11,99 €
inkl. MwSt.

Versandfertig in über 4 Wochen
payback
6 °P sammeln
  • Broschiertes Buch

Houellebecqs höchst umstrittener Skandalroman; Michel lebt zwischen Peepshows und Fernseher, bis er eines Tages nach Thailand fliegt und dort mit Valerie eine fatale Liebesbeziehung beginnt.

Produktbeschreibung
Houellebecqs höchst umstrittener Skandalroman; Michel lebt zwischen Peepshows und Fernseher, bis er eines Tages nach Thailand fliegt und dort mit Valerie eine fatale Liebesbeziehung beginnt.
Autorenporträt
Michel Houellebecq is a poet, essayist and novelist. He is the author of several novels including The Map and the Territory (winner of the Prix Goncourt), Atomised, Platform, Whatever and Submission. He was awarded the Legion d¿Honneur in 2019.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.02.2002

Der Jargon der Missvergnügten
Gut geeignet als Bettlektüre: Bei den Schlüsselwörtern hat jeder seine Vorlieben, aber eine Provokation ist Michel Houellebecqs Roman „Plattform” nicht
Es ist unmöglich, den neuen Roman von Michel Houellebecq zu lesen, ohne an den Autor zu denken. Schon auf dem Buchumschlag ist nicht das Bild eines willigen Thai-Girls oder das eines Ferienclubs auf Kuba zu sehen, keine illustrierte Szene aus dem Roman, sondern, vorne wie hinten, ein Portrait des Autors. Wenn man das Buch beim Lesen also kurz zuklappt, um zum Kühlschrank oder ans Telefon zu gehen, hat man ihn immerzu vor Augen: Michel Houellebecq, sehr müde, sehr blass und sehr ernst. Dass der Held in „Plattform” wie in „Elementarteilchen” Michel heißt, macht die Sache nicht gerade leichter.
Vor allem hat man ja nicht nur dieses eine Houellebecq-Bild im Kopf. Vor gut zwei Wochen ist die deutsche Ausgabe des Romans erschienen und kaum ein Tag vergangen, an dem nicht auch ein Interview oder ein Bericht zu lesen waren. Keine der Darstellungen hat allerdings einen so prägenden Eindruck hinterlassen wie das Gespräch, das die amerikanische Journalistin Emily Eakin geführt hat, als sie den Autor vor mehr als einem Jahr in dessen Domizil in der Nähe von Dublin aufsuchte. Was Eakin antraf, war ein „müdes Elementarteilchen”, dessen Kopf beim Abendessen „in trunkener Betäubung” auf dem Teller landete, während es draußen dunkel wurde: ein Mann „in stummem Protest gegen die Welt”. Solche Zeilen vergisst man nicht, auch wenn sie selbst Teil der Stilisierung sein mögen. Und so schlägt man „Plattform” auf und wird den Eindruck nicht los, dass neben einem am Tisch der „Skandalautor” im Essen liegt, die Vorhänge zugezogen sind und die Luft geschwängert ist von Silk Cuts und Jim Beam.
Dabei ist „Plattform” eine ziemlich harmlose Geschichte: „Mit verkrampftem Bürokratengesicht” stellt der beim Kulturministerium angestellte Michel nach dem Tod seines Vaters fest, dass er mal raus muss und bucht eine Pauschalreise nach Thailand. Die Hitze umschließt ihn dort „wie ein Mund”. Michel lässt sich in Massagesalons verwöhnen und freut sich, dass seine „Begeisterung für Mösen” nach all den Jahren nicht nachgelassen hat, was er für einen der letzten seiner menschlichen Züge hält. Innerhalb der Reisegruppe lernt er Valérie kennen, in die er sich, zurück in Paris, ernsthaft verliebt. Sie hat einen wunderschönen Körper und zusammen haben sie viel Sex. Von den Erfahrungen der Thailandreise profitierend verwandeln sie ihr Verhältnis in eine Art ‚Unternehmen Aphrodite‘. Denn Valérie, die im Management des Touristik-Konzerns Aurore arbeitet, erhält den Auftrag, mit ihrem Chef ein erfolgversprechendes Konzept für Ferienclubs zu entwickeln. Zu dritt bereiten sie „eine Plattform für die Aufteilung der Welt” vor. Kriterium ist die Begehrlichkeit: Thai-Mädchen für die Männer des Westens und Karibik-Reisen für die frustrierten Frauen an ihrer Seite.
Dass einen die detaillierten Sex-Szenen mit Valérie unangenehm berühren, kann man wirklich nicht sagen, auch wenn, was die deutsche Übersetzung einschlägiger Sexwörter angeht, jeder seine Präferenzen haben mag. Vielleicht ist der Blick auf die dunkle Schönheit sogar das beste am ganzen Roman, und das schon dort, wo Michel ihr noch gar nicht näher gekommen ist. Wo er auf der Busfahrt zu Patong Beach nervös feststellt, dass er keinen Reiseführer, keinen Roman und auch sonst keinen „gedruckten Text” mehr zu lesen hat, den er als Schutzschirm zwischen sich und die Welt schieben könnte. Wo plötzlich alles ganz nahe an ihn heranrückt, auch Valérie, die auf der anderen Seite des Mittelgangs ihren Sitz zurückgelehnt hat und, das Gesicht der Scheibe zugewandt, zu schlafen scheint.
Anders als solche Szenen, sind die überall im Buch verstreuten sexistischen und religionsfeindlichen Parolen der verschiedenen Reisegruppenteilnehmer langweilig: „Nörgeltypen” wie „Demokraten” oder Feministinnen in den Dreck zu ziehen ist ebenso schal, wie den Guide Michelin oder den Guide du Routard durch seitenlange Zitate zum Gegenstand des Spotts zu machen. Was in „Plattform” über den „Segen der Thai- Nutten” oder gegen den Islam gesagt wird, erscheint – in der bloßen Umkehrung des moralischen Konsenses – erwartbar. Es geht um nichts anderes, als um die Missachtung der etablierten Norm, die in der Negation dann doch nur bestätigt wird.
In den letzten Wochen ist in Kritiken immer wieder gesagt worden, dass Houellebecqs Romane auf eine „radikale” Weise „politisch inkorrekt” seien; dass es das sei, was sie auszeichne. Die Bemerkung muss verwundern. Denn Political Correctness ist überhaupt noch nie ein Kriterium für Literatur oder für das Literarische gewesen. Was Literatur immer schon vollzogen hat, ist, Grenzen zu überschreiten, Konventionen zu verletzen, im Geflecht von Figuren- und Erzählerrede Positionen gegeneinander auszuspielen. In „Plattform” ist das nicht mal der Fall. Michel Houellebecq bleibt im System. Eine Provokation ist der Roman also nicht.
Was provoziert, ist etwas anderes. Es ist nicht das Buch, sondern die öffentliche Verlautbarung eines Autors, der in Interviews und Diskussionen den Jargon seiner Figuren einfach weiterspricht: „Der Islam konnte nur im Stumpfsinn einer Wüste entstehen, inmitten dreckiger Beduinen, die nichts anderes zu tun hatten, als ihre Kamele zu ficken”, pöbelt ein ägyptischer Gentechniker in „Plattform”. Nach dem Tod von Valérie – die Welt „sieht eher düster aus”, und so muss die Geliebte bei einem islamistischen Attentat sterben – beschließt auch Michel, Muslime zu hassen. Jedes Mal, wenn er erfährt, dass ein palästinensischer Terrorist oder eine schwangere Palästinenserin im Gazastreifen erschossen wurden, „durchzuckt” ihn „ein Schauder der Begeisterung”. Und als wäre Houellebecq seinem eigenen Roman entsprungen, erklärt er den Islam in einem Interview selbst zur „bescheuertsten Religion der Welt”, woraufhin die islamische Vereinigung einen Prozess anstrengt.
Im Grunde genommen bedient sich Michel Houellebecq der Tricks eines Taschenspielers: Durch seine öffentlichen Äußerungen verwischt er die Grenze von Figuren- und Autorenrede und gibt vor, die allgemeine Aufregung nicht zu verstehen. Was er in Abrede stellt, ist eine Übereinkunft: nämlich die, dass Literatur und öffentliche Rede zwei verschiedene Orte des Sprechens sind, mit denen sich auch unterschiedliche Regeln verbinden. Houellebecq spricht in der Öffentlichkeit nach den Maßgaben der Literatur. Und genau deshalb kann man „Plattform” auch nicht lesen, ohne an den Autor zu denken. Seine öffentlichen Äußerungen schleichen sich unwillkürlich in die privaten „Plattform”-Lektüren der Wohn- und Schlafzimmer ein.
Die Literaturkritik sitzt in einer solchen Situation natürlich in der Klemme. Was soll sie eigentlich besprechen? Das Buch oder den Autor? Wo es brenzlig wird, scheint man sich gerne auf das zu kaprizieren, was man schon immer getan hat: Man spricht vom literarischen Kanon. Kein Schriftsteller ist in den letzten Jahren mit so vielen Größen der Literaturgeschichte verglichen worden wie Michel Houellebecq: Von Balzac, Maupassant, Charles Péguy bis hin zu Botho Strauß war bei den „Elementarteilchen” die Rede. Für „Plattform” müssen nun Huysmans und – wegen eines einzigen Satzes – auch Camus herhalten. Auf diese Weise kann man sicher sein, dass man über Literatur spricht.
„Il n'y a pas de dehors de texte”, „es gibt kein Außen des Textes”, lautet die Devise, die die avancierte französische Literaturtheorie für die Moderne des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts formuliert hat. Michel Houellebecq macht nichts anderes, als diese Devise erfolgreich zu vermarkten. Er verwandelt die theoretische Formel in eine Geschäftsidee. Das ist so legitim wie aufdringlich. Wenn man vom Autor nichts gehört hätte, wenn nicht überall sein Bild hinge und man ihn nie in einem Vorort von Dublin trunken im Essen hätte liegen sehen, könnte man unaufgeregt feststellen, dass „Plattform” eine gute Bettlektüre ist. Und das wäre ein entschiedenes Kompliment. JULIA ENCKE
MICHEL HOUELLEBECQ: Plattform. Roman. Deutsch von Uli Wittmann. DuMont Verlag, Köln 2002. 370 Seiten, 24 Euro.
Ein „müdes Elementarteilchen”, ein Mann „in stummem Protest gegen die Welt”: Michel Houellebecq
Foto: Regina Schmeken
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.2002

Die unendliche Müdigkeit des Erfolgsschriftstellers
Michel Houellebecq liest im Bockenheimer Depot aus seinem neuen Roman "Plattform"

Er wird doch nicht gleich einschlafen. Seine Antworten sind einer unendlichen Müdigkeit abgerungen und versickern irgendwo im Unhörbaren. Spricht der Mann in Trance? Oder ist er, der bekennende Trinker, schon narkotisiert? Am Ende einfach nur gelangweilt vom immergleichen Ritual auf dieser Lesereise durch Deutschland? Vorne auf der Bühne werden jedenfalls nur voluminöse Mineralwasserflaschen aufgeschraubt. Und der kleine Mann mit dem notorisch weit aufgeknöpften karierten Hemd geizt nicht mit Komplimenten für das Land, in dessen großen Städten er stets das Publikum in Scharen anzieht. Aber auch wenn der Kettenraucher etwas Freundliches sagt, klingt es nach einer Gemeinheit. Offensichtliche Bosheiten spricht er ohnehin genügend aus. In seinen Büchern. Und in Interviews. Meistens so nebenhin. Dann bekommt er auch schon einmal einen Prozeß an den Hals, so wie vom Mufti von Paris wegen Beleidigung einer Religionsgemeinschaft. Der Islam sei "die bescheuertste Religion", hatte der Erfolgsschriftsteller gesagt. In Frankfurt kommt es nicht zu derart justitiablen Äußerungen.

Der trüb beleuchtete Theaterraum mit seiner frühindustriellen Werkhallen-Anmutung ist überfüllt. Etliche Fans des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq mußten draußen bleiben. Sie versäumen einen Parforce-Ritt durch den neuen Roman des politisch unkorrekten und schon allein deshalb von einem breiten intellektuellen Publikum verehrten Autors. Dessen Übersetzer Uli Wittmann trägt mehrere Passagen aus "Plattform" vor, Houellebecq mit monotoner, auch für des Französischen Mächtige schwer zu verstehender Stimme ein paar andere in Originalsprache.

Im Bockenheimer Depot zu Frankfurt am Main, der Spielstätte des TAT, läuft eine Inszenierung ab, der man Perfektion nicht absprechen kann. Mehrfach werden auch die Besucher gebeten, sich entsprechend zu verhalten. Nachher, wenn der Franzose seine Bücher signiert. Bitte alle brav in die Reihe stellen. Keine Menschentraube bilden. Michel verträgt das nicht. Darauf weist der Übersetzer hin. Er ist es auch, der Houellebecq nach der Lesung Fragen stellt, deren dahingenuschelte Erwiderungen Ruthard Stäblein vom Hessischen Rundfunk recht und schlecht übersetzt. Auch aus der Menge werden ein paar Fragen zugelasssen. Doch der Autor hat nicht viel mitzuteilen. Der Tod scheine eine wichtige Rolle in allen seinen Büchern zu spielen, erkennt eine Dame, woraufhin der Autor lakonisch aus seiner schriftstellerischen Praxis berichtet, er müsse seine Figuren töten, weil er sonst nichts mehr mit ihnen anzufangen wisse. Kann er sich vorstellen, in Thailand zu leben, wo ein Großteil des neuen Werks angesiedelt ist? Kann er, nur sei sein Hund an die nordeuropäische Kälte gewöhnt. Aber die Thais seien schon sehr tierlieb. Ende der Veranstaltung. Hin zum Büchertisch. Gesittet, wie angemahnt, stellen sich die Leser an, um die Unterschrift des Autors zu ergattern.

Houellebecqs Thema ist die sexuelle Frustration der Westeuropäer. Womöglich liegt darin das Geheimnis seines Erfolgs. In Frankreich, vor allem aber auch in Deutschland. In "Plattform" läßt er seinen Titelhelden Michel eine Reise nach Fernost unternehmen, wo dieser sich mit ungebrochener Selbstverständlichkeit als Sextourist betätigt. Er lernt eine Französin namens Valérie kennen, mit der er im zweiten Teil des Romans eine Liebesbeziehung eingeht. Der Plan wird geschmiedet, mit Sextourismus als Pauschalangebot ein Vermögen zu verdienen, indem man dem Westen die Befriedigung gibt, die er braucht und bei seinesgleichen offensichtlich nicht mehr findet, und dem Süden das Geld, das er dringend nötig hat.

Die Verherrlichung der Prostitution in den armen Regionen des Planeten war Grund genug, um nach Erscheinen des Buchs die absatzfördernde Maschinerie der Empörung in Gang zu setzen. Der literarische Skandal, den ein paar Thesen und Themen provozieren, gehört zum Phänomen Houellebecq seit dem 1998 herausgekommenen Roman "Elementarteilchen". Auch in Frankfurt hat das gebildete Publikum durch seine Fragen freilich verraten, daß es bereit ist, hinter den Provokationen tieferen Sinn und höhere Bedeutung zu entdecken. Nach dem Schema: Die drastische Beschreibung der Verhältnisse ist als deren Kritik zu begreifen. Der Autor zeigt sich an sittlichem Ernst und weitreichenden Erörterungen seines Wollens und Strebens an diesem Abend allerdings ebensowenig wie sonst interessiert. Ob er einem großen Reiseveranstalter tatsächlich ein Sextourismus-Konzept anbieten würde, wie es Michel im Roman tut? Mit den Deutschen ließe sich das vielleicht realisieren, meint der Schriftsteller, mit den Amerikanern allerdings nicht. So geht es müde hin und her. Hatte man nicht wenigstens einen Funken Esprit erwartet? Nicht wirklich.

MICHAEL HIERHOLZER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr