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Demokratie kann nur gelingen, wenn alle daran mitarbeiten - Bürgermeister Dirk Neubauer zeigt, wie es gehen kann
Wir haben verlernt, wie Gesellschaft geht - und zwar nicht nur im Osten Deutschlands. Das sagt Dirk Neubauer, seit 2013 Bürgermeister der sächsischen Kleinstadt Augustusburg. Was er nach seiner Wahl in der Stadt vorfand, waren Intransparenz, Politikverdrossenheit und ein Gefühl der Verlorenheit. Neubauer ist überzeugt, dass das politische System - entgegen landläufiger Meinung - von innen heraus zu verändern ist und dass wir wieder lernen können, was es heißt, Eigenverantwortung…mehr

Produktbeschreibung
Demokratie kann nur gelingen, wenn alle daran mitarbeiten - Bürgermeister Dirk Neubauer zeigt, wie es gehen kann

Wir haben verlernt, wie Gesellschaft geht - und zwar nicht nur im Osten Deutschlands. Das sagt Dirk Neubauer, seit 2013 Bürgermeister der sächsischen Kleinstadt Augustusburg. Was er nach seiner Wahl in der Stadt vorfand, waren Intransparenz, Politikverdrossenheit und ein Gefühl der Verlorenheit. Neubauer ist überzeugt, dass das politische System - entgegen landläufiger Meinung - von innen heraus zu verändern ist und dass wir wieder lernen können, was es heißt, Eigenverantwortung zu tragen, statt sie an den Staat abzugeben. Seine Projekte für Augustusburg, die auf Bürgerbeteiligung setzen, zeigen: Das Engagement der Bürger, das früher wenig beachtet wurde, wächst langsam, aber stetig.
Autorenporträt
Dirk Neubauer, geboren 1971, ist seit Oktober 2013 Bürgermeister der Stadt Augustusburg - 20 Kilometer östlich von Chemnitz. Parteilos gestartet, wurde er 2017 SPD-Mitglied. Der gebürtige Hallenser schlug 1993 zunächst den Weg in den Journalismus ein und war rund zehn Jahre als Reporter und später Geschäftsführer eines lokalen Fernsehsenders tätig. Nach zwei Jahren als Marketingchef bei mdr jump und sputnik wechselte er in die Selbstständigkeit. Er entwickelte Konzepte für Portallösungen von Zeitungshäusern. Für die sächsische SPD schreibt er derzeit an einem Konzept für mehr Bürgerbeteiligung auf Landesebene und setzt sich für ein landesweites Digitalkonzept ein. Für Augustusburg hat er das Projekt #diStadt ins Leben gerufen. Mit seiner Familie lebt Dirk Neubauer in Augustusburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.05.2020

Der Bürger ist auch nur ein träges Wesen
Eigenverantwortung statt Regelungswut: Dirk Neubauer schreibt gegen Politikverdrossenheit an

Vor drei Jahren erneuerte die Stadt Augustusburg die Beschilderung ihrer Wanderwege. 150 Masten und rund fünfhundert Schilder, zum Teil noch aus DDR-Zeiten, waren auf den neuesten Stand zu bringen, beschreibt Bürgermeister Dirk Neubauer die, wie er zunächst dachte, überschaubare Aufgabe. 35 000 Euro sollte die Renovierung kosten, bezahlt aus einem Programm zur Förderung des ländlichen Raums. Seine Mitarbeiter ermittelten Standorte, einigten sich mit den Eigentümern der Grundstücke und stellten die Schilder auf. Die Reaktionen von Einheimischen wie Touristen seien überwältigend gewesen. Im Rathaus jedoch kämpfte Neubauer mit dem "dicken Ende" des Projekts.

Denn die Förderbehörde verlangte für jeden Mast einen Grundbuchauszug nebst Flurkarte und schriftlicher Vereinbarung mit dem jeweiligen Eigentümer. Und weil wegen des Verlaufs eines Wanderwegs vier Wegweiser auch auf dem Territorium der Nachbarstadt Chemnitz aufgestellt wurden, die nicht unter diese Förderung fällt, droht nun auch noch eine Rückzahlung. Rund viertausend Euro Personalkosten hätten die Stadt allein die verlangten Nachweise gekostet, aber das ist längst nicht das Einzige, was Neubauer aufregt. "Denn eigentlich bedeutet diese Kontrolle nichts anderes, als dass man grundsätzlich Zweifel daran hat, dass wir unsere Arbeit richtig machen und dass die Unterschrift des Bürgermeisters auf dem Verwendungsnachweis nicht die Tinte wert ist, mit der sie geschrieben wurde."

Genau darum geht es Neubauer in weiten Teilen seines Buchs, dessen Titel, "Das Problem sind wir", zugleich darauf hinweist, dass er die Schuld nicht einseitig "bei denen da oben" ablädt. Vielmehr schildert er das Dilemma deutscher Städte und Gemeinden am Beispiel Augustusburgs. Finanziell nur mit dem Nötigsten ausgestattet, dafür beladen mit immer neuen Vorschriften und Kosten, sehen sich Deutschlands Kommunen und ihre Bürger heute vielfach gegängelt und bevormundet: "Wir produzieren Stillstand. Durch Komplexität, überbordende Regelungswut. Wir schaffen immer mehr Minenfelder, die die täglichen Entscheidungen für alle Beteiligten zur Existenzfrage werden lassen." Neubauer freue sich über jeden, der sich engagiere, doch diese Leute machten viel zu häufig "die Erfahrung, dass es mehr als kompliziert ist, etwas zu wollen, und viel einfacher, etwas zu lassen".

Den Hauptgrund dafür hat Neubauer in seinen acht Jahren Amtszeit an etlichen Beispielen erlebt: "Wir hantieren in einem entsetzlich regulierten System, das jegliche Pragmatik schon im Ideenstadium ersticken kann." Selbst Stadträte "erleben regelmäßig, dass ein Stadtratsbeschluss kein Beleg für die verfassungsrechtlich gewährte kommunale Selbstverwaltung ist, sondern eher eine Absichtserklärung". Ob diese umgesetzt wird, entschieden meist nicht die Räte, sondern die Förderbehörde, die Rechtsaufsicht oder eine andere übergeordnete Stelle, welche Geld oder Genehmigungen zuteile. Dabei glaubten nach 1989 gerade im Osten Deutschlands viele Kommunalvertreter, endlich über die sie betreffenden Dinge selbst bestimmen zu können. Doch diese Hoffnungen zerstoben - mit verheerenden Folgen.

Auch in Augustusburg haben viele engagierte Menschen resigniert. Der Bürger, so Neubauers Erfahrung, ist eben auch ein träges Wesen. "Bürgerkonferenz am kommenden Dienstag? Ganz schlecht. Da habe ich Yoga. Es wäre auch am Mittwoch nicht gegangen. Ganz sicher nicht", beschreibt er die Distanz vieler Einwohner zum Gemeinwesen. Meistens höre er nur etwas, wenn eine Sache zu Ende gebracht wurde. Zuvor hätten sich gerade die Kritiker nie zu Wort gemeldet. Meckern und Besserwissen seien extrem komfortabel.

Der Anteil der Verweigerer und Verächter steige: "Auffällig viele Menschen dieser Gruppe sind ehemalige Führungskräfte oder Unternehmer, die am wachsenden Bürokratismus und der grassierenden Regelwut verzweifelt sind." Oft seien sie so enttäuscht, dass sie mit der Bundesrepublik und ihren Repräsentanten nichts mehr zu tun haben wollten. Fast ein Drittel der Wahlberechtigten der Fünftausend-Einwohner-Stadt wählte im vergangenen Herbst die AfD. Neubauer, erst seit wenigen Jahren SPD-Mitglied, hat dafür kein Verständnis, gibt aber zu bedenken: "Nicht jeder, der mit dem Jetzt nicht einverstanden ist, ist undemokratisch oder gar radikal. Der Mangel an Unterscheidung ist es, der in diesem Fall eher ausgrenzt, als dass er hilfreich sei könnte" - und zugleich den Radikalen Aufwind verleiht.

Dass er als Quereinsteiger und Zugezogener - Neubauer wurde in Halle an der Saale geboren und arbeitete zuvor als Journalist und Unternehmensberater - überhaupt und noch dazu gegen die langjährige Amtsinhaberin Bürgermeister wurde, hat er auch der Hoffnung vieler auf etwas Neues zu verdanken. Sein Blick von außen, seine Erfahrung mit dem Innenleben einer Kommune, sein Kampf für Verbesserungen, aber auch seine Analyse einer verkrusteten, oft nur noch sich selbst erhaltenden Förder- und Kommunalaufsicht machen das Buch genauso lesenswert wie die Beispiele aus der Praxis. Er selbst etwa hat 2018 einen Bürgerhaushalt geschaffen. 50 000 Euro stellte der Stadtrat für Bürgervorhaben bereit, die der Allgemeinheit nutzen. Die Resonanz sei "unglaublich" gewesen; dreihundert Bürger nahmen teil, entwickelten zwanzig Ideen, von denen schließlich acht unmittelbar umgesetzt wurden.

Neubauers Idee hat für Aufbruchstimmung gesorgt. Auch von Aufsichtsbehörden, Bund und Landtag wünscht er sich mehr Vertrauen in die Bürger. Statt Förderprogrammen sollte den Kommunen mehr Geld überlassen und damit Macht gegeben werden. Das sei der Schlüssel zu mehr Bürgersinn und Eigenverantwortung. Vor allem daran habe es auch nach 1990 vielen Menschen im Osten gefehlt, was zur heutigen Missstimmung beitrage. Statt ihnen eigene Wege zu ermöglichen, habe sich der Staat in einer Kümmerer-Attitüde über sie gebeugt, die sich nicht zuletzt im "Ost-Beauftragten" manifestiere. "In meinen Augen kann nichts erstarken, was Beauftragte zugeteilt bekommen, die sich um irgendetwas kümmern sollen", schreibt Neubauer. "Es ist an der Zeit, den Osten auf Augenhöhe . . . zu behandeln und damit auch den Menschen etwas zurückzugeben, worüber sie sich und ihr Leben neu definieren können: Verantwortung und Einfluss."

STEFAN LOCKE

Dirk Neubauer: "Das Problem sind wir". Ein Bürgermeister in Sachsen kämpft für die Demokratie. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2019. 240 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Ein blitzgescheites Buch.« ARD »ttt«