Dieses Buch ist eine Huldigung Virginia Woolfs an die Schriftstellerin Victoria Sackville-West, zärtlich Vita genannt. In dem jungen, wandelbar-unwandelbaren Orlando, dessen abenteuerliches Leben 400 Jahre umspannt, sieht Virginia Woolf ihre Freundin als Verkörperung ihrer Vorfahren, der Grafen und Herzöge Sackville. Bald ist Orlando ein schöner Jüngling, Günstling Elizabeths I., bald eine Frau, die in Konstantinopel bei einem Zigeunerstamm lebt, dann wieder im England des 17. und 18. Jahrhunderts eine Dame der großen Gesellschaft, die, als Mann verkleidet, verbotene Abenteuer sucht. In der Gegenwart angekommen, ist Orlando eine Dichterin, die, wie Vita Sackville-West 1928, einen Literaturpreis erhält. Diese einzigartige, virtuose Romanbiographie gehört zu den unvergänglichen Werken der Weltliteratur.
Der längste
Liebesbrief
So viel Tohuwabohu und Travestie wie in Virginia Woolfs Roman „Orlando“ hat die Literatur seit den seligen Tagen Tristram Shandys nicht mehr gesehen. Die subtile Melodie dieses von einem sprachlichen Feuerwerk begleiteten furiosen Mummenschanzes, unterlegt mit feinstem britischen Humor, musste hiesigen Ohren bislang etwas verborgen bleiben. Mit Melanie Walz’ Neuübersetzung hat ein vermeintlich verstaubter Klassiker aus dem vorigen Jahrhundert endlich den passenden Sound gefunden. Mit der als staubtrockene Biografie getarnten, rund fünf Jahrhunderte währenden Geschichte eines unsterblichen Helden, der sich im Verlauf der Erzählung als eine entzückende Heldin entpuppt, wollte Woolf nach eigenem Bekunden so richtig „über die Stränge schlagen“. So hatte sie es Lord, pardon Lady Orlandos leibhaftigem Modell, ihrer Freundin und Geliebten Vita Sackville-West angekündigt. Deren Sohn nannte den Roman, der im Übrigen ganze soziologische Abhandlungen zum Thema Sex und Gender ersetzen kann, den „längsten und bezauberndsten Liebesbrief in der Literatur“. Kein Wunder, ist doch hier einfach alles anders. VOLKER BREIDECKER
Virginia Woolf: Orlando. Eine Biografie. Aus dem Englischen von Melanie Walz. Insel Verlag, Berlin 2015. 304 Seiten, 8 Euro.
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'Orlando' ist Woolfs heiterster, schwungvollster, stimmungsreichster Roman - und einer, der, ohne großes Gewese daraus zu machen,den gender trouble der Gegenwart vorweggenommen hat. Gerrit Bartels Der Tagesspiegel 20200404