Wissenschaftsgeschichte wird häufig im engen Sinn als Geschichte einzelner Forscher und ihres Fachgebiets erzählt. Die personenbezogene Sichtweise scheint vom menschlichen Gehirn besonders erfolgreich verarbeitet zu werden. Generationen von Schülern konnten sich Mendels Erbgesetzte deshalb so gut
merken, weil dabei Fakten und Person verknüpft sind. Ernst Peter Fischer erzählt auch von einzelnen…mehrWissenschaftsgeschichte wird häufig im engen Sinn als Geschichte einzelner Forscher und ihres Fachgebiets erzählt. Die personenbezogene Sichtweise scheint vom menschlichen Gehirn besonders erfolgreich verarbeitet zu werden. Generationen von Schülern konnten sich Mendels Erbgesetzte deshalb so gut merken, weil dabei Fakten und Person verknüpft sind. Ernst Peter Fischer erzählt auch von einzelnen Forschern, er befasst sich jedoch ebenso ausführlich mit dem Bild, das Menschen sich früher von einem Sachverhalt machten. Die Benennung von Entdeckungen gibt uns interessante Einblicke in die emotionale Ebene, die Forscher zu ihrem Forschungsgegenstand aufbauen. Unser persönliches Bild prägt unsere Einstellung, als Einzelperson und als Gesellschaft, es prägt unsere Sprache und es beeinflusst wissenschaftliche Forschung. In der Genetik und dem „genetical enhancement“ mussten verbreitete Vorstellungen komplett runderneuert werden, das wird bereits im Vorwort von Peter Fischers Buch klar. Gene sind nicht „etwas“, keine Objekte, sondern etwas Veränderliches, aus diversen Abschnitten bestehend, ein Prozess. Forscher fanden im Genmaterial kaum Gene, sondern etwas völlig Neues, bisher Unbekanntes. Die Vorstellung von Genetik als Programm im Sinne eines PC-Programms kam der Sache schon näher. Mit dem Bild von Genen und DNA als Software und Proteinen und Strukturen als Hardware leben wir aktuell.
Gegen das angedachte Gen-Editing, die gezielte Verbesserung des Menschen oder einer ganzen Rasse wurden - zu Recht - ethische Bedenken angemeldet. Die Befangenheit in Deutschland gegenüber jeder Optimierung menschlichen Lebens ist historisch geprägt, die Bezeichnung genetische Manipulation für jedes genetical engineering schießt nach Fischers Meinung jedoch übers Ziel hinaus. Den Blick in die Historie richtet Fischer neben de Vries, Morgan, Delbrück, Sanger, u. a. auf Christiane Nüsslein-Volhards Forschung zur embryonalen Entwicklung an Taufliegen (Drosophila melanogaster), für die sie 1995 gemeinsam mit Kollegen den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt. Nüsslein-Volhards Auszeichnung hat, quasi als Nebenwirkung, zumindest meine Vorstellung von Wissenschaft als Arbeitsplatz entscheidend geprägt. Fischer äußert sich zur Entdeckung der Doppel-Helix, geht ausführlich auf Hoffnungen und Möglichkeiten in der Krebsforschung ein und landet schließlich bei Craig Venters marktwirtschaftlichem Denken der Patentierung von Genen und ihren Sequenzen. Weiter geht es um Epigenomik, die Entschlüsselung des menschlichen Genoms im Jahr 2003, die Untersuchung des Neandertaler-Gens, um therapeutische Eingriffe ins Immunsystem, Alzheimer, Suchtverhalten, Homosexualität und Wünsche an die Forschung, wie eine GEN-Veränderung der Anopheles-Mücke, die dann keine Malaria mehr übertragen würde. Menschen sind keine Objekte, die von anderen Menschen optimiert werden können – das ist Fischers Botschaft.
Ernst Peter Fischer kommt als Geschichtenerzähler in sehr präzisem Stil auf den Punkt. Er hält sich in den historischen Passsagen als Autor im Hintergrund, mit Ereignissen der Gegenwart und populistischer Wertung von Genforschung setzt er sich jedoch in dezent ironischem Unterton kritisch auseinander. Als naturwissenschaftlicher Laie, der seine Informationen der Tageszeitung entnimmt, war ich recht skeptisch, ob ich mich mit einem Sachbuch zur Genetik nicht übernehme. Fischers kompakte Darstellung und sein angenehm zu lesender Stil haben mich jedoch gleich für sein Buch gewonnen. Gerade weil Geschichtsschreibung die Naturwissenschaften gern übersieht, lohnt es sich sein Buch zu lesen.