Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 10,45 €
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

Durfte Papst Pius XII. schweigen zur planmäßigen Ausrottung der europäischen Juden durch Hitlerdeutschland? Zu Auschwitz? Er erhob selbst dann seine Stimme nicht zum Protest, als die Juden, auch die katholischen Juden, während der deutschen Besetzung Roms unmittelbar unter den Fenstern des Vatikans zusammen getrieben wurden.

Produktbeschreibung
Durfte Papst Pius XII. schweigen zur planmäßigen Ausrottung der europäischen Juden durch Hitlerdeutschland? Zu Auschwitz? Er erhob selbst dann seine Stimme nicht zum Protest, als die Juden, auch die katholischen Juden, während der deutschen Besetzung Roms unmittelbar unter den Fenstern des Vatikans zusammen getrieben wurden.
Autorenporträt
Hochhuth, Rolf§
Fritz J. Raddatz nannte ihn einen «Kaltnadelradierer der Poesie, schmucklos, scharf ritzend, aber nicht ätzend ... ein besessener Aufklärer, wo er die Täter am Werk sieht, ob Diktatoren oder Shareholder.» Rolf Hochhuth war einer der erfolgreichsten Dramatiker des heutigen Theaters - mit sicherem Gespür für brisante Stoffe und Themen. Am 1. April 1931 in Eschwege geboren, erzielte er mit dem «christlichen Trauerspiel» Der Stellvertreter Internationalen Erfolg. Es thematisiert die Rolle der katholischen Kirche, speziell die von Papst Pius XII., im Zweiten Weltkrieg. Als rigoroser «Moralist und Mahner» setzte sich Hochhuth mit aktuellen politisch-sozialen Fragen auseinander; in einer Vielzahl offener Briefe plädierte er für die «moralische Erneuerung» der Politik. Er verfasste ein umfangreiches dramatisches, essayistisches und lyrisches Werk. Ausgezeichnet wurde er u.a. mit dem Kunstpreis der Stadt Basel (1976), dem Geschwister-Scholl-Preis (1980), dem Lessing-Preis der Freien Hansestadt Hamburg (1981), dem Elisabeth-Langgässer-Preis (1990) und dem Jacob-Grimm-Preis für Deutsche Sprache (2001). Hochhuth starb am 13. Mai 2020 in Berlin.

Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.09.2001

Katastrophenmoral
Gerechtigkeit und Selbstgerechtigkeit: Das Berliner Ensemble zeigt Rolf Hochhuths „Stellvertreter”
Was uns an einer Katastrophe am meisten beleidigt, ist vielleicht, dass sie gar nicht uns meint. Wir können ihr Opfer werden, aber wir sind nicht ihr Ziel. Wir können sie nicht verhindern, wir haben sie nicht verursacht und sind nicht ihre Täter. Die Katastrophe macht es uns auf grausame Weise schwer, uns zu ihr in Beziehung zu setzen, und diese Beziehungslosigkeit kommt uns unerträglich vor. Theaterleuten, die ihren Erfolg daran messen, wie viel der Welt sie effektvoll auf sich selbst beziehen können, muss sie noch unerträglicher erscheinen. Das mag der Grund für eine rührende Presseerklärung des Berliner Ensembles (BE) sein. Sie stellt den Versuch dar, die Terrorkatastrophe von New York und Washington auf die Premiere von Rolf Hochhuths „Der Stellvertreter” am Tag danach zu beziehen.
Das Berliner Ensemble ist ein bedeutender Vorposten der westlichen Zivilisation, und dennoch war es Osmar bin Laden nicht einmal eine kleine Cessna wert. Das darf nicht ungesühnt bleiben. Deshalb erklärt das Berliner Ensemble: Die Terroranschläge seien eine „Weltkatastrophe, die das Zusammenleben der Menschen von Grund auf verändern wird. Rolf Hochhuths christliches Trauerspiel ENDE]„Der Stellvertreter”... berichtet von ... jenem Fanatismus und von jener Barbarei, die zur Katastrophe führen.” Jetzt also erst Recht Hochhuth spielen, den Terroristen in die Fresse, der Menschheit zum Heil!
Das ist alles ein irrwitziger Unsinn und verrät nichts als den Drang, sich in dramatischer Betroffenheit zu suhlen. Es sei denn, die arabischen Terroristen wären die Nazis, ihre Opfer in New York die Juden von heute, was eine ebenso skandalöse Begriffsverwirrung darstellt wie das Beharren des Theaters darauf, Rolf Hochhuths Stück über den Judenmord sei ein christliches ENDE]Trauerspiel – eine schöne religiöse Enteignung, die hier vorgenommen wird. Die Täter, würde das bedeuten, haben am meisten gelitten, ihre Tragödie wäre das eigentliche Drama.
Das Berliner Ensemble gibt außerdem bekannt: Die Tageseinnahmen der ersten drei Abende des „Stellvertreters” werden den Terroropfern in Amerika gespendet. Früher einmal hat der heutige BE-Intendant Claus Peymann Skandal damit gemacht, dass er Geld für die Zahnbehandlung der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin sammelte; heute will er den Terroropfern an der Wall Street, im reichsten Land der Welt, mit 70000 oder 80000 Mark unter die Arme greifen. Diese Großzügigkeit wird Eindruck machen. Man darf nicht wählerisch darin sein, wie man seine Betroffenheit zeigt; wenn sie nur hysterisch genug daher kommt, ist alles egal.
Rolf Hochhuths Stück „Der Stellvertreter” war nach dem Holocaust ein erster bedeutender Versuch, sich zu dieser Katastrophe in Beziehung zu setzen und dadurch Bedeutung zu erlangen. Jede Katastrophe stellt eine Überforderung dar, und Hochhuths Stück erzählt von dieser Überforderung bis in seine dramaturgischen Unzulänglichkeiten hinein. Der „Stellvertreter” handelt vom Versagen eines – hier: heiligen – Vaters. Väter versagen ihren Kindern immer wieder ihre Liebe, mit katastrophalen und traumatischen Auswirkungen. Hier erlaubten es die historischen Umstände einem Autor, dem väterlichen Scheitern ein weltkatastrophisches Ausmaß zu geben, den Papst Pius XII. der Mitschuld am Holocaust zu zeihen, dafür schärfsten Protesten ausgesetzt zu sein und zu einer Art Intimfeind des Vatikans zu wachsen, gleichzeitig zu einem „Autor, der für sich in Anspruch nehmen kann, der bedeutendste Dramatiker der Welt genannt zu werden” (Newsweek).
Motive eines Autors
Früh hat Rolf Hochhuth durch den „Stellvertreter” historische Größe erlangt und den Rest seines Lebens der Aufgabe gewidmet, sie zu bewahren und seine Stellung zu sichern. Das ist sein Lebensdrama, eine Tragödie mit manchmal possenhaften Zügen. Über sich und seine eigenen Motive hat er dabei wenig gelernt, so beschäftigt war Rolf Hochhuth damit, etwas zu bedeuten. Was seine Stücke – Pamphlete und Traktate, die er unter äußersten Krämpfen auf die Bühne zwang, weil man ihm gesagt hatte, er sei ein Dramatiker – eigentlich bedeuteten, musste hinter die Bedeutung ihres Autors zurücktreten.
So ist auch der „Stellvertreter” kein Drama über das Versagen von Vätern, das sein Thema bewusst behandelt und allgemein erhellt; es macht Hochhuths auserwähltem hohen Feind nur kurzen Prozess. Alle Figuren sind Marionetten des Staatsanwalts H. und halten sein Plädoyer; als Schwäche dieses Stücks ist das früh erkannt und viel diskutiert worden. Der Papst, ruft Hochhuth, hätte jene Katastrophe verhindern helfen müssen, die das Kind Rolf H. nicht verhindern konnte, so gern er an ihr zum Helden geworden wäre. Als Erwin Piscator den „Stellvertreter” im Jahr 1963 in Berlin uraufführte, war Hochhuths „J’Accuse ...!” gewagt und skandalös und ist es heute nicht mehr.
Das Berliner Ensemble hat die Premiere seiner Neuinszenierung des Stücks auf den Tag gelegt, an dem das neue Jüdische Museum zum ersten Mal für die Allgemeinheit geöffnet gewesen wäre, hätte es seine Pforten nach den Terroranschlägen in Amerika nicht gleich wieder geschlossen. Die symbolische Geste aber weist dem Stück seinen gerechten Platz an: Mitsamt seiner Rezeptionsgeschichte stellt es ein schönes Ausstellungsstück im Jüdischen Museum dar, prall vor traurigem Eifer, bar jeder Eleganz. Was seine Bedeutung für die deutsche Vergangenheitsbewältigung angeht, verdient es einen Ehrenplatz.
Philip Tiedemanns Inszenierung versucht, was man am Theater niemals tun darf: Sie hält sich edel zurück. Sie will das Stück eines flammenden Kämpfers für die Gerechtigkeit auf die Bühne bringen und allen gerecht werden, sogar den Hausgespenstern. Zwischen den Szenen fährt eine Projektionsleinwand herab, auf die eine unsichtbare Schreibmaschine die Szenenüberschriften tippt, um den unbekümmerten Realismus der Hochhuthschen Moral-Bannerträgerei zu verbrechten. Der Realismus erlaubt sich bei der Premiere einen Scherz in Form eines Telefons, das die Brecht-Leinwand aufhält und von einem Schauspieler zurückgezogen werden muss: kollidierende Ästhetiken.Die SS trägt Schaftstiefel, stemmt Bierhumpen und kegelt. Der geflohene Jude kauert hinter der Wand. Um den Heldenpater Fontana weht die Soutane der Geschichte.
Aber das Theater ist keine Illustrations-, sondern große Eitelkeitskunst. Nur der höchste Egozentrismus der Schauspieler kann einzelne Szenen retten, indem er den heldenhaften Egozentrismus des Autors spiegelt. Michael Maertens (als zerrissener Obersturmführer Gerstein) und Markus Meyer (als flammender Pater Fontana) scheinen herzlich vom Glauben erfüllt, dass der Abend sich allein um sie dreht und reißen ihn selig an sich. Hans-Michael Rehberg dreht sich als böser Pius leider um sich selbst.
Wo das Stück uns nach Auschwitz führt, flieht Philip Tiedemanns Inszenierung ins Theater. Die Wände des Bühnenbilds von Etienne Pluss, die uns schon vorher einen voyeuristischen Blick auf die Schminktische der Schauspieler vor den Zügen erlaubt haben, heben sich. Vor nackten Wänden folgt das gesamte Ensemble dem nackten Pater Fontana und tritt in ein mild-grelles Licht. Es steht natürlich für den Tod im Gas: In einer hochmoralischen Geste, die uns betroffen machen soll, solidarisieren sich die Schauspieler hier mit sechs Millionen toten Juden. Aber andererseits gehen sie nicht in den Tod, sie gehen zum Glück nur in die Kantine. Die Kantine ist ein sicherer Ort. Wir sollten uns der undramatischen Sicherheit, die wir genießen, nicht schämen. ROBIN DETJE
Es geht ausdrücklich um ein „Christliches Trauerspiel” in Rolf Hochhuths Dokumentationsdrama „Der Stellvertreter” (hier mit Roman Kaminski und Markus Meyer), das am Berliner Ensemble Premiere hatte.
Foto:
Monika Rittershaus
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr
Hochhuth ist kein primitiver Moralist, der im Wust der Akten nach Schuldbeweisen sucht. Ihn treibt das Gewissen zur Kunst. Daher das klassische Gepräge seines Werkes. Und deshalb ist er auch der erste Dramatiker, der die erdrückend verworrenen apokalyptischen Ereignisse unserer Zeit mit wirklichem Gewinn gestaltet. Das Werk eines Autors, der für sich in Anspruch nehmen kann, der bedeutendste Dramatiker der Welt genannt zu werden. Newsweek