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Unsere westliche Demokratie ist ein vergleichsweise junges Kind. Großbritannien beispielsweise kann sich erst seit 1928 zum exklusiven Club vollgültiger Demokratien zählen. Noch die Aufklärer setzten auf die Republik; die Demokratie war Ihnen suspekt - wie schon dem Giechen Aristoteles. Die Wiege der Demokratie aber liegt in Athen.In einem großen Alterswerk beschreibt der Althistoriker Klaus Bringmann Ideal und Ausformung der athenischen Demokratie und zeigt ihren grundlegenden Unterschied zu heutigen Systemen. Er verfolgt Idee und Praxis über das Ständesystem der Frühen Neuzeit, die…mehr

Produktbeschreibung
Unsere westliche Demokratie ist ein vergleichsweise junges Kind. Großbritannien beispielsweise kann sich erst seit 1928 zum exklusiven Club vollgültiger Demokratien zählen. Noch die Aufklärer setzten auf die Republik; die Demokratie war Ihnen suspekt - wie schon dem Giechen Aristoteles. Die Wiege der Demokratie aber liegt in Athen.In einem großen Alterswerk beschreibt der Althistoriker Klaus Bringmann Ideal und Ausformung der athenischen Demokratie und zeigt ihren grundlegenden Unterschied zu heutigen Systemen. Er verfolgt Idee und Praxis über das Ständesystem der Frühen Neuzeit, die Aufklärung, die Geburt der ersten wirklichen Demokratie in den jungen Vereinigten Staaten und bis heute. Mit klarem Blick benennt er Schwächen und Stärken verschiedener Möglichkeiten und kritisiert manch voreilige Reformidee, die angesichts der aktuellen Krise der Demokratie entwickelt werden. Wem die Zukunft unseres freiheitlichen Systems am Herzen liegt, muss seine Geschichte und Entwicklung kennen.
Autorenporträt
Klaus Bringmann, geb. 1936, ist em. Professor für Alte Geschichte an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt a.M.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.07.2019

Wie bändigt man Eliten?
Die Ordnung der Phylen: Klaus Bringmann kennt die Geschichte der Demokratie

Im großen Krieg gegen Sparta lag das erste Jahr hinter den Athenern, als Perikles die Gefallenen mit einer Grabrede ehrte. Darin würdigt er nicht nur die Tapferkeit der Toten, sondern auch die Stadt, für die sie ihr Leben geopfert haben: Eine Schule für ganz Hellas sei Athen, dessen Macht und Reichtum keine Launen der Geschichte, sondern in seiner Verfassung begründet seien. "Sie heißt Demokratie, weil sie nicht auf einer Minderheit, sondern auf der Mehrheit der Bürger beruht." Vor dem Gesetz seien alle gleich, das Ansehen des Einzelnen richte sich allein nach seiner Leistung. Vor allem sei Athen ein Staat der mündigen Bürger: "Wir sind die Einzigen, die einen Bürger, der keinen Sinn für Politik hat, nicht für ein ruhiges, sondern für ein nutzloses Glied der Gemeinschaft halten."

Diese Worte legt Thukydides, der Historiker des Peloponnesischen Krieges, dem Staatsmann Perikles (zirka 490 bis 429 v. Chr.) in den Mund. Selbst wenn die Rede vielleicht so nie gehalten wurde, ist sie doch das erste demokratische Manifest der Weltgeschichte: eine Selbstbespiegelung der Attischen Demokratie aus erster Hand, aus der ein analytisches Politikverständnis spricht, das geradezu die intellektuelle Signatur von Thukydides' Generation ist. Das Nachdenken über die Demokratie gedieh offenbar vor allem im Schatten ihrer Gefährdung durch den Zusammenbruch Athens im Peloponnesischen Krieg. Auch heute, angesichts der vermeintlichen oder tatsächlichen Bedrohungen, die von Populismen und der Entfremdung liberaler Eliten von ihrer Basis ausgehen, hat das Nachdenken über die Demokratie Konjunktur.

Mit seiner Geschichte der Demokratie füllt der Frankfurter Emeritus Klaus Bringmann eine wichtige Lücke im einschlägig bestückten Bücherregal. Seit Paul Noltes Buch "Was ist Demokratie?" von 2012 ist es die erste historische Gesamtdarstellung. Bringmann aber kommt vom anderen Ende des historischen Kontinuums. Nicht umsonst sind es Althistoriker wie Josiah Ober (F.A.Z. vom 16. Dezember 2017) und eben Bringmann, die der aktuellen Debatte um die Demokratie die nötige historische Tiefe geben können.

Zwar wird Griechenland immer wieder in Sonntagsreden, meist mit dem Ziel, Finanzspritzen zu legitimieren, als die "Wiege der Demokratie" gepriesen. Doch lässt die politische Wissenschaft die Vereinnahmung der alten Griechen für die Ahnengalerie der Demokratie meist nicht gelten: Ausgrenzung von Frauen und Sklaven dort, Repräsentationsprinzip und Menschenrecht hier. Keine historische Kontinuitätslinie verbinde die Attische mit der liberalen Demokratie unserer Tage.

So einfach ist es wiederum nicht, wie Bringmann in seiner ebenso gelehrten wie gut lesbaren Geschichte einleuchtend erklärt. Sie gliedert sich in zwei Hauptteile: Der erste führt systematisch ein in die antike - und das heißt: Attische - Demokratie, der zweite zeichnet die politische Ideen- und Institutionengeschichte seit der Frühmoderne nach, mit England, den Vereinigten Staaten, Frankreich, Polen und Deutschland als Hauptschauplätzen der Demokratisierung. Bringmann ist ein exzellenter Kenner der Texte, keineswegs nur der antiken, und er versteht es glänzend, seine Leser an das Denken ferner Epochen heranzuführen.

Gleich zu Beginn räumt er mit dem Mythos von Athen als Kleinstaat mit entsprechend geringem Regelungsbedarf auf. Keine Face-to-Face-Gemeinschaft sei die Stadt gewesen, sondern eine kosmopolitische Metropole, eine "maritime Großmacht" mit hochkomplexer Wirtschaft und Gesellschaft. Bringmann skizziert die Ursprünge des Demos und seiner politischen Partizipation von Homer an, mit Solon, der Tyrannis der Peisistratiden und dem Reformer Kleisthenes als Zwischenstationen. Der Durchbruch zur eigentlichen Demokratie sei indes erst eine Folge der Perserkriege gewesen, als die Arbeitsteilung im Attischen Seebund enorme Ressourcenströme nach Athen gelenkt habe. Das Zusammentreffen dieser Faktoren hätte auch weiterhin die zunächst kriegsbedingte "Mobilisierung des politischen und militärischen Engagements" ermöglicht, für das Kleisthenes mit seiner Phylenordnung die Grundlage geschaffen hatte.

Ganz anders haben in der Vergangenheit Christian Meier und Paul Veyne die Attische Demokratie gedeutet: als Arena bürgerschaftlicher "Militanz" (Veyne), die sich aus der "anthropologischen Disposition" (Meier) der Griechen speise. Bringmanns nüchterner Entwurf hat manches für sich. Die politische Konstellation des fünften vorchristlichen Jahrhunderts gab dem einfachen Volk Instrumente in die Hand, um die Elite ihrer Stadt effektiv zu bändigen. Bringmann beleuchtet die Attische Demokratie in all ihren Facetten: Von der politischen Organisation über die Rechtsprechung bis zum Widerstand der oberen Zehntausend gegen die als Schurigelung empfundene Kontrolle durch den Demos, für den er sich mit dem pseudo-xenophontischen (möglicherweise aber tatsächlich von Xenophon stammenden) Staat der Athener auf einen wortgewaltigen Text stützen kann.

Im zweiten Teil zeigt Bringmann dann, wie die oligarchische Demokratiekritik im spätklassischen Athen ihre Spuren in der politischen Ideengeschichte des modernen Europa und Amerika hinterließ. So sah James Madison im Repräsentativsystem das "Heilmittel" gegen die Auswüchse der Demokratie, wie er sie im alten Hellas beobachtete. Nicht mehr Bändigung der Eliten lautete jetzt die Losung, sondern Einhegung der Volksmassen, denen man jederzeit zutraute, demagogischen Rattenfängern hinterherzulaufen.

Von hier zur unlängst von dem amerrikanischen Philosophen Jason Brennan erhobenen Forderung, die unqualifizierte Mehrheit vom Wahlrecht auszuschließen, ist es kein weiter Weg. Zwar haben die westlichen Demokratien bis ins zwanzigste Jahrhundert immer mehr Hürden abgebaut, die ihre Bürger am Wählen hinderten, doch kehrte die sich durchsetzende Parteiendemokratie zugleich die oligarchische Komponente des Parlamentarismus nach außen.

Das alles erklärt Bringmann so fesselnd wie plausibel anhand von Schlüsseltexten. Er gibt seinen Lesern jede Menge Stoff zum Nachdenken mit auf den Weg. Bei allen Unzulänglichkeiten, trotz ihrer totalitären Anmutung, hat Athen doch das Problem der Elitenkontrolle überzeugend gelöst, vor dem moderne Demokratien meist kapitulieren. Als Reaktion auf ihr Versagen müssen sie den "Schmerzensschrei" (John P. McCormick) aushalten, als der sich der vielgescholtene Populismus zu Wort meldet.

MICHAEL SOMMER

Klaus Bringmann: "Das Volk regiert sich selbst". Eine Geschichte der Demokratie.

wbg/Theiss Verlag, Darmstadt 2019. 336 S., geb., 25,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Das Buch ist "eine ebenso gelehrte wie gut lesbare Geschichte ... Bringmann ist ein exzellenter Kenner der Texte, und keineswegs nur der antiken, und er versteht es glänzend, seine Leser an das Denken ferner Epochen heranzuführen!" Michael Sommer, FAZ »Die Geschichte der Demokratie ist für das Verständnis der gegenwärtigen Debatten unverzichtbar. Nach der Lektüre hat man ein geschärftes Bewusstsein dafür, was auf dem Spiel steht.« Deutschlandfunk Kultur »Mit seiner Geschichte der Demokratie hat der Frankfurter Emeritus einen wichtigen Beitrag für das Verständnis der gegenwärtigen Debatten geleistet, der unser politisches Bewusstsein im Zeitalter von Fake News schärft.« Frankfurt Live