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Eine spannende Erzählung um Angst und moralische Stärke
Man könnte die Geschichte so erzählen: Elliot, ein Junge aus der neunten Klasse eines Gymnasiums, wechselt die Schule. In der alten wurde er geschlagen, war der Sündenbock für andere, konnte sich nicht wehren. Und niemand war da, der ihm half. Zuhause sah es nicht viel besser aus: Sein Vater war krank und völlig hilflos, seine Mutter viel zu beschäftigt, die Familie zu ernähren. Alles, wozu sie noch Kraft hat, ist, einen Neuanfang an einem anderen Ort zu wagen, in einem anderen Haus, einer anderen Schule. Eine Chance für alle, so scheint es zunächst.
Die Geschichte also so zu erzählen, wäre zunächst auch nicht falsch, doch Graham Gardner scheint nicht in erster Linie daran interessiert zu sein, über einen Jungen zu schreiben, der geprügelt wird und sich nicht wehren kann. Ihn interessieren in seinem Roman Im Schatten der Wächter viel mehr die Mechanismen von Bedrohung, das Wesen von Macht. Wie kann es passieren, dass Menschen, in diesem Fall sind es Jugendliche, Macht über andere erlangen? Sein Roman gerät so zu einer Art Bericht über ein menschliches Experiment. Der geschundene, gequälte Junge Elliot will nicht mehr das Opfer sein. Er will den Schulwechsel nutzen und sich völlig neu erfinden. Im englischen Original heißt das Buch so folgerichtig auch „Inventing Elliot”. Wie eine Schlange streift er die alte Haut ab. Äußerlich hat sich danach zwar nicht sehr viel verändert, doch in seinem Inneren läuft ein eiskaltes Programm ab. Er hat genau studiert, warum Kinder als Opfer von anderen gewählt werden: weil sie auffallen – vor allem durch ihre Schwäche. Also tut er alles, um andere nicht auf sich aufmerksam zu machen, setzt ein Pokerface auf, lässt sich nicht mit den falschen Leuten sehen. Doch er weiß auch, dass er irgendein Image braucht, und so zeigt er im richtigen Moment etwas von sich: Als guter Schwimmer bewirbt er sich in der Schulmannschaft.
Elliot, so scheint es, hat sich für ein Leben in der Welt der Abziehbilder entschieden. Es geht nicht darum, dass die anderen wissen, wer er ist, damit hat er schlechte Erfahrungen gemacht. Es geht darum, dass er sein Image, sein Bild kontrollieren kann. Gardner lässt seine Leser unmittelbar an diesem Wandlungsprozess teilhaben. Sein Held spielt die neue Rolle so gut, dass die Wächter, eine Clique von Jungen, die die Schule kontrollieren und tyrannisieren, auf ihn aufmerksam werden. Er soll einer von ihnen werden. Gardner zitiert hier unmittelbar George Orwells Roman 1984. Die Wächter berufen sich auf ihn: „Der Zweck der Kontrolle ist Kontrolle. Der Zweck der Macht ist Macht. Der Zweck der Folter ist Folter. Du wirst es akzeptieren, es willkommen heißen, zu einem Teil davon werden.”
In Gardners Roman herrscht eine bedrohliche Stimmung. Schon zu Beginn des Buches hat der Autor, der sich als Wissenschaftler mit sozialer und politischer Geografie an der Universität von Wales beschäftigt, eine düsterer Vision, in der Elliot zu Tode geprügelt wird. In einer schnellen, direkten Sprache treibt er seine Gesellschaftsparabel voran. Und gerade weil er das Geschehen so kühl und unausweichlich schildert, die Quälereien der Jugendlichen so detailliert beschreibt, gleitet die Geschichte am Ende nicht ins Kitschige ab, als sich Gefühl und Liebe als einzige Mittel gegen Gewalt und Machtstrukturen erweisen. (ab 13 Jahre)
HUBERT FILSER
GRAHAM GARDNER: Im Schatten der Wächter. Aus dem Englischen von Alexandra Ernst. Verlag Freies Geistesleben 2004. 220 Seiten, 14,50 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
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