, dass ein komplettes Manuskript bereits seit längerem im Haus zur Prüfung lag. So erschien 1969, da war die Autorin dreißig, ihr Romandebüt "Die essbare Frau".

Wer mit Atwood als Erzählerin vertraut ist, wird in den Gedichten vielerlei Verbindungen zu den Romanen finden, sei es die feministische oder ökologische Perspektive oder eine konkrete Figur wie Susanna Moodie, eine englische Siedlerin im Kanada des neunzehnten Jahrhunderts, die in Atwoods abgründigem historischen Roman "Alias Grace" eine Rolle spielt und deren "Tagebüchern" sie schon zwanzig Jahre vorher poetische Gestalt gegeben hatte.

Durch die Unterschiedlichkeit der Stimmen, mit der sich ihre deutschen Übersetzer durchaus selbst bemerkbar machen - ein hoher Reiz der aktuellen Sammlung -, meint man ein ganz eigenes Atwood-Idiom zu vernehmen. Im Zeichen der Schlange dichten heißt, dass immerfort die nächste Wendung oder Windung schon bevorsteht. Deshalb ist Margaret Atwood zu lesen so gefährlich: Man bleibt beständig in Bewegung.

Margaret Atwood: "Die Füchsin". Gedichte 1965-1995.

Aus dem Englischen von Ann Cotten, Ulrike Draesner, Christian Filips, Dagmara Kraus, Kerstin Preiwuß, Elisabeth Plessen, Monika Rinck, Jan Wagner und Alissa Walser. Berlin Verlag, Berlin 2020. 408 S., geb., 40,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.11.2020

Achtung, Zündschnur
Bei jedem Tastenschlag geht es ums Ganze: die Gedichte der Bestseller-Queen Margaret Atwood
Füchse sind ulkige Tiere. Sie können gut klettern und schleichen und – so denken die Japaner – sogar Erleuchtung erreichen. Das ist nicht unbedingt erstrebenswert, denn so ein erleuchteter Fuchs bekommt neun Schwänze und beginnt, menschliche Lebern zu fressen, heißt es. Bei „Die Füchsin“, der im Berlin-Verlag erschienen Gedichtsammlung Margaret Atwoods, haben wir es Gott sei Dank mit einer normalen einschwänzigen Füchsin zu tun. Sie sitzt titelgebend auf dem ebenfalls fuchsfarbenen Gedichtband rum, das Maul weit geöffnet. Schreit sie? Gähnt sie? Tut ihr was weh?
Sucht man das Tier im Buch, muss man erst mal etwas rumblättern, denn der Berlin-Verlag hat ausgewählte Gedichte aus nicht weniger als zehn Gedichtbänden Atwoods hier versammelt. Die Frau hat über zwanzig Gedichtbände geschrieben, während alle damit beschäftigt waren, immer und immer wieder „Der Report der Magd“ und „Oryx und Crake“ zu lesen. „Die Füchsin“ ist hierzulande die erste umfassendere Sammlung ihrer Gedichte. Ins Deutsche übertragen wurden die Texte des Bandes von bekannten deutschen Dichterinnen. „Dichterinnen“ ist hier nicht gegendert, es haben sich bis auf Christian Fillips und Jan Wagner wirklich nur Dichterinnen ans Werk gemacht: Ann Cotton, Ulrike Draesner, Monika Rinck und andere. Der Einband verspricht, man würde mehr über die „Autorin als Mensch“ erfahren.
Als Mensch? Atwood ist eine Institution, die „bekannteste englischsprachige Schriftstellerin der zeitgenössischen Sexualpolitik“ (Carmine Starnino). Für sie ist jedes Buch politisch, wie sie einmal in einem Interview sagte. („Wind in the Willows? When the ferrets take over Toad Hall, that’s the class war, right there.“) Ihr „Report der Magd“ war ein gigantischer Welterfolg, und spätestens seit der Serienverfilmung des Buches ist sie omnipräsent. Ihre Gedichte sind allerdings nicht nur dank Atwoods Sicht auf die sich stetig weiterdrehende Mühle des Geschlechterkampfes bemerkenswert. Sie sind stilistisch recht unterschiedlich: Einige eher spröde, prosaisch. Durchaus auch mal mehrere Seiten lange szenische Spaziergänge durch, genau, den Wald. Andere sind komisch, mit eher lauter als leiser Ironie gedrechselt.
In dem Gedicht „Zeitung lesen ist gefährlich“ befasst sie sich mit ihrer Macht als Autorin: „Als ich im Sandkasten / untadelige Burgen baute / schoben Bulldozer Leichen / in hastig ausgehobene Gruben“, beginnt sie, „Heute (…) sitze ich in meinem Sessel / still wie eine Zündschnur“. Atwood benennt das Erwachsenwerden als ein Sich-Verknüpfen mit der Welt, die zwar auch vorher schon grausig war, auf die das Kind aber nur beschränkten Einfluss hat – das Burgenbauen und die Verscharrung der Leichen geschehen zwar parallel, aber unabhängig voneinander. Dagegen sitzt die Erwachsene im Sessel wie eine Zündschnur, die jeden Augenblick angezündet werden kann.
„Zeitung lesen ist gefährlich.“ schließt das Gedicht, „Jedes Mal, wenn ich eine Taste / auf meiner elektrischen Schreibmaschine / anschlage, um von harmlosen Bäumen zu sprechen / fliegt das nächste Dorf in die Luft.“ Der Text stammt von 1968 und meint den Vietnamkrieg. Und seit Brechts finsteren Zeiten weiß jeder Dichter und sein Leser: Wer von Bäumen spricht, schweigt leider auch über viele Untaten. Wer also keine Agitprop produziert, fällt den Unterdrückten in den Rücken.
Durch die Lektüre der Zeitung kommt ihr das eigene Schreiben plötzlich zynisch vor. Während sie von Pflanzen tippt, explodiert ein Dorf. Ein konventioneller politischer Moralismus eigentlich. Sie spitzt den Gedanken allerdings zu, indem sie eine Kausalität zwischen Tippen und Explosion behauptet. So wird der Vorwurf zur Entdeckung einer ambivalenten Superkraft im literarischen Schreiben. Wie Radioaktivität: Man kann damit heilen, Energie erzeugen oder alles zerstören. In jedem Tastenanschlag geht es ums Ganze.
Nebenbei schließt sie radikale Subjektivität mit dem Weltgeschehen kurz. Das magische Kinderdenken an der Grenze zur Zwangsneurose stellt eine direktere Verbindung zu globalen Katastrophen her, als es wohlmeinende politische Programme je könnten. Was passiert, wenn ich auf die Risse im Beton trete? Sie entlarvt sowohl die politischen Forderungen an die Kunst als übergriffig, als auch andererseits eine weltabgewandte Romantik als naiv. Auf die Schnittstellen zwischen Ich und Gesellschaft kommt es an. Wie tröstlich antik die Erwähnung einer „elektrischen Schreibmaschine“ da anmutet! Andere Texte haben einen ökologischen Fokus, alle Arten von Tieren wandern über die Seiten, die Tiere haben „Menschengesichter“, sie sterben, sie träumen. In „Wovon die Tiere träumen“ erzählt uns Atwood: Sie träumen von anderen Tieren. Maulwürfe träumen von „Dunkelheit“, ein eingesperrter Leguan in einer Zoohandlung träumt dagegen von Sägemehl.
Wo ist die Grenze zwischen Tier und Mensch? Was macht das Tier tierisch und den Menschen menschlich? Ist es die Fähigkeit zu singen? In den ausgewählten Texten aus dem Band „You are happy“ gibt einen Schweinegesang, einen Bullengesang, einen Rattengesang, einen Würmergesang. Die Ratten singen: „Ich bin auf deine Kehle aus, meinen Kumpel / der dir im Hals steckt. / Auch wenn du versuchst, ihn zu ertränken / mit deiner schmierigen Menschenstimme.“
Doch wo ist nun die Füchsin? Sie versteckt sich fast am Ende des Buches, „Red Fox“ heißt der Text im Original, Rotfuchs. Jede Übersetzerin hat jeweils die Texte aus einem bestimmten Band übersetzt – ein interessantes Konzept, bei Sammelbänden werden die Texte ja normalerweise kreuz und quer aufgeteilt, wenn mehrere Übersetzer beteiligt sind.
Gedichtübersetzungen sind eigentlich immer Neudichtungen. Vor welchen Problemen sie stehen und welche Lösungen sie finden, erhellt im besten Fall wiederum die Ausgangstexte. Das gelingt im vorliegenden Band durchweg ausgezeichnet. Um die Füchsin hat sich Jan Wagner gekümmert. Sie läuft, abgemagert, an der Beobachterin vorbei. „Um zu überleben / würden wir alle zu Dieben“. Atwoods Gedichte sind insofern realistisch, als sie ganz konkret die reale Macht des zu gefügter Sprache geronnenen Denkens vor Augen führen. Sie erfüllt alles mit Bedeutung und Zusammenhang. Dichtung und Wahnvorstellung unterscheiden sich nur in einem Bauteil. Erstere besitzt eine durchlässige Ambivalenzklappe. Letztere nicht. Dass es vom einen zum anderen nur ein Schritt ist, beweisen etwa die Lobgesänge auf Stalin von Johannes R. Becher. Einer Füchsin würde das nicht passieren.
JULIANE LIEBERT
Dichtung ist wie Radioaktivität:
Sie kann heilen, Energie
erzeugen und alles zerstören
Dichtung und Wahnvorstellungen
unterscheiden
sich in nur einem Bauteil
Halb Mensch, halb Institution, die „bekannteste englischsprachige Schriftstellerin der zeitgenössischen Sexualpolitik“ und spätestens seit dem Serienerfolg von „Der Report der Magd“ in aller Munde: die kanadische Autorin Margaret Atwood.
Foto: Regina Schmeken
Margaret Atwood: Die Füchsin. Übertragen von Ann Cotten, Ulrike Draesner, Christian Filips, Dagmara Kraus, Elisabeth Plessen, Kerstin Preiwuß, Monika Rinck, Jan Wagner und Alissa Walser.
Berlin Verlag, Berlin 2020. 416 Seiten, 40 Euro.
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»Ihre Gedichte sind allerdings nicht nur dank Atwoods Sicht auf die sich stetig weiterdrehende Mühle des Geschlechterkampfes bemerkenswert. Sie sind stilistisch recht unterschiedlich: Einige eher spröde, prosaisch. Durchaus auch mal mehrere Seiten lange szenische Spaziergänge durch, genau, den Wald. Andere sind komisch, mit eher lauter als leiser Ironie gedrechselt.« Juliane Liebert Süddeutsche Zeitung 20201111