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Ein Zeitalter auf der Suche nach einer neuen Ordnung: Steffen Martus zeigt, wie dramatisch die Aufklärung das Deutschland des 18. Jahrhunderts verändert hat. Seine Darstellung reicht von der Neuordnung der politischen Landkarte um 1700 über die Erschütterung Europas durch das Erdbeben von Lissabon bis zum Vorabend der Französischen Revolution. Eine Epoche, die uns nähersteht, als wir glauben: Man schwärmt von Frieden und Freiheit, aber auch vom "Tode fürs Vaterland", und ausgerechnet Friedrich der Große, Musterbild des aufgeklärten Monarchen, beginnt einen Siebenjährigen Krieg, der zum ersten…mehr

Produktbeschreibung
Ein Zeitalter auf der Suche nach einer neuen Ordnung: Steffen Martus zeigt, wie dramatisch die Aufklärung das Deutschland des 18. Jahrhunderts verändert hat. Seine Darstellung reicht von der Neuordnung der politischen Landkarte um 1700 über die Erschütterung Europas durch das Erdbeben von Lissabon bis zum Vorabend der Französischen Revolution. Eine Epoche, die uns nähersteht, als wir glauben: Man schwärmt von Frieden und Freiheit, aber auch vom "Tode fürs Vaterland", und ausgerechnet Friedrich der Große, Musterbild des aufgeklärten Monarchen, beginnt einen Siebenjährigen Krieg, der zum ersten Weltkrieg wird. Vor allem aber entdeckt die Aufklärung, dass der Mensch keineswegs souverän, sondern zutiefst unmündig ist: Gefühle und Gewohnheiten wirken mächtiger als die Vernunft.
Steffen Martus zeigt das 18. Jahrhundert in neuem Licht. Er erzählt die Geschichte der Leidenschaften, der Politik, Kultur und Wissenschaft, er schildert den Alltag in den Universitäten, den Städten, beiHofe und zeichnet eindringliche Porträts von Diplomaten, Dichtern und Gelehrten bis hin zu Kant, der Chancen und Grenzen der Erkenntnis erkundete. Ein einzigartiges Geschichtswerk über jene kritische Epoche, in der unsere Gegenwart beginnt.
Autorenporträt
Steffen Martus, geboren 1968, lehrt als Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er schreibt regelmäßig für die 'Süddeutsche Zeitung', die 'Berliner Zeitung' und 'Die Zeit'. Seine Biographie der Brüder Grimm war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, sein Epochenporträt der Aufklärung feierte die 'Süddeutsche Zeitung' als 'grandiose Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts'. 2015 wurde Steffen Martus für sein wissenschaftliches Werk mit dem Leibniz-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen
Zu bescheiden ist die Gattungsbezeichnung: Mehr noch als ein «Epochenbild» ist das Buch ein faszinierendes Historienpanorama... Das Ergebnis ist erstaunlich modern und dynamisch, ein Jahrhundert erscheint in Bewegung und Konflikt, in permanenter Kommunikation. Die Zeit

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Unmöglich, diesem Werk in einer Rezension in all seinen Facetten gerecht zu werden, räumt Micha Brumlik ein. Als panoramahafte Darstellung einer etwas vergessenen Epoche, sozialwissenschaftlich, gesellschafts- und ideengeschichtlich erhellend und flüssig, dient dem Rezensenten das Buch von Steffen Martus vorzüglich. Neben Descartes und Spinoza stellt der Autor Brumlik die deutschen Philosophen Wolff, Thomasius und Leibniz vor und erklärt ihm, wie sich ein rationalistisches Denken entwickeln konnte - für Brumlik ein fruchtbarer Gegenwartsbezug, zumal Martus die damals konkurrierenden Menschenbilder laut Brumlik prägnant vorstellt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.11.2015

Der Tag ist angebrochen
Steffen Martus zeigt in einer grandiosen Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts,
wie die deutsche Aufklärung die Unmündigkeit entdeckte
VON IWAN-MICHELANGELO D’APRILE
Die aktuelle Relevanz der Aufklärung kann nur leugnen, wer sich der Zeitungslektüre konsequent verweigert. Was aber sagen die Historiker? War Aufklärung eine historische Epoche oder ist sie nur eine Erfindung späterer Geschichtsschreiber? Wie verhält sich das Projekt der Aufklärung zum 18. Jahrhundert? Ist es sinnvoll hier nach den Anfängen und Vorläufern der Moderne zu suchen? Oder sollte man nicht, so die Extremposition, den Epochenbegriff der Aufklärung ganz verabschieden? So verkaufen einige Historiker die für geschichtlich denkende Menschen auch ohne akademischen Abschluss wenig überraschende Einsicht, dass das 18. Jahrhundert nach den Maßstäben des 21. Jahrhunderts gar nicht so aufgeklärt und modern gewesen sei, gegenwärtig als vermeintlich provokative neue Entdeckung, um Aufklärung als bloßen Propaganda-Trick einiger weniger historischer Akteure zu entsorgen.
  Einen Ausweg aus der falsch gestellten Alternative zwischen Aktualisierung und Historisierung weist der Berliner Germanist und Leibniz-Preisträger Steffen Martus mit seinem neuen Buch über die deutsche Aufklärung. Ja: Selbststilisierung, Marketing und Propaganda gehörten von Anfang an zur Aufklärung dazu. Sie lässt sich sogar wesentlich durch ihre eigene Selbstepochalisierung kennzeichnen, etwa in Immanuel Kants „Jahrhundert Friederichs“. Leitsätze wie Kants „Mut, sich des eigenen Verstandes zu bedienen“ hatten schon im 18. Jahrhundert auch den Charakter von „Werbeslogans“ und gehörten lange vor Kant zum Repräsentationsarsenal der preußischen Machthaber. Aber nein: diese Einsicht spricht nicht dafür, dass es im 18. Jahrhundert keine Aufklärung gegeben habe. Im Gegenteil, so Martus’ Pointe, sie gewinnt aus solchen Beobachtungen gerade ihre Kontur.
  Martus’ ebenso einleuchtender wie erhellender Grundgedanke ist, dass die Aufklärung nicht so sehr in ihren großen normativen Setzungen, Schlagworten und Programmentwürfen historisch verständlich wird, sondern eher in ihren je feldspezifischen Praktiken und Rationalitäten. Nicht hochtönende Postulate von Vernunft, Freiheit oder Toleranz machen Aufklärung aus, sondern die mediale Sichtbarmachung und Kritik von allgegenwärtigen Verhältnissen von Unmündigkeit, Unfreiheit und religiösem Fanatismus. Konsequent verortet Martus die Aufklärung innerhalb der kulturellen Felder der Stadt, der Universität und des Hofes und analysiert sie als Resultat der konfliktreichen Dynamik der dezentralen und plurikonfessionellen Ordnung des „Alten Reiches“.
  Hamburg um 1700. Es tobt der Bürgerkrieg: zünftische Bürgerschaft gegen patrizischen Rat, habsburgisches Kaisertum als formales Oberhaupt der reichsunmittelbaren Stadt gegen protestantische Landesfürsten der umgebenden Territorien, hinzu kommen dänische Machtansprüche und über das Reich hinausgehende Handelsverbindungen. Das Ganze ist konfessionell aufgeladen, Kirchen brennen, Stadtregierungen werden ein- und abgesetzt, Truppen der Hegemonialmächte marschieren auf. Ein aufgeklärtes oder gar frühliberales und protodemokratisches Stadtbürgertum sucht man vergebens. Stattdessen sieht man Bürger, die sich um die besten Plätze bei „Hinrichtungsspektakeln“ drängeln, um genau zuschauen zu können, wie den Delinquenten zuerst Hände und Kopf abgeschlagen und dann die Eingeweide entrissen werden, um ihre Köpfe anschließend auf Stangen gespießt am Millerntor als abschreckendes Beispiel auszustellen.
  Es ist diese Situation, in der die ersten Aufklärungsgesellschaften und medialen Formate der deutschen Aufklärung entstehen – und zwar nicht zufällig durch Angehörige der patrizischen Oberschicht wie den Ratsherrn Barthold Heinrich Brockes, die politisch reagieren müssen. Dazu gehören Gelegenheitsgedichte zur Beschwichtigung des Kaisers oder auch Lehrgedichte wie „Die kleine Fliege“, in denen eine überkonfessionelle natürliche Theologie als Alternative zum gewalttätigen Religionsstreit propagiert wird. Vor allem aber gründen Brockes und seine Mitstreiter mit dem Hamburger Patrioten die erste erfolgreiche „moralische Wochenschrift“ und etablieren damit ein für das gesamte Jahrhundert prägendes neues Medienformat, in dem alle Fragen der städtischen Alltagswelt, wie Familie, Haushaltsführung, Umgangsformen, Frömmigkeit oder Lektüren aus unterschiedlichen Perspektiven zum Gegenstand gemacht und so in die geduldigere Papierwelt überführt werden.
  Die ersten Aufklärer waren nach Martus so vor allem „Medienprofis“, die mediale Eigengesetzlichkeiten nutzten, um die auf persönlicher Machtausübung und körperlicher Gewalt basierenden Verhältnisse der frühneuzeitlichen „Anwesenheitsgesellschaft“ zu sublimieren.
  Nicht besser als mit den „Bürgern“ sieht es zum Jahrhundertbeginn mit den Gelehrten aus, wie Martus an der Gründung der Universität Halle zeigt, die als erste Aufklärungsuniversität im deutschen Sprachraum gilt. Die Umwandlung der örtlichen adligen Ritterakademie in eine Landesuniversität war kein intendierter Akt der Aufklärung, sondern fürstliche Interessenspolitik und „Staatsprogramm“. Wie die Gründung der Akademie der Wissenschaften in Berlin war sie Teil der Bestrebungen der Standeserhebung des Brandenburgischen Fürstenhauses zum Königstitel. Erkauft wurde das Kaiserliche Privileg mit handfesten militärischen Zusagen, Truppenkontingente im Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688-1697) zu stellen. Dafür erhielt der Kurfürst Friedrich III. die Erlaubnis, akademische Grade zu verteilen, Notare zu ernennen, uneheliche Kinder anzuerkennen, Dichter zu krönen und neue Ämter zu vergeben – was er dazu nutzte, seinen sechsjährigen Sohn zum ersten Rektor der Universität zu ernennen. Auch das 18. Jahrhundert hatte schon seine Kinderuniversität.
  Die Professoren, die über Höflinge und Politiker als „Virtuosen der Heimtücke und Gemeinheit“ gerne die Nase rümpften, während nach dem Ideal der Gelehrtenrepublik angeblich nur freier Gedankenaustausch, Wahrheit, Talent und Leistung zählen sollten, waren fest eingebunden in die ständisch geprägten Patronageverhältnisse und ließen sich dies auch gerne gefallen. Die feierliche Eröffnung unterschied sich nicht von anderen Hofzeremonien. Die neu bestallten Professoren wurden mit luxuriösen bunten Gewändern ausstaffiert, wobei jede Fakultät ihre eigene Farbe bekam. Ihnen wurden von Grafen und Herolden Insignien angeheftet und beim anschließenden Festmahl durften die Gelehrten sogar an der Tafel des Herrschers speisen, was sonst nur Mitgliedern der fürstlichen Familie vorbehalten war.
  Vor diesem Hintergrund rekonstruiert Martus die aufklärerischen Diskussionen um die Rolle von Frauen in der Gelehrtenrepublik, den Unterricht in der Landessprache an Stelle von Latein oder die aufklärerische Kritik an der deutschen Titelsucht als soziale Fragen der Ständeordnung. Von Innen testeten Universitätsprofessoren wie Christian Thomasius oder Christian Wolff durch gezielte Provokationen die Grenzen dieser Ordnung aus, von deren Enge zahllose Prozesse und Querelen zeugen, meistens initiiert von der Theologischen Fakultät und dem Herrscherhaus: So wurde Christian Wolff 1723 bei angedrohter Todesstrafe in Halle seines Postens enthoben und des Landes verwiesen, weil er sich erdreistet hatte zu behaupten, dass auch die Chinesen ziemlich zivilisiert sind und also Moral und christliche Religion nicht ganz deckungsgleich seien. Als der König bei der Urteilsunterzeichnung seinen Fehlgriff bei der Besetzung des Untertanenamtes rechtfertigte, nahm er unverschuldete Unmündigkeit für sich in Anspruch: „Ich habe das nit wuhst, das der Wolf so gottlose ist; wann ich aber nits weiß, so ist es nit meine schuld.“
  Das hätten die moderneren unter den späteren Monarchen so nicht mehr zu Protokoll gegeben, aber auch deren Selbstinszenierungen als „Diener des Staates“ (Friedrich II.) oder „Königin-Mutter“ (Maria Theresia) werden von Martus als notwendige Anpassungen an die sich verändernden Regeln des Feldes absolutistischer Machtpolitik beschrieben. Sie sind Ausdruck eines neuen „newtonianischen Politikstils“, in dem es nicht mehr so sehr darauf ankam, einzelne Akteure zu kontrollieren, sondern Kräfteverhältnisse zu steuern und die Untertanen zur Selbsttätigkeit zu aktivieren.
  Begierden, Triebe und Wünsche der Untertanen wurden nicht mehr durch Abschreckung unterdrückt, sondern sollten durch umfassende Maßnahmen der Gefühls- und Biopolitik so kanalisiert werden, dass diese gleichsam von selbst im Sinne der Herrschenden produktiv werden. Die Bevölkerungszahl wurde zum ersten Indikator ökonomischer und politischer Macht. Die Regierungen mussten lernen, „langfristig und um die Ecke zu denken“: in Strukturen, Relationen, Wahrscheinlichkeiten und nicht-geplanten Nebenwirkungen. Von den Aufklärern wurde diese Dynamik zu Programmen der Selbstregulierung und der beständigen Zirkulation umgeschrieben, die am besten ohne Eingriffe der Machthaber funktioniere.
  Neue Wissenschaften wie die Statistik, aber auch Literaturformen wie der empfindsame Roman oder das bürgerliche Trauerspiel Lessings führten eine Ordnung vor, „die nicht von den Plänen und Strategien des menschlichen Bewusstseins abhing, sondern sich aus der menschlichen Gefühls- und Sozialdynamik mehr oder weniger unwillkürlich ergab.“ Staatsbeamte wie der Begründer der modernen Statistik, Johann Peter Süßmilch, waren sich darüber im Klaren, dass sie nicht an Vernunft und Menschenliebe der Herrschenden appellieren mussten, sondern zuerst an deren egoistisches Machtinteresse: „Wollen wir nun aber die Vortheile von den Armen genießen, so müssen wir sie auch in gehörigem Werth und Vorsorge halten. Wir müssen sie also nicht zu arm werden lassen, sonst werden sie kraftlos, und sterben in gesunden Tagen. Nicht nur das Christenthum, die Vernunft, die Menschen Liebe, sondern auch unsere eigene häufige und grosse Vortheile, verpflichten uns zur Liebe und Sorgfalt für unsere Mitglieder.“   Durch die kluge Zusammenschau von soziopolitischen und literarischen Phänomenen gelingt Martus das Kunststück einer umfassenden Kulturgeschichte der deutschen Aufklärung auf dem methodischen Stand der Forschung. Streiten lässt sich über das Ende der Epoche, das Martus wohlweislich mit einem Fragezeichen versieht. Trotz des gewaltigen Umfangs seiner Studie schildert er ein eher kurzes 18. Jahrhundert, das schon in den frühen 1780er Jahren endet. Hier hätte man sich auch nach über 1000 Seiten kurzweiliger Lektüre ein weiteres Kapitel zum revolutionären Zeitalter gewünscht.
  Dennoch spricht viel für Martus’ Ansatz, die Aufklärung konsequent aus ihren frühneuzeitlichen Entstehungsbedingungen zu erklären. Gerade bei einem so gegenwartsrelevanten Thema ist es eine genuine Aufgabe von Experten, auch im populären Sachbuch gegen historische Unterkomplexität anzuschreiben. Für Leserinnen und Leser lohnt sich dieses „Wagnis Aufklärung“ allemal.
Steffen Martus: Aufklärung. Das deutsche 18. Jahrhundert – ein Epochenbild. Rowohlt Berlin, Berlin 2015. 1037 Seiten, 39,95 Euro. E-Book: 34,99 Euro.
„Mut, sich des eigenen Verstandes
zu bedienen“ – so lautete der
späte Werbeslogan
Regierungen mussten lernen,
„langfristig und um die
Ecke zu denken“
Geschildert wird ein eher
kurzes Jahrhundert, das hier
in den 1780er-Jahren endet
Mehrere Zentren, reichlich Spannungen, konkurrierende Akteure: Die Fresken Giovanni Battista Tiepolos in der Würzburger Residenz versinnbildlichen die Struktur des Heiligen Römischen Reiches, Strukturen, mit denen die Aufklärer rechnen mussten, die sie zu nutzen verstanden.
Foto: De Agostini/Getty Images
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