Erstaunlich scharfer Blick des jungen Haffner!
Dieses Werk blieb unvollendet, wahrscheinlich, weil Haffner in England gerade an "Germany: Jekyll & Hyde" arbeitete, der Innenansicht Deutschlands im Jahre 1939, die ihn 1940 in England berühmt machte und in Arbeit und Brot versetzte. Es schildert
die Zeit zwischen 1914 und 1933 in 3 Teilen:
Bewußt setzt er den "Prolog" so früh mit dem Ausbruch…mehrErstaunlich scharfer Blick des jungen Haffner!
Dieses Werk blieb unvollendet, wahrscheinlich, weil Haffner in England gerade an "Germany: Jekyll & Hyde" arbeitete, der Innenansicht Deutschlands im Jahre 1939, die ihn 1940 in England berühmt machte und in Arbeit und Brot versetzte. Es schildert die Zeit zwischen 1914 und 1933 in 3 Teilen:
Bewußt setzt er den "Prolog" so früh mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges, der ihm vor allem die Sommerferien verdarb. Bereits damals habe es die seltsame Begabung der Deutschen gegeben, Massenpsychosen zu bilden, indem z. B. die kleinen Jungen (die späteren Krieger Hitlers) in gefährliche Kriegsspielereien hineingezogen wurden. "Die Massenseele und die kindliche Seele sind sehr ähnlich in ihren Reaktionen. Man kann sich die Konzeptionen, mit denen Massen gefüttert werden, gar nicht kindlich genug vorstellen...Eine kindische Wahnvorstellung, gebildet in den Köpfen von zehn Kinderjahrgängen und vier Jahre hindurch in ihnen festgenagelt, kann sehr wohl zwanzig Jahre später als tödlich ernsthafte 'Weltanschauung' ihren Einzug in die große Politik halten ... Vieles hat dem Nazismus später geholfen und sein Wesen modifiziert. Aber hier liegt seine Wurzel: nicht etwa im 'Fronterlebnis', sondern im Kriegserlebnis des deutschen Schuljungen ... , die den Krieg als großes Spiel erlebt haben."
Der 2. Teil „Revolution“ beschreibt die Machtübernahme Hitlers zu Beginn des Jahres 1933: Haffner durchfährt „eisiger Schreck“, weil er um die von Hitler angekündigten Auswirkungen weiß. Der kurz darauf inszenierte Reichtagsbrand zieht neben der Kommunistenjagd den Entzug der Pressefreiheit nach sich. „Vier Dinge brachte dieser März, als deren Ergebnis schließlich die unangreifbare Nazi-Herrschaft dastand: Feste und Deklamationen; Verrat; und schließlich einen kollektiven Kollaps – einen millionenfachen simultanen individuellen Nervenzusammenbruch. Viele, ja die meisten europäischen Staatswesen sind blutiger geboren worden. Aber es gab keins, dessen Entstehung in diesem Maße ekelhaft war.“ Haffner schildert persönlich, wie er den Juden-Boykott in seiner Umgebung erlebt, daneben das „surrealistische“ Bild von Schulklassen am Wandertag, die den Vers „Juda verrecke!“ singen.
Im letzten Teil „Abschied“ geht es um den Verlust in allen Beziehungen des privaten und öffentlichen Lebens: bis zum Herbst 1933 löst sich sein Freundeskreis auf, vom System Gejagte fliehen, andere werden selbst zu Jägern. Bücher und Zeitschriften verschwinden, eine Idylle-Literatur macht sich breit. Die Trennung privat versus öffentlich gelingt immer weniger, denn das Private gibt es kaum mehr. Das eigentliche Deutschland wird von den Nazis abgeschafft. Der Rechtsassessor Haffner sieht das Kammergericht machtlos werden und muß schließlich selbst, will er sein Examen abschließen, an einem Gemeinschaftslager für Referendare teilnehmen. Daraus entsteht die „Falle der Kameradschaft“: dieses Glück, diese Kameradschaft könne, so Haffner, zu „eines der furchtbarsten Mittel der Entmenschung werden“, und sei es in der Hand der Nazis auch geworden, sie beseitige das Gefühl für Verantwortung: „In der Kameradschaft gedeihen keine Gedanken, sondern nur Massenvorstellungen primitivster Art“.
Das Buch ist sehr empfehlenswert und sollte auch im Geschichtsunterricht nicht fehlen. (26.02.03)