Altertümlich
Der Möbelschreiner Ernesto, ein einfacher, ungewöhnlich gebildeter Mann aus Nicaragua, fand am erotischsten an einer Frau schon immer die Füße. Als Ernesto Opfer eines Verkehrsunfalls wird, sind es ausgerechnet die Füße der Unfallverursacherin Emma, die seine Aufmerksamkeit erregen.
Die Begegnung mit Ernesto wird Emmas bisher berechenbares Leben völlig aus dem Gleichgewicht bringen.…mehrAltertümlich
Der Möbelschreiner Ernesto, ein einfacher, ungewöhnlich gebildeter Mann aus Nicaragua, fand am erotischsten an einer Frau schon immer die Füße. Als Ernesto Opfer eines Verkehrsunfalls wird, sind es ausgerechnet die Füße der Unfallverursacherin Emma, die seine Aufmerksamkeit erregen. Die Begegnung mit Ernesto wird Emmas bisher berechenbares Leben völlig aus dem Gleichgewicht bringen. Emma ist knapp 50 Jahre alt, hat stets großen Wert auf ihr gutes Aussehen gelegt und wird sich gerade der ersten Anzeichen der Wechseljahre bewusst. Vielleicht war sie im Straßenverkehr unaufmerksam, weil sie in Gedanken mit ihrer ausbleibenden Menstruation beschäftigt war. Emma und ihr Mann übernehmen Ernestos Krankenhaus-Kosten, sie besucht den Verletzten im Krankenhaus und kümmert sich nach seiner Entlassung weiter um ihn. Ernesto ist auf die finanzielle Unterstützung angewiesen. Solange er noch nicht wieder als Schreiner arbeiten kann, hat er keine Einkünfte. Die Begegnung mit Ernesto und seinen Lebensumständen holt Emma schlagartig aus ihrem Puppenheim bürgerlicher Verhältnisse. Emma hat einst ein Medizinstudium begonnen und abgebrochen, als sie den Arzt Fernando heiratete und Mutter von zwei Kindern wurde. Emma ist so erzogen, dass das wichtigste Ziel im Leben einer Frau die Heirat und damit die finanzielle Versorgung zu sein hat. Auch wenn ihre berufstätige Tochter Elena längst ein anderes Leben lebt, hat Emma die Ehe als Lebenszweck bisher nicht infrage gestellt. Über ihr Leben scheint sie überhaupt kaum nachgedacht zu haben. Die nahenden Wechseljahre werden reduziert auf Emmas Furcht vor dem Nachlassen ihrer äußeren Schönheit und sexuellen Attraktivität. So verwundert es nicht, dass sie stark unter dem „empty nest“ leidet, als ihre Kinder das Haus verlassen. Indem sie Elena unter Druck setzt, bald einen standesgemäßen Ehemann ins Haus zu bringen, projiziert sie ihr eigenes Leben auf ihre Tochter. Emmas mangelnde Reflektion und zu spät stattfindende Lebensbilanz hat mich schlicht gelangweilt. Über was - außer Äußerlichkeiten – könnte man sich mit einer Person wie ihr unterhalten?
Bellis Botschaft lautet, dass das Klimakterium nicht das Ende des Lebens und der Liebe bedeuten muss. Auch nachdem sie nicht mehr schwanger werden kann, liegt das Leben einer Frau noch vor ihr. Die medizinischen Details zum Klimakterium werden von Emmas Mann und ihrer Gynäkologin unangenehm belehrend vorgetragen, selbst beim Lesen habe ich mich als Beobachterin von den beiden bevormundet gefühlt. Die geschilderten Einstellungen (die Ärztin greift gleich zum Rezeptblock, um ein Hormonpräparat zu verordnen) hätte ich den 80ern zugeordnet, nicht jedoch unserem Jahrhundert. Die Revolution in Nicaragua Ende der 70er erlebte Emma als Jugendliche, demnach ist sie Mitte der 60er geboren und die Handlung spielt wohl doch in der Gegenwart. - Andere Länder, andere Sitten. Die 1948 geborene Giaconda Belli projiziert nach meinem Eindruck auf uns Europäer altertümlich wirkende Einstellungen ihrer eigenen Generation auf ihre Protagonistin, die jedoch 20 Jahre später geboren ist als die Autorin. Für die Dramaturgie der Geschichte benötigte Belli offenbar eine zunächst eindimensionale Figur, die sich zum Ende der Story noch zu einer weniger oberflächlichen Person wandeln kann. Um einmal Einblick in den Alltag verschiedener Milieus in Nicaragua zu erhalten, kann man das Buch zwar lesen; mich hat Emma über eine weite Strecke gelangweilt.