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Haiti, Anfang 2011. Fito Belmar könnte als Erfolgsautor und Architekt ein ruhiges Leben zwischen seinen Freunden und seiner Geliebten führen, wäre da nicht eine dunkle Seite seiner Persönlichkeit, die er in Canaan, einem Lager für Erdbebenopfer, auslebt. In dem "gelobten Land" in der Nähe der Hauptstadt leben in Notunterkünften aus Plastikplanen über 80 000 Menschen; Gewalt, Bandenkriminalität, Drogenhandel und Prostitution sind allgegenwärtig. Fito, der ursprünglich im Rahmen eines Projekts zur Verbesserung der Lebensbedingungen in das Lager gekommen ist, kämpft vergeblich gegen seine Neigung…mehr

Produktbeschreibung
Haiti, Anfang 2011. Fito Belmar könnte als Erfolgsautor und Architekt ein ruhiges Leben zwischen seinen Freunden und seiner Geliebten führen, wäre da nicht eine dunkle Seite seiner Persönlichkeit, die er in Canaan, einem Lager für Erdbebenopfer, auslebt. In dem "gelobten Land" in der Nähe der Hauptstadt leben in Notunterkünften aus Plastikplanen über 80 000 Menschen; Gewalt, Bandenkriminalität, Drogenhandel und Prostitution sind allgegenwärtig. Fito, der ursprünglich im Rahmen eines Projekts zur Verbesserung der Lebensbedingungen in das Lager gekommen ist, kämpft vergeblich gegen seine Neigung zu den blutjungen Mädchen an, die sich dort aus Not dem Meistbietenden hingeben. Der Besuch von Tatsumi, einer japanischen Journalistin, die eine Reportage über Haiti verfassen soll, bringt ihn zusätzlich in Bedrängnis: Fito muss sein Geheimnis vor ihr verbergen, fühlt sich aber auch zu ihr hingezogen.Platz 6 der litprom-Bestenliste "Weltempfänger" Nr. 21
Autorenporträt
Kettly Mars, geboren 1958 in Port-au-Prince, Haiti, erhielt eine klassische Schulbildung und arbeitete als Verwaltungsangestellte. Ab den 90er Jahren wurde sie in Haiti als Lyrikerin bekannt. Es folgten Prosawerke, die internationale Anerkennung fanden. In Deutschland machte sie sich durch die Romane "Fado" (2010) und "Wilde Zeiten" (2012) einen Namen als Autorin, die scharfsichtig die zwielichtigen Zonen des Lebens erkundet und vor brisanten Themen nicht zurückschreckt. 2011 wurde sie mit dem Prins-Claus-Preis der Niederlande ausgezeichnet.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die Haitianerin Kettly Mars ist eine der wenigen Schriftstellerinnen, die auf der Insel geblieben sind, um zu schreiben, weiß Cornelius Wüllenkemper, die meisten gehen und blicken nur zurück. In ihrem neuen Roman "Vor dem Verdursten" beschreibt die Autorin das Nachspiel des Erdbebens von 2010, berichtet der Rezensent. In dem provisorischen Notlager Canaan herrscht Kriminalität, der Wiederaufbau, der von internationalen Geldern finanziert werden sollte, stockt, das Geld wurde nie ausgezahlt oder verlor sich in der korrupten Bürokratie, Eltern verkaufen ihre Töchter aus Not in die Prostitution, Posten werden verschachert, naive Hollywoodstars werden ausgenommen, fasst der Rezensent zusammen, mitten drin bewegt sich der Protagonist Fito Belmar, ein Schriftsteller mit Schreibblockade und erschreckender Opportunist. Die große Stärke von Mars' Buch ist es aber, dass die Autorin ihre Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt und sich jeder Wertung enthält, findet Wüllenkemper.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.11.2013

Karibisches
Kaleidoskop
„Vor dem Verdursten“ – ein Roman
über das Erdbeben in Haiti
Das Erdbeben, das am frühen Abend des 12. Januar 2010 in nur 48 Sekunden große Teile von Haitis Hauptstadt Port au Prince zerstörte, wirkte wie eine sarkastische Pointe der Geschichte: 200 000 Tote und 1,5 Millionen Obdachlose in einem Land, dem es seit seiner frühen Unabhängigkeit von Frankreich im Jahre 1804 an politischer wie zivilgesellschaftlicher Stabilität und wirtschaftlicher Perspektive fehlt. Gemessen an der Alphabetisierungsrate von knapp 50 Prozent hat der karibische Inselstaat derweil erstaunliche Exporterfolge an Künstlern und Autoren, die nach Frankreich oder in die USA auswandern, um dort über das Leid in der Heimat zu erzählen.
  Die 1958 in Port au Prince geborene Schriftstellerin Kettly Mars ist eine der wenigen Daheimgebliebenen. Im 2012 auf Deutsch erschienenen Roman „Wilde Zeiten“ schilderte sie die zwischenmenschlichen Tragödien in der blutigen Diktatur unter Papa Doc in den 1960er Jahren nahe. Wie das Erdbeben von 2010 Haiti und seine Bewohner verändert, die Not verschlimmert und das Machtgefälle verschärft hat, beschreibt sie in ihrem neuen Roman „Vor dem Verdursten“.
  Schauplatz ist Canaan, eines der provisorischen Notlager unter freiem Himmel, in denen nicht die staatliche Ordnungsstruktur, sondern Kriminalität alle Lebensbereiche bestimmt. Die Hauptfigur, Fito Belmar, ein Mann im mittleren Alter, Vater einer Tochter, ist keinem amourösen Abenteuer abgeneigt. Ein erster Roman hat ihn zum Star gemacht, jetzt leidet er an einer Schreibblockade, die Liebe zu den Frauen und auch die zu seiner Heimat kommt ihm abhanden. Er hat das Erdbeben überlebt, hat einen Job als Stadtplaner für den Bau von Sozialwohnungen ergattert – ein Vertrag, der natürlich unter der Hand geschlossen wurde und Fito von gewissen Kreisen abhängig macht, ihm aber wenigstens ein bisschen Macht und Sicherheit beschert.
  Fito entpuppt sich dabei als Personifizierung des haitianischen Problems: seine Bauprojekte stocken angesichts einer undurchdringlichen Bürokratie und mangels Geld – die von der internationalen Gemeinschaft in Aussicht gestellten Milliarden sind entweder nie ausgezahlt worden oder in den Taschen korrupter Beamter versickert. Der Glaube an den Wiederaufbau, an den Volkszusammenhalt, der unmittelbar nach dem Erdbeben die äußerst perforierte haitianische Gesellschaft wundersam zu einen schien, ist längst der Ernüchterung gewichen. „Du hast das Leben hier gesehen“, sagt Fito zu Tatsumi, einer japanischen Journalistin. „Das leidvolle Leben hier. Die Liebe ist eine Sache, eine Ware, ein Mittel, nichts weiter als ein Mittel.“ Fito nutzt sein bisschen Einfluss und Einkommen, um seine dunkle Seite auszuleben und zu finanzieren, was er seine „Droge“ nennt: junge Mädchen, Heranwachsende, die von ihren Müttern verkauft und von Zuhältern zur Prostitution gezwungen werden. Canaan, das Notlager im Norden der Hauptstadt Port au Prince, als extreme Verdichtung des haitianischen Dilemmas.
  Was man dem Roman in Frankreich vorgeworfen hat, ist womöglich seine Stärke. Kettly Mars erzählt nicht ohne Emotion, aber ohne Urteil. Sie nimmt verschiedene Perspektiven ein, die der Mutter, die für „Teufelsgeld“ ihre Tochter verkauft, die des Zuhälters, der selbst als Kind missbraucht wurde, die des jungen Mädchens, das aus der Zwangsprostitution im Lager flüchtet und hofft, auf der Straße als Bettlerin zu überleben, und schließlich auch die des Freiers Fito, dessen sexuelle Verirrung wie eine Spiegelung der Hilfs- und Orientierungslosigkeit eines geschundenen Landes und seiner Bewohner wirkt.
  Die internationale Hilfe, von der Haiti geradezu überrollt worden ist, spielt die zweite Hauptrolle in Kettly Mars’ Roman. Denn das Beben hat nicht nur die dunkelste Seite des Landes zum Vorschein gebracht, sondern auch die ambivalente Rolle einer seit über 200 Jahren weitgehend erfolglosen Entwicklungshilfe, die den staatlichen Strukturen Haitis zu Recht nicht vertraut und die konkreten Nöte der Bevölkerung oft gar nicht kennt. Wir treffen auf Hollywood-Stars, die mit ihren Hilfsprojekten zu Opfern ihrer Gutgläubigkeit werden. Wir erhalten Einblick in die eklatante Ineffizienz der haitianischen Verwaltung, in Seilschaften, für die nur der eigene Vorteil zählt. Den Opportunismus von Haitianern, die noch aus der Katastrophe Profit schlagen. Wir erfahren von Journalisten, die mit vorgefertigtem Bild aus der „haitianischen Hölle“ berichten, ohne jemals mit nur einem Haitianer gesprochen zu haben. Von NGOs, die sich und ihre weitgehend erfolglose Präsenz auf der Insel rechtfertigen müssen und denen das Erdbeben dazu einen trefflichen Vorwand liefert.
  Kettly Mars schafft es, mit ihrer so bildreichen wie unmittelbaren Sprache die widerstreitenden Stimmen, das Gefühlskaleidoskop zwischen karibischer Lebensfreude und tiefstem Leid, den schmalen Grat zwischen Hilfsbereitschaft und Bevormundung darzustellen. Am Ende kuriert die Reporterin aus Japan Fito von seiner dunklen Sucht. Seine Schreibblockade löst sich, sein Roman trägt den Titel „Vor dem Verdursten“.
CORNELIUS WÜLLENKEMPER
  
Kettly Mars: Vor dem Verdursten. Roman. Aus dem Französischen von Ingeborg Schmutte. Litradukt Verlag, Trier 2013. 124 Seiten, 12,90 Euro.
Der Glaube an den Zusammenhalt
des Volkes, der kurz nach dem
Beben aufkam, zerfiel rasch
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"Kettly Mars' ungewöhliches Talent vermag die Trostlosigkeit der Verhältnisse drastisch zu beschreiben und sie zugleich immer wieder in poetischen Metaphern zu verdichten. Diese Geschichte ist ein adäquates Spiegelbild von Haiti: eines Landes, geschlagen von vielen Katastrophen, aus denen immer wieder Poesie entsteht." (Peter B. Schumann, SWR 2)