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Ein karibischer Roman vom Strand der Zukunft – und die uralte Frage, brennend wie der Kuss einer Seeanemone: Wer ist Ich? "Tentakel" tankt den magischen Treibstoff lateinamerikanischer und karibischer Traditionen, um deren Grenzen lustvoll hinter sich zu lassen. Ein Roman, der unsere Fragen nach Identität, Sex und Gender auf unkonventionelle Weise verhandelt – und eine so bemerkenswerte wie befreiende Antwort findet. Ein kompromissloses, schnelles, unverschämtes Buch, an dem sich nicht nur die Voodoo-Geister scheiden – wie immer, wenn Literatur etwas wagt.

Produktbeschreibung
Ein karibischer Roman vom Strand der Zukunft – und die uralte Frage, brennend wie der Kuss einer Seeanemone: Wer ist Ich? "Tentakel" tankt den magischen Treibstoff lateinamerikanischer und karibischer Traditionen, um deren Grenzen lustvoll hinter sich zu lassen. Ein Roman, der unsere Fragen nach Identität, Sex und Gender auf unkonventionelle Weise verhandelt – und eine so bemerkenswerte wie befreiende Antwort findet. Ein kompromissloses, schnelles, unverschämtes Buch, an dem sich nicht nur die Voodoo-Geister scheiden – wie immer, wenn Literatur etwas wagt.
Autorenporträt
Rita Indiana, geboren 1977 in Santo Domingo, ist eine singuläre Gestalt im lateinamerikanischen Raum. Dank ihrer Neuerfindung des traditionellen Merengue avancierte sie zur bekanntesten dominikanischen Musikerin der Gegenwart, "El País" wählte sie unter die 100 einflussreichsten Persönlichkeiten Lateinamerikas. Neben ihrem politischen Engagement gegen Korruption und Homophobie schreibt sie in mehrere Sprachen übersetzte Romane. Indiana lebt in Miami.
Rezensionen

buecher-magazin.de - Rezension
buecher-magazin.de

Lesen Sie dieses Buch konzentriert und hören Sie nicht auf zu träumen. Die Gefahr, eine Wendung, eine Wandlung, einen Zeitsprung oder den Wechsel in eine andere Realität zu verpassen, ist groß. Entsprechend komplex ist sein Plot. 2027 ist nach einem Tsunami, der biologische Kampfstoffe ins Meer spülte, der Ozean vor der Dominikanischen Republik verseucht. Roboter sammeln infizierte Geflüchtete aus Haiti von den Straßen von Santo Domingo und töten sie. Die 16-jährige Acilde arbeitet als Hausmädchen für eine Santeria-Priesterin und träumt davon zu werden, was sie ist: ein Mann. Sie stiehlt die Seeanemone ihrer Chefin, um die erforderliche Spritze zu finanzieren. 2001 wird Argenis Luna, ein erfolgloser Maler, von einem reichen Exzentriker zu einem Projekt an der Playa Bo eingeladen. Er gerät in die Tentakel einer Seeanemone und träumt im Fieber, ein Bukanier im 16. Jahrhundert zu sein. All diese Ebenen sind logisch-magisch miteinander verbunden, versprochen, und was auf dem Spiel steht, ist nichts Geringeres als die Rettung des Ozeans. Rita Indiana ist nicht nur Autorin, sondern hat mit ihrer Band "Los Misterios" den Merengue neu erfunden. "Tentakel" ist ein Roman wie ein Trip, auf dem der Leser fortwährend Grenzen überschreitet - zwischen Geschlechtern, Zeiten und Realitäten.

© BÜCHERmagazin, Elisabeth Dietz (ed)

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.05.2018

Voodoo
und Versace
Rita Indianas Roman „Tentakel“
beschwört die Beschwörung
Die schöne neue Welt des Jahres 2027 ist eine Welt der technisch aufgerüsteten gated communities. Auf den Straßen patrouillieren Roboter, die unerwünschte Menschen einsammeln und zerlegen – Obdachlose, psychisch Kranke, Prostituierte oder Flüchtlinge aus Haiti. Zu den lustigeren Erfindungen gehört ein „PriceSpy“, durch den man erkennt, was jemand wert ist, wie viel sein Haus, sein Auto, seine Designerbrille gekostet haben. Und welchen Preis sein Versace-Hemd hat, das sich womöglich als billiges Imitat entpuppt.
Ganz so schön aber, wie es klingt, ist diese neue Welt in der Dominikanischen Republik dann doch nicht. Denn ein paar Jahre zuvor hat ein Seebeben einen gewaltigen Tsunami verursacht und ganze Stadtteile ausgelöscht. Seither sind die Strände verwüstet, das Meer ist verseucht. Urlaubsparadies ist ein Wort von gestern. Acilde arbeitet als Dienstmädchen im Haus von Esther Escuderos; nachts geht sie in den Park, um für eine Handvoll Pesos Schwänze zu lutschen. Die Männer halten sie für einen hübschen Jungen. Und ein Junge wäre sie auch gerne. Mit Hilfe einer Injektion wird ihr Geschlecht unter Qualen umgewandelt. Hausherrin Esther hat eine Neigung zu Voodoo und sieht die Zukunft voraus. Sie ahnt, dass sie in ihrem Haus den „Erwählten“ empfangen hat und dass sie durch ihn umkommen wird. Prompt erfüllt sich die Prophezeiung, wenngleich die Tat durch einen anderen verübt wird: Acilde öffnet dem Mörder die Tür. Zwei Schüsse fallen. Dann ist es mit Esther vorbei.
„Tentakel“ heißt der schmale Roman von Rita Indiana, die 1977 in Santo Domingo geboren wurde und heute in Miami lebt. Bekannt geworden ist sie in der Dominikanischen Republik und weit darüber hinaus als Musikerin, denn sie hat den traditionellen Merengue so gut wie neu erfunden. Ihr Roman wirkt auf den ersten Blick wie billige Pulp Fiction. Das wenigstens legt der „PriceSpy“ nahe.
Auf den zweiten Blick aber zeigt er eine eigenwillige Qualität. Es ist tröstlich, dass der digitale Spion den Wert von Literatur nicht zu erfassen vermag. Versace-Hemden ja, Romane nein. Denn Merengue-Indiana weiß, wie sie die Verhältnisse zum Tanzen bringt. Ganz ohne Voodoo ist ihr Buch nicht zu haben. Man muss an Kuba und die Santería denken. Bei Indiana wirkt die Dominikanische Republik stark von afrokubanischen Kulten beeinflusst.
Auch Präsident Said Bona hält es mit magischen Kräften. Kaum an der Macht, erklärt er Voodoo und die damit einhergehenden Mysterien zur Staatsreligion. Nur in einem Quartier der Hauptstadt nistet noch Widerstand. Die evangelikalen Christen gelten als Terroristen. Als Bona, eine Kreuzung aus Malcolm X und Balaguer, dem früheren zwielichtigen Präsidenten, Acilde im Krankenhaus besucht, kommt ihm nur Spott über die Lippen: „Und du bist also die Tunte, die das Land retten soll, oder was?“
Im Gefängnis entdeckt Acilde seine Fähigkeit, in die Vergangenheit zu schauen und mit Schicksalsfäden zu spielen. Auf einem Künstlerfest erblickt er einen schwarzen Jungen beim Breakdance, Said Bona in herausfordernden Posen. Acilde ist versucht, ihm eine Botschaft zu übermitteln und so zu unterbinden, dass Bona später als Präsident biologische Waffen aus Venezuela beziehe. Dadurch könnte die ökologische Katastrophe verhindert werden. Doch dann lässt er es sein, in der Sorge, seine Kompetenzen zu überschreiten. Den Lauf der Welt scheint er nicht aufhalten zu können.
Indianas literarische Tricks entstammen der mündlichen Überlieferung von Voodoo und Santería. Eine ganze Reihe ihrer Figuren sind Reinkarnationen früherer Leben und mit diesen verbunden. So infiziert sie die sichtbare Welt mit der unsichtbaren, teils durch verwegene Spiegelungen in ein- und demselben Absatz. Ein Künstler der Neunziger wird von einem tragischen Ereignis aus dem 17. Jahrhundert heimgesucht, lebt gleichzeitig hier und dort und droht daran irre zu werden. Von Ashé, der ausbalancierten Wechselwirkung in der Santería, ist wenig zu spüren. Über dieses Ideal verliert Indiana kein Wort. Dennoch könnte es das geheime Herz ihrer Erzählung sein.
Die Kühnheiten dieses Textes haben in manchen Passagen etwas Gebasteltes. Trotzdem faszinieren sie. An „Kryptozän“, den ebenfalls durch die Zeiten navigierenden Roman der gleichaltrigen Argentinierin Pola Oloixarac, reicht „Tentakel“ nicht heran. Aber beide Romane stehen für die umstürzlerische Lust der jüngeren lateinamerikanischen Literatur. Acilde, der Erwählte, hat trotz aller Weissagung nicht das Zeug zum Erlöser. Er stopft sich Schlaftabletten in den Mund.
RALPH HAMMERTHALER
Die Autorin wurde als Musikerin
berühmt - mit dem Merengue
In verschiedenen Zeiten leben,
ohne darüber irre zu werden
Rita Indiana: Tentakel. Roman. Aus dem Spanischen von Angelica Ammar. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2018. 160 Seiten,
18 Euro. E-Book 15,99 Euro.
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