Ein Freund, der meinen Lesegeschmack gut kennt, drückte mir diesen Roman in die Hand, den er im Museumsshop von Kalkriese auf Empfehlung gekauft hatte. Ich war eigentlich entschlossen, nach zwei Enttäuschungen keinen Jubiläumsroman mehr zu lesen und erwartete nicht mehr als eine blutige
Abenteuergeschichte. Die Empfehlung führte ich darauf zurück, dass es hier um Kalkriese als Schlachtort…mehrEin Freund, der meinen Lesegeschmack gut kennt, drückte mir diesen Roman in die Hand, den er im Museumsshop von Kalkriese auf Empfehlung gekauft hatte. Ich war eigentlich entschlossen, nach zwei Enttäuschungen keinen Jubiläumsroman mehr zu lesen und erwartete nicht mehr als eine blutige Abenteuergeschichte. Die Empfehlung führte ich darauf zurück, dass es hier um Kalkriese als Schlachtort ging.
Weit gefehlt! "Varus" holt die Opfer der Schlacht aus dem Dunkel der Geschichte ans Licht, Offiziere, Gefreite, Soldaten, Zivilisten (auch Frauen) und gibt ihnen Gesicht und Stimme. Der Zeitraum der Handlung beschränkt sich auf weniger als zwei Monate, kurz vor, während und nach der Schlacht im Teutoburger Wald. Es werden weder kaiserlichen Palastintrigen noch Verschwörungstheorien noch erfundene Geheimnisse bemüht, sondern geschildert, wie die Verlierer diese Schlacht erlebten, an deren Verlauf kein Zweifel gelassen wird.
Iris Kammerer ist offenbar die einzige Autorin, die sich die Mühe gemacht hat, den nationalen Mythos um Hermann den Cherusker von Pathos und Hinzudichtungen zu befreien und auf den Kern der ursprünglichen Überlieferung zu beschränken. Es ist ein Roman über die Folgen von ungezügeltem Ehrgeiz, Meuterei und Verrat und über Tapferkeit, Treue und Mitmenschlichkeit, die auch damals schon Werte waren. Obwohl es um ein Ereignis geht, dass 2000 Jahre zurückliegt, ist die Botschaft des Romans von erschreckender Aktualität. Was Beigbeder in "Windows on the world" durch seinen Defätismus und seine Lust am Skandal vergibt, gelingt Kammerer mit leichter Hand durch das Teleobjektiv einer historischen Erzählung: den Schrecken schonungslos zu dokumentieren und ebenso die einzig wirksame Waffe gegen ihn aufzuzeigen, die Tatsache, dass in jedem Menschen sowohl das Böse als auch das Gute angelegt ist.
Die gute Presse, die ich nach der Lektüre aufspürte, ist wirklich verdient: Ein tatsächlich hervorragend recherchierter historischer Roman, mitreißend und bewegend, bei dessen Lektüre mir immer wieder der Atem stockte.