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Das gesellschaftliche Leben der letzten Jahrzehnte ist vom Aufstieg der Minderheiten bestimmt. Verhalten, das vom Gängigen abweicht, ist nicht nur alltäglich geworden, es hat auch eine besondere Bedeutung bekommen. In den Massenmedien wird eine Welt voller Sonderexistenzen vorgeführt, mit seltsamen Hobbies, seltsamem Aussehen, seltsamen Ansichten. Das hat kulturelle Wirkungen, die Jürgen Kaube 'Normalabweichung' nennt: Anders zu sein und sein zu wollen wird zum Durchschnittsfall in der 'nivellierten Mittelstandsgesellschaft' der komplett Vernetzten, Freizeitkreativen und Alarmisten.Die…mehr

Produktbeschreibung
Das gesellschaftliche Leben der letzten Jahrzehnte ist vom Aufstieg der Minderheiten bestimmt. Verhalten, das vom Gängigen abweicht, ist nicht nur alltäglich geworden, es hat auch eine besondere Bedeutung bekommen. In den Massenmedien wird eine Welt voller Sonderexistenzen vorgeführt, mit seltsamen Hobbies, seltsamem Aussehen, seltsamen Ansichten. Das hat kulturelle Wirkungen, die Jürgen Kaube 'Normalabweichung' nennt: Anders zu sein und sein zu wollen wird zum Durchschnittsfall in der 'nivellierten Mittelstandsgesellschaft' der komplett Vernetzten, Freizeitkreativen und Alarmisten.Die Normalabweichung hat aber auch politische Folgen. Minderheiten erheben besonderen Anspruch auf Schutz und Subvention. Die Frage, wer sich noch in wen hineinzuversetzen vermag, ist ebensowenig zu beantworten, wie die, für wen genau die Politiker Politik machen, wenn sie nach Mehrheiten Ausschau halten.Jürgen Kaube untersucht in seinen Essays das Phänomen der 'Normalabweichung' und stellt dessen vielfältige Formen und Manifestationen pointiert und unterhaltsam vor.
Autorenporträt
Kaube, JürgenJürgen Kaube, Jahrgang 1962, studierte zunächst Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte, im Anschluss daran Wirtschaftswissenschaften. 1999 trat er in die Redaktion der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« ein, wo er unter anderem als Ressortleiter für die »Geisteswissenschaften« und für »Neue Sachbücher« zuständig war. Seit 2015 ist er Mitherausgeber der FAZ. Unter anderem von ihm erschienen: »Otto Normalabweicher. Der Aufstieg der Minderheiten« (2007) sowie »Max Weber. Ein Leben zwischen den Epochen« (2014). Bei zu Klampen veröffentlichte er »Otto Normalabweicher« (2007) sowie »Im Reformhaus« (2015).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.04.2008

Avantgarde als Beruf
Jürgen Kaube skizziert eine Soziologie der Abweichung
Vorurteile sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren, als man noch von Beruf, Religionszugehörigkeit oder politischer Einstellung auf bestimmte Verhaltensmuster, ästhetische Vorlieben und ein Bündel Freizeitaktivitäten schließen konnte. Es gab den Bildungsbürger, den Eckrentner und die Familie mit Mutter, Vater und Kind. Heute spricht man von gesellschaftlicher Pluralisierung, der Multi-Options-Gesellschaft oder einfach der Individualisierung. Jürgen Kaube, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, beleuchtet in seinem Buch über „Otto Normalabweicher” in einer Reihe von Aufsätzen das Phänomen des Aufstiegs der Minderheiten. Es ist normal geworden, nicht dem Durchschnitt zu entsprechen. Der Einzelne entspricht in seiner Lebensweise immer weniger erwartbaren Durchschnittswerten, er weicht ab, worin aber keine Provokation mehr besteht. Das Anderssein ist selbst normal geworden. So wählt der konfessionslose Stahlarbeiter im Ruhrgebiet die CDU, geht der Professor für Mittellatein ins Fußballstadion und trägt der Beamte im gehobenen Dienst ein Piercing.
Kaube hat zahlreiche solcher Beispiele „einiger Minderheiten” und „uneiniger Mehrheiten” gesammelt; in der ebenfalls abgedruckten Sammlung höchst amüsanter Glossen, die zuvor in der Zeitung erschienen sind, findet sich reichlich Anschauungsmaterial dazu. Die längeren Texte analysieren dagegen nüchtern, was es für eine Gesellschaft bedeutet, wenn das, was ehedem als abweichendes oder zumindest auffälliges Verhalten gegolten hat, inzwischen als gewöhnlich und normal angesehen wird.
Zeig deine Tätowierung
Minderheit sind wir fast alle, und sei es in nur einer Facette unseres Daseins. Der Nordic Walker, Einwanderer, Bauer, Homosexuelle oder Friese wählt aber gerade einen Aspekt seines Daseins aus, hinter dem alle anderen zurücktreten, formiert sich mit seinen Schicksals- oder Interessengenossen zu einer organisierten Gruppe und ist somit als schützenswerte Minderheit mit besonderer Beachtung zu belohnen, ob in Form von medialer Aufmerksamkeit oder staatlichen Fördergeldern.
Nun ist Kaube nicht daran interessiert, Minderheiten in ihrem Sosein zu kritisieren oder gar zu fordern, sie sollten anders sein, als sie eben sind oder sich entschieden haben zu sein. Auch ein Vorrecht einer gesellschaftlichen Mehrheit will er nicht in Anschlag bringen, außer als Mehrheit im Parlament gebe es auch gar keine politisch relevante und begrifflich legitime Entsprechung dafür. Im Gegenteil, die Schonung und Förderung von Minderheiten sei gerade ein zentrales Gebot der liberalen Demokratie.
Dazu gesellt sich eine Freizeitgesellschaft, die Ansprüche an den Staat stellt, im Sport, in der Religion und vor allem in der von Stipendien und Subventionen durchzogenen Kunst. „Otto Normalabweicher” ist „ein Name für die gegenwärtig tief gefühlte Überzeugung, dass jede Bevölkerungsgruppe einen Sonderbedarf reklamieren kann” – eine Gestalt des Wohlstands.
So passt es auch, dass sich an all den Unterschieden nicht etwa ein Kulturkampf entzündet. Die sichtbaren Auffälligkeiten wie etwa stolz vorgezeigte Tätowierungen oder Provokationen wie das laute Absingen kulturell nicht wertvollen Liedguts vor und nach Fußballspielen seien im Kern fast immer moderat, nicht Ausdruck tatsächlicher Konflikte. Sie stellten vielmehr oder viel weniger eine Erweiterung der inneren Welt der Provokateure und ihrer Zuschauer dar. Das eigentliche Ziel: zu irritieren und wahrgenommen zu werden.
Scharfe Gelehrsamkeit
Kaube ist sehr gut darin, diese Alltagsbeobachtungen zu untersuchen, er seziert die Neigung der Gegenwart zu Übertreibungen aller Art, falschen Aufregungen und empiriefreien Behauptungen. Das darf man mit Niklas Luhmann soziologische Auf- und Abklärung nennen. Überhaupt könnte man sich häufig Luhmannsche Begriffe an die Seite schreiben, etwa wenn es um den Reformeifer in Politik, Wirtschaft und Organisationen geht, in denen Strategien einer – wohlgemerkt eher deskriptiven als tatsächlichen – Komplexitätsreduktion stecken.
Kaube deutet den Hang zu Reformen auch noch mit dem aufregenden Minderheitengefühl der selbsternannten „change agents”, wenn sie als kleine Beraterschar gegen eine ganze Firma angingen, als wackere Pädagogen komplette Schulwesen umkrempeln wollten oder als Ernährungsexperten sich mit den Essgewohnheiten einer ganzen Bevölkerung anlegten: „Sie leben im Gefühl, den Avantgardismus zum Beruf zu haben und gewissermaßen durchschnittlicherweise außerordentlich zu sein.”
Gegen die Denkfaulheit, Verflachung und Gefahr, die in der Abschaffung geordneter sozialer Erwartungen steckt oder in der Beseitigung von Qualitätskriterien in Bildung und Kultur, die Arbeit und Denken mit Konsum und Einfühlung ersetzten will und in der Folge nichts mehr zu erkennen und unterscheiden vermag und nur noch alles gelten lassen kann, und sei es auch noch so abseitig, sind Kaubes Texte in ihrer scharfen Gelehrsamkeit selbst das beste Gegengift. LUTZ LICHTENBERGER
JÜRGEN KAUBE: Otto Normalabweicher. Der Aufstieg der Minderheiten. Verlag Zu Klampen, Springe 2007. 190 Seiten, 16 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2007

Jürgen Kaube, Redakteur im Feuilleton dieser Zeitung, beschreibt in seinem Buch wie unsere Gesellschaft ihre Mitglieder unter einen ständigen Zwang zur Abweichung, zu Neuheit, Individualität und Übertreibung setzt. Die Minderheiten sind von Außenseitern zu Innenseitern dieser Gesellschaft geworden; von etwas, das einst als Bedrohung empfunden wurde, zu einer Normalität. Das alte "So machen es alle" liefert für das soziale Handeln keine gute Begründung mehr. Denn alle machen es ja anders oder tun wenigstens so. Das Buch handelt in nicht kulturkritischer Absicht vom Sonnenbaden und Tätowieren als Körpertechniken, von der Allesfresserei der Gebildeten und von den Zumutungen des Kapitalismus für das normale Leben, von der Mode als Inbegriff normalisierter Dauerabweichung und von Eliten, die ständig damit beschäftigt sind, uns Reformen abzuverlangen.

Jürgen Kaube: "Otto Normalabweicher".

Der Aufstieg der Minderheiten. Zu Klampen Verlag, Springe 2007. 190 S., br., 16, - [Euro].

F.A.Z.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Harry Nutt teilt Jürgen Kaubes kritischen Blick auf den "Otto Normalabweicher" weitgehend. Zustimmend äußert er sich über etwa die Diagnose, Abweichler und Minderheiten hätten Durschnittlichkeit und Normalität an den Rand gedrängt. Als Belege hierfür dienen Autor wie Rezensent dabei Extremsportarten, die Auswüchse des Unterschichtsfernsehens, Tatoos und Piercings. Besonders bedenklich scheint Nutt der von Kaube mit Sorge konstatierte Umstand, wonach die Minderheitenperspektive inzwischen auch die politische Meinungsbildung durchdrungen habe. Er führt in diesem Zusammenhang das Beispiel jugendlicher Amokläufer an, die Schulmassaker veranstalten, aber von Politikern angeblich als Opfer von Schule, Hartz IV und Gesellschaft betrachtet würden.

© Perlentaucher Medien GmbH