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Seit der Wende zum 20. Jahrhundert stand die "katholische Kultur" unter den deutschen Katholiken im Zentrum der Diskussion. Im protestantisch geprägten deutschen Kaiserreich war den als antimodern, fortschrittsfeindlich und ultramontan geltenden Katholiken häufig der Zugang zu Wissenschaft, Literatur und Kunst versperrt. Über die Notwendigkeit, Anschluss an die "deutsche Nationalkultur" zu erhalten, bestand weithin Einigkeit, über die Wege dorthin jedoch tobten erbitterte Grabenkämpfe. Diese wurden vor allem in neu gegründeten Zeitschriften ausgetragen, allen voran im Hochland unter der…mehr

Produktbeschreibung
Seit der Wende zum 20. Jahrhundert stand die "katholische Kultur" unter den deutschen Katholiken im Zentrum der Diskussion. Im protestantisch geprägten deutschen Kaiserreich war den als antimodern, fortschrittsfeindlich und ultramontan geltenden Katholiken häufig der Zugang zu Wissenschaft, Literatur und Kunst versperrt. Über die Notwendigkeit, Anschluss an die "deutsche Nationalkultur" zu erhalten, bestand weithin Einigkeit, über die Wege dorthin jedoch tobten erbitterte Grabenkämpfe. Diese wurden vor allem in neu gegründeten Zeitschriften ausgetragen, allen voran im Hochland unter der Leitung von Karl Muth und in der Schöneren Zukunft, herausgegeben von Josef Eberle. Otto Weiß zeichnet den Weg der katholischen Intellektuellen in die deutsche Kultur von der Jahrhundertwende bis zum Beginn des Dritten Reichs nach und stellt die Protagonisten und Wortführer vor. Das faszinierende Porträt einer spannenden Epoche
Autorenporträt
Otto Weiß, Dr. phil., geb. 1934, war Historiker und Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.03.2015

Im Licht der
ewigen Wahrheit
Wie deutsche Katholiken Wege
in die Kultur der Moderne fanden
Den Begriff „Aufklärung“ haben die katholischen Bischöfe wieder einmal tunlichst vermieden. In ihren umfangreichen „Lineamenta“, ihren offiziellen Grundlinien, die sie in diesem Winter zusammen mit einem Fragebogen im Kirchenvolk verschickten, kommen sie abwertend „auf den in der säkularisierten Gesellschaft verbreiteten kulturellen Relativismus“ zu sprechen. Ob nun Aufklärung den Relativismus bedingt oder umgekehrt – letztlich war und ist der katholischen Kirche beides gleich unwillkommen. Die Hirten bitten vor ihrer Synode im Herbst zwar ihre Schafe um Stellungnahmen, aber die Fragen sind so gestellt, dass die Antworten an der gegenwärtigen Sexualmoral nichts ändern werden. Kirche und Aufklärung – die Diskrepanzen sind immer noch gewaltig.
  Eine Studie des Wiener Historikers Otto Weiß, 80, beschreibt die ersten Schritte beim Austritt katholischer deutscher und österreichischer Intellektueller aus ihrer Unmündigkeit. Über das 19. Jahrhundert hinweg waren für Katholiken die Grenzen selbständigen Denkens ex cathedra eng gezogen. Literatur, die kritischen Geist genährt hätte, setzte der Vatikan auf den Index der verbotenen Bücher. Durch den Syllabus errorum sowie die Enzykliken Pascendi und Lamentabili erklärten die Päpste Pius IX. und Pius X. alles Modernistische zu Teufelszeug. Für katholische Wissenschaftler war das fatal: Sie blieben durch ihr Verharren auf dem alten Wissenschaftsbegriff auf der Stelle – und hinkten ihren evangelischen Kollegen hinterher.
  Die Protestanten gingen längst unter der Prämisse ans Werk, die Max Weber als „Wertfreiheit“ bezeichnete. Katholische Natur- wie Geisteswissenschaftler hingegen waren noch immer der „ewigen Wahrheit“ verpflichtet und der kirchlichen Lehre. Viele Katholiken, schreibt Otto Weiß, waren „in ihrem überkommenen Glauben verunsichert und verkrochen sich nur allzu gern in die angeblich absolute Sicherheit der Übernatur mit ihren unveränderlichen ,Wahrheiten‘“. Unveränderlichkeit, dieses Prinzip war und ist das Kontinuum der römisch-katholischen Katholizismus.
  Die Erzeugnisse der Künste unterschieden sich in ihrer Qualität nach Konfession. Die katholische Literatur sickerte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich auf das Niveau frommer Erbauungsgeschichten. Manchmal wurde es selbst Klerikern zu viel. Otto Weiß zitiert den späteren antimodernistischen Rottenburger Bischof Paul Wilhelm Keppler, der 1897 kritisierte, die Erbauungsliteratur kranke „an Gedankenarmut und Gefühlsüberschwang“ und sei „größtenteils ungenießbar, seicht und fad geworden und weiblich fast bis zur Hysterie“.
  Weiß’ Buch baut auf einer Beobachtung des Historikers Walter Goetz auf, die dieser um 1900 notierte und Weiß in einem privaten Nachlass in die Hände fiel: „Der Katholik hat im Gegensatz zum Protestanten einen weiten Weg, bis er die Kultur der Gegenwart verstehen, durchdringen kann.“ Alle „Bahnbrecher und alle großen geistigen Talente“ seien Protestanten.
  Langsam wuchs diese Einsicht auch im katholischen Lager – und mit ihr keimten Bestrebungen, den Makel der kulturellen Inferiorität gegenüber den Protestanten zu tilgen. Die Zeitschrift Hochland wurde aus der Taufe gehoben, andere versuchten, ihre Treue zur Kirche mit ihrer Aufgeschlossenheit für die moderne Kultur lieber in Organisationen wie dem Katholischen Akademikerverband zu verbinden. Aber weiterhin taten sich die katholischen Intellektuellen schwer mit ihrer Zeit – auch mit der Demokratie. Romano Guardini rechnete mit der Aufklärung selbst ab: „Wir werfen den Bann der in der Stube ersonnenen Autonomie Kants von uns und begreifen, wie groß und lebenssteigernd es ist, wenn eine Persönlichkeit sich der anderen in freigewolltem sinnbegriffenen Gehorsam hingibt.“ Hundert Jahre ist das her. Das sehen die tonangebenden Kleriker heute noch genauso.
RUDOLF NEUMAIER
Otto Weiß: Kulturkatholizismus. Katholiken auf dem Weg in die deutsche Kultur 1900–1933. Pustet-Verlag, Regensburg 2014. 312 Seiten, 29,95 Euro.
„Ungenießbar, seicht und fad“
schien die Erbauungsliteratur
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