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"Die immer wieder und zu Recht eingeforderte Überwindung nationalgeschichtlicher und eurozentrischer Begrenzungen der Geschichtsforschung - hier wird sie eindrucksvoll, mit stupender Gelehrsamkeit vollzogen. [....] Gerlachs Buch ist ein eminent politischer Kommentar zur aktuellen Weltlage. Immer steht die Sache im Vordergrund, der empirische Befund und nicht die These." -- Die Zeit
"Wer das Phänomen Massengewalt verstehen will, der kommt um diese 575 Seiten nicht herum." -- Tages-Anzeiger, 30.06.2011
"Dieses Buch ist der gelungene Versuch aus wissenschaftlicher Sicht heraus das Phänomen
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Produktbeschreibung
"Die immer wieder und zu Recht eingeforderte Überwindung nationalgeschichtlicher und eurozentrischer Begrenzungen der Geschichtsforschung - hier wird sie eindrucksvoll, mit stupender Gelehrsamkeit vollzogen. [....] Gerlachs Buch ist ein eminent politischer Kommentar zur aktuellen Weltlage. Immer steht die Sache im Vordergrund, der empirische Befund und nicht die These." -- Die Zeit

"Wer das Phänomen Massengewalt verstehen will, der kommt um diese 575 Seiten nicht herum." -- Tages-Anzeiger, 30.06.2011

"Dieses Buch ist der gelungene Versuch aus wissenschaftlicher Sicht heraus das Phänomen von Massengewalt zu erklären. Der Autor dringt vor zu den Wurzeln, dorthin wo die Scheußlichkeit der Massenvernichtung seinen Anfang nimmt." -- buecherveraendernleben.npage.eu, 20.07.2011
Die bahnbrechende Studie zur Massengewalt im 20. Jahrhundert

Massengewalt zählt zu den verstörendsten Phänomenen der Gegenwart. Während herkömmliche Erklärungsversuche vor allem die Rolle des Staats und der ideologischen Voraussetzungen untersuchen, fragt Christian Gerlach nach den sozialen Bedingungen der Massentötungen. Anhand von Geschehnissen u.a. in Armenien, Bangladesch, Griechenland und Indonesien untersucht Gerlach die Bedeutung sozioökonomischen Drucks und sozialer Mobilität in betroffenen Gesellschaften. Aus ihnen folgen vielfältige Motive für Gewalt. Begriffe wie »Genozid« oder »ethnische Säuberung« verschleiern in ihrer Eindimensionalität die Unterschiedlichkeit der Gewaltakte, der Täter und Opfer. Mit seiner differenzierten Analyse leistet Christian Gerlach einen wichtigen Beitrag zur zeithistorischen Aufklärung.

Autorenporträt
Gerlach, Christian§Christian Gerlach, geboren 1963, ist weltweit einer der besten Kenner der Geschichte von Massengewalt und Genozid. Nach Forschungs- und Lehrtätigkeiten u. a. an der Nationaluniversität Singapur, der Universität Freiburg sowie der University of Pittsburgh hat er seit 2008 den Lehrstuhl für Zeitgeschichte in globaler Perspektive am Historischen Institut der Universität Bern inne. In früheren Buchveröffentlichungen befasste sich Christian Gerlach mit Wirtschafts- und Vernichtungspolitik während des Zweiten Weltkriegs.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2011

Das große Töten

Christian Gerlach will die Gewaltexzesse des 20. Jahrhunderts deuten. Den Urgrund sieht er in einem "kapitalistischen Weltsystem" - was wenig erklärt.

Von Christian Hartmann

So viel Gewalt wie im 20. Jahrhundert war noch nie. Das eröffnet viele Fragen - nach wie vor: Lässt sich dieser Ausbruch an Gewalt, einzigartig in seinem Umfang und in seinem Charakter, strukturieren, erklären, möglicherweise sogar zurückführen auf wenige zentrale Voraussetzungen? Genau dies hat Christian Gerlach versucht. Sein Paradigma der "extrem gewalttätigen Gesellschaften" überprüft er an mehreren Fallstudien - den Gewaltexzessen in Indonesien 1965/66, der Vernichtung der Armenier 1915 bis 1923 und dem Massenmord in Bangladesch 1971 bis 1977. Drei weitere Kapitel beschäftigen sich mit den Prinzipien der Guerrillabekämpfung, mit den Folgen, welche die deutsche Besatzung für Griechenland hatte, und schließlich der Frage, wieweit die Perspektive einer traditionellen Nationalgeschichte der Schilderung von Genoziden noch gerecht wird.

Dies ist eine recht unkonventionelle Auswahl und auf jeden Fall ein Beleg dafür, dass die deutsche, die sowjetische oder chinesische Geschichte nicht ausreichen, um die ideologisch-politischen Mordkampagnen des 20. Jahrhunderts in ihrer Gesamtheit darzustellen. Die Geschichte des großen Tötens war ungleich vielfältiger, komplizierter, und sie beanspruchte viel mehr Schauplätze, als es auf den ersten Blick scheint. Dass dies Buch daran erinnert, ist gut. Wieweit ist denn das, was etwa in Indonesien oder im Unabhängigkeitskrieg Ostpakistans, dem späteren Bangladesch, passierte, bei uns wirklich bekannt? Gerlach geht es freilich weniger um den Transfer von Wissen, ihm geht es in erster Linie um Analyse, um die Frage, wie es überhaupt zu diesen Katastrophen kommen konnte. In ihnen sieht er nicht allein ein Ergebnis staatlichen Handelns. Ohne das Zutun vieler gesellschaftlicher Gruppen seien Massaker dieser Dimension nie möglich gewesen, so seine These. In Zeiten gesellschaftlicher Krisen bilden sich kurzfristige, aber mächtige gesellschaftliche Koalitionen der Gewalt, die dann ihre Mitmenschen zu Hunderttausenden oder auch Millionen vernichten. Mit anderen Worten: Es geht hier auch um eine Gesellschaftsgeschichte von Genozid und Massenmord.

Beschrieben wird dies nicht besonders übersichtlich und flüssig, dafür aber mit größtmöglicher Liebe zum Detail. Zu Recht plädiert Gerlach für einen weiten Opfer-Begriff: Zu den Opfern dürften nicht allein die Ermordeten gezählt werden, sondern auch jene, die erst nach diesen Gewaltausbrüchen, etwa infolge von Hunger und Flucht, starben. Die Zahlen sind beklemmend: In Indonesien wurden 1965/66 nach einem Putschversuch linksgerichteter Offiziere mindestens eine halbe Million Menschen umgebracht. Für die Zahl der Armenier, die während des Ersten Weltkriegs dem Genozid im Osmanischen Reich zum Opfer fielen, nennt Gerlach Schätzungen zwischen 300 000 und 1,5 Millionen Toten, während für Bangladesch Zahlen zwischen einer halben Million und 3 Millionen Opfern im Umlauf sind; wahrscheinlich ist eine Million.

Wieweit aber lassen sich diese Ereignisse als "historische Muster" begreifen? Was können sie zur Erklärung des mörderischen 20. Jahrhunderts beitragen? Zunächst einmal: Hier handelt es sich um Massengewalt in vormodernen, bäuerlichen Gesellschaften, deren Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse sich aber gerade nicht verallgemeinern lassen. Für die killing fields, welche die großen rechts- und linksextremen Ideologien des 20. Jahrhunderts hinterließen, ist deren Erklärungswert außerordentlich begrenzt. Denn in Deutschland und in der Sowjetunion waren ganz andere Mechanismen am Werk, die entsprechenden Stichworte lauten: ein absolutes Machtmonopol an der Spitze, eine umfassende Bürokratisierung und eine totalitäre Ideologie. Dagegen konnte sich der Terror bei den von Gerlach präsentierten Gewaltorgien oft viel spontaner, autonomer und auch ungeordneter entladen.

Beispiele wie diese reichen also kaum aus, um die Rolle des Staates (und im Übrigen auch der Ideologie, von der in diesem Buch kaum die Rede ist) prinzipiell so niedrig zu veranschlagen, wie Gerlach dies tut. Seine im Grunde beliebige Auswahl repräsentiert bestenfalls Teilaspekte der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Warum die Verbrechen des Nationalsozialismus nur am Rande gestreift und die des Kommunismus weitgehend ausgeblendet werden, bleibt ein Geheimnis. Noch problematischer aber scheinen die sozioökonomischen Erklärungsmuster, mit denen Gerlach operiert. Im Grunde steht dahinter die Vorstellung, das "kapitalistische Weltsystem", eine "Welt der Ungleichheit, Ungleichgewichte und Ausbeutung", sei gewissermaßen Urgrund für das große Morden - und zwar immer dann, wenn dieses System in eine seiner zyklischen Krisen gerate. Das sei natürlich auch, so der verschämte Hinweis, in sozialistischen Gesellschaften möglich, in letzteren "auch unter dem Druck des internationalen kapitalistischen Systems". Außerdem sei - so seine konsequente Fortführung derartiger Thesen - "die sozialistische Kapitalakkumulation ebenfalls durch ein massives Vorkommen von Massengewalt und Elend gekennzeichnet". Ein solches Weltverständnis scheint für die Deutung der Gewaltexzesse im 20. Jahrhundert nur sehr bedingt tauglich. Etwas aber kann es schon erklären: die Verzeichnungen, Brüche und auch Entgleisungen, die Gerlachs Buch durchziehen, so etwa wenn er die Verbrechen des Nationalsozialismus "nicht allein durch rassistische Einschätzungen bedingt" sieht, sondern auch durch die damals "blühende Korruption in NS-Deutschland". Geschmacklos schließlich ist sein Verdikt über die ausländische Intervention in Bosnien, die imperialistischen Charakter trage. Wohlgemerkt: Damit ist nicht die Intervention Serbiens gemeint, sondern die der UN. So viel für dieses Buch auch zusammengetragen wurde, es ist ein Steinbruch des Wissens geblieben. Von seinem Anspruch, Massengewalt im 20. Jahrhundert zu erklären, ist es jedoch weit entfernt.

Christian Gerlach: Extrem gewalttätige Gesellschaften. Massengewalt im 20. Jahrhundert.

Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011. 576 S., 39,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.10.2011

Und gebt ihr nicht willig, brauchen wir Gewalt
Christian Gerlach zeigt, wie alltägliche ökonomische Interessen zu Massakern führen
Die Forschung zu Genozid und Massengewalt im 20. Jahrhundert ist in den vergangenen Jahren in Bewegung gekommen. Die frühere Ängstlichkeit davor, den Holocaust mit anderen Völkermorden zu vergleichen, ist neuen interessanten Ansätzen gewichen. Historiker wie Eric Weitz, Donald Bloxham oder Norman Naimark bemühen sich, die monströsen Morde des vergangenen Jahrhunderts als zusammenhängende Gewaltgeschichte zu untersuchen.
Zu diesen Autoren gehört auch Christian Gerlach, Professor für Zeitgeschichte in globaler Perspektive an der Universität Bern und mit seiner Studie zur deutschen Besatzung in Weißrussland ein ausgewiesener Kenner der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Weil er aber des Englischen mächtig ist, hat er sein Buch gleich für den größeren Markt, also auf Englisch geschrieben. Gerlach gibt der Diskussion einen frischen Impuls. Während die bisherigen Forschungen stark auf den Staat, das Militär als handelnde Gewaltinstitutionen fixiert sind, will Gerlach, wie er schreibt, die sozialen Wurzeln der Menschenvernichtung analysieren. Als „extrem gewalttätige Gesellschaften“ bezeichnet er jene, in denen verschiedene Bevölkerungsteile Opfer von Massengewalt werden, an der sich neben staatlichen Organen auch andere soziale Gruppen aus einer Vielzahl von Gründen beteiligen.
Anders als die meisten Gewaltforscher untersucht er zur Abwechslung nicht den Holocaust, den stalinistischen Terror oder die Massenmorde in Kambodscha und Ruanda. Nein, er konzentriert sich auf bislang eher unbeachtet gebliebene Fälle, so etwa auf die Massenmorde an angeblichen Anhängern der Kommunistischen Partei Indonesiens 1965/66. Mehr als eine halbe Million Menschen wurde nach einem gescheiterten Militärputsch gegen Präsident Sukarno innerhalb weniger Monate umgebracht, weil ihnen eine Verbindung zur kommunistischen Bewegung nachgesagt wurde, die mit etlichen Millionen eine der größten in der kapitalistischen Welt war. Gerlach zeigt, wie sich aus ganz unterschiedlichen Interessen eine zeitweilige Koalition aus Militär, nationalistischen und islamischen Kräften bildete, die in der Lage war, den Massenmord zu verüben, und danach wieder auseinanderbrach.
Dass Gesellschaften in eine Krise stürzen, ist, so Gerlach, eine wichtige Voraussetzung für Massengewalt. Rivalitäten zwischen den Eliten im Verhältnis zu Pakistan führten 1971 in Bangladesch zum Wahlsieg der Unabhängigkeitsbewegung und zum brutalen Eingreifen der pakistanischen Armee, die drei Millionen Menschen tötete und zehn Millionen aus dem Land vertrieb. Zwar erlangte Bangladesch mit Indiens Hilfe seine Unabhängigkeit, aber es herrschte anschließend eine schreckliche Hungersnot, die wiederum zu extremer Gewalt führte.
Weiträumige und massenhafte Umsiedlungen der einheimischen Bevölkerung durch Besatzungsmächte, die glauben, dadurch wirksam die Guerilla bekämpfen zu können, sind, wie Gerlach in einem das Jahrhundert und die Welt umspannenden Kapitel schildert, die Ursachen für schwere ökonomische Störungen, insbesondere in der Landwirtschaft. Hungersnöte und tiefe soziale Verwerfungen sind die Folge.
Gerlach löst den Blick von einer Ursachenforschung, die allein in der Ethnisierung von Politik die Gründe für Massengewalt sieht. Darin liegt die Stärke seines Buches. Stattdessen lenkt er die Perspektive auf alltägliche ökonomische Interessen. Am Beispiel der Armenier stellt er das so dar: Deren Eigentum war bei den türkischen Nachbarn sehr begehrt, sie sahen die Deportation der Armenier deshalb gar nicht ungern. Ein anderes Beispiel ist Indonesien, wo neben den angeblichen Kommunisten auch die chinesische Mittelschicht Angriffsziel der Gewalt wurde. Gerlachs macht deutlich, wie Koalitionen zwischen gesellschaftlichen Gruppen entstehen, die sich zeitweise in der Verfolgung und Ermordung zusammenschließen und dadurch machtvoll wie massenhaft Gewalt ausüben können. Nicht zuletzt betont er, welche Rolle die Religion dabei spielen kann: Auch sie trägt immer wieder dazu bei, Gesellschaften in mörderischer Feindschaft zu zerteilen.
Es ließe sich einwenden, ob nicht zum Beispiel die Frage der Waffen, also welche Gruppen sich im Unterschied zu anderen bewaffnen können, eine größere Rolle spielt, als Gerlach einräumt. Und auch die Bedeutung des Staates sollte nicht unterschätzt werden: In Gesellschaften, in denen Polizei und Militär das staatliche Gewaltmonopol vertreten, wird die soziale Massengewalt einen anderen Charakter tragen als in staatsfernen Regionen, in denen Gewaltmilizen sowieso die Herrschaft inne haben.
Auch bleibt eine gewisse Skepsis gegenüber einer Globalgeschichte, die alle Gewaltphänomene in allen Teilen der Welt miteinander vergleicht, ohne kritisch zu hinterfragen, ob nicht erst der eigene europäische Blick diese Phänomene vergleichbar macht.
Doch das schmälert nicht den innovativen Anstoß, den Christian Gerlachs Buch der Debatte um die Massengewalt im 20. Jahrhundert gibt. Der Blick auf die gesellschaftliche Dimension der Gewalt, so wie er ihn eröffnet hat, ist anregend und wird auch künftig wichtig sein. MICHAEL WILDT
Christian Gerlach
Extrem gewalttätige Gesellschaften
Massengewalt im 20. Jahrhundert.
Aus dem Amerikanischen von
Kurt Baudisch. DVA, München 2011.
575 Seiten, 39. 99 Euro.
Besatzungsmächte, die eine
Guerilla bekämpfen, erzeugen
in der Regel vor allem Hunger
Die Nachbarn der Armenier
waren erpicht auf den
Besitz der Deportierten
Brandstiftung: auch eine Form der Gewalt. Das Bild wurde bei einem Attentat 1970 nahe Dhaka aufgenommen, der Hauptstadt Bangladeschs, das seit 1971 ein souveräner Staat ist. Foto: Prisma/Jalaluddin Haider
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"Die immer wieder und zu Recht eingeforderte Überwindung nationalgeschichtlicher und eurozentrischer Begrenzungen der Geschichtsforschung - hier wird sie eindrucksvoll, mit stupender Gelehrsamkeit vollzogen. [....] Gerlachs Buch ist ein eminent politischer Kommentar zur aktuellen Weltlage. Immer steht die Sache im Vordergrund, der empirische Befund und nicht die These." -- Die Zeit

"Gerlach zeigt, wie sich aus ganz unterschiedlichen Interessen eine zeitweilige Koalition aus Militär, nationalistischen und islamischen Kräften bildete, die in der Lage war, den Massenmord zu verüben, und danach wieder auseinanderbrach. Der Blick auf die gesellschaftliche Dimension der Gewalt, so wie er ihn eröffnet hat, ist anregend und wird auch künftig wichtig sein." -- Süddeutsche Zeitung, 11.10.2011

"Wer das Phänomen Massengewalt verstehen will, der kommt um diese 575 Seiten nicht herum." -- Tages-Anzeiger, 30.06.2011

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht mehr als "ein Steinbruch des Wissens" ist diese Studie Christian Gerlachs geblieben, so das Resümee des Rezensenten Christian Hartmann. Indem Gerlach auf die Massenmorde in Indonesien (1965/66), im Osmanischen Reich (1915 bis 1923) und in Bangladesch (1971 bis 1977) fokussiert, erinnere er zwar zu Recht daran, dass auch jenseits von Nazideutschland, der Sowjetunion und China im großen Stil gemordet wurde. Gerade die Tatsache aber, dass Gerlach die letztgenannten Schauplätze nahezu komplett ausklammert, verstört den Rezensenten dann doch. Auch wenn Hartmann die prinzipiellen Unterschiede zwischen den jeweils temporären Mordkoalitionen innerhalb der untersuchten Gesellschaften und ideologischen Massenmördern wie Hitler oder Stalin einleuchten, ist der Kritiker überzeugt, dass sich eine umfassende Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts auf mehr als die "im Grunde beliebige Auswahl" Gerlachs berufen muss. Und in den sozioökonomischen Deutungsmustern des Autors erblickt der Rezensent letztlich kaum mehr als schnöde Kapitalismuskritik. Hartmanns Fazit: Interessante Details seien durchaus zu erfahren; der selbst gestellte Anspruch, Massengewalt zu erklären, werde jedoch gründlich verfehlt.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Wer das Phänomen Massengewalt verstehen will, der kommt um diese 575 Seiten nicht herum.« Tages-Anzeiger, 30.06.2011