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"WER NICHT DENKEN WILL, FLIEGT RAUS" JOSEPH BEUYS
Joseph Beuys (1921-1986): einerseits als Künstler von Weltruhm gefeiert, andererseits aber als «Scharlatan» angefeindet. Wie kaum ein anderer prägte und polarisierte er die zeitgenössische Kunst. Welche Rolle spielt der Mann aus Kleve, der zum Inbegriff der Gegenwartskunst geworden ist, heute? Philip Ursprung begibt sich auf eine zeithistorische Reise zu 24 zentralen Beuys-Schauplätzen und bietet dabei einen umfassenden Überblick über das Gesamtwerk des Künstlers im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhang der…mehr

Produktbeschreibung
"WER NICHT DENKEN WILL, FLIEGT RAUS" JOSEPH BEUYS

Joseph Beuys (1921-1986): einerseits als Künstler von Weltruhm gefeiert, andererseits aber als «Scharlatan» angefeindet. Wie kaum ein anderer prägte und polarisierte er die zeitgenössische Kunst. Welche Rolle spielt der Mann aus Kleve, der zum Inbegriff der Gegenwartskunst geworden ist, heute? Philip Ursprung begibt sich auf eine zeithistorische Reise zu 24 zentralen Beuys-Schauplätzen und bietet dabei einen umfassenden Überblick über das Gesamtwerk des Künstlers im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhang der Bundesrepublik Deutschland. Der Band enthält 116 Abbildungen.

100. Geburtstag von Joseph Beuys am 12. Mai 2021 Eine zeithistorische Reise ins Werk von Joseph Beuys
Umfassender Überblick über das gesamte Werk - vor dem zeithistorischen Hintergrund
Autorenporträt
Philip Ursprung ist Professor für Kunst- und Architekturgeschichte an der ETH Zürich.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Eduard Beaucamp begrüßt das Buch des Kunsthistorikers Philip Ursprung. Allerdings gibt er zu bedenken, dass der Autor den Ruhm des Künstlers letztlich affirmiert und befestigt, wenngleich mit sachlich klarer Erörterung der Werke (oft an ihren Schauplätzen) und Thesen. So bodenständig die Analysen im Buch ausfallen, meint der Rezensent, wenn der Autor Beuys und seine Arbeit ins Verhältnis setzt zur Entwicklung Europas ab den 1950er Jahren, "stemmt" er ihn zur "Epochenfigur". Etwas mehr kritische Verve bei der Beuys-Befragung hätten Autor und Buch gut gestanden, findet Beaucamp.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.05.2021

Immer bereit für die Revolution

Im Gleichschritt mit der Entwicklung Europas? Bei Philip Ursprung wird Joseph Beuys zu einer hybriden Epochenfigur.

Gedenkjahre laden zur Erinnerung, aber auch zur Neuverhandlung von Lebenswerken, zum Überdenken und Überprüfen, vielleicht auch zu Revisionen und Umwertungen ein. In diesem Jahr stellt sich jenes von Joseph Beuys (1921 bis 1986) wieder zu einer Debatte, die nie abgeschlossen und entschieden war. Die meisten Fragen sind offen geblieben. Fest stehen noch immer nicht die Wertung und die historische Verortung des Werks. Der Zürcher Kunsthistoriker Philip Ursprung, der Beuys wohl kaum mehr persönlich erleben konnte, steuert zum Gedenkjahr eine Monographie bei, die das zerfließende Bild befestigen, die bizarren Nebel und die dunkle Mythomanie, denen Beuys selbst gerne Vorschub geleistet hat, vertreiben möchte.

Im Gegensatz zu seinem Gegenstand sind Aufbau und Methode des Buchs von überraschender Klarheit. Ursprung "begeht" das Werk in vierundzwanzig Kapiteln, Szenarien und Tableaus. Das heißt, er machte sich auf die Reise, suchte die Werke in den Museen auf (vorab den "Beuys-Block" im Darmstädter Landesmuseum) und interpretiert sie am liebsten vor Ort. Er durchstreift beuyssche Landschaften wie den angestammten Niederrhein, Belgien, Nordirland, die Schweiz, den Golf von Neapel, memoriert seine meist körpersprachlichen Reden und Aktionen, imaginiert die Schauplätze der Auftritte von Beuys, voran auf den verschiedenen documenta-Präsentationen in Kassel, zu denen Beuys spektakuläre Installationen und Lehrveranstaltungen beitrug. Erörtert werden gleichzeitig seine vielfach abstrusen Ideen, die zahllosen Statements und Manifeste, die endlosen Palaver und Diskussionen, in denen es um Gott und die Welt ging, um Kunst und Politik, auch um den Holocaust, um den Kalten Krieg, die Ostpolitik, um einen kreatürlichen Umgang mit Tieren, später zunehmend um seine zähen Bemühungen um eine "direkte Demokratie" (die Lieblingsidee des späteren Beuys), um Umweltfragen, die Bildung einer eigenen Partei und schließlich sogar um die Zukunft Europas.

Dabei behauptete, ja rettete sich Beuys immer wieder durch seine ureigene paradoxe Strategie: Er "erweiterte", wie er pathetisch sagte, den Kunstbegriff, ließ die Kunst im Lebensalltag und in der Wirklichkeit aufgehen, aber überdehnte und "überwand" sie damit. Doch reklamierte er den Kunststatus dann immer wieder für sich, wenn man ihn in die Enge trieb, ihm die wirre Phantastik seiner Gedanken vorhielt und ihm damit den Boden unter den Füßen wegzuziehen drohte. Dann bestand er auf dem Recht des Künstlers und verkündete, er wolle die Gesellschaft als Künstler versöhnen und neu beseelen und die Welt durch künstlerische Empathie erlösen. Beuys verstieg sich sehr, als er sogar sagte, dass seine Konzeption einer grundlegenden gesellschaftlichen "Revolution" und Erneuerung als Antwort auf Auschwitz zu verstehen sei. Sein Denken und Projektieren waren zweifellos maßlos. Penetrant war die Jünger- und Gemeindebildung, die Scharen junger Künstler auf schräge Bahnen lockte. Dieses wilde System aus Wille und Vorstellung stand letztlich auf tönernen Füßen und musste scheitern.

Definitiv gescheitert ist Beuys an der gesellschaftlichen Realität, als ihn die sich etablierende Partei der Grünen, die er zu gerne angeführt und geprägt hätte, in den siebziger Jahren verschmähte. Den Schritt in den Bundestag und an das parlamentarische Rednerpult, sicher ein Sehnsuchtsziel, hat Beuys nicht geschafft. Dieser Teil seines "Werks" hat sich damit eigentlich erübrigt. Es bleibt die Frage nach dem Charakter und dem Gewicht seiner Kunst.

Naturgemäß sieht Philip Ursprung das alles anders. In aufklärerischen Dressurakten bändigt er die synkretistischen Ideen und wüsten Phantasien des niederrheinischen Mystikers mit Bravour. Das gelingt, weil er nie die Bodenhaftung verliert, sich, bisweilen etwas träumerisch, in die wechselnden Szenarien, Schauplätze und Salti dieser singulären Künstlerkarriere versetzt und möglichst sachlich die beuysschen Denkspiralen nachzeichnet. Ein festes Gerüst verschafft sich Ursprung durch die Wahl eines soliden Begleiters, den er zum "Guide auf dieser Reise" ernennt: Tony Judts "Geschichte Europas" (2007), die er parallel zu den einzelnen Lebensetappen des Künstlers zitiert.

Doch am Ende verführt dieser historische Leitfaden wieder zur Überdimensionierung der Gestalt: Leben, Denken und Wirken des Künstlers werden in Parallele zur Entwicklung Europas und seinen Einigungsversuchen seit den fünfziger Jahren gesetzt. Damit wird Beuys zu einer hybriden Epochenfigur gestemmt.

Ursprungs gut lesbares Buch ist im Duktus klar und aufklärerisch, aber keineswegs kritisch. Es ist trotz der Offenheit der Debatten das Brevier eines Gläubigen, der durch das Buch den Glauben bekräftigen möchte. Der Autor befragt das Werk, aber fragt eigentlich nur, um es zu befestigen. Die Beschreibungen und Analysen, die leider selten ästhetischen Impulsen folgen und nicht nach der Qualität und dem Bestand der Werke fragen, münden fast immer in Apologien.

Beuys' Bedeutung lässt sich eigentlich nur durch seine Kunst retten. Er wollte sie aufgeben, aber konnte sie nie ganz überwinden. Als Kunstfreund, der das abendländische Projekt Kunst noch nicht ganz aufgeben möchte, darf man heute bedauern, dass Beuys das hypersensible Zeichnen und Modellieren von Elchen und Hirschen, von Insektenidolen und Frauenkörpern so früh zugunsten von langweiligen didaktischen Diagrammen, von weltanschaulichen Allegorien und Manifesten aufgegeben hat. Diese sind heute als dokumentarische Zeitgeistkunst ergraut. Man darf heute sogar bedauern, dass Beuys gegen Ende der fünfziger Jahre ins Fahrwasser der internationalen Fluxus-Bewegungen geriet und mitgerissen wurde. Das Zarte, Beseelte und Tastende des jungen Beuys ist einzigartig und gehört zum Besten der deutschen Nachkriegskunst. Diese frühen Versuche steckten noch tief in der Gefühlswelt des Symbolismus der vorletzten Jahrhundertwende, wo auch sein Denken verankert ist. Sie haben mehr mit George Minne und Wilhelm Lehmbruck zu tun als mit radikalen modernen Konzepten. Ein eigentümlicher poetischer Zauber beseelt noch die krudesten Stillleben und bleibt übrigens in Resten im Fortgang des Werks von Grau zu Grün, von Tod und Verderbnis zu Wiedergeburten und Auferstehungen erhalten. Was den Bildhauer Beuys unvergesslich macht, ist die poetische Wucht seiner besten Auftritte und Installationen: die "Verwaldung" Kassels, das Gespräch mit dem Hasen, der VW-Bus mit den lebensrettenden Schlitten, das New Yorker Rendezvous mit dem Kojoten, die Rheinüberfahrt und Heimholung nach seiner Entlassung aus der Düsseldorfer Akademie durch seinen Schüler Anatol, der Auftritt mit dem Schimmel auf der Frankfurter Theaterbühne, die angebohrten, urzeitlichen Basaltblöcke, aufgetürmt in Museumssälen, schließlich, als pathetisches Finale, die königliche Selbstaufbahrung in der Düsseldorfer Museumsvitrine ("Palazzo Reale"). Diese suggestiven Tableaus haben Beuys dank der neuen Medien überlebt, für alle zugänglich und auf alle Zeit abrufbar.

EDUARD BEAUCAMP.

Philip Ursprung: "Joseph Beuys". Kunst - Kapital - Revolution.

C. H. Beck Verlag, München 2021.

336 S., Abb., geb., 29,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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