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Benutzername: 
Shaun
Wohnort: 
Göttingen

Bewertungen

Insgesamt 13 Bewertungen
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Bewertung vom 18.01.2022
Befreiung vom Überfluss
Paech, Niko

Befreiung vom Überfluss


ausgezeichnet

„Souverän ist nicht, wer viel hat, sondern wenig braucht.“ (N. Paech)...

Niko Paech wurde 1960 in Schüttorf geboren und ist ein studierter Volkswirt. Er lehrt das Fach an der Uni Siegen. Vor allem beschäftigen ihn die Themen ‚Ökologische Ökonomie’ und ‚Nachhaltigkeitsforschung’. Er ist in Deutschland, ähnlich wie Harald Welzer, ein sehr wichtiger Kritiker des Dogmas vom ewigen wirtschaftlichen Wachstum.

Warum die Mär vom stetigen Wachstum in die Irre führen wird angesichts der begrenzten irdischen Ressourcen, wird in dieser epochalen Streitschrift Paechs begründet, der er den Untertitel ‚Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie’ gegeben hat. Er räumt darin auf mit dem vermeintlichen Recht des Einzelnen, über seine Verhältnisse zu leben, entlarvt den sogenannten ‚Fortschritt’ als Illusion und stellt dar, dass unser Wohlstand durch Plünderung entsteht. Jede neue Innovation scheint uns freier zu machen und stürzt uns doch in immer weitere Abhängigkeiten. Selbst ein ‚grünes Wachstum’ entpuppt sich bei genauerem Hinsehen solange als weitere Ausbeutung des Planeten, wenn nicht für jeden Aufbau neuer Technik im gleichen Zuge alte Technik zurückgebaut wird. Wir werden nach Meinung Paechs nur weiterkommen, wenn wir endlich begreifen, dass weniger mehr bedeutet. Unsere Bedürfnisse zurückschrauben, nicht jede Innovation mitmachen und ‚Haben’ wollen, sondern einfach wieder mehr ‚Sein’ (Erich Fromm). Hilfreiche Schritte dahin sind im persönlichen Bereich die Entwicklung von Suffizienz (Entrümpelung, Abwerfen von Wohlstandsballast, entschleunigte Lebensstile, Meiden von Reizüberflutung) wie auch Subsistenz (Eigenproduktion von Lebensmittel, Handwerk, Erziehung; Nutzungsdauerverlängerung durch Reparatur, Nutzungsintensivierung der Güter durch Gemeinschaftsnutzung, Leistungstausch in sozialen Netzen, Ehrenamt). Im politischen Bereich gilt es, regionale Ökonomien mit de-globalisierten Wertschöpfungsketten aufzubauen, daneben Ressourcengewinnung durch Entsiegelung und Rückbau verbauter Flächen).

Das sehr wichtige kurzgefasste Buch von Niko Paech wurde schon 2012 veröffentlicht. Leider ist in diesen 10 Jahren in puncto Postwachstumsökonomie nicht viel passiert, obwohl die Zeit im Hinblick auf den Klimawandel sehr drängt. (17.01.22)

Bewertung vom 25.11.2021
Germany, Jekyll & Hyde
Haffner, Sebastian

Germany, Jekyll & Hyde


ausgezeichnet

Frappierende Einsichten zur deutschen Lage um 1939!

Sebastian Haffner war gerade erst als Emigrant mit jüdischer Frau und als werdender Vater in England eingetroffen und schrieb dieses Buch zwischen zwei Internierungen als sogenannter „feindlicher Ausländer“, materiell äußerst bedrängt. Es setzt sich dreierlei zum Ziel, wie Haffner lapidar im Vorwort beschreibt: 1. Deutschland und die Deutschen zu beschreiben, um gerade den ausländischen Regierungen der Westmächte authentisches Material zu Propaganda-Zwecken zur Verfügung zu stellen. 2. Zum Sieg gegen die Nazis beizusteuern. 3. Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden zu erörtern.
Er tut dies in typischer und sehr systematischer Weise. Die Gliederung des Buches zeigt bereits an, mit welchen Gruppen der deutschen Bevölkerung zu rechnen ist: Hitler, die Nazis, die loyale und die nicht-loyale Bevölkerung, die Opposition und die Emigranten. Das letzte Kapitel will schließlich schlussfolgernd Möglichkeiten eines dauernden Friedens aufweisen.
Wer „Anmerkungen zu Hitler“ von 1976 kennt, ist erstaunt, dass Haffner nicht erst dort, sondern schon in diesem Buch Hitlers Selbstmord prophezeit: „Hitler ist der potentielle Selbstmörder par excellence. Er hat keine Bindungen außer an sein Ego.“ In eindrucksvoller Schärfe analysiert Haffner sodann auch die Naziführer und die loyalen Mitläufer, liefert nebenher sogar noch eine Parteiengeschichte Deutschlands zur Interpretation dazu und wird nicht müde, auf die Mitschuld der Westmächte an der Verzweiflung der oppositionellen Deutschen hinzuweisen, die mit ihrem Appeasement versäumten, Hitler in die Schranken zu weisen und das genaue Kriegsziel anzugeben, nämlich Abschaffung Hitlers und der Nazis, nicht Krieg gegen die Deutschen.
Ein überaus wichtiges und lesenswertes Buch, das aus dem Englischen rückübersetzt werden mußte, da das deutsche Originalmanuskript verschollen ist. (8.03.03)

Bewertung vom 25.11.2021
Die Entdeckung des Himmels
Mulisch, Harry

Die Entdeckung des Himmels


ausgezeichnet

Ein Jahrhundertroman...

Mulischs großer Wurf gelang ihm mit diesem langen, aber sehr gut zu lesenden Roman. Ich habe ihn vor Jahren in einem wahren Leserausch verschlungen und finde auch die filmische Umsetzung sehr gelungen. Wer nichts mit Engeln anfangen kann, mag sich mit der Geschichte schwertun, mich störte es nicht. Die Verwobenheit und das Geheimnisvolle der verschiedenen Menschenleben sind wunderbar dargestellt. Auch 3. Reich und Zeitgeschichte sind in diesen Reigen einbezogen. Für mich eines der besten Bücher dieser Gattung überhaupt. (5.03.03)

Bewertung vom 25.11.2021
Gefährliche Geliebte
Murakami, Haruki

Gefährliche Geliebte


sehr gut

Die Jagd nach der Nostalgie-Liebe.

Das Buch schildert den Ich-Autor Hajime gefangen in einer Nostalgie-Liebe zu seiner frühesten Freundin Shimamoto, die durch ihr sporadisches Aufkreuzen in seinem Jetzt-Leben zu einer "gefährlichen Geliebten" wird, indem sie ihn seiner derzeitigen Frau Yukiko und seinem derzeitigen Leben zu entfremden droht. Letztlich rettet ihn die weitgehend in ihren Wünschen vom egomanen Hajime vergessene Yukiko, die für mich die charakterstärkste Figur des Romans ist. Aber lest selbst! (3.03.03)

Bewertung vom 25.11.2021
Geschichte eines Deutschen
Haffner, Sebastian

Geschichte eines Deutschen


ausgezeichnet

Erstaunlich scharfer Blick des jungen Haffner!

Dieses Werk blieb unvollendet, wahrscheinlich, weil Haffner in England gerade an "Germany: Jekyll & Hyde" arbeitete, der Innenansicht Deutschlands im Jahre 1939, die ihn 1940 in England berühmt machte und in Arbeit und Brot versetzte. Es schildert die Zeit zwischen 1914 und 1933 in 3 Teilen:
Bewußt setzt er den "Prolog" so früh mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges, der ihm vor allem die Sommerferien verdarb. Bereits damals habe es die seltsame Begabung der Deutschen gegeben, Massenpsychosen zu bilden, indem z. B. die kleinen Jungen (die späteren Krieger Hitlers) in gefährliche Kriegsspielereien hineingezogen wurden. "Die Massenseele und die kindliche Seele sind sehr ähnlich in ihren Reaktionen. Man kann sich die Konzeptionen, mit denen Massen gefüttert werden, gar nicht kindlich genug vorstellen...Eine kindische Wahnvorstellung, gebildet in den Köpfen von zehn Kinderjahrgängen und vier Jahre hindurch in ihnen festgenagelt, kann sehr wohl zwanzig Jahre später als tödlich ernsthafte 'Weltanschauung' ihren Einzug in die große Politik halten ... Vieles hat dem Nazismus später geholfen und sein Wesen modifiziert. Aber hier liegt seine Wurzel: nicht etwa im 'Fronterlebnis', sondern im Kriegserlebnis des deutschen Schuljungen ... , die den Krieg als großes Spiel erlebt haben."
Der 2. Teil „Revolution“ beschreibt die Machtübernahme Hitlers zu Beginn des Jahres 1933: Haffner durchfährt „eisiger Schreck“, weil er um die von Hitler angekündigten Auswirkungen weiß. Der kurz darauf inszenierte Reichtagsbrand zieht neben der Kommunistenjagd den Entzug der Pressefreiheit nach sich. „Vier Dinge brachte dieser März, als deren Ergebnis schließlich die unangreifbare Nazi-Herrschaft dastand: Feste und Deklamationen; Verrat; und schließlich einen kollektiven Kollaps – einen millionenfachen simultanen individuellen Nervenzusammenbruch. Viele, ja die meisten europäischen Staatswesen sind blutiger geboren worden. Aber es gab keins, dessen Entstehung in diesem Maße ekelhaft war.“ Haffner schildert persönlich, wie er den Juden-Boykott in seiner Umgebung erlebt, daneben das „surrealistische“ Bild von Schulklassen am Wandertag, die den Vers „Juda verrecke!“ singen.
Im letzten Teil „Abschied“ geht es um den Verlust in allen Beziehungen des privaten und öffentlichen Lebens: bis zum Herbst 1933 löst sich sein Freundeskreis auf, vom System Gejagte fliehen, andere werden selbst zu Jägern. Bücher und Zeitschriften verschwinden, eine Idylle-Literatur macht sich breit. Die Trennung privat versus öffentlich gelingt immer weniger, denn das Private gibt es kaum mehr. Das eigentliche Deutschland wird von den Nazis abgeschafft. Der Rechtsassessor Haffner sieht das Kammergericht machtlos werden und muß schließlich selbst, will er sein Examen abschließen, an einem Gemeinschaftslager für Referendare teilnehmen. Daraus entsteht die „Falle der Kameradschaft“: dieses Glück, diese Kameradschaft könne, so Haffner, zu „eines der furchtbarsten Mittel der Entmenschung werden“, und sei es in der Hand der Nazis auch geworden, sie beseitige das Gefühl für Verantwortung: „In der Kameradschaft gedeihen keine Gedanken, sondern nur Massenvorstellungen primitivster Art“.
Das Buch ist sehr empfehlenswert und sollte auch im Geschichtsunterricht nicht fehlen. (26.02.03)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.11.2021
Hitlers willige Vollstrecker
Goldhagen, Daniel Jonah

Hitlers willige Vollstrecker


ausgezeichnet

Das Bewußtsein bestimmt das Sein...

Dies ist ein sehr wichtiges Buch, wenn es auch sehr kontrovers diskutiert wurde! Der Autor beschreibt in ihm anhand dreier verschiedener Situationen von Massenmord an den Juden unter Hitler (Polizeibataillone, Arbeitslager und Todesmärsche), daß ganz normale Deutsche, also eben nicht nur besonders rohe und fanatische SS-Angehörige, an der Vernichtung der europäischen Juden teilnahmen. Die Schilderungen der verübten Grausamkeiten sind dabei im Zusammenhang mit der vorgestellten Privatsphäre der einzelnen Täter besonders grotesk und zeigen, wie überaus stark Menschen weltanschaulich verblendet gewesen sein müssen, um diese Taten auch noch heldenhaft feiern und sich ihrer vor anderen rühmen zu können. Möglich wurde dies durch ein vorher bereits vorhandenes "kognitives Modell" des eliminatorischen Antisemitismus, daß in der deutschen Gesellschaft sicherlich sehr weit verbreitet gewesen war, sich aber natürlich erst durch die Aktivierung innerhalb des Nazi-Regimes, also über Hitler, zu seiner so deletären und in der Geschichte beispiellosen Folge des Holocaust entwickeln konnte. - Wer Friedrich Heers Buch "Gottes erste Liebe" gelesen hat, dem ist dieses "kognitive Modell" bekannt, das an uralte Rivalitäten zwischen Christen und Juden anknüpft. Diese haben sich seit Entwicklung des Christentums zur Staatsreligion in Ghettoisierung und Pogromen an den Juden als den "Gottesmördern" entladen. - Goldhagen versteigt sich aber nicht zur Behauptung einer Kollektivschuld Heutiger. Leider nur im deutschen Vorwort ("Auf keinen Fall wird hier ein ewiger Nationalcharakter der Deutschen behauptet") und ganz am Schluß in Anmerkung 54 des 16. Kapitels stellt er klar, daß über Reeducation und ein nicht länger antisemitisches "Gespräch" die Bundesrepublik inzwischen die vormals absurde Vorstellungswelt abgelegt habe, wenn es auch immer noch eine schwelende Infektion des Antisemitismus gebe. Etwas störend sind die häufigen Wiederholungen seiner Thesen, das Buch hätte sicher weit kürzer ausfallen können. (24.02.03)

Bewertung vom 25.11.2021
Shoah
Lanzmann, Claude

Shoah


ausgezeichnet

Sehr wichtiges Zeitzeugnis zum Holocaust!

Dies ist die gedruckte Fassung der Interviews, die Claude Lanzmann mit Überlebenden des Holocaust - Tätern und Opfern - gehalten und in dem gleichnamigen Film veröffentlicht hatte. Den Film selbst habe ich nicht gesehen, aber auch die schriftliche Form der Gespräche stimmt unglaublich traurig, treibt einem Tränen in die Augen vor Mitleid, aber auch vor Wut. Was da der Mensch dem Mensch angetan hat, ist unbeschreiblich. Ich werde es bewußt nicht näher formulieren, empfehle aber das Buch dringend als Mahnung allen Heutigen. Denn: die Zeitzeugen sterben aus, und es wäre schlimm, wenn wir nicht aus ihren Erfahrungen lernten. (16.01.03)

Bewertung vom 25.11.2021
Der zweite Weltkrieg
Churchill, Winston S.

Der zweite Weltkrieg


ausgezeichnet

Das allein lesbare einbändige Werk der umfassenden Memoiren!

Nach Haffner's Churchill-Biografie machte ich mich an diese von allem schwer verdaulichen Dokumente-Ballast befreite Kurzfassung der Memoiren Churchill's. Es ist überaus lesenswert, weil es sehr lebendig die in seinem Leben entscheidende Periode der Kriegsführung Großbritanniens im 2. Weltkrieg beschreibt. Immer noch mehr als 1000 eng beschriebene Seiten stark, ist es doch ein Werk, das nicht umsonst den Literatur-Nobelpreis bekommen hat, geschrieben von einem, der an forderster Front und zunächst weitgehend auf sich gestellt im Kampf gegen Hitler stand. Es gibt keine Fotos, allenfalls ein paar Schlachtenskizzen - aber es atmet persönliche Anteilnahme und Unmittelbarkeit, man fühlt sich an die Orte, Parlamentsdebatten und Konferenzen um wichtige Entscheidungen versetzt. Der Kriegsverlauf, seine Entstehung und auch seine Konsequenzen hin zur Teilung Europas und dem von Churchill erstmals verwandten Begriff des "Eisernen Vorhangs" werden ausführlich und kritisch beleuchtet. Ein unbedingt empfehlenswertes Buch! (12.01.03)

Bewertung vom 25.11.2021
Winston Churchill
Haffner, Sebastian

Winston Churchill


ausgezeichnet

Kurz und prägnant - ein echter Haffner!

Wer Haffner's meisterhafte "Anmerkungen zu Hitler" gelesen hat, weiß um den prägnanten Sprachstil des historisch geschulten Journalisten. So auch in dieser früher als rororo Monographie veröffentlichten Studie über Winston Churchill, die zwei Jahre nach dem Tode des englischen Literaturnobelpreisträgers und mehrfachen Premierministers 1967 veröffentlicht wurde. In 10 Kapiteln erfahren wir die wichtigsten Lebensstationen des für die Endphase des 2. Weltkrieges so wichtigen Politikers, der eigentlich erst darin seiner Bestimmung (nach vielem vorherigen und auch nachherigen Scheitern) gerecht wurde. Wie Haffner Bedingungen und Konstellationen im Auf- und Abstieg Churchill's darstellt, ist einfach klasse! Der Leser, auch der historisch weniger gebildete, kann sich gut hinein versetzen in die damalige Zeit, die Hauptlinien sind klar herausgearbeitet, wenn man sicherlich das Leben Churchill's auch auf leicht den x-fachen Seitenumfang bringen kann, ohne doch damit mehr auszusagen. Das Buch habe ich verschlungen, es empfiehlt sich auf jeden Fall für geschichtlich Interessierte und macht auch Lust auf das eine oder andere Werk aus der Feder Churchill's. (11.11.02)

Bewertung vom 25.11.2021
Die Letzten ihrer Art
Adams, Douglas;Carwardine, Mark

Die Letzten ihrer Art


sehr gut

Der schrullige kleine Vorläufer zu „Der Gesang des Dodo“

Douglas Adams unternahm mit dem Biologen Mark Carwardine lange Reisen in verschiedene abgelegene Orte mit seltenen und akut vom Aussterben bedrohten Arten. Die dabei erfahrenen Hindernisse etwa beim Vordringen über Ländergrenzen mit Bürokatikern, die Hemmnisse beim Aufstellen des von Mücken gefüllten Moskitonetzes, und viele andere Anekdoten werden mit witzigen Sätzen dargestellt, zugleich erfährt man einiges zur Lebensweise der seltenen Spezies. Aktueller und wesentlich ausführlicher ist das Buch von David Quammen: "Der Gesang des Dodo", Adams Büchlein ist sozusagen der kürzere Vorläufer, schnell und lustig zu lesen, dabei aber auch durchaus nachdenklich endend. (8.11.02)

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